Spannung und gut Feuer beim Duell FC 98 Hennigsdorf vs. FC Stahl Brandenburg

Spannung und gut Feuer beim Duell FC 98 Hennigsdorf vs. FC Stahl Brandenburg

Der Blick auf die Ewige Tabelle der DDR-Liga (zweithöchste Spielklasse) besagt: Elf Spielzeiten war die BSG Motor Hennigsdorf mit von der Partie, sogar 16 Spielzeiten ließ der Stadtrivale BSG Stahl Hennigsdorf in dieser Spielklasse das runde Leder rollen. Zu einer kuriosen Situation kam es in der Saison 1962/63 in der DDR-Liga II (dritthöchste Spielklasse). Während Motor Hennigsdorf in der Staffel 1 untergebracht war und unter anderen gegen die SG Dynamo Schwerin, die BSG Motor Stralsund und die ASG Vorwärts Rostock II spielen durfte, packte man den Aufsteiger Stahl Hennigsdorf in die Staffel 2, in der unter anderen Motor Eberswalde, Aktivist Laubusch, Rotation Babelsberg und die BSG Lufthansa Berlin (!) die Gegner waren. Es handelte sich um die letzte Saison der DDR-Liga II, die bis 1963 zwischen DDR-Liga und Bezirksliga eingestuft war.

Zu einem Aufeinandertreffen zwischen Stahl Hennigsdorf und Motor Hennigsdorf kam es erst 1972/73, als beide Vereine in der Staffel B der DDR-Liga ihre Visitenkarten abgaben. In den folgenden zehn Jahren trafen die Rivalen aus Hennigsdorf - einer Stadt, die zu DDR-Zeiten bekannt war für sein großes Stahl- und Walzwerk - 12-mal im Unterbau der DDR-Oberliga aufeinander. Dreimal konnte Motor, zweimal Stahl das Duell für sich entscheiden, siebenmal wurde sich mit einem Unentschieden getrennt.

 

Zuschauertechnisch lagen beide Rivalen Anfang der 1980er Jahre etwa gleichauf. Zur BSG Stahl kamen im Schnitt etwas 1.500 Zuschauer ins Stahl-Stadion, zur BSG Motor pilgerten im Schnitt rund 1.200 Fußballfreunde auf die Hans-Beimler-Sportanlage. Während das Stahl-Stadion leider Gottes abgerissen wurde, darf die einstige Hans-Beimler-Sportanlage noch bestaunt werden. Kurioserweise wurde im August 1973 genau an meinem Geburtstag - ich erblickte in Berlin-Lichtenberg das Licht der Welt - dort das FDGB-Pokalspiel Motor vs. EAB Lichtenberg 47 (1:3) ausgetragen. Weitere FDGB-Pokal-Spiele gab es in den 1970er Jahren gegen Stahl Eisenhüttenstadt (3:2), den 1. FC Union Berlin (0:4 vor 1.500 Zuschauern), die BSG Energie Cottbus (0:2) und die ISG Schwerin (4:0). 

Lang, lang ist’s her. Bereits die Fusion zwischen Motor und Stahl im Jahre 1998 ist nun mehr bereits fast ein Vierteljahrhundert her. Aktuell spielt der FC 98 Hennigsdorf in der Nordstaffel der Landesliga Brandenburg und hat es dort mit dem einst Ende der 1980er Jahre im Europapokal spielenden FC Stahl Brandenburg zu tun. Während zumindest Stahl Brandenburg oben am Aufstiegsplatz schnuppert, ist der FC 98 Hennigsdorf in der unteren Tabellenhälfte - mit Tuchfühlung zur roten Zone - zu finden.

 

Es schaute in der laufenden Spielzeit zwischenzeitlich eigentlich recht gut aus für den FC Stahl Brandenburg. Vor über 400 Zuschauern wurde am 21. August 2021 im Stadion am Quenz mit einer genialen Choreo der 70. Geburtstag des Vereins nachgefeiert, und in der Folgezeit wurde vor für Siebtligaverhältnisse teils stattlicher Kulisse mitunter guter Fußball gezeigt und ganz oben mitgespielt. Jedoch legt Tabellenführer SV 1908 Grün-Weiss Ahrensfelde eine Hammer-Saison hin, sodass es für Stahl Brandenburg schwer wurde Schritt zu halten. Gegen Fortuna Glienicke gab es kürzlich vor 402 Zuschauern eine ärgerliche 0:3-Niederlage, gegen Fortuna Babelsberg kam man nicht über ein 0:0 hinaus.

 

Der Lust am Fußball bleibt. Support your local team! Rund 40 Stahl-Fans begleiteten am vergangenen Samstag ihren Verein nach Hennigsdorf - und das Kommen sollte sich gelohnt haben! Der Himmel riss auf, die Sonne ließ Herz und Seele erwärmen, Wurst und Getränke wussten zu munden. Vor Ort war man schließlich nicht auf einem 0815-Kunstrasenplatz, sondern auf einer Sportanlage, die nach Rasen und Fußballhistorie schnuppert. Keine Frage, ein feines Ding! Hinter dem einen Tor liegen die Kleingärten, hinter dem anderen Tor darf eine alte Betonmauer bestaunt werden. Auf der einen Längstseite gibt es flache Stufen und ein kleine Tribüne, auf der Gegengerade baute eine Hennigsdorfer Kapelle ihre Instrumente auf und begleitete jeden Angriffsversuch der Gastgeber.

