Rückblick: Stal Lipiany vs. Victoria Przecław – Silvester im April 2013

Rückblick: Stal Lipiany vs. Victoria Przecław – Silvester im April 2013

Am Silvestertag trübte an vielen Orten ein dichter Nebel die Sicht auf das alljährliche Silvesterfeuerwerk. Die Uhr schlug Mitternacht und hin und wieder zog ein bunter Schein übers Feld. Sogar einen Bengalo hatte jemand angerissen. Bei weitem waren es aber insgesamt keine Massen, die gen Himmel starteten. Das Jahr 2020 war zu krisenreich, die Hoffnung auf ein ruhiges 2021 ist jetzt schon ziemlich gedämpft. Viele empfanden somit den Silvestertag nicht unbedingt als einen Anlass zum Feiern. Ebenso hat Pyrotechnik für mich etwas an Reiz verloren, da sie mich nun schon über Jahrzehnte beim Fußball begleitet. 

Wenn ich mich recht erinnere, nahm ich die erste aus einem Gästeblock aufsteigende Rauchsäule Mitte der 90er bei einem Aufeinandertreffen zwischen Hansa Rostock und dem 1. FC Köln wahr. Gerne erinnere mich auch an den April 2013, als mich eine Einladung nach Lipiany erreichte…

Keine Ahnung, wie man überhaupt auf die Idee kam, als junge Truppe sich so eine weite und gefährliche Fahrt anzutun. Dass Victoria Przeclaw nicht ganz ohne ist, müsste sich eigentlich schon herumgesprochen haben. So verlor damals im Sommer Stal Lipiany eine Oldschool-Fahne in Przeclaw. Das Rückspiel musste aufgrund des harten Winters verlegt werden.

Da checkt man nach dem Mittagessen seine Post und siehe da, da kommt schon die Einladung seitens zu diesem Spiel. Es ist übrigens ein Mittwoch. So nah liegt Lipiany nun auch nicht (von Greifswald aus) – für mich nicht und für Victoria auch nicht. Das ist schon fasst die Lebuser Region. Aufgesprungen, Sachen gegriffen und los. Vier Stunden sind zwar ganz schön knapp unter der Woche, aber machbar.

Eine halbe Stunde vor Beginn war ich am Stadion. Es sieht hier noch so aus wie damals, dachte ich. Eine Seite verfügt über ein paar Reihen, dahinter eine gammelt eine Industrieruine vor sich hin. Der Rest der Anlage ist ebenerdig. Das Szenario war so genial wie unwirklich. Du befindest dich unter der Woche bei bestem Frühlingswetter irgendwo in Polen bei einem Spiel der 6. Liga. Aus dem Lautsprecher dröhnen Loona und Eiffel 65. Da in der Ecke singen sich die einheimischen Fans ein. Die waren nach der Schande vom Hinspiel bis in die Haarspitzen motiviert! 

Die 35 Jugendlichen im Heimsektor hinter ihren zwei Fahnen begannen dann zum Anstoß mit Kassenrollen und sechs Fackeln. Danach folgte eine Aktion mit Massen von Papierschnipseln. Aufgrund der hohen Anzahl und des äußerst synchronen Werfens beeindruckte die ganze Sache schon. Eine Anspannung war spürbar – bei ihnen sogar mehr als bei mir. Der Verein indessen hatte scheinbar absolut keinen Schimmer von dem, was da noch anrollen sollte! Weniger als fünf Opis hatten eine gelbe Weste an und von der Polizei war weit und breit nichts zu sehen. 

Das ist der Vorteil, wenn man sporadisch und willkürlich die Fahrten angeht. Ich bezweifle mal, dass die Ordnungshüter überhaupt von der Existenz einer Fangruppe in Przecław wussten. Die Stettin-Staffel war damals schon fantechnisch fast tot. In der 40. Minute war es dann so weit und die Show konnte beginnen. Neben dem Ground parkten ein paar Autos und 20 grimmige, schwarz gekleidete Kunden stiegen aus und betraten geschlossen die Anlage. Stal brannte noch schnell irgendwas von seinem Kram ab und beäugte die Gäste-Meute mit flauem Magen. Victoria zaubert zwei Fahnen an den Zaun des Basketballplatzes und beginnt mit dem Programm. Zunächst wird ein „Wir grüßen unsere Brüder hinter den Gittern! Erinnert euch an diese einfachen Worte. Wir werden immer an euch denken, bis ihr wieder bei uns seid!“ geschmettert. Die Nachricht ist eindeutig. Nachdem die obligatorischen Kassenrollen flogen, tauchte die gezogene Fahne aus dem Hinspiel auf und der Chef der Hools begab sich nun allein zum Stal-Mob.

Nach einem „Gespräch“ schallt es plötzlich „Pogon Szczecin“ und „C, C, CWK, CWKS Legia“ und die Fahne geht zerrissen zurück nach Lipiany. Alles klar! Da wurden soeben die Grenzen festgelegt. Lipiany/Myslibórz ist ziemlich durchmischt. Hier gibt es Leute von Stal Gorzów und Pogon Szczecin sowie Stilon-Sympathisanten. Man hat Stal Lipiany scheinbar ein kleines Angebot gemacht.

Entweder man unterwirft sich oder es gibt die Abreibung ihres Lebens. So könnte es gewesen sein. Victoria machte dann ganz normal weiter. Durch den Trommeleinsatz wurde der Support noch sehr aufgewertet. Aufregend war dann die optische Unterstützung: Kassenrollen flogen, dazu flackerten 10 Blinker auf dem Platz, heftige Böller detonierten an die 20x und obendrauf wurde noch eine Feuerwerksbatterie gesetzt, sodass einige Blitze unter Heulen in die Luft stiegen und dort anschließend ordentlich rumsten. Die 250 Zuschauer wurden hier bestens unterhalten! Stal legte noch einmal mit Rauchkerzen und einem „Wir haben nur ein Leben und das widmen wir Stal!“ nach. 

Übrigens wurde trotz vor sich hin brennender Pyrotechnik auf dem Platz das Spiel nicht unterbrochen! Nach dem Abpfiff blieb es friedlich. Das Spiel endete auch gerecht und diplomatisch 1:1. 

Heute, sieben Jahre später, kickt Stal in der 6. Liga zusammen mit einigen attraktiven Gegnern wie Gryfino, Dębno, Barlinek und Myslibórz. Victoria wurde von einem Sponsor übernommen und verschwand somit 2016, aber gründete sich 2020 wieder neu. Also ein kleiner Lichtblick des letzten Jahres.

Foto: Michael

Artikel wurde veröffentlicht am
02 Januar 2021

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