Vor 20 Jahren: Wenn Ultras beim „Feschd“ tierisch abfeiern

Vor 20 Jahren: Wenn Ultras beim „Feschd“ tierisch abfeiern

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Man stelle sich folgendes (hypothetisches) Szenario einmal vor: Das frisch Gezpafte fließt in Strömen, auf den Tischen wird oberkörperfrei tierisch abgefeiert, Arm in Arm werden verschiedenste Lieder zum Besten gegeben. Irgendwo in der Provinz liegen sich in einem extra aufgebauten Festzelt tätowierte Jungs der Ultras Frankfurt, der Suptras und der Wilden Horde in den Armen und planen gemeinsame Choreographien. Berührungsängste gibt es keine, und selbst Vertreter der Ultras Dynamo und der Ultras Sankt Pauli kommen ins Gespräch und tauschen sich locker flockig aus. Man beschnuppert sich und spürt, dass man quasi auf einer Wellenlänge ist. Gefeiert wird gemeinsam bis früh in den Morgen, und irgendwann hat auch die Polizei ihren Auftritt. Bei einer Verkettung unglücklicher Alkoholumstände ist eine Reihe abgeknickter Begrenzungspfähle die Folge. Das konnten nur die Rostocker gewesen sein, munkelt man. Egal! Hier herrscht Friedenspflicht! Und auch das deftige Minus auf Seiten des Veranstalters verursacht nicht wirklich dicke Tränen. Was kostet die Welt?! Nächstes Jahr gibt es wieder ein „Feschd“! Wo genau, ist noch offen. Auf jeden Fall sollen sich alle deutsche Ultras schon mal eine Notiz im Jahreskalender eintragen…

Klingt absurd? Wohl wahr! In der Gegenwart wohl kaum denkbar. Der erste Abschnitt ist ja auch nur ein Gedankenspiel. Gemeinsame Fandemos wie jene im Herbst 2010 in Berlin waren durchaus problemlos umsetzbar. Gleiches galt für die Fankongresse, die ordentlich Zuspruch fanden. Aber ein gemeinsames Fest, auf dem gesoffen wird bis in die Puppen? Das würde dann wohl doch arg schief gehen. Möglich war solch ein Fest jedoch vor 20 Jahren, als am 3. Juni 2000 das erste „Ultra Feschd“ in Vaihingen/Enz über die Bühne ging. 

Angesagt hatten sich 15 Gruppierungen aus ganz Deutschland. So zum Beispiel Ultras aus Mönchengladbach, Mannheim, Frankfurt, Gelsenkirchen, Cottbus, Bremen, Bielefeld, Kiel und Mainz. Nicht alle, die sich im Vorfeld angemeldet hatten, fanden letztendlich den Weg in das schöne Städtchen Vaihingen/Enz, das sich in der Nähe von Stuttgart und Ludwigsburg befindet. Jedoch waren es immerhin rund 200 Ultras, die mit von der Partie waren und sich an den bereitgestellten Bierfässern erfreuten. War man im Vorfeld durchaus ein wenig skeptisch, so wurden am Ende alle eines Besseren belehrt. Das „Feschd“ ging völlig friedlich über die Bühne.

Sämtliche Gäste verhielten sich völlig korrekt. Von den abgeknickten Pfählen mal abgesehen. Aufgebaut waren Getränkestände, eine Bühne mit DJ und ein allgemeiner Infostand, an dem es Fanzines, Collagen, Schals und Aufkleber gab. Wie erwartet, stellten die „Ultras Frankfurt“ das größte Kontingent. Mitgebracht wurde auch eine große Fahne, die auf dem „Feschd“ für ein Erinnerungsfoto ausgerollt wurde. Andere Stoffe wurden im Festzelt an den Wänden befestigt. Niemand hatte ernsthafte Sorge, dass ein Banner verschwinden könnte. 

Enttäuscht zeigte man sich über die Nichtanwesenheit der Münchner Fraktion Rot, der „Ultras Leverkusen“ und der Hannoveraner, gehörten diese damals vor 20 Jahren doch zu den Aktivposten der noch jungen deutschen Ultra-Szene. Die Laune verderben ließ sich niemand, und tatsächlich gab es Überlegungen für gemeinsame Choreos, und man war gespannt auf die kommende Saison, wenn beispielsweise „Eastside Bremen“, „Ultras Frankfurt“, „Scenario Fanatico“, die „Wilde Horde“ und „Commando Cannstatt“ aufeinandertreffen würden. 

Da wie bereits erwähnt nicht alle angekündigten Gruppierungen auf dem „Feschd“ eintrafen, vermeldeten die Organisatoren, zu denen Alexa und Chris gehörten, ein deftiges Minus. Dies führte jedoch nicht dazu, dass Skepsis in Anbetracht einer weiteren Veranstaltung angebracht war. Ganz im Gegenteil: Das nächste „Feschd“ sollte Ende der Saison 2000/01 stattfinden - und zwar in den Räumlichkeiten des Bremer Weserstadions. Und ja, schaut man sich Netz um, so wird klar, dass auch dieses erfolgreich über die Bühne ging…

Fotos: Klischi, Claude Rapp, K. Hoeft, Marco Bertram

Info zum Titelfoto: Hansa Rostock zu Gast in Paderborn (27.08.2000)

Quelle: Match Live Ausgabe 42 (August/September 2000)

 

Artikel wurde veröffentlicht am
23 Juli 2020

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G
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Revival 2020. Das wäre was.
K
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Waren damals auch Berliner vor Ort beim ersten Treffen?

VG
J
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G
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J
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Damals war noch alles frisch, und die Gruppen fast neu. Heute geht sowas nicht. Dafür sind sie aber anderweitig vernetzt und schaffen großartige Aktionen in den Stadien. In den Farben getrennt in der Sache vereint.
G
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G
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