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Auf die alten Zeiten! Lehmi rockt die Lesung in Tangerhütte

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Auf nach Stendal! Ab durch den Röxer Tunnel! Auf nach Tangerhütte! Was für eine Sause ins Einzugsgebiet des 1. FC Magdeburg! Der Anlass jener Sause, die vor einer Woche für reichlich Spaß sorgte: Lehmi las im dortigen Kulturhaus aus seinem neuen Buch „Capo“, das er bekanntlich gemeinsam mit FCM-Urgestein Jente (die blöde Autokorrektur schlägt mir gleich „Rente“ vor) geschrieben hatte. Der in Tangerhütte ansässige Fanclub lud mich zur Lesung ein, und somit schnappte ich den größeren Sohnemann und stieg mit ihm in den IC nach Stendal. Ich war gespannt wie ein Flitzebogen. Dass die Lesung lustig werden könnte, war mir klar. Ich war vielmehr gespannt, wie das dortige Publikum reagieren würde. Aber okay, öffentlich bekanntgegeben wurde diese Veranstaltung nicht. Vielmehr wurden die Gäste persönlich eingeladen, und somit dürfte es wohl kaum zu unangenehmen Überraschungen kommen.

Auf dem Bahnhof Stendal - logisch, dass ich wieder gleich an die 2006er Rostocker Bambule denken musste - staunten mein Sohnemann und ich, als wir vor der gesperrten Unterführung standen. Wie jetzt? Bitte den kleinen Umweg durch den Röxer Tunnel nehmen?! Was soll das sein? Am Geländer hingen nicht die größten Hinweisschilder, aber nach kurzer Suche war der Tunnel mit dem tollen Namen ausgemacht. Ob das ne alte Raucherkneipe sei, fragte mich mein Sohn, als er das alte verwahrloste Fachwerkhäuschen sah, in dem sich die Treppe zum Tunnel hinab befand. Röxer Tunnel! Was für ein langer uriger Gang. In dem könnte idealerweise ein richtig fetter Hooligan-Streifen gedreht werden. Das perfekte Set für die Schlacht im Tunnel. Kein Zurück. Nur Vorwärts. Ich glaube, ich muss mal ein Drehbuch schreiben. „Stendal - die Röxer-Bambule“.

Als wir eine Viertelstunde später in Tangerhütte eintrafen, staunten wir über die Spartanität des Bahnhofs. Über Handy schrieb ich dem uns zu sich nach Hause Einladenden, dass wir uns noch kurz das Stadtzentrum anschauen und dann den Weg locker finden würden. Stadtzentrum? *Lach“ und ein fetter Smilie. Anschauen? Zentrum? Okay, okay. Tangerhütte ist nicht Tangermünde. Hier gibt es wahrlich nicht allzu viel zu sehen, doch eins steht bereits fest. Ich werde wiederkommen! Zum einen möchte ich dort auch einmal lesen, zum anderen muss ich einmal diese kleine Stadt dokumentieren. 

Mehr Ost-Charme geht kaum! Ist man auf der Suche nach Ortschaften, die noch eine fette Prise DDR-Charme versprühen, muss man wohl am Besten nach Sachsen-Anhalt fahren. Nachdem wir unseren Sachen abgelegt hatten, ging es als kleine Gruppe quer durch Tangerhütte bis zum Kulturhaus, das sich am Ortsausgang befindet. Mir wurde schon angekündigt, dass dieses Kulturhaus von vorn eine Miniversion des Palastes der Republik sei - und ich wurde nicht enttäuscht. Ich war felsenfest überzeugt, dass es Lehmi hier richtig gut gefallen würde. Und ebenso sicher war ich mir, dass es Jente bedauern würde, nicht zu kommen, da er gerade im Urlaub war.

Was für eine Lokalität. Bombe! Hammer! Im hinteren Bereich befindet sich ein riesiger Ballsaal, der Ende des 19. Jahrhunderts errichtet wurde, im vorderen Bereich befindet sich der Anbau aus DDR-Zeiten, in dem die Lesung mit dem ehemaligen Capo / Vorsänger der Ultras Dynamo stattfand. Tangerhütte gibt es eigentlich nur, weil sich hier die große Eisengießerei befindet, erklärten mir ein paar FCM-Fans, die mir die Malereien an einem kleinen Nachbarhäuschen zeigten. Bereits im Jahre 1844 wurde in den Eisenwerken Tangerhütte der erste Guss vollzogen. Hervorgegangen ist Tangerhütte aus dem Ort Vaethen, der erstmals 1375 urkundlich erwähnt wurde. Seit nun mehr 175 Jahren prägt die Eisengießerei die dortige Region, und folgerichtig befinden sich im heutigen Stadtwappen Schlägel und Eisen. Nur am Rande: Bis 1854 wurde in der Umgebung Raseneisenerz abgebaut und verhüttet.

