Hertha BSC vs. Hansa Rostock: Alles wie einem surrealen Traum

Hertha BSC vs. Hansa Rostock: Alles wie einem surrealen Traum

Am Ende fühlte es sich an wie auf einem riesigen Konzert oder Festival. Stimmung und Gesang im weiten Rund. Erhobene Arme. Draußen ließen einen all die aufgestellten Bauzäune und Dixi-Toiletten sowieso an ein Festivalgelände erinnern. Hier die Imbisswagen, dort die mobilen Dinger zum Reinstrullern. Dazu der Geruch vom Gras. Also ich meine in diesem Fall die Grünflächen, über die man gehen musste, um von den Rängen zum Ausgang zu kommen. Strange! Soeben hatte Hansa Rostock derb mit 0:4 bei Hertha BSC verloren, doch das Gefühl war trotz der wirklich großen Enttäuschung ein völlig anderes als nach anderen vergleichbaren Niederlagen.

Ganz oben am Marathontor stehend war die Spielfläche eh wahnsinnig weit entfernt, sodass die direkte Bindung zum Spielgeschehen eine ganz andere ist als im Ostseestadion. Es war, als würde man nebenbei auf einen kleinen Fernseher schauen. Mittendrin stand man indes auch im oberen Bereich des Oberrangs, was das Fangeschehen betraf. Es war eine Wonne zu sehen, wie über 20.000 Hansa-Fans auch am Ende der Partie die Schals erhoben, das „Hansa forever“ anstimmten und das „Ahu!“ in die Weiten des Berliner Olympiastadions hallen ließen. Meine Fresse, das war schon hoch emotional und ging wirklich nahe. Boah ey, dachte man sich, hätte hier und jetzt Hansa einen Punkt geholt! Was wäre dann wohl los gewesen?!

Drehen wir das Ganze gedanklich ein paar Stunden zurück. Mittagessen in Pankow, kurzer klassischer Treff auf dem Alexanderplatz an der Weltzeituhr - und dann ab mit der S-Bahn gen Olympiastadion! Dort angekommen gegen 15:30 Uhr trennten sich die Wege der bereits massig ankommenden Fans. Die Hertha-Fans nahmen den Ausgang in Richtung Ostkurve, die Hansa-Fans den Aufgang zum Vorplatz an der Südseite.

Vorfreude und Entspannung soweit das Auge reichte! Im Preußischen Landgasthaus hatte man sich 1a vorbereitet. Das Bier für nen Fünfer - der Geschmack war la la, aber an diesem Tag egal - stand massig bereit, und demzufolge floss es bei den anwesenden Hansa-Fans volle Kanne. Es wurde ein Gelage erster Güte, und aufgrund der einen oder anderen längeren Anfahrt im Neuner gab es erste Ausfälle zu beklagen.

Da wie anstatt üblich dieses Mal über 20.000 Hansa-Fans aus Nah und Fern angereist waren und keine 2.000 bis 3.000, war der Anblick ein anderer. Von Jung bis Alt. Alles was Laufen kann. Vom tätowierten Alt-Hauer bis hin zur braven Familie mit Kleinkind. Es wurde sich umarmt, gequatscht und getrunken. Bei manch einem flossen sogar die Tränen der Rührung. Nicht bei wenigen werden Erinnerungen an ganz alte Zeiten hochgekommen sein. Als man mit tausenden Hansa-Fans zum FC Bayern München fuhr und hübsch den Sieg einsackte. Als in den 90ern noch alles etwas entspannter und lockerer ablief. Als es normal war, auswärts vor den Spielen noch in Massen irgendwo einzukehren. Als sich die Polizei noch mehr zurückhielt und nicht permanent behelmt präsent war.

