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S.C. Fortuna Köln Fußballfibel: Ratzfatz schnellt dieses Buch in die persönliche Top 3

 
5.0 (5)

Für dich, liebe Fortuna, widme ich mir besonders viel Zeit. Keine mal schnell zwischen Kita-Gang und Mail-Check getippten Zeilen. Nein, für den S.C. Fortuna Köln packte ich wieder einmal meine Tasche, spazierte in mein Lieblingscafé und bestellte eine Schale Milchkaffee. Hier entstanden bereits etliche gute Berichte und Rezensionen. Vor 15 Jahren hatte ich hier sogar bei einem japanischen Kumpel mal Sprachunterricht genommen. Aber das tut jetzt nichts zur Sache. Kölsch statt Sake! Nachdem es beim Verlag Culturcon ein Päuschen gab, purzeln nun die nächsten Bände aus der Reihe der Fußballfibeln wie frisch gebackene Schrippen in der Großbäckerei vom Fließband. Die Bände 18 und 19 über Eintracht Braunschweig und Fortuna Köln lagen kürzlich friedlich vereint im Briefkasten, die Werke über die BSG Wismut Gera, den FSV Frankfurt und den FSV Zwickau (für dieses Buch habe ich mir richtig was vorgenommen!) warten bereits darauf, von mir gelesen und anschließend bewertet zu werden.

Auch mit etwas Abstand bleibe ich dabei, dass mir bislang die Fußballfibeln über den FC Rot-Weiß Erfurt und den 1. FC Nürnberg am besten gefallen haben. Ebenfalls zu meinen Favoriten gehören die Bände über den FC Energie Cottbus und den FC Carl Zeiss Jena. Und schau an! Um es vorweg zu nehmen, die Fußballfibel über Fortuna Köln sprang mal eben in meine persönliche Top 3 dieser Serie. Und wie eingangs erwähnt: Etwas mehr Zeit soll sein für diese Rezension, die ich wieder mit einem eigenen Rückblick verknüpfe. Und ja, mir war bislang gar nicht bewusst, dass das „S.C.“ zwei Pünktchen hat wie das „F.C.“ bei Hansa Rostock. Fein, fein! Beim Blick ins Netz fällt jedoch auf, dass quasi niemand Rücksicht auf diese Pünktchen nimmt. Während bei Hansa Rostock bei wikipedia, Fanseiten und auch bei einigen Medien auf die Pünktchen geachtet wird, sind diese beim S.C. Fortuna Köln fast nie zu sehen. Ich glaube, ich muss die nachher mal bei wikipedia hinzufügen. Und ab heute - versprochen! - werde ich diese auch stets hinzufügen.

Nun aber zur Sache. Köln! In dieser Stadt erfolgte 1992 mein Blick über den Tellerrand. Nach meinem ersten Jahr im Rheinland (Ausbildung beim Chemie-Giganten), in dem ich fast nur Spiele (von den Heimfahrten nach Berlin mal abgesehen) mit Beteiligung der Werkself aus Leverkusen gesehen hatte, ging es ab dem Ende der Saison 1991/92 in die Vollen. Ab in den Gästeblock beim Erstligaspiel 1. FC Köln vs. F.C. Hansa Rostock! Mit dem Start der Saison 1992/93 wurde sich dann quasi von der gesamten Fußballpalette bedient. Man futtert ja nicht nur Kaviar und auch nicht nur ne Butterstulle. Vom Europapokal bis runter zu den Oberligen wurde quasi alles mitgenommen. Im Juli 1992 fand ich mich dann im Ausbildungswohnheim in Leverkusen-Schlebusch am Wochenende alleine wieder. Manche waren bereits in den Urlaub gedüst, andere waren übers Wochenende daheim bei der Familie. In meinem Fall fehlte ganz einfach das nötige Kleingeld, um jede Woche mit dem IC gen Berlin zu tingeln. 

