Hertha BSC vs. 1. FC Union Berlin: Hauptstadtderby mit nachdenklichen Untertönen

Hertha BSC vs. 1. FC Union Berlin: Hauptstadtderby mit nachdenklichen Untertönen

Manche Spiele elektrifizieren eine ganze Stadt oder Region, und so stand letzten Samstag wohl ein solches mit dem Berliner Hauptstadtderby in der Bundesliga zwischen Hertha BSC und dem 1. FC Union Berlin im Berliner Olympiastadion auf dem Programm. Aber dieses Mal eine echte Derby-Stimmung vor dem Spiel? Hmmm. Vielleicht lag es an den komplett gegensätzliches Gefühlslagen des jeweils anderen oder woran auch immer, aber dieser Aspekt war bis auf ein paar Sticheleien auf Vereinsebene diesmal überhaupt nicht spürbar, zumindest offen. Dass es im Hintergrund doch anders war, sollte sich schon rechtzeitig zeigen und doch merklich spürbare Auswirkungen am Tag selbst bzw. auch später bei der Stimmung im Stadion haben.

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Mein persönlicher Spieltag begann mit der Fahrt zum Hauptbahnhof, wo die sympathischen Jungs der Warschauer Hopper-Fraktion von Pilka na Bani und Ground_hop_poland zur besten Mittagsstunde mit dem Berlin-Warschau-Express ankommen sollten. Da Hertha aufgrund möglicher Probleme mit den frisch eingebauten Drehkreuzen um eine möglichst frühe Anreise bat, passte dies doch ganz gut und war im Grunde ein Glücksfall, sollte es nahe des Treffpunktes meines Startpunkts, der auch zufälligerweise zeitgleich Treffpunkt der Gästefans sein sollte, zu einer Situation kommen, die den weiteren Anreiseverkehr doch recht stark beeinflussen sollte. 

Auslöser war laut mehrerer Quellen ein versuchter Angriff vom etwa dreihundert Ultras und Hooligans der Gastgeber plus Freunde aus Karlsruhe auf den Treffpunkt der Unioner, welcher jedoch von der Polizei entdeckt wurde und so am Bahnhof Nöldnerplatz endete, wo die Polizei den Mob einkesselte und wohl mehrere Stunden festhielt. Dies geschah nur kurze Zeit nach meiner Abfahrt in Richtung Hauptbahnhof.

Am Hauptbahnhof war ich pünktlich, der Zug jedoch nicht, denn aus der Ankunftszeit um kurz nach zwölf wurde zuerst halb eins und letztlich kurz vor eins. Nach einem kleinen Begrüßungstrunk in Form eines selbstgebrannten polnischen Wodkas ging es letztlich gemeinsam in den nun knüppelvollen Bahnen und einer doch sehr lustigen Fahrt in Richtung Stadion ging. Der Einlass verlief dann doch glücklicherweise recht problemlos, und so blieb noch genügend Zeit für eine durchaus delikate Paprika-Chili-Krakauer und eine größere Stadionrunde, bevor es letztlich zum Platz in der Nähe der Ostkurve ging.

Iin den sportlichen Fakten dieser Partie erklärt sich vielleicht auch, warum ich als Unioner doch mit einem leicht mulmigen Gefühl in dieses Derby ging, denn selten waren im Vorfeld dieser Partie so klar wie zu diesem Zeitpunkt und die Fallhöhe der eisernen Gäste dementsprechend tief. Dies lag leider vor allem an den Gastgebern von Hertha BSC, welche trotz der Millionen des (glücklicherweise) ehemaligen Investors Windhorst und eines großes Umbruchs auf breiter Ebene nach der Rettung letzte Saison in der Relegation auch diesmal nicht wirklich in die Spur kommen. 

In der Liga mit gerade drei Siegen und vierzehn Punkten aus 16 Spielen auf dem siebzehnten bzw. somit vorletzten Platz liegend hatte man in letzten Ligaspiel vor der Winterpause mit einem 2:0-Sieg zuhause gegen Köln vielleicht einen Hoffnungsschimmer, doch auch das neue Jahr startete erneut mit zwei Niederschlägen. Man verlor mit 1:3 beim Mitabstiegskandidaten VfL Bochum, um dann im letzten Heimspiel komplett chancenlos zuhause gegen Wolfsburg mit 0:5 unterzugehen. Sprich, ein Gegner vermeintlich am Boden, der nichts mehr zu verlieren hat - das kann schon mal gut und gerne schiefgehen, zumal es ja trotzdem nur zwei Punkte Rückstand zum rettenden Ufer waren.

