Der Autor dieser Zeilen schrieb einen seiner ersten Fußball-Berichte überhaupt vor fast genau fünf Jahren. Die Paarung lautete SV Lichtenberg 47 vs. VSG Altglienicke. Damals der letzte Spieltag in der Berlin-Liga und Gipfeltreffen: Altglienicke war am vorigen Spieltag aufgestiegen, Lichtenberg konnte bei mindestens einem Unentschieden mitziehen. Den Gästen konnte man vor 545 Zuschauern den Kater in den Knochen anmerken, trotzdem gingen sie in Halbzeit zwei in Führung. Lichtenberg glich aber noch aus aus und stieg mit auf.
„Tusche“ und „Brunne“ machen Aufstieg der VSG Altglienicke perfekt
Für die VSG war das ein Höhepunkt einer beispiellosen Entwicklung: Zuvor spielte sie in den Niederungen des Berliner Fußballs und stieg Mitte der 90er sogar drei mal innerhalb von vier Jahren ab. Der Sprung in die Oberliga Nordost Nord 2012 war hingegen der vierte Aufstieg in Folge und der größte Erfolg des Clubs aus dem Berliner Südosten, der jetzt über 1.000 Mitglieder hat.
Zu seinem Namen kam die VSG übrigens 1952 – die DDR-Führung begann, Sportvereine an Betriebe anzugliedern (Chemie Leipzig, Carl Zeiss Jena etc.), dagegen wehrten sich die Altglienicker jedoch und blieben unabhängig. Dafür mussten sie aber ihren damaligen Namen „Altglienicker Sportverein“ ändern, da die Bezeichnung „Verein“ im Namen 1952 verboten wurde. So also Volkssport Gemeinschaft – und dieses VSG behielten sie auch nach der Wiedervereinigung, da es so lange Bestandteil der Geschichte war.
Das Intermezzo in der Oberliga Nordost-Nord dauerte zunächst nur zwei Spielzeiten – beide sportlich erfolgreich (9./7.), jedoch zog sich der Verein aus wirtschaftlichen Gründen 2014 in die Berlinliga zurück. Nach erstem Platz in der Saison 2015/16 dann plötzlich jetzt der direkte Durchmarsch in die Regionalliga.
Wichtige Stützen der heutigen Mannschaft sind die Veteranen Torsten Mattuschka und Björn Brunnemann. Beide verbindet gemeinsame Zeit bei Brandenburger Jugendmannschaften und ihrer Profi-Karriere beim 1. FC Union Berlin in der 2. Bundesliga. Angepasste Fußball-Musterschüler waren sie dabei nie, in einem Trainingslager der Eisernen warteten sie z.B. bis Trainer Uwe Neuhaus schlief und bestellten sich dann in der Hotel-Küche noch eine große Portion Nachtisch.
In der Oberliga konnten sie sich den nun auch etwas häufiger gönnen, so jedenfalls der Eindruck zu Beginn dieser Saison beim Spiel gegen Tennis Borussia, als beide vor allem ihre Erfahrung und Übersicht ausspielten, Laufwege und Tempo aber eher effizient gestalteten.
Dennoch sollte es kein leichter Weg für den Liganeuling werden. Während der größte Konkurrent, Optik Rathenow als ambitionierter Regionalliga-Absteiger Siege mit 4, 6 oder 7 Toren feierte, fielen die Altglienicker Siege eher knapp aus. Und besonders in der Rückrunde wurde es spannend: konnte Altglienicke im ersten Saisonspiel überhaupt die Optiker noch 1:0 besiegen, hagelte es im Rückspiel ein 0:3. Es wurde eng an der Spitze und keine der Mannschaften gab sich eine Blöße, feierte Sieg um Sieg, nur ab und an unterbrochen durch ein Remis.
Der Vorsprung der VSG betrug nur noch drei Punkte, aber beim Torverhältnis war Rathenow uneinholbar davon gezogen: In der Torjägerliste der Oberliga Nordost-Nord tummeln sich auf den ersten vier Plätzen je zwei Spieler von Optik Rathenow und Lichtenberg 47. In Summe kommen sie auf 106 Tore. Wer einen Spieler der VSG Altglienicke finden will, muss weit scrollen und kommt schließlich auf Torsten Mattuschka und Patrick Kroll mit je 9 Toren. Ein gutes Beispiel dafür, dass man mit der Offensive Spiele, mit der Defensive aber Titel gewinnt: 28 Tore ließ Altglienicke in 30 Spielen zu, Rathenow und Lichtenberg je 33.
