Der Anpfiff zum Spiel Union Berlin gegen Eintracht Braunschweig wurde um eine halbe Stunde auf 19 Uhr verlegt, da der Großteil der Braunschweiger Fans im Stau standen. Es gab zwar ein wenig Gemurmel auf den Rängen, aber Christian Arbeit sprach wahre Worte ins Stadion-Mikro als er meinte: "Fußball ist für die Fans im Stadion." Wer an einem frühen Freitagabend mehrere hundert Kilometer auf sich nimmt und wahrscheinlich auch ein paar Urlaubsstunden opfert, soll schließlich nicht ein Drittel des Spiels verpassen müssen. Und so arrangierten sich die Fans im Stadion, tranken noch ein Bier, schwatzten miteinander und sahen dem Anpfiff entspannt entgegen. Als dann endlich Nina Hagen ertönte, war das Stadion aber voll elektrisiert. Auf der Waldseite wehten duzende rot-gelb-weiße Fahnen in die sich plötzlich gelber und weißer Rauch mengte. Als dieser verteilt war, blitzten auch noch etwa zehn rote Fackeln in die herbstliche Dämmerung. "Waldseite - bis zum letzten Atemzug..." stand in zwei Teilen auf großen Bannern. Der obere Teil ("Waldseite") hing das gesamte Spiel über.
Feuer auf den Rängen und auf dem Feld: Union Berlin 1 - Eintracht Braunschweig 1
Aber Moment mal - Pyrotechnik im Heimbereich der Alten Försterei? Wann gab es das denn zuletzt bei einem Pflichtspiel? Auswärts gab es immer mal was zu sehen, zudem leuchtete es 2016 gegen Borussia Dortmund beim Vereinsgeburtstag - aber das war nur ein Testspiel. Gegen Sandhausen im Jahre 2013 und gegen Würzburg in der letzten Saison stiegen Raketen auf - allerdings hinter der Waldseite. Der Autor muss fast genau sechs Jahre gedanklich zurückblättern: bis zum 11. September 2011, als gegen Ingolstadt in einem kleinen Fahnenmeer ein paar Bengalos leuchteten. Falls es Lücken im Gedächtnis gibt, bitte in den Kommentaren füllen.
Es schien wie ein unausgesprochener Pakt, um dem Club Strafen zu ersparen. Stattdessen gab es regelmäßig kreative Choroes, oft blockfüllend und oft in mehreren Teilen. Somit kann die heutige Aktion als seltene Ausnahme gesehen werden. Zum Anpfiff ertönte ein kerniges "Eisern Union!" für mehrere Minuten. Die Kehlen der eisernen Fans waren heute gut geölt. Der Braunschweiger Block hatte sich nun auch gut gefüllt, insgesamt verfolgten 21.144 Zuschauer das Spiel. Stimmung war bei den Gästefans aber Fehlanzeige: keine Capos, eine klitzekleine Fahne, kein organisierter Support. In einer Stellungnahme der "Cattiva Brunsviga" vor einer Diskussionsveranstaltung Ende August hieß es dazu: "Der Umgang der Verantwortlichen von Eintracht Braunschweig - insbesondere mit der aktiven Szene - und die Entwicklung des Vereins (nicht sportlich!) [sind] an einem Punkt angelangt, an dem uns schlichtweg die Lust vergangen ist, Teil dieses „Events“ zu sein.“
Und während das Hin und Her von Heim- und Auswärtsgesängen oft das Salz in der Suppe in einem berstend vollen Stadion ist, waren die Heimfans heute ganz gut allein in der Lage, Gänsehautatmosphäre über das gesamte Spiel hin zu erzeugen.
Die Mannschaft hängt den hohen Ansprüchen ein wenig hinterher - drei sieglose Spiele in Folge und eine wackelige Abwehr plagen Jens Keller. Und so feuerten die Fans das Team umso stärker an. Die Eisernen starteten recht defensiv, Ausflüge in den gegnerischen Strafraum waren selten und vorsichtig. Erst nach einer halben Stunde taute das Eis und gab es durch Polter und Hedlund erste Chancen. Auf den Rängen wurde es mitunter ohrenbetäubend laut, besonders wenn Fans und Schiedsrichter unterschiedlicher Meinung waren oder der Braunschweiger Keeper sich gefühlt etwas mehr Zeit nahm als nötig, um den Ball per Abstoß wieder ins Spiel zu bringen.
Union konnte auf dem Platz in der Schlussviertelstunde der ersten Halbzeit mehr Druck erzeugen, schnürte Braunschweig fast ein. Die Mannschaft spielte mit Herz, wie Jens Keller es gefordert hatte. Nur fehlte weiterhin die Genauigkeit im letzten Pass und so konnte Braunschweig das torlose Remis in die Pause retten.
Die zweite Hälfte ging zunächst ruhiger los aber dennoch gelang Union der Führungstreffer in der 52. Minute: langer Pass von Trimmel auf Polter, der leitet weiter in den Lauf von Hedlund und der schiebt aus 18 Metern flach ein. Grenzenloser Jubel auf den Rängen, der Bann war endlich gebrochen! Union hatte die Gäste jetzt im Griff, Braunschweig schien gebrochen. Doch durch Schludrigkeit in der Abwehr kamen die Löwen plötzlich wieder zu einer Großchance: Abdullahi war frei vor dem Tor, traf aber nur das Außennetz. Union hörte diesen Warnschuss nicht, zwei Minuten später erneut Konfusion in der Abwehr: Khelifi kann problemlos von links passen, Nyman schob zum Ausgleich ein, Unions Führung dauerte nur zehn Minuten. Jetzt konnte man den Braunschweiger Block sogar mal eine Minute lang hören. Doch kurz nach dem Torjubel wurden sie schon wieder übertönt von den Heimfans, die nun umso inbrünstiger sangen: "Wir lieben Union - jawoll!"
Auf dem Platz war aber plötzlich Braunschweig hellwach: schneller, spritziger und besser in der Balleroberung. Würden die Eisernen das Spiel wie zuletzt in Düsseldorf wieder kurz vor Schluss hergeben? Nein: Union zündete zwanzig Minuten vor Schluss noch mal den Turbo und übernahm die Kontrolle bis zum Ende. Dabei wurde es wieder hitzig: Hartel traf das Gebälk in der 72. und es gab noch ein paar Momente in denen die Heimfans vehement Elfmeter forderten, Schiri Sören Storks sah dies jedoch anders und so blieb es beim Unentschieden.
Zu wenig für beide Teams, aber die Chance zur Wiedergutmachung bietet sich bereits in wenigen Tagen: in der englischen Woche reist Union nach Sandhausen und empfängt Braunschweig die Spielvereinigung Greuther Fürth.
Bilder und Text wurden produziert für turus.net von https://football-wildlife-media.com/
Foto von 2011: Marco Bertram