Und nun kamen also die Gäste vom Stadtrivalen Union Berlin, welche seit ihrem Aufstieg vor vier Jahren und einem guten zehnten Platz in der Premierensaison einen wahren Traum leben. Der Weg führte direkt mit Platz sechs und Platz vier über die Conference League und der Europa League direkt in den internationalen Wettbewerb, wo man sogar dort überwintert und im Achtelfinale auf Ajax Amsterdam trifft. Aber auch in der Liga schaffte man das Kunststück, die bisherigen Leistungen noch zu toppen und doch eine längere Zeit gar von der Tabellenspitze thronte, bevor zum Ende des letzten Jahres sie in Form einer Serie von nur einem Sieg und vier Punkten aus fünf Spielen auf den fünften Platz abrutschen ließ. 

Dies ist allerdings nun vergessen, trumpft man doch nun mit dem neuen Jahr und den alten Werten wieder groß auf und siegte in routinierter Weise in den beiden Spielen zuhause gegen Hoffenheim und in Bremen, wo man jeweils nach Rückstand mit drei bzw. zwei zu eins und sechs Punkten die Spiele für sich entscheiden konnte. So schnell kann es gehen, lag man doch aktuell wieder mit nur drei Punkten Rückstand zum weiterhin leicht schwächelnden Tabellenführer Bayern München auf dem zweiten Rang. Nun hieß es aber abheben verboten, denn am vergangenen Samstag begann alles wieder von vorne - und solch ein Derby hat bekanntlich seine eigenen Gesetzte.

Zum Spiel: So wie ich es vermutete, wurde es dann eine Partie auf Augenhöhe, in der die Hertha-Elf zwar mit Herz und Leidenschaft hineinging, in der man aber auch teils das mangelnde Selbstbewusstsein der Spieler merkte. Man kam doch gegen nicht sonderlich aktive, aber durchaus clevere Unioner Gäste so manches Mal in eigentlich gute Schusspositionen, spielte dann aber lieber noch einmal mehr ab als nötig - und vorbei war die Chance. So lief diese erste Hälfte ohne große Höhepunkte von engagierten Herthanern gegen routinierte Köpenicker Gäste, die hinten nicht wirklich viel Hochkarätiges in der eigenen Abwehr zuließen, vorne aber auch nicht unbedingt zu sehen waren.

Nun hat Union aber mit den gefährlichen Standards und schnellen Kontern zwei Stärken, die dummerweise zugleich auch die größten Achillesfersen Herthas in dieser Spielzeit sind. So kam es, wie es kommen musste, und als sich eine Minute vor der Halbzeit schon alles auf ein torloses Remis eingestellt hatte, hieß es noch einnmal: Ein Union-Freistoß aus dem linken Halbfeld. Dieser segelte in den Strafraum, fand dort den Kopf eines Mitspielers und wurde so aus gut sieben Metern zentraler Position wuchtig wie aus dem Nichts und der ersten echten Gästechance des Spiels zur 1:0-Führung für Union ins Tor geköpft. Lange Zeit war nichts zu sehen - und dann gnadenlos effektiv! So ging es dann also auch mit diesem Zwischenstand in die Pause.

Das, was man zur ersten Hälfte sagen konnte, hatte aber dummerweise auch in der zweiten Halbzeit seine Berechtigung, denn es blieb im Grunde der gleiche Stil. Hertha bemüht, aber zu kompliziert, fand nicht wirklich einen Weg gegen gut stehende Gäste, die nicht wirklich gefordert wurden und wohl nach dem Motto gingen, dass ein gutes Pferd nur so hoch springt, wie es muss. Auf Konter lauernd ließ man die Heimelf kommen und hoffte auf Fehler oder glückliche Situationen wie jene in der 67. Minute, als ein Pressschlag im eigenen Strafraum zu einem Konter gegen viel zu weit aufgerückte Herthaner führte und dieser über das ganze Feld in einer zwei-gegen-eins-Situation mündete und welche auch sicher zur 2:0-Vorentscheidung genutzt werden konnte.

