Mächtig „auf die Fresse“ beim Berliner Eishockey-Derby

MB Updated

Schauplatz Erika-Heß-Eisstadion in Berlin-Wedding. Auf dem Programm stand das Stadtduell in der Oberliga Ost (dritte Spielklasse) zwischen den ECC Preussen Juniors Berlin und F.A.S.S Berlin. Klingt nicht besonders dramatisch? Ist es aber! In diesem Duell steckt weitaus mehr, als manch einer vermuten würde. Sportlich schien die Sache vor der Partie eindeutig. Preussen auf dem letzten Platz, F.A.S.S. auf dem dritten Rang. Allerdings gelang den Preussen am Freitagabend beim Tabellenführer und Meister Saale Bulls Halle fast eine Überraschung. Vor 2.900 Zuschauern führte man dort mit 4:2, musste sich dann jedoch mit 4:6 geschlagen geben.

Die Duelle zwischen dem 1962 ins Leben gerufenen Freien Akademischen Sportverein Siegmundshof e.V. – kurz F.A.S.S Berlin – und den 2004 gegründeten Eishockey Club Charlottenburg Preussen Juniors Berlin, der inoffiziell als Nachfolgeverein der Berlin Capitals, Preussen Devils bzw. des BSC Preussen Berlin gilt, können schon mal Besucherscharen in vierstelliger Höhe anziehen. So kamen am 30. Dezember 2011 zum Duell zwischen FASS und den Preussen immerhin 1.470 Zuschauer ins Eisstadion. Am 14. Oktober waren es 702. Gestern waren es nicht ganz so viele, doch auch die 550 Zuschauer sorgten für ein durchaus angemessenes Eishockeyflair.

Pünktlich um 18:30 Uhr öffneten eine Stunde vor Beginn der Partie die Tore des 1967 errichteten Eisstadions, das insgesamt 2.800 Zuschauern Platz bietet. Vor der Halle standen bereits drei Mannschaftswagen der Berliner Polizei bereit. Für alle Fälle. Später wurden die Einsatzkräfte dann sogar noch gebraucht.


Dabei begann alles sehr beschaulich in der Halle, die ein wenig nach 70er und 80er Jahre mufft. Unangenehm ist es in der Halle jedoch nicht, vielmehr wird man dort in Anbetracht der heutigen Konsumschwämme zeitlich ein wenig rückversetzt und geerdet. Ihr Übriges tun all die von den Fans getragenen Eishockeytrikots, die noch aus den guten Zeiten stammen. Vornehmlich die Trikot-Generation der 90er war vertreten. Alte Namen, die nach Glanz und Gloria klingen: Georg Holzmann. Tom O´Regan. Jürgen Rumrich. Aber auch Spielernamen aus dem neuen Jahrtausend sind durchaus präsent. Doug Murray. André Berger. Nils Watzke.

Auch ein paar FASS-Trikots konnten gesichtet werden, zudem ein paar Besucher, die Eisbären- bzw. Dynamo-Fanutensilien trugen. Seit 2007 kooperiert FASS Berlin mit den EHC Eisbären Berlin, was den Ausbau der Jugend- und Schülertrikots betrifft. Auf den FASS-Trikots prangt somit auf den Ärmeln ein kleiner Eisbärenkopf. Grund genug für die Preussen-Anhänger, diesen Verein zu hassen wie die Pest. FASS als Ersatzgegner, seitdem die Preussen in den Niederrungen des Eishockeys verschwunden sind. Während der einstige Erzrivale EHC Eisbären Berlin in der DEL stets ganz oben mitspielt und vor 15.000 Zuschauern in der o2 World die Titel einfährt, dümpeln die finanziell stets klammen Preussen in der Regionalliga bzw. Oberliga herum.

Rund 200 der insgesamt 550 Zuschauer fand sich in dem einen Stehblock hinter dem Tor ein. Große Trommeln wurden festgebunden, bereits eine halbe Stunde vor Spielbeginn wurde sich das erste Mal warm getrommelt. Bis in die Finger- und Zehenspitzen motiviert gingen beide Teams auf die Eisfläche. Nachdem noch ein Heiratsantrag über die Bühne ging, konnte das Berliner Derby mit viel Dampf starten.
„Preussen und der Schlittschuhclub“, erklang es aus dem Fanblock. Als es bereits nach anderthalb Minuten die erste Rangelei auf dem Eis gab, wurde dieser Schlachtruf durch ein knackiges „Auf die Fresse!“ abgelöst.

 

Unfassbares geschah nach zirka zehn Minuten. Bei einem Rundgang durch die Halle flog der Puck durch die Lücke zwischen Fangnetz und Hallendecke und verfehlte nur um Zentimeter den Autor, der gerade diesen Bericht schreibt, und seine Kamera. Erleichtertes Gelächter auf allen Seiten.
Warm wurden indes auch die rund 15 Mann im Mini-Fanblock von FASS Berlin. Äußerst motiviert wurde gesungen und getanzt. Die Polizei bezog bereits vorsorglich Stellung an zwei Ecken der Halle. Motiviert war auch das Team der Preussen. Bereits in der achten Spielminute erzielte Philip Reuter die Führung, Dank Vorarbeit von Kay Hurbanek.
„Heja, Heja, ECC!!!“, erschallte es nun aus dem Preussen-Block. „Ihr seid Scheiße wie der EHC!!!“ Die Trommler leisteten nun ganze Arbeit. Hinten auf der Jacke die klare Ansage: „Sieg oder Spielabbruch!“

In der 14. Minute war FASS in Überzahl und wollte den Ausgleich erzwingen, doch mit der 1:0-Führung der Preussen ging es in die erste Drittelpause. Noch mehr Emotionen im zweiten Drittel. „Scheiß Dynamo Ostberlin!“, „Ihr seid die Schande der Liga!“, „Ihr seid die Nutten des Eishockeys!“, „Ihr seid asoziale Ossis!“ Die giftige Atmosphäre übertrug sich auf das Eis. Oder war es eher anders herum? Sei wie es sei. Plötzlich flogen auf dem Eis mächtig die Fäuste. Angepeitscht von den „Auf die Fresse“-Rufen ging es derb zur Sache.