 

Los ging es gleich mit einer kritischen Situation nach nicht einmal fünf Minuten. Bob Chike Mike Okezie-Andicene mit der Rückennummer 27 kam in Strafraum zu Fall. Elfmeter? Nein! Es gab Ecke. Nach 12 Minuten kam erstmals Hennigsdorf gefährlich vor der Stahl-Gehäuse, ein Kopfball wurde links neben den Pfosten gesetzt. Nur drei Minuten später kam der Hennigsdorfer Kapitän Toni Dietrich über die rechte Seite und brachte Gefahr im Strafraum der Gäste. Im Gegenzug schickte Okezie-Andicene seinen Mitspieler Nils Müller nach vorn, doch blieb dieser in der Abwehrreihe des Gastgebers hängen. Und ja, die Rückennummer 33 von Nils Müller durfte ich mir an diesem Nachmittag einige Male ins Notizbuch eintragen. 

 

Stahl blieb stabil am Drücker, auf der Gegenseite versuchte es Toni Dietrich mit einem Distanzschuss. Nach einer halben Stunde war die Zeit der Freistöße gekommen. Während ein Hennigsdorfer Freistoß nicht viel einbrachte, hatte der Hennigsdorfer Torwart gut zu tun und faustete den Ball weg. Stahl witterte nun Morgenlust. Zuerst wurde ein Treffer wegen Abseits nicht gegeben, wenig später trudelte der Ball am Gehäuse vorbei. 

 

Vor dem Pausentee wurde nochmals das Tempo erhöht. Max-Bennet Jäger schob beim Angriff von Stahl Brandenburg seinen Gegenspiel Maximilian Hinz nach vorne weg, und die Hennigsdorfer Kapelle rief sogleich: „Sieht ja ganz gefährlich aus …“ Wenig später versuchten es die Gäste noch einmal mit einem Distanzschuss, doch noch wurde zu wenig Zielwasser eingenommen. Kein Wunder, dass sich ältere Herren auf den Rängen bereits anderen Themen widmete. Etwaige Sturmschäden im Garten, nervende Maulwürfe, haste bei mir mit geharkt? „Ziehste heute einen durch?“, fragte einer den anderen lachend. Auf dem Platz wurde es derweil noch einmal hektisch, es gab für jede Seite einmal Gelb.

 

Pause. Eine Bratwurst und ein Blick auf die alten Stufen und die bereits erwähnte charmante Betonmauer. Nach dem Pausentee wollte Hennigsdorf mal gleich richtig Alarm machen, doch kamen auch die Brandenburger wieder rasch in die Partie. „Stahl! Feuer!“ ertönte es gegenüber, wo die blau-weißen Stoffe hingen. In der 50. Minute hatte Nils Müller von schräg rechts eine dufte Chance, doch war der heimische Torwart auf dem Posten. Und dann! Gewühl, Stahl drückte, einer kam zu Fall, Elfmeter für den FC Stahl?! Der Schiedsrichter sprach sich noch mal mit seinem Assistenten ab und gab lieber eine Ecke.

 

Nach einer Stunde hatte Lucas Heidel das 1:0 für Hennigsdorf auf dem Fuß, doch lenkte Stahl-Keeper Carl William Säger den Ball zur Ecke. Nur zwei Minuten später gab es auf der anderen Seite Freistoß. Wer sonst als der wahrlich auffällige Nils Müller trat zum Ball und haute ihn einfach mal mustergültig oben rechts in die Maschen. 1:0 für den FC Stahl Brandenburg - der Knoten war geplatzt.

 

Nun war richtig Dampf in der Angelegenheit. Lukas Hehne wurde kurz hinter der Linie gefoult. Elfer für Stahl? Nein, meinte der Schiedsrichter. Wütende Proteste beim Gästeanhang, der langsam aber sicher auf Betriebstemperatur kam. Stahl Brandenburg wollte nun unbedingt den Sack zumachen und kam zu weiteren Möglichkeiten. Okezie-Andicene zog vorbei, Adrian Askolas Schuss konnte gehalten werden. Die Partie wurde nun richtig spannend. Hennigsdorf kam zu einer guten Möglichkeit, postwendend traf Nils Müller nur den Pfosten, ein Nachschuss landete im Außennetz. 

 

Nachdem Okezie-Andicene eine weitere top Chance vergab, machte es in der 88. Minute Nils Müller besser und erlöste mit seinem Treffer zum 2:0 für Stahl Brandenburg die mitgereisten Fans. Kurzzeitig gab es ein kleines verbales Scharmützel, weil ein jüngerer Heimzuschauer wohl einem Gästefan einen nicht so schönen Flunsch zeigte, doch konnte auch diese Situation geklärt werden. Das Spiel war zwei Minuten später um, und gemeinsam mit ihren Fans feierte die Stahl-Mannschaft ausgiebig den Auswärtssieg, der offensichtlich richtig gut tat.

 

Anmerkung: Sowohl über den FC 98 Hennigsdorf (Stahl & Motor), als auch über den FC Stahl Brandenburg gibt es in meinem im Frühjahr 2020 aus dem Druck gekommenen Buch „Fußballheimat Brandenburg“ (arete verlag) einen eigenen Beitrag zu lesen. Weitere Infos zu diesem Buch sind auf meiner privaten Webseite www.marco-bertram.de zu finden.

 

Fotos: Marco Bertram

> zum turus-Video vom Spiel auf YouTube (externer Link)

> zur turus-Fotostrecke: FC Stahl Brandenburg

Artikel wurde veröffentlicht am
27 Februar 2022
Spielergebnis:
0:2
Zuschauerzahl:
100
Gästefans
40

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Landesliga

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