Fünf Jahre nach dem Berlin-Liga Showdown also nun erneut die Paarung Lichtenberg gegen die VSG, erneut ein Duell an der Spitze der Liga, doch dieses Mal benötigte aber der Gast dringend einen Punkt für Meisterschaft und damit garantierten Aufstieg. Die sicher drittplatzierten Lichtenberger mit der zweitbesten Offensive nach Rathenow wollten dem möglichen Aufsteiger aber noch ein Bein stellen und legten vor: nach 28 Minuten markierte Thomas Brechler seinen 23. Saisontreffer und brachte den Gast ins Schwitzen. Rathenow führte da schon 3:0 bei Germania Schöneiche.
Aber erweckten „Tusche“ und „Brunne“ im Spiel gegen TeBe noch einen eher gemächlichen Eindruck, gaben sie heute Vollgas. Brunnemann räumte per Kopf und Grätsche hinten viel weg, Mattuschka war plötzlich fast immer im Angriff zu finden. Beide strahlten Persönlichkeit aus und gaben ihrem Team Sicherheit. Es war vielleicht kein Zufall, dass sich ausgerechnet diese beiden in die Torschützenliste eintragen konnten – Brunnemann nach Ecke (42.) und Mattuschka nach einem missglückten Abwehrversuch per Direktabnahme (50.).
Die Lichtenberger gaben aber nicht auf, kämpften sich wieder heran und erzielten in der 81. Minute noch den Ausgleich; gaben sich aber auch damit nicht zufrieden und grätschten, rannten, schossen als ginge es gegen den Abstieg. Rathenow führte jetzt schon 7:2 und hoffte auf die 47er. Doch nach fünf langen Minuten Nachspielzeit war es vorbei und konnten die Aufstiegsfeierlichkeiten beginnen.
Wie üblich wurden einige Flaschen Sekt über dem Team verschüttet – Mattuschka lehnte die halbvolle Flasche aber dankend ab („widerlich“) und orderte stattdessen Bier in die Kabine. Die Mannschaft feierte lange mit den mitgereisten Fans, als der Stadionsprecher freundlich nachfragte, ob sie denn auch ihren Siegerpokal übergeben bekommen möchten. Dieser wurde in klassischer Manier in die Höhe gereckt und für Fotos herumgereicht.
Und nun steht der Verein, der vor wenigen Jahren noch freiwillig in die Berlinliga abstieg also plötzlich in der Regionalliga Nordost. Nach dem Spiel war Mattuschka gefragter Interview-Partner und gab zum besten, dass es eine schwere Saison war, dass jeder Gegner eine Schippe draufgelegt habe, so wie auch heute. Dass der Kader zwar sehr breit aufgestellt war, die Infrastruktur des Vereins aber in Teilen nur Kreisliganiveau habe.
So hat Altglienicke einen großen Teil seiner Heimspiele auf Kunstrasen ausgetragen aber auch das Stadion mit Rasenplatz wäre nicht tauglich für die Regionalliga. Neben der sportlichen Aufgabe Klassenerhalt gibt es also noch ganz andere Herausforderungen für die VSG und der Club arbeitet bereits fieberhaft daran. Heimspiele werden zunächst im Friedrich-Ludwig-Jahnsportpark ausgetragen, parallel sucht die VSG nach regionalen Alternativen.
Der Zweitplatzierte Optik Rathenow hat unterdessen noch eine Chance auf die Regionalliga – durch den Aufstieg von Carl Zeiss Jena und der Tatsache, dass kein Nordost-Verein aus der dritten Liga absteigt, ist noch ein Plätzchen frei. Dieses wird in Playoff-Spielen gegen den Zweiten der Südstaffel - Germania Halberstadt - vergeben.
Text: Felix
Fotos: Felix, Matthias Dehmel