Gut, dass es bei der Anfahrt im IC nur ein 0,0er Bierchen und ein Käffchen gab, denn halb elf hieß es in der Kröpeliner Vorstadt ganz unverhofft: Feuer Frei! Ester Maximale! Lasset die Geschmacksknospen explodieren! Angedacht war ein kurzes Hallo in einer Weinhandlung, doch wurde aus dem „Hallo" eine kurze Verkostung zu zweit mit dem nötigen Abstand. Ehe man sich versah, gab es feinsten Rum mit hohem Ester-Gehalt. Weiter ging es mit Kirsch und Whiskey sowie einem leckeren Eierlikör. Ich wollte mich halt inspirieren lassen für kommende Einkäufe. Dem Hape hätt’s gefallen. „Ich nehm gern noch nen Eierlikörchen. Das Leben muss ja irgendwie weitergeh’n…“ Ähm ja, der Junge muss an die frische Luft. Das musste ich kurz nach elf dann auch, denn im Stadion wartete der Podcast mit Oliver und Arvid. Wie locker wohl nun die Zunge werden würde? Es wurde letztendlich geplaudert ohne Punkt und Komma. So is dat, wenn man Ester-Moleküle zum zweiten Frühstück bekommt.
Hansa Rostock vs. Waldhof Mannheim: Gespenstisch schöner Sieg gegen die Buwe
Hatte ich mich jedoch in der Kröpeliner Vorstadt und in der hygienegerechten Loge des Ostseestadions bei der Aufnahme des Podcasts pudelwohl gefühlt, so musste das überaus wohlige Gefühl in der Folge einem arg beklemmenden Gefühl weichen. Es war mein allererstes Geisterspiel seit dem Beginn der Corona-Krise im März 2020. In der Folge sah ich nur ein paar Spiele, bei denen zumindest ein paar Zuschauer zugelassen wurde. Die mit Abstand genialste Partie im Frühherbst 2020 war das Auswärtsspiel der Hansa Amateure bei Lok Stendal, zu der ich den größeren Sohn mitgenommen hatte. Es wurde eine Fußballsause, die alles parat hatte, um einen Tag perfekt zu machen. Entspanntes Ambiente, ein wohl gefüllter Gästeblock, eine Portion (P12-)Pyro, die beim Sohnemann für ein strahlendes Lächeln sorgte, ein Auswärtssieg, das eine oder andere Bierchen und das abschließende Sitzen auf der Zaunkrone.
Am 01. November vergangenen Jahres hieß es noch einmal „In Rixdorf ist Musike“ beim Kreisliga-A-Duell FC Polonia Berlin vs. Rixdorfer SV, als es auf dem Platz hoch herging und mir in der zweiten Halbzeit in der Hitze des Gefechts tatsächlich ein Rixdorfer Spieler wortwörtlich eine Mittellinienfahne in den Ar*** schieben wollte. Und das nur, weil ich verbal ein wenig um mehr Abstand auf dem Kunstrasen bat. Danach war bekanntlich Ritze. Seit jenem Wochenende ruht der Amateurfußball nahezu komplett (die Regionalliga West lief weiter), und in den Ligen eins, zwei und drei rollt der Ball vor leeren Kulissen. Warum das Ganze dermaßen rigoros gehandhabt werden musste, frage ich mich seitdem jeden Tag bei der Fahrt in der Berliner S- und U-Bahn. 1.000 Zuschauer, die im Rotationssystem zugelassen werden, wären doch wirklich machbar.
Den Bogen ausfüllen und sich am Eingang Fieber messen lassen. Am vergangenen Samstag wurde bei mir das erste Mal seit Beginn der Corona-Krise die Temperatur geprüft. Zur Kontrolle wurde das Gerät gleich zweimal an die Stirn gehalten. Ich hatte schon befürchtet, dass die Ester-Lawine meine Temperatur erhöht hatte. Tat sie jedoch nicht, und somit fand ich mich nach dem Podcast auf der Westtribüne wieder. Logisch, dass es auf der einen Seite ein phantastisches Erlebnis war, endlich mal wieder im Ostseestadion zu sein, doch der Blick auf die gähnend leeren Ränge ließ eine arge Beklemmung aufkommen. Und zwar so sehr wie ich es im Vorfeld nicht vermutet hatte. Ich habe kein Problem damit, mich aus einem Grund XY auch mal auf eine VIP-Tribüne zu hauen oder in eine Loge zu pflanzen. Ein Perspektivwechsel ist bekanntlich immer mal förderlich. Der Anblick der komplett leeren Tribünen - die 30 bis 40 Mitarbeiter des F.C. Hansa und die Medienvertreter mal ausgenommen - ließen mich komplett unentspannt werden. Es ist mir klar, dass jeder Leser nun sagen wird: Was für ein dämliches Jammern auf hohem Niveau, sei froh, dass du die Möglichkeit hattest! Wohl jeder hätte mit mir mit Kusshand getauscht. Ich aber wollte dann nur noch weg. Vielleicht lag es auch daran, dass halt eher der Innenraum mein Betätigungsfeld ist. In diesem hätte ich mich voll und ganz der Fotografie widmen können. So aber kam nur die besagte arge Beklemmung auf.
