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Nachbetrachtung: Spielabbruch beim Finale Esperance Sportive de Tunis vs. Wydad Athletic Club

Irre, einfach nur irre! Das ist eigentlich die beste Beschreibung für dieses Spiel. Was war das aber auch für ein Tag. Bereits am Nachmittag ging es für uns aus Hammamet zum Nationalstadion in Rades, welches auch gleichzeitig die Heimspielstätte von ES Tunis ist. Hier sollte am Abend das große Champions League Final-Rückspiel des afrikanischen Kontinents stattfinden. Mit ES Tunis und dem Wydad Athletic Club aus der marokkanischen Hauptstadt Casablanca, gab es wirklich ein Kracherfinale. Das Hinspiel in Marokko endete 1:1, somit war noch alles drin. Ein wenig komisch mutet das System mit Hin- und Rückspiel schon an, allerdings ist es auch eine gerechte Variante. Sollte man meinen! 

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Aber zurück zu unserem nachmittäglichen Stadionbesuch. Ziel war es natürlich in Punkto Eintrittskarten etwas zu erreichen. Viel war noch nicht los, dafür dass die Partie erst am späten Abend beginnen sollte, aber auch nicht wenig. Wirklich erreichen konnten wir nichts. Einen lustigen Moment gab es nur, als wir einen Local nach Karten fragten und er uns aus seiner Sicht einen absoluten Mondpreis nannte. Für uns wäre der Preis sogar okay gewesen und wir sagten „Ok, her die Dinger!“ Damit hatte er aber nicht gerechnet. Er hatte natürlich keine Karten zu verkaufen. Somit verschoben wir das Vorhaben der Ticketbeschaffung auf einen späteren Zeitpunkt und gönnten uns in der Zwischenzeit einen kurzen Abstecher nach Karthago. Bei den lokalen Taxipreisen auch gar kein Problem. Leider waren bereits alle sehenswerten Dinge geschlossen, sodass wir einen weiteren Besuch in den Folgetagen einplanen mussten. War aber auch eher eine aus der Not geborene Idee ohne vorherige Öffnungszeitenrecherche.

Zurück am Stadion war der Trubel schon deutlich größer. Also auf in die Massen und schauen ob man auf dem Schwarzmarkt etwas Brauchbares findet. Alles Herumrennen brachte mit zunehmender Zeit nur die Erkenntnis, dass es auf dem Schwarzmarkt offenbar nicht viel zu holen gab. Zumindest sahen wir nicht einen dubiosen Tickethändler und wir sahen ja wirklich suchend aus. Also musste ein anderer Weg her. Dreistigkeit ist ja oft ein hilfreiches Mittel, somit versuchten wir es eben auf diesem Weg. Am Presse-Eingang hielten wir dem erstbesten Ordner einfach einen Ausweis vor die Nase und fragten, wo man denn die Presseakkreditierung abholen könne. Eine solche gab es natürlich nicht und wir stellten uns auch schon auf die Abweisung bzw. die Zahlung von ein wenig Taschengeld ein. 

Ein wenig überrumpelt waren die Ordner schon und ließen uns durch Tor 1 passieren. Schon mal nicht schlecht. An der nächsten Schleuse standen zwei schon etwas skeptischer und professioneller drein schauende Sicherheitsleute. Also erneut Ausweis vor die Nase und selbstbewusst unsere Wichtigkeit vermittelt. Auch hier Grübeln und Rätseln. Da die Kollegen mit uns nix anzufangen wussten, ließen sie uns einfach passieren. Tor 2 also auch gemeistert. An Kontrolle 3 sah dann alles nach dem Scheitern des Vorhabens aus. Nach kurzer Beratung wurden wir dann doch einfach durchgeschoben, ganz nach dem Motto „Das sollen andere entscheiden“ und schon standen wir auf der Tribüne. Die letzte Kontrolle am Eingang des Pressesektors wurde auch noch gemeistert, aber da hatten die Kollegen auch ordentlich Stress und waren einfach froh uns weiterzuschicken. Wir standen nun tatsächlich im Pressebereich ohne jegliche Akkreditierung. Sicherlich nicht die feine englische Art, aber dieses Spiel zu verpassen, hätte echt weh getan und ein schelmisches Grinsen konnten wir uns dann doch nicht verkneifen. Manchmal muss man ja auch Glück haben, wenigstens beim Fußball. 