Ein ganzes Wochenende in Leverkusen - und im Wohnheim war tote Hose. Ich ging im Bergischen Land wandern und schaute zudem die Spielpläne in der Sportbild durch. Die Monster-Saison 1992/93 der 2. Bundesliga startete bereits am 10. Juli 1992. Nun denn, 46 (!) Spieltage mussten ja irgendwie untergebracht werden. Den Auftakt bildeten am Freitagabend die Partien SpVgg Unterhaching vs. FC Carl Zeiss Jena, VfL Osnabrück vs. VfL Wolfsburg und S.C. Fortuna Köln vs. SV Waldhof Mannheim. Also ja, zugegeben, die Langeweile führte mich an jenem Abend zum Südstadion. Und natürlich auch die Neugier. Ich zuckelte mit der Straßenbahn zum Stadion, kaufte mir eine Karte und stellte mich in die Kurve. Ganz in der Ferne in der gegenüberliegenden Kurve hatten sich die angereisten Waldhof-Fans eingefunden. 

Da stand ich nun, fühlte mich in diesem weitläufigen Stadion ziemlich allein unter den rund 4.000 Zuschauern und schaute ein wenig betrübt an jenem milden Sommerabend auf das Spielfeld. Während manch anderer mit einem scharfen Mädel an einen See fuhr, stand ich in der Kurve des Südstadions und schaute Zweitligafußball, der damals bei weitem nicht die Wertschätzung erfuhr wie in der Gegenwart. Heutzutage würde ich zum Kölsch-Stand pilgern und sofort das Gespräch suchen. Der Rest wäre dann Formsache. Falkensee, Schwerin, Ludwigsfelde, Waldsieversdorf und Stralsund lassen fröhlich grüßen. Damals als 19-Jähriger schaute das noch ein wenig anders aus. Der Ost-Berliner allein auf der Pirsch in der Kölner Südstadt. Trank ich überhaupt damals Bier im Stadion? Ich kann mich eigentlich nur an Büchsenbier auf Bahnhöfen und in Sonderzügen erinnern. 

Und das Spiel an jenem 10. Juli 1992? Nicht gerade der Hammer. In der 75. Minute erzielte Tom Stohn den Treffer des Tages für die Waldhof-Buben. Ebenso ein 0:1 im Kölner Südstadion sah ich am 26. März 1993. Wieder war es ein Freitagabend, zu Gast war dieses Mal der VfB Leipzig, der richtig Bock auf den Aufstieg ins Fußballoberhaus hatte. Dieses Mal war es frischer um die Nase, und leichter Regen machte das Spektakel vor rund 2.000 Zuschauern noch grandioser. Na ja, in gewisser Weise drückte ich als Ost-Berliner schon allen Nordost-Vertretern ein wenig die Daumen, doch andererseits erwärmte der VfB Leipzig damals nicht wirklich mein Herz. Ich stand wieder in der Kurve, wollte endlich mal die Heimfans jubeln sehen und hörte stattdessen nur den Torschrei in der Ferne unter der Anzeigetafel. Frank Edmond hatte in der 71. Minute das Tor des Abends geschossen.

In den frühen 90er kamen noch ein paar weitere Zweitligaspiele im Kölner Südstadion hinzu. Für mich als Berliner Pflicht waren die Auswärtsspiele von Hertha BSC beim S.C. Fortuna. Am 11. Dezember 1993 durfte ich sogar einen 3:1-Sieg der Berliner bewundern. Nach Rückstand machten Frank Rohde und Sven Demandt (zwei Treffer) alles klar. Der Oberhammer war indes die Zuschauerzahl von 800. Bei der arg ungemütlichen Witterung fragte ich mich dann wirklich, was ich hier eigentlich beim Fußball suchen würde. Und was - oder besser gesagt wer - sich an jenem Nachmittag am meisten eingeprägt hatte? Der Fortuna-Trainer Hannes Linßen. Um es genauer zu sagen: Die Frisur von Hannes Linßen.