Aufgrund der kompletten Teilung des Areals - das Südtor des Olympiastadions wurde komplett den Gästefans überlassen - konnte sich die Polizei locker flockig zurückhalten. Probleme gab es - soweit ich das einsehen konnte - quasi keine. Recht entspannt war auch der Einlass, vor allem im rechten Bereich. Zügig ging es hinein, im Anschluss durfte eine Runde über das satte Grün gegangen werden. Auf das aufgebaute Catering verzichtete ich dieses Mal komplett, somit gab es für mich auch keine zwischenzeitlichen Wege zu den Dixis. Vielmehr konnte ich oben auf dem Oberrang die rund drei Stunden nonstop auf meinem Platz verbringen und phasenweise in Erinnerungen schwelgen.

Mein Platz war dem ähnlich, den ich einst am 28. Oktober 1995 beim nach Berlin verlegten Erstligaspiel F.C. Hansa Rostock vs. Eintracht Frankfurt hatte. Damals saß / stand ich etwas weiter zur Gegengerade hin. Für mich - für viele tausende - unvergessen bleibt der damalige Rostocker Ausgleichstreffer von Carsten Klee in der 75. Minute. Was für ein Jubel! Der Wahnsinn vor insgesamt 58.492 Zuschauern! Die Tränen der Freude und Rührung rollten über die Wangen - selten hatte mich eine Atmosphäre so gepackt wir damals. Meine Güte, nun ist das Ganze fast drei Jahrzehnte her! Hätte ich es ahnen können, dass ich knapp 30 Jahre später noch immer zum Fußball gehen und im April 2024 mit über 20.000 Hansa-Fans in der Marathon-Kurve des Berliner Olympiastadions stehen würde?

Sagen wir es so: Ich hätte nicht gedacht, dass eines Tages der Einsatz von Pyrotechnik so massiv erfolgen würde. Vielmehr hätte ich erwartet, dass Polizei, Verbände und Politik es schaffen würden, aus „asozialen“, unbequemen Fankurven sterile langweilige 0815-Sitzplatzbereiche zu machen. Die Power, der Wille und das Durchsetzungsvermögen all der deutschen Fanszenen hatten mich in den letzten zehn, zwanzig Jahren dann doch sehr positiv überrascht! Wenn man bedenkt, was bei DFL und DFB bereits alles in den Schubladen schlummerte…

Feuer frei hieß es auch in der Gästekurve am vergangenen Freitag. Weiße Ponchos auf der einen Seite, blaue auf der anderen Seite. Blauer Rauch stieg indes in der weißen Kurve auf, weißer in der blauen. Dazu ein paar vereinzelte Bengalos und massig Polenböller. Das schepperte heftig und musste von der anderen Seite ein brachiales Gesamtbild ergeben haben. Da der Rauch nicht abebben wollte, musste die Partie zehn Minuten später angepfiffen werden. Wie eine Wand stand der vermischte Rauch nun im Stadion. Oben am Dach erfolgten immer wieder Umwälzungen und Verwirbelungen, sodass er einfach nicht abziehen wollte.

So, nun noch ein Punktgewinn - und das Ganze wäre rund gewesen! Wurde es aber diesbezüglich nicht! Die erste Halbzeit wurde aus Rostocker Sicht sehr enttäuschend. Taktisch schaute das wirklich nicht gut aus, viel zu einfach konnte Hertha über die Flügel kommend angreifen. Allein die zwischendurch eingeblendeten Statistiken überraschten etwas: 58 Prozent gewonnene Zweikämpfe der Spieler mit der Kogge auf der Brust. Okay, der Einsatz stimmte - das Spiel als solches zunächst jedoch nicht!

Hertha war am Drücker, kam über die rechte Seite und nach einer Hereingabe von Winkler köpfte Palko Dárdei das nicht unverdiente 1:0 für die Berliner. Unfassbar, wie locker flockig und unbedrängt die Berliner in der Folge über die Flügel kommen konnten. Das 2:0 lag bereits mehrfach in der Luft, in der 29. Minute zeigte der Schiedsrichter auf den Punkt. Handelfmeter für Hertha BSC! Reese trat zum Elfmeterpunkt und verwandelte souverän. Logisch, dass nun die Ostkurve mächtig abfeierte und eine einzelne Fackel vor Freude angerissen wurde.