Auf dem Kieker der Preussen-Fans war bereits FASS-Torhüter Christian Krüger mit der Nummer 27, der von 2000 bis 2002 bei den Berlin Capitals unter Vertrag stand. Angestachelt von den Zuschauern und von den gegnerischen Spielern, brannte dann schließlich die Sicherung komplett durch. Beide Torhüter lieferten sich nun eine Schlägerei vom Feinsten. Nicht nur das, die Auseinandersetzungen wurden im Kabinentrakt fortgesetzt. Ordner mussten gerufen werden, hinzu eilte zudem die Polizei. Einige Minuten lang blieb die Partie unterbrochen. Das Team von FASS Berlin war zwischenzeitlich komplett in den Katakomben verschwunden. Nachdem sich die Gemüter ein wenig abgekühlt hatten, wurden die Strafen bekanntgegeben. Eine ganze Liste wurde vom Hallensprecher vorgelesen. Nur zu klar, dass beide Keeper eine Matchstrafe bekamen. Zudem wurden noch weitere Zeit- und Spieldauerstrafen an beide Teams ausgesprochen.

Mit umgestellten Mannschaften konnte die Partie nach der längeren Zwangspause fortgesetzt werden. Durchgesagt wurde noch ein Ergebnis von der Regionalligapartie Fass Berlin II - Eissport und Schlittschuh Club 2007 Berlin, das für Freude unter den Preussen-Fans sorgte. Für weniger Freude sorgte indes der Ausgleich zum 1:1 – und das zu einem Zeitpunkt, in dem die Preussen in einer Sturm- und Drangphase dem 2:0 recht nahe waren. Der ECC ließ sich nicht lumpen und lochte wenig später zum viel umjubelten 2:1 ein. „Einmal Preusse, immer Preusse!“, sang die Truppe hinter dem Tor. Die Oberkörper freigelegt wurden inzwischen auf der Gegenseite. Das kleine Grüppchen FASS-Fans legte nun einen Dauersupport hin.

 

Im letzten Drittel setzte sich der Favorit dann schließlich doch durch. 2:2 für FASS nach 44 Minuten und das 3:2 für FASS in der 51. Minute. Zwischendurch gab es eine weitere Matchstrafe für einen Preussenspieler, welche die Preussen-Fans auf den Plan rief: „Und schon wieder werden wir verarscht!!!“, „Verpiss sich du Penner!“, „Geht das denn schon wieder los?!“ Wut auf den Schiedsrichter, Wut auf den sportlichen Misserfolg der Preussen, Wut auf den Höhenflug der Eisbären.

 

„Es ist unglaublich, wie viel Hass die Leute hier auf die Ostler haben“, erklärte ein älterer BFCer, der sich bei einem Bierchen die Preussen-Fans anschaute. „Ich komme aus dem Osten und gehe seit 30 Jahren zum BFC Dynamo. Auch ich muss immer wieder leiden. Ich verstehe, dass man auch in schweren Zeiten mit Herz und Seele an einem Verein hängt. Hut ab vor diesen Fans hier, doch muss man solch einen albernen Ossi-Hass entwickeln? Über 20 Jahre nach der Wiedervereinigung? Nur weil die Eisbären den Aufschwung gepackt haben? Das ist doch der Kapitalismus, den man uns immer wieder erklärt hatte. Der EHC hatte Glück gehabt, dass der Anschutz einstieg. Es hätten auch die Preussen sein können...“ erklärte er weiter.

Die Partie blieb spannend und stand auf Messers Schneide. Selbst mit zwei Mann weniger auf dem Eis verteidigten die Preussen zwischenzeitlich tapfer den Spielstand und drängten anschließend auf den Ausgleich. Eine Frau im Preussen-Block bekam indes fast einen Herzinfarkt. Völlig außer sich vor Wut schimpfte sie wie eine schottische Highlandkriegerin. Schreien, rufen, flehen. „Steht auf, wenn ihr Preussen seid!“, „Schießen, schießen, einfach schießen!“ Es schien, als stünde die komplette Existenz auf dem Spiel. Im kleinen FASS-Spaß-Block hatte man nur für die Preussen-Anhänger nur Hohn, Spott und Schadenfreude übrig. Allesamt mussten nach dem Abpfiff an den Jungs mit den freien Oberkörpern vorbeiziehen. Manch einem Preussen-Fan froren die Gesichtszüge ein, einer wollte gleich durchbrechen und die Fäuste schwingen lassen. Die positionierte Polizei hatte jedoch alles im Griff, so dass es allein bei den verbalen Provokationen blieb. Man sieht sich wieder – und zwar in Kürze in der Pokalrunde...

Fotos: Marco Bertram

> zur turus-Fotostrecke: ECC Preussen Juniors – FASS Berlin

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