Ende der 90er verlor ich Fortuna Köln komplett aus den Augen. Ich wohnte wieder in Berlin, und wenn ich mal nach NRW düste, schaute ich mir halt ein BL- oder EC-Spiel an. Das Kölner Südstadion hatte ich seitdem 19 Jahre lange nicht mehr betreten. Aufgrund der Erinnerungen an die Spiele der frühen 90er schaute ich 2013 mal wieder am Südstadion vorbei, um für mein damals in Arbeit befindliches Buch „Zwischen den Welten“ meine persönlichen Erinnerungen aufzufrischen. Ich lugte durch den Zaun und bestaunte die zahlreichen Aufkleber. Eagles. Schäng Gang. Keine Logen, keine Cheerleader, nur Fußball seit 1948. Ich war angetan. So sehr, dass ich Ende März 2014 - 20 Jahre nach meinem letzten dort gesehenen Fußballspiel - zur RL-Partie Fortuna Köln vs. Rot-Weiss Essen düste. Mensch ja, und es war, als seien es keine 20 Jahre gewesen. Schön, wie ein Stück Vergangenheit ganz real erhalten blieb. Fortuna Köln!

Und ja, Wahnsinn, was der Verein in jenen 20 Jahren durchmachte! Galt der S.C. Fortuna Köln bis Ende der 90er zurecht als der ewige Zweitligist - dieser Verein verkörperte quasi die 2. Bundesliga -, so ging es in den späteren Jahren hinab bis in die Verbandsliga. Von diesen 20 bewegten Jahren und den 50 Jahren zuvor ist in der S.C. Fortuna Köln Fußballfibel zu lesen. Die Autoren Heribert Rösgen (Jahrgang 1961) und Matthias Langer (Jahrgang 1965) fanden mit dem ersten Kapitel „Blutige Knie“ einen perfekten Einstieg. Gedanklich mitten rein ins Köln der Nachkriegszeit. Der junge Hermann musste die Beine in die Hand nehmen. Vorbei an den Schuttbergen. Doch es nutzte nichts, der berüchtigte „Kulle Franz“ bekam ihn zu fassen und drohte: „Zeig. Wat häste in de Täsche? Oder wellste tireck e paar en de Fresse!“

Kulle Franz und seine bösartigen Begleiter hätten Hermann womöglich komplett verdroschen, wenn nicht von hinten ein anderer entschlossener Junge mit strengem Scheitel und blauen Augen zur Hilfe kam. Später liefen Hermann und der größere Junge die Altenburger Straße in Richtung Süden. „Ich heiße Hans. Die meisten sagen Schang zu mir“, gab der große blonde Junge an jenem denkwürdigen Tag bekannt. Sie gaben sich die Hände. Später wurden sie Freunde. Feste Freunde. 

Auf geniale Art und Weise brachten somit die beiden Autoren gleich zu Beginn des Buches den 1934 in Köln geborenen Hans „Jean“ Löring - bekannt als „Schang“ bzw. „Schäng“ - ins Spiel. Wunderbar verknüpft wurde alles mit der fiktiven Figur Hermann, die von allen nur „Menn“ genannt wurde. Reales aus dem Leben des „Schäng“ wurde mit dem fiktiven „Menn“ verbunden. Während Schäng Löring bereits in der Jugend die Fußballstiefel schnürte, eröffnete Hermann mit seiner Frau später einen Friseursalon und wurde Fortuna-Fan, der all die langen Jahre den am 21. Februar 1948 ins Leben gerufenen Verein begleitete.

Gegründet wurde der S.C. Fortuna Köln im Zuge der Fusion der Vereine Bayenthaler SV, Sparkassen-Verein 1927 Köln und SV Victoria Köln (nicht zu verwechseln mit dem jetzigen FC Viktoria Köln). Spannend: Nur acht Tage zuvor wurde der 1. FC Köln (Zusammenschluss der beiden Fußballvereine Kölner BC 01 und SpVgg Sülz 07) gegründet. 