Halbzeit eins war aus Sicht der Rostocker schlichtweg zum Vergessen! Mut machte aber der Beginn der zweiten Spielhälfte. Plötzlich wurde ein ganz anderes Gesicht gezeigt und nun lag ein Rostocker Treffer in der Luft. Eigentlich schien es nun nur noch eine Frage der Zeit, bis der 1:2-Anschlusstreffer fallen würde!

Einwürfe, Schüsse aus der Distanz - ein Schuss an den angelegten Arm des Hertha-Spielers. Es war zum Mäusemelken! Stattdessen gab es in der 59. Minute einen sauberen, blitzschneller Konter über die linke Seite. Winkler flankte rein und wieder stand Palko Dárdei bereit und machte aus rund 12 Metern das 3:0. Puh, in solchen Momenten muss man erstmal tief, ganz tief durchatmen. Was für eine ***!

Ganz gab sich die Hansa-Mannschaft nicht auf und probierte noch etwas, aber es langte einfach nicht. Stattdessen machte kurz vor Schluss Tabakovic noch den 4:0-Endstand für die Alte Dame klar. „Toll“! Das erste Aufeinandertreffen, das ich im März 1993 mit 11.500 anderen Zuschauern gesehen hatte, endete 5:1 für Hertha BSC.

Aber der Abend kriegte noch auf eine andere Art und Weise eine schöne Wendung. Keinesfalls leerten sich auf Gästeseite die Ränge. Niemand ging, stattdessen gab es in den letzten Minuten der Partie eine klasse Support. Wie bereits eingangs erwähnt hallten das „Hansa forever“ und das „Ahu!“ durch das weite Runde. Auf einem der beiden Türme des Marathontors sorgte ein Hansa-Fan mit Kapitänmütze für Erheiterung. Hoch die Arme! Lautstark bejubelt wurde auch ein Flitzer, der zunächst auf dem Rasen ein paar Haken schlagen konnte, dann aber von den Ordnern unsanft aus dem Innenraum geschafft wurde.

Tja, wat willste machen?! Nach Abpfiff wurde der Mannschaft Mut gemacht. Die Hansa-Spieler liefen zu beiden Seiten und am Ende sogar auch noch zur Gegengerade, wo auch etliche Hansa-Fans ihre Plätze hatten. Minutenlang hörten sich die Spieler den Support an und bedankten sich immer wieder. Nun gilt’s wieder einmal! Gegen den 1. FC Magdeburg muss ein Sieg her! Glücklicherweise hatte der 1. FC Kaiserslautern in Fürth verloren und kam Braunschweig gegen Hannover 96 nicht über ein 0:0 hinaus. Ebenso noch mit unten drin ist der SV Wehen Wiesbaden. Noch ist nix verloren. Und wie sagte Heiko Neubert immer so schön: Absteigen können andere!

Mit einem merkwürdigen, nicht beschreibbaren Gefühl ging es zur S-Bahn, in der man teils gemischt, aber erstaunlich entspannt zum Alexanderplatz fuhr. Noch ein Dosenbier an der „Nuttenbrosche“ - so wurde zu DDR-Zeiten der Brunnen der Völkerfreundschaft genannt -, und dann kehrten wir zu zweit in Pankow im „Prager Frühling“ ein, um den Tag bei tschechischem Bier aufzuarbeiten…

> Video vom Support

Fotos: turus.net, Groundhopping Berlin & Co. (Heimseite), Udopia, Ulf Lange, Klischi

> zur turus-Fotostrecke: F.C. Hansa Rostock

> zur turus-Fotostrecke: Hertha BSC

> Infos zum Autor auf der privaten Seite www.marco-bertram.de

Zur Aufmunterung ein paar alte Fotos:

Stadionname:
  • Olympiastadion Berlin
Inhalt über Klub(s):
Artikel wurde veröffentlicht am
15 April 2024
Spielergebnis:
4:0
Zuschauerzahl:
62.177
Gästefans
25000

Ligen

Inhalt über Liga
2. Bundesliga

Benutzer-Kommentare

2 Kommentare
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Stark!
T
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Hoffentlich hält Hansa die Klasse.
D
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