Nun sollte es jedoch nicht um Raseneisenerz, sondern um Fußball gehen. Her mit dem gezapften Bier! Nach und nach trafen die FCM-Fans ein, unter ihnen das eine oder andere Kaliber, und kurz vor sechs fuhr auch Lehmi samt einem Kumpel im Auto vor. Und wie sollte es anders sein: Lockeres Shakehands für jeden Anwesenden, ein paar erste Worte und ein begeisterter Blick auf die Fassade des DDR-Baus. Dieser Abend könne einfach nur gut werden, waren sich die meisten Anwesenden sicher.

Eigentlich sollte es eine Lesung werden, doch vielmehr wurde es eine Mischung aus Vortrag und Gespräch mit einem langjährigen FCM-Fan, der mit im Aufsichtsrat sitzt. Die von Lehmi vorgelesenen Buchabschnitte: Prima. Die ohne Spickzettel aus dem Stegreif frei vorgetragenen Anekdoten: Weltklasse! Lehmi schaffte es, das anwesende Publikum zu begeistern. Es spielte an jenem Abend keine Rolle, dass quasi ein Erzfeind aus Sachsen dort vorn auf dem Stuhl saß. Wieder einmal zeigte sich, dass Fußball verbindet und Menschen zusammenbringt, die sich sonst im Leben wohl niemals begegnen würden. Wie auch im Buch selbst wurden die a1 rübergebrachten Anekdoten aus der Zeit von den Stadtduellen gegen den Dresdner SC das absolute Highlight. Und wie gemeinsam festgestellt wurde, gab es in den 1990ern und am Anfang des Jahrtausends gleich in drei Städten im Fußball-Osten eine ähnliche Situation. Gleich in drei Fällen dachten Stadt und Wirtschaft, man könne wohl besser auf eine andere neue Kraft setzen. 

In Magdeburg war es Fortuna Magdeburg, in Halle war es der VfL Halle 96, und in Dresden war es der Dresdner SC. An allen drei Standorten kam es fast zu einer sportlichen Wachablösung. Aber glücklicherweise nur fast. Unvergessen, als der aufstrebende Dresdner SC fast den Sprung in die 2. Bundesliga packte und die Sponsoren bereits von Dynamo Dresden abgezogen wurden. Während der DSC in der Regionalliga oben mitgespielt hatte, kickte Dynamo Dresden nur in der Südstaffel der NOFV-Oberliga, Als es nach dem Aufstieg von Dynamo Dresden in die Regionalliga am 1. September 2002 zum Wiedersehen kam, entluden sich all der Hass und die Wut. Nach dem Spiel griffen rund 1.500 Dynamo-Anhänger die an jenem Tag komplett überforderte Polizei an. Was genau geschah, ist in Lehmis Buch sehr gut nachlesbar.

Über zwei Stunden ging die Lesung von Lehmi, die im Prinzip keine richtige Lesung war. Lehmi ist Lehmi - und das was er am Besten kann, ist locker flockig erzählen. Man mag von ihm halten, was man will - die Veranstaltung in Tangerhütte war ein voller Erfolg. Manch ein alter FCM-Haudegen klatschte auf die Knie, als Lehmi berichtete, wie er einst vor einigen Jahren mit seinen UD-Kumpels bei einem Länderspiel in eine Wald-und-Wiese-Hauerei geriet. Plötzlich hieß es, wer mit im Boot sitzt, muss mit ran. Wie viele seid ihr? 19, äh 16! Gegenfrage: Gegen wen geht es eigentlich ran? Gegen ganz Österreich! Sport frei! Das Publikum in Tangerhütte kam bei dieser vorgetragenen Anekdote gar nicht mehr aus dem Abfeiern raus. 

Nicht zuletzt wollten die Zuhörer wissen, wie eigentlich die Kübelpappe nach Karlsruhe gebracht wurde, als es dort den riesigen Camouflage-Aufmarsch der SGD-Anhängerschaft gab. Rede und Antwort, danach noch ein paar weitere frisch Gezapfte. Wer in seiner Stadt mal für richtig gute Unterhaltung sorgen möchte, muss einfach mal den Lehmi einladen. Und wenn Jente nicht gerade im Urlaub ist oder am nächsten Buch arbeitet, wird er sicherlich auch mit dabei sein und mit seinem Charme die eine oder andere Passage lesen. Und icke? Ick freu ma schon wie Bolle auf eine eigene mögliche Lesung in dieser genialen Lokalität in Tangerhütte! 

Fotos: Marco Bertram

> zur Rezension von "Capo" auf turus.net

 

Artikel wurde veröffentlicht am
16 August 2019

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