Ústí nad Labem vs. HFK Olomouc: Tschechischer Fußball zur Frühstückszeit

MB Updated

FK UstiSamstagmorgen gegen halb zehn. Nebelschwaden ziehen durch das Elbtal bei Ústí nad Labem. Von Norden kommend nimmt man auf der E55 die Abfahrt Bukov und folgt der Ulica Havirská, die im Stadtteil Bukov in die Ulica Vseborická übergeht. Das Ziel der Reise: Das Mestsky Stadion des tschechischen Zweitligisten FK Ústí nad Labem. An der Tagesordnung: Das Heimspiel gegen HFK Olomouc (Olmütz). Beim ersten Mal erscheint die Anstoßzeit aus Sicht der ausländischen Gäste extrem unchristlich, allerdings erkennt der Fußballfreund aus der Ferne, dass der Anpfiff um 10:15 Uhr durchaus Vorteile haben kann. Allerdings nur für die Heimzuschauer, denn für Gästefans ist ein Spiel am Vormittag eine echte Katastrophe.

FK UstiKurz vor Anstoß passiert der eine oder andere Zuschauer den Haupteingang des Mestsky Stadions, das allein einen Besuch wert ist. Liebhaber von altehrwürdigen Tribünen bekommen beim Anblick des hölzernen Bauwerks feuchte Augen. Und wer lieber Bauten aus der sozialistischen Ära mag, der kommt auch nicht zu kurz. Gleich neben der scheinbar uralten Holztribüne schließt sich ein 70er-Jahre-Prachtbau mit angeschmuddelter Fensterfassade an. Beide Gebäude werden von einer Art überdachten Terrasse verbunden, auf der bereits um zehn Uhr in der Frühe die ersten frisch Gezapften zu sich genommen werden. Die leckeren tschechischen Würste auf der anderen Seite der hölzernen Tribüne sind in der Regel pünktlich zur Halbzeitpause fertig.

Stadion ustiDurchatmen und einmal in die Runde schauen. In der einen Kurve eine spartanische elektronische Anzeigetafel aus den 90ern, auf der Gegenseite ein Modell aus den 80er Jahren. Domácí und Hosté. Dazwischen eine vergilbte Uhr, die eines Tages punkt Zwölf stehengeblieben ist. Während die Stadionseite zur Ulica Vseborická hin ein Potpourri der verschiedenen Zeitepochen bildet, ist auf der Gegengerade eine neue Tribüne zu sehen. Links und rechts mit sechs unüberdachten Sitzreihen, in der Mitte etwas höher und mit einem leicht gewölbten Dach. Mesto Sportu FK Ústí nad Labem.

Stadion ustiIns Leben gerufen wurde der in der nordböhmischen Stadt beheimate Klub im Jahre 1945, als ZSJ Armaturka Ústí nad Labem stieg er 1952 in die 1. Tschechoslowakische Liga auf. Nach einem kurzen Intermezzo im Oberhaus folgte 1958/59 als Spartak Ústí nad Labem noch ein weiteres Jahr in der ersten Fußballliga der CSSR. In der Folgezeit spielte Ústí in der zweiten und dritten Liga. Finanzielle Probleme gab es in den 90er Jahren, die Konsequenz war ein Abstieg in die unteren Gefilde des tschechischen Ligasystems. 1999 wurde das daraus resultierende sportliche Problem Dank der Fusion mit dem Sechstligisten FK NRC Vsebonce gelöst. 2001 wurden als MFK Ústí nad Labem die Weichen für die Zukunft gelegt. Nach dem Aufstieg in die dritte Liga folgte sogleich die Wiederkehr in der zweiten tschechischen Liga. 2009/10 gelang schließlich das große Wunder, Ústí nad Labem gelang der Sprung in die Gambrinus Liga. 

UstiViel zu holen war in der Spielzeit 2010/11 nicht. Gerade einmal vier Siege konnte die erste Herrenmannschaft des MFK Ústí nad Labem einfahren, mit 19 Punkten musste als abgeschlagener Tabellenletzter der Gang in die zweite Liga angetreten werden. Echte Heimspiele hatte es für den MFK Ústí nad Labem eh nicht gegeben, da das eigene Stadion (wohl zurecht) die Richtlinien der ersten tschechischen Liga nicht erfüllten konnte. Gespielt wurde im Stadion na Stínadlech im nicht allzu weit entfernten Teplice. Meist verloren sich nur zwischen 2.000 und 3.500 Zuschauer in der über 18.000 fassenden Arena des FK Teplice. Allerdings sind beim FK Teplice selbst meist auch nicht mehr Fußballfreunde auf den Rängen zu sichten. Beim Duell MFK Ústí nad Labem gegen FK Teplice waren es dann folgerichtig 7.315 Fans, die im Stadion na Stínadlech anwesend waren. Beim normalerweise lukrativen Match gegen Sparta Praha waren es dann am vorletzten Spieltag nur noch knapp über 2.000 Zuschauer. 