Da der Ramadan noch lief, wurden im gesamten Pressebereich mit der Dämmerung die Fresspakete ausgepackt. Was war das für ein großes Schlemmen inkl. Essenstausch. So auch noch nicht gesehen. Auch wir bekamen ein paar Datteln gereicht und konnten uns über die Gastfreundschaft keinesfalls beklagen. Im Pressebereich kamen wir dann mit dem Ein oder Anderen ins Gespräch, darunter auch der Fotograf Mohamed. Okay, wahrscheinlich kein seltener Name für einen tunesischen Fotografen, aber nachdem wir ein wenig plauderten, offenbarte er uns, dass er nach Ende der Partie in seine Heimatstadt Hammamet fahren würde. Bis dato wussten wir nämlich noch nicht so genau, wie wir zurückfahren würden. Wir hofften auf Taxis, was aber bei Betrachtung des Spielverlaufes wohl kaum gelungen wäre. Nachdem wir ihm freudig berichteten, dass wir auch nach Hammamet müssen, bot er uns gleich eine Mitfahrt an, die wir dankend und überglücklich annahmen. So viele glückliche Fügungen hatten wir uns eine Stunde zuvor nicht erträumt. 

Dann ging das Spektakel los. Zwei Blöcke blieben komplett leer, offenbar aufgrund von Kapazitätsbegrenzungen. Der Rest war rappelvoll. Pyro gab es an jeder Ecke, auch der Gästeblock erleuchtete in einem grellen Rot. So wirklich einsehen konnten wir den Block aus unserer Position leider nicht, aber es wirkte auch von schräg unten recht imposant. In den Kurven qualmte und leuchtete es eigentlich die ganze Zeit. Auch Leuchtspur wurde querfeldein geschossen. Ob das jetzt sonderlich clever ist, wenn man die eigenen Fanbereiche mit Leuchtspur trifft? Nicht wirklich, es wurde auch mit Pfiffen honoriert. Böller detonierten in den Kurven wie Granaten. Überall wurde gesungen und gehüpft. Es war im wahrsten Sinne ein Tollhaus. Sensationell. Trotzdem waren wir froh im gemäßigten Pressebereich zu sitzen, denn hier wurden nach dem Tor zum 1:0 wenigstens nur Bengalos gezündet. Mein Mitstreiter wurde sogar gefragt, ob er nicht auch ein Bengalo zünden möchte. So stellt man sich einen seriösen Pressebereich natürlich vor. ;) Das Stadion glich nach dem Tor einer riesigen Partymeile. Also das war wirklich der Wahnsinn und wem es da nicht aus dem Sitz reißt, der muss schon emotional tot oder eben Gästefan sein. 

Nun ging der Irrsinn aber erst so richtig los. Eine strittige Abseitsentscheidung bezüglich des erzielten Ausgleichs der Gäste brachte diese in Rage. Wydad forderte vehement nach dem Videobeweis. Nun der Knaller: Der Videobeweis war an diesem Tag defekt! Angeblich wussten beide Parteien vorher davon und entschlossen sich dennoch zu spielen, aber wie man dies bei so einem entscheidenden Spiel nicht zum Laufen bringt ist schon sehr verwunderlich. Daraufhin wurde das Spiel erst einmal unterbrochen, da die Gäste auf den Videobeweis bestanden. Auch absolut nachvollziehbar, wenn diese Technologie eben nun dazu gehört. Noch skurriler wird das Ganze, wenn man im Nachgang hört, dass der bei diesem Finale eingesetzte Videoschiedsrichter im vorangegangenen Jahr suspendiert war, da er in einem Champions League Halbfinale fragwürdige Entscheidungen traf und unter Korruptionsverdacht stand. Dreimal dürft ihr raten zu welchen Gunsten! 

