Aus Sicht der Gästekurve: Rückblick zum Berliner Derby 2013

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Bis vor wenigen Jahren ging es zwischen Union und Hertha vorrangig friedlich zu, es wurden Freundschaftsspiele ausgetragen, zur Feier des Tages kurz nach der Wiedervereinigung im Olympiastadion bis hin zur feierlichen Stadioneröffnung An der Alten Försterei. Seit beide Vereine in Pflichtspielen gegeneinander antreten, ist der Ton etwas rauer geworden. Vor allem für den Boulevard ist eine frische Berliner Rivalität ein gefundenes Fressen, doch auch für nachgewachsene Fangenerationen, die die Zeiten staatsgesponserter weinroter Meisterschaften bzw. dramatischer königsblauer Skandale nicht miterlebt haben.

UnionkurveBis vor wenigen Jahren ging es zwischen Union und Hertha vorrangig friedlich zu, es wurden Freundschaftsspiele ausgetragen, zur Feier des Tages kurz nach der Wiedervereinigung im Olympiastadion bis hin zur feierlichen Stadioneröffnung An der Alten Försterei. Seit beide Vereine in Pflichtspielen gegeneinander antreten, ist der Ton etwas rauer geworden. Vor allem für den Boulevard ist eine frische Berliner Rivalität ein gefundenes Fressen, doch auch für nachgewachsene Fangenerationen, die die Zeiten staatsgesponserter weinroter Meisterschaften bzw. dramatischer königsblauer Skandale nicht miterlebt haben.

WS 2002Die neue Rivalität ergibt auch durchaus Sinn, klafft doch ein tiefer Graben zwischen den Fankulturen bzw. dem Selbstverständnis wie Fußball am besten inszeniert und zelebriert wird. Wie es sich für eine Rivalität gehört, wird dabei die jeweils andere Seite nicht ernst genommen: die einen belächeln den kleinen bescheidenen Club mit seinem "Schuhkarton" im Wald am Rande der Stadt, die anderen sind über Größenwahn und künstliche Atmosphäre in der "Schüssel" amüsiert. Im weiteren Verlauf dieses Artikels wird die zweite Perspektive eingenommen, von der aus auch das aktuelle Derby verfolgt wurde. Begeben wir uns also auf eine kleine rot-weiße Reise in Richtung Olympiastadion:

18.00 Uhr, S-Bahnhof Friedrichstraße: Eine kleine Ansammlung sturzbetrunkener Hertha-Fans kann kaum noch geradeaus schauen, brüllt "Scheiß Union!" und pöbelt vorbeilaufende Touristen an. Niemand schenkt ihnen Beachtung.

S-Bahn18.21 Uhr, kurz vor dem S-Bahnhof Tiergarten im noch nicht ganz gefüllten Zug nach Spandau: der Fahrer lässt verlauten: "Wegen einer Schlägerei am Bahnhof Zoologischer Garten ist der Zugverkehr in Richtung Olympiastadion vorerst unterbrochen" - glücklicherweise nur eine Randnotiz eines insgesamt friedlichen Derbys. Am besagten Bahnhof Zoo füllen muntere Union-Fans den Zug komplett aus und spulen auf der weiteren Fahrt bereits einen großen Teil ihres musikalischen Repertoires ab. Als der Zug im Westkreuz einfährt, müssen Fans auf dem prall gefüllten Bahnhof tatenlos zusehen, denn die Türen bleiben verschlossen. Von drinnen ertönt: "Na watt denn?"

18:50 Uhr, Olympiastadion: Die Einlasssituation ist noch entspannt, wird sich aber später drastisch verschlimmern, so dass einige Fans erst weit nach Anpfiff den grünen Rasen erblicken können. Und dadurch einiges verpassen…

Union19.40 Uhr, Gästekurve: Die anwesenden Union-Fans sehen sich bereits jetzt wie vor zwei Jahren bestätigt: Atmosphäre kann bei diesem Rahmenprogramm nicht auftreten. Vor allem der Stadionsprecher, könnte mit seiner schrillen Stimme („Heeeeeey hooooo Herthaaaaa-Faaaaans!!!“) auch gut als Animateur auf dem Ballermann eine Anstellung finden. Als sich das Stadion langsam füllt, bestehen drei Anhänger mit roten Mützen auf ihren auf den Tickets angegebenen Plätzen. Es ist vermutlich ihr erstes Auswärtsspiel, denn der Unioner sucht sich seinen Stehplatz überall frei aus. Es sei ihnen verziehen, Union hat in den letzten Jahren viele neue Fans gewonnen und irgendwie müssen die geschätzt 25.000 rot-weißen heute ja zusammen kommen.