Der Favorit, der nun das Spiel weitestgehend kontrollierte, sich aber trotzdem offensiv etwas zurückhielt, ließ gegen weiterhin stets bemühte Herthaner nicht wirklich etwas anbrennen. Einzig turbulent wurde es dann nochmal eine viertel Stunde vor dem Ende, als nach einem der wenigen Unioner Konter ein Spieler der Hausherren den Ball aus kurzer Distanz an die Hand bekam, doch da der Spieler schon lag und auf Stützhand entschieden wurde, blieb dieser Einspruch berechtigterweise ohne Erfolg. Es sollte bis zur 83. Minute dauern, bis die Hertha-Elf zu ihrem ersten wirklich gefährlichen nach dem Wiederanpfiff kam, doch der platzierte  Schuss von der Strafraumgrenze wurde vom Schlussmann der Eisernen noch gerade so zur Ecke geklärt.

Da jedoch mehr nicht passieren sollte, sollte dieser 2:0-Sieg der Eisernen auch das Endresultat sein, welche damit den fünften Derby-Sieg in Folge feierten und so den Spitzenreiter erneut unter Druck setzten. Dies geschah zwar nicht besonders attraktiv, sondern eher im typisch nüchternen Union-Util, doch heißt es so schön bei „Wumms“ und „Borussia Hodenhagen“: „Nicht schön, aber so ist Fußball“. Was Hertha betrifft, muss man sagen, dass man ihr absolut nicht vorwerfen kann, dass kein Wille vorhanden war. Doch dieser Mix aus mangelnder Klasse und mangelnden Selbstbewusstsein wirkt leider wie ein Wackerstein für die Elf der Hertha und ich hoffe auch im Sinne weiterer Derbys natürlich darauf, dass sich die Charlottenburger doch bald wieder fangen.

Zum Fangeschehen: Hier müssen wir dann doch nochmal auf den versuchten Angriff auf die Gästefans kommen, denn dieser hatte sowohl auf den Support auf der Heim- als auch auf der Gästeseite doch eindeutige Auswirkungen. Denn während die Ultras von Union zumindest durch die ungeplante Verzögerung der Ankunft fast pünktlich zum Anpfiff erschienen, entschieden sich wohl auf der Heimseite die restlichen Ultras, die das Spiel sehen konnten, auf jegliche optische Support durch Banner zu verzichten, die wirklich gute Zettel-Choreo über das halbe Stadion durchführen. Auch war zumindest in der ersten Halbzeit ein doch sehr ordentlicher Support auf der Heimseite gegeben, welcher dann aber leider in der zweiten Halbzeit immer mehr nachließ und letztlich fast verstummte. 

Und dann nach dem Schlusspfiff gab es doch eine Sache, die ich wirklich nicht verstanden habe. Klar, wenn man eine lasche Einstellung zeigt, kann ich Frust irgendwie verstehen, doch gibt es den Spruch "Wer kämpft, kann verlieren, wer nicht kämpft, hat verloren". Und Hertha hatte gekämpft und ein ordentliches Spiel abgeliefert. Dann alle bis auf den Keeper beim Gang in die Kurve mit Bechern zu bewerfen, sorry, das kapiere ich nicht, denn so baut man das Team nicht wirklich auf.

Die Gästefans indes boten in beiden Halbzeiten einen ordentlichen und lautstarken Support, wobei man optisch erst in der zweiten Hälfte auftrumpfte und die Anfangs-Choreo nachholte. Mit Fahnen und Pyro und Banner über beide Maratho-Seiten verwandelte man die Gästekurve in ein flammendes Fahnenmeer und überzeugte auch sonst auf voller Linie. Insofern ging auch hierbei wohl der Sieg an die Gäste, die im Anschluss noch gebührend diesen Sieg feiern konnten.

Fazit: Dieser lange Derby-Tag hatte es doch in sich, und auch wenn das Spiel nicht so der absolute Bringer war, so muss ich doch festhalten, dass ich solche Tage wie heute echt vermissen würde, wenn Hertha BSC wirklich absteigen sollte. Somit drücke ich der Hertha auch aus alter Verbundenheit die Daumen und würde wünschen, dass irgendwann vielleicht doch mal die nötige Ruhe einkehrt, denn Berlin braucht schlichtweg zwei Erstligisten…

Bericht & Fotos: Groundhopping Berlin und Co. (externer Link zu Facebook)

Stadionname:
  • Olympiastadion Berlin
Artikel wurde veröffentlicht am
01 Februar 2023
Spielergebnis:
0:2
Zuschauerzahl:
74.667
Gästefans
18000

Ligen

Inhalt über Liga
1. Bundesliga

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G
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Spannende Reportage. Gut gemacht!
E
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G
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Gut geschrieben!
G
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