Richtig, zu Gunsten von ES Tunis. Das ist natürlich ein dickes Ei! Die Chose zog sich bis 01:45 Uhr in der früh, dann beendete der Schiedsrichter die Partie und die Heimfans feierten ausgelassen den Titel. Zumindest die Fans, die sich noch im Stadion befanden. Eine Vielzahl hatte diese Ausdauer nicht und verließ das Stadion bereits. Der Bildschirm des Videobeweises, den zuvor bereits ein Spieler aus der Videobeweiskabine riss, wurde feiernd von den Tunesiern durchs Stadion getragen.

Im Verlaufe des ganzen Irrsinns kam es auch immer wieder zu Polizeiaktionen im Stadion, um die Ruhe wieder herzustellen. Dabei helfen willkürliche Attacken auf unbeteiligte Fans nicht wirklich. Der betroffene Polizist wurde anschließend mit allem beworfen, was den Fans zur Verfügung stand und wurde von seinem Vorgesetzten daraufhin aus dem Stadion verwiesen. Offenbar kam auch Pfefferspray zum Einsatz, denn von rechts kamen Hustengeräusche immer näher, bis es schließlich auch uns in der Nase kribbelte. War eigentlich nicht nötig, da es zu der Zeit eigentlich keinerlei kritische Situationen im Stadion gab.

Wir warteten noch auf unseren neugewonnenen Kumpel Mohamed, der noch ein paar Fotos schoss. Er stellte uns dann auch einen Offiziellen aus dem Organisationskomitee der CAF vor, welcher sich für das Gesehene nur bei uns entschuldigte. Ein Champions League Finale mit einem Spielabbruch in der 60. Minute zu beenden, ist sicherlich auch kein würdiges Ende eines solchen Turniers und hinterließ auch bei uns einen faden Beigeschmack. Im klapperigen Fiat Chiquechento ging es dann mit Mohamed, teilweise entgegen der offiziellen Fahrtrichtung und über rote Ampeln in Richtung Hammamet. Dort gab es noch einen kleinen Mitternachtssnack, denn mit Nahrungsaufnahme war in der gesamten Zeit nichts. Wir luden Mohamed natürlich ein und nachdem er uns direkt zu unserem Hotel fuhr, war auch für uns ein mehr als aufregender Tag zu Ende, der uns sicherlich noch lange in Erinnerung bleiben wird. Das Hotelpersonal fragte uns am Morgen auch gleich aus, da sie von unserem Vorhaben wussten und völlig begeistert von unserem Interesse für den tunesischen Fußball waren. 

Die 7 Tage in Tunesien waren auch unabhängig vom Fußball ein tolles Erlebnis. Nordafrika ist ja gern negativ verrufen, aber zumindest unsere 2-Mann-Reisegruppe kann dies in dem Fall gar nicht nachvollziehen. Ein wirklich tolles Land mit ausnahmslos hilfsbereiten und netten Menschen. Es wird wohl nicht der letzte Besuch in Tunesien gewesen sein.

Und zu guter letzt noch ein kleiner Wermutstropfen für die Gerechtigkeit. Auch der afrikanische Fußballverband empfand ein solches Finalende als unwürdig und hat beschlossen das Rückspiel des Champions League Finals wiederholen zu lassen. Ein Termin hierfür liegt noch nicht vor, allerdings wird es nicht vorm Ende der in Ägypten ausgetragenen Afrika-Meisterschaft am 19.07. stattfinden! Wer also auch einmal diesen Wahnsinn erleben will, wird eine weitere Chance darauf bekommen! 

Fotos: Marcel Hartmann

Artikel wurde veröffentlicht am
05 Juli 2019
Spielergebnis:
1:0
Zuschauerzahl:
55.000

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