Ostkurve20:00 Uhr, Ostkurve: Die Heimfans singen: "Scheiß-Union, Scheiß-Union – Hertha BSC!" zur Melodie von Unions "Stadtmeister-Lied" von vor zwei Jahren. Union-Fans im Gästeblock applaudieren den Blau-Weißen ob ihrer Kreativität. Um diese ist es etwas besser bestellt, als die Mannschaften einlaufen und die gesamte Kurve in ein Banner eingehüllt wird, das passend zur Musik aus den Lautsprechern meint, Hertha allein sollte der „Stolz von Spree-Athen“ sein.

Bengalos20:13 Uhr, Gästekurve: Während der Auswärtsblock in rotes Feuer gehüllt wird, dichten die Union-Fans den gerade laufenden Frank Zander Hertha-Schlager traditionell um: „Nur zu Hertha geh’n wa nich!“ Als Simon Terodde nach kurzer Zeit den Führungstreffer erzielt, fallen sie sich ungläubig in die Arme und erleben weiterhin einen couragierten Auftritt ihrer Elf. Sie trauen dem Frieden aber nicht und hadern bald mit dem Schiedsrichter, der der blau-weißen Fallsucht augenscheinlich etwas zu leicht nachgibt: "schickt den doch zum Ballett, den Herthaner!", schlägt mein Nebenmann vor.

21:01 Uhr, Halbzeitpause: Wie schon bei vergangenen Heimspielen dürfen zwei Fans im schönsten Reality-Trash-TV Stil ein Ratespiel um ein paar Krümel des Hauptsponsors austragen: „Wie viele S-Bahn Stationen sind es denn nun vom Ostkreuz bis nach Köpenick?“ Das haben sich die Marketing-Experten geschickt überlegt, denn die Gäste lassen sich nicht zweimal bitten um ihr „Alte Försterei!“ anzustimmen und am Ende sogar auch fleißig zu raten. Noch schnell die Frage an den Sieger, wie es heute hier wohl ausgeht? „Na zwee zu eins für Herthaa“ – auch diese originelle Prophezeiung hören die Heimfans nicht zum ersten Mal.

Union21:20 Uhr, Union erhöht: Auch in der zweiten Halbzeit geben sich Fans und Mannschaft die Klinke in die Hand. Gleich zu Beginn stimmen die Unioner ihre Version von "Zombie Nation" an. Das einfach gestrickte aber durchaus muntere und ansteckende Lied wurde Ende der letzten Saison beim Spiel in Cottbus als Parodie auf die dortige Halbzeituntermalung geboren, hat sich aber seitdem vor allem bei erfolgreichen Auswärtsspielen etabliert, und wird dort mitunter bis zu zehn Minuten Non-Stop vorgetragen. Zuletzt sang und hüpfte sogar die Mannschaft nach dem Heimsieg gegen Sandhausen mit. Aus 25.000 Kehlen würde das bestimmt beeindruckend klingen, doch es braucht eine Union-Ecke vor dem Gästeblock in der 49. Minute, um richtig anzuschwellen. Als Adam Nemec am Ende dieser Kombination einköpft, ist es nicht mehr aufzuhalten und klingt auch auf zwei Etagen und in zwei getrennten Blöcken recht respektabel. Wie der Rest des üblichen rot-weißen Liedgutes, das auch nach dem Ausgleich nicht verklingt.

Hertha BSC21:43 Uhr, Hertha steht auf und fällt hin: Neutrale Gäste, die nahe der Ostkurve sitzen, geben zu Protokoll, dass bis zum Anschlusstor sehr wenig von den Hertha-Fans zu hören ist. Das inbrünstigste und emotionalste Element im Fußball, der Torjubel, wird aber auch hier schon im Keim durch laute Tormusik erstickt. Der Fallsucht bleibt die Heimmannschaft erfolgreich treu, beispielhaft eine Szene am Ende: Union ist noch einmal im Ballbesitz, aber da Adrian Ramos sich wie von Geisterhand getroffen im eigenen Strafraum windet, pfeift der Schiedsrichter die Szene ab, und direkt danach das Spiel.

Polizei22:30 Uhr, Rückfahrt: In der voll besetzten S-Bahn wird diskutiert, ob es bereits in zwei Jahren das nächste Derby gibt. Die Stadtmeisterschaft 2011 war für Union-Fans eine unerwartete Überraschung im Kampf gegen Goliath. 2013 verlassen sie das Olympiastadion auch ohne Sieg erhobenen Hauptes: ihr Auftritt war überzeugend und ihr Verein hat sich inzwischen strukturell (Haupttribüne, Fanzuwachs) aber auch sportlich weiterentwickelt. Berliner Fußballfans und (internationale) Groundhopper dürfen also auf  2015 gespannt sein.

Fotos: Marco Bertram, P. Schoedler, Felix Natschinski

> zur turus-Fotostrecke: 1. FC Union Berlin

> zur turus-Fotostrecke: Hertha BSC

 

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