Nach seiner Laufbahn als Fußballer wurde „De Schäng“ im Jahre 1966 Präsident des S.C. Fortuna Köln, und bis zu seinem Tod am 6. März 2005 blieb er dem Verein sehr eng verbunden. Vier Jahrzehnte lang führte Jean Löring seinen Verein als Präsident und Mäzen durch die Höhen und Tiefen. Am 13. Mai 1973 gelang ihm mit Fortuna Köln sogar der Sprung in die 1. Bundesliga. Nach dem direkten Abstieg spielte Fortuna Köln von 1974 bis 2000 nonstop (!) in der 2. Bundesliga. Irre: Mehrmals übernahm Jean Löring (also der Schäng) den Posten als Interimstrainer. 

Wilde Zeiten erlebte Fortuna Köln unter dem Schäng Ende der 90er, als Toni Schumacher und Bernd Schuster Trainer des Zweitligisten wurden. Die Rückkehr ins Fußballoberhaus sollte endlich gelingen. Dem Effzeh (die Geißböcke strauchelten und stiegen 1998 in die zweite Liga ab) wurde der Kampf angesagt. Wachablösung am Rhein?! Dies sollte jedoch nicht gelingen, stattdessen ging es beim S.C. Fortuna Köln drunter und drüber. Für reichlich lecker Futter für die Redaktionen von „Bild“ und „Express“ war gesorgt. Toni Schumacher wurde in der Halbzeitpause gefeuert, mit Bernd Schuster und seiner Frau Gabi gab es ein legendäres Gespräch im Büro des Schäng. 

All dies ist wunderbar in der Fußballfibel beschrieben. Beim Lesen ist man einfach mitten drin statt nur dabei. Umso mehr leidet man als Leser mit, als es im Neuen Jahrtausend mit dem Verein rapide bergab ging. Runter ging es in Regionalliga und Oberliga Nordrhein. 2003 stand der S.C. Fortuna Köln erstmals fast vor dem totalen Aus. Im März 2005 starb De Schäng, bereits zwei Monate zuvor wurde die erste Mannschaft aus der Oberliga zurückgezogen. Wieder drohte das endgültige Aus. Dank eines Kraftaktes konnte jedoch 2005/06 in der Verbandsliga Mittelrhein ein Neubeginn gestartet werden.

Nach drei Jahren Verbandsliga konnte 2008 der Aufstieg in die NRW-Liga (Oberliga) gefeiert werden. Nach wiederum drei Jahren gelang die Rückkehr in die Regionalliga West, und wiederum nach drei Jahren erfolgte der ersehnte Sprung in die 3. Liga. Im Buch reiste der mittlerweile sich längst im Ruhestand befindliche Hermann mit seiner Frau nach München, um das Rückspiel des Aufstiegsduells gegen den FC Bayern München II zu sehen. Was für ein Finale des Buches! Perfekt! Das Hinspiel hatte Fortuna Köln mit 1:0 gewonnen, beim Rückspiel lagen die Kölner im Stadion an der Grünwalder Straße mit 0:2 zurück. Dazu musste noch ein Platzverweis verschmerzt werden. Und dann! In der Nachspielzeit landete der Ball im Bayern-Kasten!!! Emotionen pur. Freudentränen und Gänsehaut! Die beiden Autoren taten gut daran, das Buch mit diesem Aufstieg enden zu lassen.

Lesen, Mitfühlen, die gedruckten Kölschen Dialoge mit dem geistigen Ohr hören - als Leser denkt man wirklich, der „Schäng" und der „Menn“ stünden neben einem. Toll gemachtes Buch! Meine klare Kaufempfehlung an dieser Stelle! Darauf ein Kölsch!

Fotos: Marco Bertram

> direkt zur Webseite des Verlags Culturcon

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Artikel wurde veröffentlicht am
03 Dezember 2018

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