Als Vorwärts Berlin mit dem Spalterzeichen Hertha BSC verhaute

Als Vorwärts Berlin mit dem Spalterzeichen Hertha BSC verhaute

Knapp 63 Jahre ist es inzwischen her, als der ASK Vorwärts Berlin - in den 1960er Jahren DER Verein der DDR-Oberliga (sechs Meistertitel von 1958 bis 1969) - seine Visitenkarte beim zweimaligen deutschen Meister (1930 & 1931) im Stadion am Gesundbrunnen - in Volksmund meist „Plumpe“ genannt - abgab. Im Jahr vor dem Mauerbau erhitzten sich in beiden deutschen Staaten die Gemüter, und als ostdeutsche Vereine mit dem DDR-Emblem (im Westen auch „Spalter-Symbol“ oder „Spalterzeichen“ genannt) auf der Brust zu Freundschaftsspielen in West-Berlin und der BRD antraten, ging das Ganze durch die Medien und die politischen Instanzen. Während andere Spiele abgesagt und boykottiert wurden, durfte letztendlich der ASK Vorwärts im Juni 1960 ohne Probleme mit Hammer, Zirkel und Ährenkranz auf dem Trikot bei Hertha BSC auflaufen. Folgend gibt es ein Kapitel aus der „Vorwärts Berlin / Frankfurt (Oder) Fußballfibel“ zu lesen, die im Frühjahr 2022 auf den Markt kam und ein Alltagsroman mit einzelnen fachlichen Abschnitten ist. Viel Freude beim Lesen!

„Die DDR ist ihres Sieges gewiß“, titelte das Neue Deutschland am 8. Mai 1960. „Angesichts der wachsenden Bedrohung unseres friedlichen sozialistischen Aufbaus durch die blutbefleckten deutschen Militaristen trägt die Nationale Volksarmee eine große Verantwortung für den Schutz der Deutschen Demokratischen Republik“, erklärte der Minister für Nationale Verteidigung, Armeegeneral Willi Stoph. Abseits des Politischen wurde indes auch in der DDR eine leicht am Westen angelehnte Wohlfühlatmosphäre geschaffen. Die Regale der Geschäfte und Kaufhäuser füllten sich, 1960 wurde im Deutschen Fernsehfunk das erste Mal die Sendung „Tausend Tele-Tips“ ausgestrahlt. Sie war Nachfolgerin der Sendung „Notizen für den Einkauf“ und stellte das eine oder andere Produkt vor. 

Besonders stach ein Werbefilm von ORWO hervor, der mit tanzenden Menschen aus aller Welt, trommelnden Afrikanern und hüftschwingenden Frauen zwischen Kakteen, eingeblendeten Interflug-Flugzeugen und rollenden Fahrzeugen vor noblen Hotels die Weltoffenheit des Landes demonstrieren sollte. Seht her! Nicht nur im Westen wurde sich trocken rasiert, elegant gekleidet, sexy getanzt und stilvoll fotografiert! Auch das Angebot der Konsum-Genossenschaften sei reichhaltiger geworden, wurde in einem Kurzfilm zum Jahreswechsel 1959/60 erklärt. Hemd und Krawatte für den Herrn Papa, ein Puppenhaus für das Töchterlein, eine Spielzeugeisenbahn für den Sohnemann und – nicht zu vergessen – und da strahlte die von ihrem Gatten begleitete Dame am Schaufenster – ein Sortiment feinster Edelstahltöpfe. Wer etwas mehr Geld auf dem Sparbuch hatte, gönnte sich zum Fest eventuell eine 8-Millimeter-Kamera für 289,50 Mark. Die Aktentasche aus Leder war beim Konsum für 92 Mark zu haben. 

Was den Fußball betraf, so wurde in der DDR die Oberliga- Saison 1960 noch nach sowjetischem Vorbild vom 19. März bis zum 27. November ausgetragen. In der Bundesrepublik war damals an eine eingleisige Liga noch nicht zu denken, erst drei Jahre später wurde die Bundesliga eingeführt. Für die Qualifikationsrunde und die Endrunde zur Deutschen Meisterschaft hatten sich im Mai 1960 die Meister und Vizemeister der Oberligen Nord, West, Südwest und Süd sowie der Meister der Vertragsliga Berlin qualifiziert. 

