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Fußball bei Jeunesse Esch: zwischen Tristesse und tschechisch-britischer Art

Wie oft hat man es heut noch, dass man beim Hoppen nur nach dem Namen geht? Eigentlich gar nicht mehr. Unverhofft kommt oft, sodass neben dem Kreisliga-Angebot um Trier noch das Angebot in Luxemburg in Augenschein genommen wurde. Feststellung Nr. 1: Es wird schon wieder richtig Liga gespielt. Feststellung Nr. 2: Es gibt sogar hier schon Montagsspiele. Feststellung Nr. 3: Jeunesse Esch hat ein Heimspiel. Jeunesse Esch kommt der älteren Generation wahrscheinlich zusammen mit Jeff Strasser zuerst in den Sinn, wenn es um den Fußball in Luxemburg geht. Die Nationalmannschaft bekommt regelmäßig Haue und die Spieler, wenn sie nicht in einer der dritten Ligen im Ausland Fuß gefasst haben, holen die Brötchen vom Bäcker nebenan. Der Stadt Esch sieht man es an, dass man hier ganz oben in der europäischen Preiskategorie lebt; dem Fußball aber nicht. Der war hier allerdings sehr erfrischend.

Dem Navigator wurde per Europlan-Abfrage mittels eines Uralthandys die Straße vorgegeben. Dann konnte es losgehen. Über malerische Täler und Wälder war die Stadt Esch ziemlich schnell über die Autobahn erreicht. Im Vorfeld hatte ich mir sprachtechnisch überhaupt keinen Kopf gemacht. Vielleicht ist das etwas arrogant, aber so viel Zeit hatte ich nicht für die Vorbereitung dieses kleinen Ausflugs. Aber es war wie ein Ausflug nach Polen. Benzin kostet hier aktuell ca. 1,30 Euro und der Tankwart spricht Deutsch mit Akzent. Nur die Umgebung ist anders. Na gut, die teuren Häuser haben wir dort auch. Leben ja nicht hinter dem Mond. Polen hat Deutschland in der Entwicklung schon sehr gut eingeholt, wenn nicht sogar in mehreren Kategorien überholt. Durch enge Straßen war die Stadionumgebung alsbald erreicht. Wie bei den Aldi-Sonderangeboten liefen viele Menschen auf einen Punkt zu – dem Stade de la Frontière. Sogar vor einer Kneipe standen Leute mit Trikots und Bier. Wir hefteten uns an die Fersen dieser Fußballfreunde und freuten uns nicht nur über die nur drei Leute an der Kasse, sondern auch über die Lage des Stadions. 

 

Das hat hier irgendwie was von England. Das Stadion befindet sich wie eingemauert in einem Wohngebiet. Der 4000er Bau ist direkt von Häusern umgeben. Da zahlt man die 12 Euro für die Tribüne doch gern. Zwanzig Minuten vor Anstoß erst in Stadionnähe. In anderen ersten Ligen kann man jetzt wohl ein pünktliches Erscheinen wohl schon abhaken; hier nicht. Erster Eindruck: Alles verläuft total ruhig und geordnet. Für Speis und Trank muss man sich hier erst eine Coupon-Karte für einen Zehner holen. Dort gibt es dann 50-Cent-, Ein- und Zwei-Euro-Marken. Den Rest kann man sich auszahlen lassen. Das System schafft zwar eine zusätzliche Schlange, ist aber interessant mal zu beobachten. Im Endeffekt siegt die Übersichtlichkeit. Mettwurst hieß die rote Wurst, zu der es Andalusische Soße gab. Wie einen Knacker mit einer fettig-tomatigen Süßsauersauce muss man sich das vorstellen. Lecker! Der Preis von 3,50 Euro war zwar nicht ganz ohne, aber der Rest hier ließ nicht erahnen, dass man in einem der reichsten Länder Europas weilte. 

 

Ein T-Shirt für 9 Euro? Bei Borussia Dortmund utopisch, sogar bei Hansa Rostock. Hier bekommt man es fast noch hinterhergeworfen, und die Mutti am Stand gibt sogar noch ihren Senf dazu, ob es denn passen würde. Total familiär. Noch kurioser war der VIP-Bereich – quasi eine vergitterte FDGB- Ferienlager-Baracke. So muss das. Wenn jetzt noch ein paar Fans kommen würden, dann wäre es nicht auszuhalten. Kurz vor Beginn sammelten sich in einer Ecke wirklich 30 Leute, machten ein paar Fähnchen fest und begannen zu singen! Die sangen sogar komplett durch! Was will man mehr in Luxemburg? Ein Vereinslied, Emotionen? Leider Fehlanzeige. Im Vergleich zum Esch-Derby vor ein paar Jahren war das aber hier schon eine riesige Steigerung! In der Not frisst der Teufel Fliegen, welche heute ziemlich schmackhaft mundeten. Gesangstechnisch war es eine kleine Reise in die Mitte der 2000er. Zu hören gab es Melodien von der WM 1998, Pippi Langstrumpf, „The way to Amarillo“. Das Ganze wurde schön prollig garniert. Top! In der Halbzeitpause (1:1) tobten sogar nicht wenige Kinder auf dem Platz. Solche Ruhe hast du nicht einmal in Tschechien! 

 

In der zweiten Hälfte wurde es in den letzten elf Minuten noch einmal laut, da Jeunesse (steht für Jugend) noch zwei Tore nachlegte. 3:1. Die Torschützen findet man problemlos im Netz; aber keine Zuschauerzahl. Die Zahl wird noch bis heute gesucht. Ich war auf mehreren Seiten. Die offizielle Seite von US Rumelange ist übrigens nicht einmal im Ansatz aktuell. Ich schätzte die Massen so circa auf 700. Drei Polizisten schauten einmal rein und zwei Hopper nur auf den Platz. Die hätten sich durchaus auch mal den Fansektor von Jeunesse ansehen können. Dann wäre ihnen aufgefallen, dass neben den einheimischen Fahnen auch eine von Standard de Liege und FC Kielen (auch Luxemburg) hingen. Tja, man lernt wohl nie aus.

 

Der Sieg und die Tabellenspitze wurden im Anschluss gemeinsam gefeiert – Spieler zusammen mit Fans. Da waren viele schon fast zu Hause, sogar schon kurz nach dem 3:1. Auch hier interessiert sich nicht mehr jeder für das komplette Spiel. Kennen wir. Hinter den Europapokalgegner des BFC Dynamo konnte nun endlich der Haken gesetzt werden. 

 

Fotos: Michael

> zur turus-Fotostrecke: Fußball in Luxemburg

Artikel wurde veröffentlicht am
18 August 2018
Spielergebnis:
3:1

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