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SK Slavia Praha vs. FC Bohemians 1905: Der Star ist das Maskottchen!
Kürzlich in die tschechische Fußballhochburg Prag begab sich unser Autor Christian Wolter. Gemeinsam mit den Fans des FC Bohemians 1905 marschierte er samt Känguru zum Derby beim SK Slavia. Hier seine Eindrücke:
Die meisten Vereinsmaskottchen sind völlig überflüssig, und ein cooler Verein, der etwas auf sich hält, schafft sich sowas erst gar nicht an. Die einzige Ausnahme ist der beim (echten!) FC Bohemians Prag herumspringende Känguruh-Mann. Den Lesern dieser Seite muss nicht erst erklärt werden, wie das grüne Känguru (tschechisch: Klonkan) nach Prag kam: 1927 tourte der AFC Vršovice durch Australien. Und weil „down under“ natürlich niemand Vršovice kennt, traten die damals schon Grün-Weißen als FC Bohemians auf. Wegen der guten Resultate durften die Prager Vorstädter diesen Namen zu Hause weiterführen. Außerdem schenkte die Regierung von Queensland ihnen zum Abschied ein Känguru-Pärchen, das nach überstandener Dampferfahrt um die halbe Erde dem Prager Zoo übereignet wurde. Noch heute sind die Bohemians-Fans Futter-Paten für ein dortiges Känguru. Beim großen Hochwasser vor 10 Jahren ersoffen auch einige Zoo-Insassen, nicht aber Paten-Klokan Tonda (= Spitzname des Vereins-Präsidenten Antonin Panenka) in dessen auf einer Anhöhe gelegenem Gehege.
Zur Prager Derby-Folklore gehören Fanmärsche vom heimischen Stadion zur gegnerischen Wirkungsstätte. Die Bier- und Bratwurststände im Dolicek hatten daher trotz Auswärtsspiel Hochkonjunktur. Im Fanshop gabs Auswärtstickets für 160 Kronen und Derby-Shirts mit Hradschin-Silouette, Bohemians-Schriftzug und dem Psalm „Kein Verein mit ,S' schlägt die Kängurus“.
Plötzlich um 17:30, 2 ½ Stunden vor Anpfiff, brach Riesenjubel aus, als die vom Vereins-Känguru angeführte Bohemians-Mannschaft aus der Umkleidekabine erschien. Die Anhängerschaft teilte sich wie das rote Meer, die Spieler gingen zum Bus und fuhren schon mal vor zu Slavia.
Das Känguru aber blieb bei uns, posierte mit Anhängern für deren heimische Fotoalben, sammelte dann seine Truppen hinter sich und gab um 18 Uhr das Signal zum Aufbruch. An die 2000 zogen als grün-weißer Lindwurm durch die Straße. Auf der anderen Spur lief der Autoverkehr ganz normal weiter. Das Kanguru immer vorne weg, begleitet vom Capo und einigen Fotografen. Bis zu Slavia ist es ja nicht weit. Nach den Tram-Stationen „Bohemians“ und „Koh-I-Noor“ (die ehemalige Bleistiftfabrik) kommt dann schon die Haltestelle „Slavia“.
Das Känguru wies den Mob zu einem Zwischenstopp mit Uffta an, dann ging es ohne Zwischenfälle weiter. Eine Hundestaffel begleitete uns, die Schäferhunde waren ziemlich nervös, vielleicht wegen dem für sie ungewohnten Beuteltier. In Sichtweite des Slavia-Stadions warteten dann noch sechs Berittene auf uns, aber wohl eher, weil die Pferde auch mal Auslauf brauchten, es war und blieb nämlich alles friedlich. Obwohl es sich bei Slavia vs. Bohemians ja leider seit ein paar Jahren nicht mehr um ein „friendly derby“ handelt.
Der SK Slavia war früher auf dem Letna ansässig, sein Platz grenzte direkt an den des DFC Prag und die Pferderennbahn, hinter der wiederum das Sparta-Stadion lag. Davon ist heute nur noch Spartas Anwesen übrig, Slavia wurde auf Druck des kommunistischen Regimes nach Vršovice umziehen, konnte aber die Holztribüne mitnehmen. 1948 eröffnete Slavia in der Ortslage Eden sein gleichnamiges Stadion. Seitdem also sind Bohemians und Slavia Nachbarn, und die gemeinsame Abneigung gegen Sparta bringt beide immer noch auf einen Nenner.
Aber vor ein paar Jahren spielte Bohemians mal eine Saison im neuen Slavia-Stadion, was beim rot-weißen Anhang einiges Missfallen auslöste. Die Freundschaft gilt seitdem als beendet, eigentliche Ursache war aber wohl, dass Bohemians als einziger tschechischer Verein eine linke Fanszene hat. Slavia gilt dafür als traditioneller Verein der Intellektuellen, woran heute noch Name und Transparent des Fanclubs „Slavia Intellectuals“ erinnert.
Das heutige Slavia-Stadion heißt diese Saison Synot-Arena (Wettanbieter und auch derzeitiger Liga-Namensgeber) und steht an der Stelle des Nachkriegsbaus. Dicht dahinter führt die Bahnlinie vorbei. Wenn die vorbeifahrende Lok pfiff, outete sich der Lok-Führer damit als Slavia-Anhänger. Das macht bei der heutigen geschlossenen Arena aber nicht mehr so viel Sinn, zumal an der Bahnseite der Gästeblock liegt.
Der heute fast ausverkauft war, ein paar Bohemians saßen auch auf der Gegentribüne. Auf Slavia-Seite fiel auf, dass die meisten VIP-Logen unbesetzt waren. Die offiziell 8000 Zuschauer waren auch etwas enttäuschend, vielleicht lag es an der Live-Übertragung. Slavia ist wohl praktisch bankrott und kämpft wie schon letzte Saison gemeinsam mit Bohemians gegen den Abstieg. In der 1. Halbzeit führte der Slavia-Stimmungsblock eine Choreographie zu Ehren der Trainerlegende John William Madden auf, der dieser Tage 150 Jahre geworden wäre. In der Pause erinnerte die LED-Anzeige mit historische Aufnahmen an ihn.
Die Gästefans führten Choreo und Gästeblocksturm auf. Ihr Sangesgut war abendfüllend, abwechslungsreich, melodisch originell und recht textlastig. Zur 2. Halbzeit wurde ein übergroßes Bohemka-Trikot präsentiert und dazu mit grünen Luftballons gewedelt. Irgendwann ging Slavia 1:0 in Führung, aber der Ausgleich folgte durch Freistoß kurz vor Schluss. Riesenjubel! Grünlicher Nebel stieg auf, und die Feuerwehr machte schon Anstalten einzumarschieren.
Aber dann hatte das Kanguru (stand während des Spiels für alle Slavia-Fans gut sichtbar unten am Zaun) noch mal seinen großen Auftritt. Es ging zum Slavia-Ordner, redete beruhigend auf ihn ein, beschwichtigte, wiegelte ab, relativierte und leugnete, bis die Nebeltöpfe in unseren Reihen seelenruhig ihren giftigen Odem ausgehaucht hatten.
Dann hielt man uns noch 20 Minuten im Stadion fest, was völlig sinnlos war, weil sich danach an der Straßenbahn sowieso wieder beide Fanlager mischten, wobei aber auch alles friedlich blieb.
Text & Fotos: Christian Wolter
Benutzer-Kommentare
http://www.bofor.cz/klokani-na-vyjezde/
Das Kanguruh mischt dabei auch wieder in vorderster Front mit! ;)