In der Gruppe 1 konnte sich der Hamburger SV gegen den Karlsruher SC, Borussia Neunkirchen und Westfalia Herne durchsetzen, in der Gruppe 2 war es der 1. FC Köln, der die Nase vorn hatte und Werder Bremen, den SC Tasmania 1900 Berlin und den FK Pirmasens hinter sich ließ. Das Finale wurde am 25. Juni 1960 im Frankfurter Waldstadion ausgetragen, vor 71.000 Zuschauern besiegte der HSV die Geißböcke mit 3:2. Uwe Seeler hatte in der 86. Minute, nur eine Minute nach dem Kölner Ausgleich, den entscheidenden Treffer erzielt. „Es lebe der deutsche Sport, es lebe unser Vaterland, es lebe der HSV!“, rief der Vereinspräsident nach dem gewonnenen Finale. 

Hertha BSC hatte den Einzug in die Endrunde denkbar knapp verpasst. Mit einem Punkt Rückstand belegte die Alte Dame in der West-Berliner Vertragsliga-Saison 1959/60 hinter Tasmania 1900 Rang zwei. Auf dass es in der kommenden Spielzeit besser liefe, kamen in der Sommerpause ein paar herausfordernde Testspiele gerade recht. 

Zwei Begegnungen zwischen dem ASK Vorwärts Berlin und Hertha BSC hatte es bereits 1959 gegeben. Während der Status von Berlin auf weltpolitischer Ebene heiß diskutiert wurde – im Herbst 1958 hatten sowohl Walter Ulbricht, als auch Nikita Chruschtschow betont, dass ganz Berlin zum Hoheitsgebiet der DDR gehöre – fegte am 10. Juni 1959 im Jahn-Sportpark vor 30.000 Zuschauern Vorwärts die Jungs von der Plumpe mit 7:1 vom Platz. 

Zu Beginn hatten die Herthaner gut mithalten können. Nach der Vorwärts-Führung in der 14. Minute (Assmy verwandelte einen Strafstoß) bugsierte Gerhard Reichelt sieben Minuten später den Ball in das eigene Gehäuse. Ausgleich für Hertha BSC! Nach der erneuten Führung kam der Vorwärts-Zug dann richtig ins Rollen. In der 76. Minute fiel das 3:1 für Vorwärts und danach wurde Hertha BSC förmlich „deklassiert“, schrieb die Berliner Zeitung am kommenden Morgen. Vogt und Kohle machten jeweils noch zwei Buden – am Ende hieß es 7:1. (Zwei Treffer erzielte an jenem Tag auch Jürgen „Kuppe“ Nöldner, allerdings noch im Trikot der Junioren, die das Vorspiel gegen Hertha BSC mit 5:0 für sich entscheiden konnten.) Im August 1959 gab es die Rückspiele am Gesundbrunnen. Die Junioren gewannen mit 6:5 (Nöldner schoss sagenhafte fünf Tore), die Männer des ASK Vorwärts behielten mit 2:1 die Oberhand. 

Ein Wiedersehen gab es an der Plumpe am 8. Juni 1960, und dieses Mal wurden im Vorfeld eine Menge Kohlen aufgelegt. Die allgemeine Stimmungslage in der geteilten Stadt war arg erhitzt, und die großen Zeitungen hatten ihren Anteil dran. Als kurz zu- vor der SC Chemie Halle beim VfL Bochum ein Freundschaftsspiel bestreiten wollte, kamen Polizeibeamte in die Kabine und teilten mit, dass es zu Polizeigewalt kommen würde, wenn die Hallenser mit dem DDR-Emblem auf der Brust den Rasen beträten. Hammer, Zirkel und Ährenkranz wurden im Westen als „Spalter-Symbol“ angesehen. Der SC Chemie Halle reiste aus Bochum ab und versuchte in Frankfurt am Main sein Glück, wo ein Testspiel beim FSV Frankfurt problemlos über die Bühne ging. 