Nun aber genug der Jammerei! Die Buwe aus Mannheim waren zu Gast! Das Hinspiel konnte mit 2:1 gewonnen werden, in der Saison zuvor sorgte der Auftritt der rund 4.000 Hansa-Fans fin Mannheim ür einen grandiosen Fußballtag, der wohl unvergessen bleibt. Zum insgesamt zehnten Mal begegneten sich nun der SV Waldhof Mannheim und der F.C. Hansa Rostock seit der Zweitligasaison 1992/93. Die Bilanz vor Anpfiff war komplett ausgeglichen: 3 Siege - 3 Unentschieden - 3 Niederlagen. Nun galt es aus Sicht der Rostocker die Bilanz in den positiven Bereich zu rücken und somit in der aktuellen Drittligatabelle oben dranzubleiben.
Das „Hansa forever“ ertönte kurz vor Anpfiff aus den Boxen, und zwei, drei Mitarbeiter des FCH erhoben auf der Tribüne ihre Schals. Unten nahm Trainer Jens Härtel, der kurz zuvor seinen Vertrag um ein Jahr verlängert hatte, seinen Platz ein. Segel setzen - Kurs aufnehmen - Sieg einfahren! Von Beginn an zeigten sich beide Mannschaften bemüht, doch gelang es keiner der beiden Teams ganz vorn durchzukommen. Geniales gab es dann allerdings in der 22. Minute zu sehen. Nach einem weiten Einwurf wurde der Ball von Breier mit dem Kopf verlängert, anschließend gab Omladic das Spielgerät mit der Hacke weiter, und abschließend nahm Nico Neidhart Maß und setzte den Ball mustergültig in die Maschen. Was für ein schöner Treffer! 1:0 für Hansa!
Und Mannheim? Die Gäste kamen in der 35. Minute zu einer guten Möglichkeit, doch zog Martinovic knapp hinter der Strafraumgrenze am linken Pfosten vorbei. Körperbetont wurde es in Halbzeit zwei, die von zahlreichen Zweikämpfen und Fouls geprägt wurde. Nach einer Stunde vom Platz musste Löhmannsröben, der sich bei einem taktischen Foul leicht am Oberschenkel verletzt hatte. Nachdem in der 70. Minute beim F.C. Hansa nochmals zweimal gewechselt wurde (Pulido für Omladic und Lauberbach für Breier), gab es wenig später die riesige Chance zum 2:0. Lauberbach bekam das Leder und umspielte Waldhof-Keeper Königsmann, der herauskam und in bester Hanballmanier versuchte in der Luft einen Spagat zu machen, traf beim Abschluss jedoch nur den auf der Linie stehenden Mannheimer Spieler Seegert.
In der Schlussphase erhöhten die Gäste den Druck und brachten bei einem Freistoß den Ball gefährlich vor das Gehäuse, doch konnten die Rostocker die knappe 1:0-Führung verteidigen. Die drei Punkte waren im Sack - Rang drei wurde gefestigt. Da die Verfolger Türkgücü München und TSV 1860 München bereits mehr Spiele absolviert haben, könnte der Vorsprung mit Hilfe der ausstehenden Nachholspiele weiter ausgebaut werden. Das beim VfB Lübeck wird am 3. März um 17 Uhr ausgetragen, das beim KFC Uerdingen 05 folgt am 9. März im Stadion am Lotter Kreuz.
Als ich später am Strand von Warnemünde saß und aufs Meer blickte, ließ ich das Ganze noch einmal Revue passieren. Ob ich der Mannschaft den Aufstieg zutrauen würde, wurde ich gegen 12 Uhr beim Podcast gefragt. Ich eierte ein wenig rum, da mein Gefühl gegen Mannheim nicht das Beste war. Nun aber, nach dem eingefahrenen 1:0-Sieg schaut es doch ganz danach aus, als wenn es tatsächlich klappen könnte, wenngleich der Weg bis zum 22. Mai 2021 noch lang ist. Mit Freude las ich später eine Nachricht von Arvid Langschwager. Fünf Fotos vom Spiel, zwei davon mit dem Buch auf dem Pult. „Kaperfahrten als Glücksbringer“. Voilà, da durfte ja Frank Schollenberger erleichtert gewesen sein. Denn bei den letzten Siegen hatte er im Vorfeld stets beim Training vorbeigeschaut. In der vergangenen Woche kam er nicht dazu - mit dem Sieg hatte es nun trotzdem geklappt…
Anmerkung: Der 512-seitige Wälzer „Kaperfahrten - Mit der Kogge durch stürmische See“ ist direkt beim Herausgeber / Autor Marco Bertram bestellbar: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Weitere Infos zum Buch gibt es auch auf der privaten Webseite: www.marco-bertram.de
Fotos: Marco Bertram, Arvid Langschwager