Stadion Usti nad LabemWieder zurück im heimischen Stadion wurde losgelegt wie die Feuerwehr. 19 Siege aus 30 Partien konnte der MFK Ústí nad Labem in der Zweiligasaison 2011/12 einfahren. Als souveräner Tabellenführer wurde die Saison abgeschlossen. Ein erneuter Aufstieg? Daraus wurde nichts. Da in der Zwischenzeit kein erstligataugliches Stadion in Ústí nad Labem entstanden ist, gab es vom Fußballverband kein grünes Licht. Ein erneuter Umzug nach Teplice oder Chomutov wurde nicht gestattet. 

Mäßig ging es in die laufende Zweitligasaison 2012/13. Nach der 0:1-Auftaktniederlage in Varnsdorf folgt gleich noch eine Niederlage. Vor 836 Zuschauern wurde gegen Znojmo mit 1:2 verloren. Nach dem miserablen Start fing sich das Team und konnte hintereinander bei Zenit Caslav und beim FK Most gewinnen. Gegen den FC Bohemians Praha gab es vor 1.278 Zuschauern immerhin ein 1:1. Nachdem am 22. September 2012 beim FK Pardubice mit 2:1 die Oberhand behalten werden konnte, kamen die Zuschauer am besagten Samstagvormittag recht optimistisch gestimmt ins Stadion, um zu schauen, was gegen den HFK Olomouc so geht.

Usti-FansImmerhin 1.175 Zuschauer hatten sich auf den Rängen eingefunden, wenn gleich es doch eher nach einer Kulisse um die 700 ausschaute. Sei, wie es sei. Neben der alten Tribüne versammelten sich 15 Fans mit Tröte, Trommel und ein paar blau-weißen Fahnen – und sie waren nicht die einzigen, die ihr Team unterstützten. Auch im Stehbereich vor der Tribüne wurde es ab und an laut. Dass die Atmosphäre im Stadion allerdings mit der einem deutschen Oberligastadion vergleichbar ist, dürfte sich auf Grund der Zuschauerzahl und der Rahmenbedingungen von selbst verstehen. Freude bereitet ein Besuch an solch einer Spielstätte allemal. Die kleinen Details. Alte verrostete Schilder. Gekappte Stromleitungen, die scheinbar noch vor dem Zweiten Weltkrieg verdrahtet wurden. Eine hölzerne Tribüne mit blätternder Farbe, die den angenehmen Muff von Generationen verströmt. Dazu ein kulinarisches Angebot, dass jeden Imbiss in einer deutschen Arena toppt. Frisch gegrillte Würste nach Wahl. Pikant, scharf, dunkel, hell, normal. Dazu eingelegte Gurken und Paprika. Senf, Meerrettich und reichlich Brot. Beim Biss in die Wurst läuft das rötliche Fett auf die Hände. Okay, doch nix für enge Stehkurven. Doch verdammt lecker ist sie, diese tschechische Klobása!

Fußball in UstiEin Hochgenuss war dagegen nicht das sportliche Geschehen auf dem grünen Rasen. Das Spiel zwischen Ústí nad Labem und Olmütz war nichts für Fußballästheten. Allerdings stimmte der Einsatz und die Gastgeber trafen gefühlte zehnmal Latte und Pfosten. In der Tat waren es mindestens dreimal. Ganze zweimal musste der Krankenwagen anrollen. Zwei Spieler hatten sich ziemlich arg verletzt und mussten abtransportiert werden. Da passte doch das uralte verrostete Schild an einem Strommast mit der Aufschrift „PRVNÍ POMOC“ (Erste Hilfe). Der Pfeil zeigte in Richtung 70er-Jahre-Bau, auf dessen Terrasse die Männer ein kühles Blondes schlürften. Letztendlich blieb es beim torlosen Remis.

PokalspielAn einer Bretterwand war das Ankündigungsplakat für das kommende Spiel in der dritten Pokalrunde befestigt. 2. Oktober 2012. 16 Uhr. 3. kolo Poháru Ceské posty. FK Ústí N.L. – SK Slavia Praha. Oha, hatte man gedacht. Nach der Leistung gegen Olmütz müsste es im Prinzip eine Packung geben. Denkste! Zweimal gingen die favorisierten Gäste aus Prag in Führung, zweimal konnten die Underdogs ausgleichen. Im Elfmeterschießen konnte das Team aus Ústí die Oberhand behalten. Mit 5:4 zog der Zweitligist in die vierte Runde ein und belehrte manch einen Kritiker eines besseren. Ganz klar, beim FK Ústí nad Labem steckt mehr drin als man auf den ersten Blick vermuten würde.

> zur turus-Fotostrecke: Impressionen vom FK Ústí nad Labem

> zum turus-Bericht: Slavia Prag gegen Sparta

 

 

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