Vor dem Auftritt der Vorwärts-Mannschaft bei Hertha BSC – man durfte davon ausgehen, dass Hammer, Zirkel und Ährenkranz auf dem Trikot getragen würden – forderte der Tagesspiegel in einem Vorbericht indirekt ein durch die West-Berliner Polizei durchzusetzendes Veranstaltungsverbot. Diese wollte jedoch nichts davon wissen und beschränkte sich darauf, außerhalb des Stadions für Ordnung zu sorgen und den Verkehr zu leiten. Auch die Verantwortlichen von Hertha BSC ließen sich nicht beirren und konzentrierten sich voll und ganz auf das Sportliche. Ein erneutes sportliches Desaster konnten sie allerdings nicht vermeiden. 

Vor rund 8.000 Zuschauern holte der ASK Vorwärts unter Trainer Harald Seeger einen klaren 5:0-Sieg. Bereits nach vier Minuten machte Gerhard Vogt die erste Bude, Gerhard Reichelt, Horst Kohle, Lothar Meyer und Peter Kalinke konnten fleißig nachlegen. Nun bei den Männern dabei war der junge Jürgen „Kuppe“ Nöldner, im Tor kam zur Halbzeit Horst Jaschke für Karl-Heinz Spickenagel zum Einsatz. Allerdings täuschte das klare Ergebnis darüber hinweg, dass Hertha BSC eine Stunde lang ein ebenbürtiger Gegner war. Erst nach dem zweiten Gegentreffer in der 64. Minute brach die West-Berliner Mannschaft komplett ein. 

„Die Herthaner hatten nach Halbzeit praktisch keine Torchancen mehr, und wäre ihr Schlußmann Tillich nicht in überragender Form gewesen, hätte das Ergebnis auch zweistellig ausfallen können“, war am folgenden Tag in der Berliner Morgenpost zu lesen. 

Der Westberliner Telegraf gab indes zu bedenken: „Es erhebt sich die Frage, ob es in Zukunft nicht zweckmäßiger wäre, Spiele gegen sowjetzonale Staatsprofis nur dann zu bestreiten, wenn unsere Saison noch in vollem Gange und die Mannschaften nicht schon spielmüde sind. Während nämlich Hertha BSC eine lange, nerven- aufreibende Meisterschaftsserie bereits hinter sich hat, stehen die ASKler mitten in ihren Punktekämpfen und wirkten auch entsprechend frischer.“ 

Thematisiert wurde in westdeutschen Medien noch tagelang das „Spalterzeichen“ auf den Trikots, und besonders der Tagesspiegel echauffierte sich über den Auftritt an der Plumpe: „Die Ostberliner Mannschaft der Volkspolizei musste sich auf Geheiß ihres Politruks das Wappen mit Hammer und Zirkel auf die gelbe Hemdbrust kleben, und Ostberliner Zeitungen melden die Tatsache, dass das Spalter-Emblem bei einem Fußballspiel auf Westberliner Boden gezeigt worden ist, mit Triumphgeschrei. Die Vereinsleitung von Hertha BSC war sich der Tragweite ihrer Handlung offensichtlich nicht bewusst, als sie ihre Mannschaft zu dieser Begegnung auf das Feld laufen ließ.“ 

Zu einem Wiedersehen des ASK Vorwärts Berlin und Hertha BSC sollte es aufgrund des Mauerbaus am 13. März 1961 ohnehin nicht mehr kommen.

Anmerkung: Die Fußballfibel zu Vorwärts Berlin / Frankfurt (Oder) ist mit Widmung direkt beim Autor Marco Bertram erhältlich: www.marco-bertram.de

Zu Hertha BSC kam kürzlich auch eine Fußballfibel auf den Markt. Diese wurde von Benjamin Moser verfasst.

Fotos: Marco Bertram, Bildagentur frontalvision.com

Stadionname:
  • Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark
  • Plumpe
Artikel wurde veröffentlicht am
03 Mai 2023

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