Wir vom turus.net Magazin freuen uns einen neuen Autor in unser kleinen aber feinen Gemeinschaft begrüßen zu können: Andreas Gläser. Der Berliner Schriftsteller wird künftig mit seinen erfrischenden Texten das Magazin bereichern und alte sowie neue Leser begeistern. Den Aufschlag macht er mit, im Blogstyle geschriebenen, frischen Eindrücken vom vergangenen Fußballwochenende in Schottland. Nicht Haggis, sondern die Partie Hibernians FC gegen FC St. Johnstone als Vorspeise und nicht weniger als das legendäre Old Firm zwischen Glasgow Rangers und Celtic Glasgow als Hauptgang standen auf seiner Speisekarte:
Old Firm - zu wenig Schottland, zu viel Länderspiel
Wir vom turus.net Magazin freuen uns einen neuen Autor in unser kleinen aber feinen Gemeinschaft begrüßen zu können: Andreas Gläser. Der Berliner Schriftsteller wird künftig mit seinen erfrischenden Texten das Magazin bereichern und alte sowie neue Leser begeistern. Den Aufschlag macht er mit, im Blogstyle geschriebenen, frischen Eindrücken vom vergangenen Fußballwochenende in Schottland. Nicht Haggis, sondern die Partie Hibernians FC gegen FC St. Johnstone als Vorspeise und nicht weniger als das legendäre Old Firm zwischen Glasgow Rangers und Celtic Glasgow als Hauptgang standen auf seiner Speisekarte:
"H. aus B. und ich, wir hatten uns zu einem Trip nach Schottland verabredet, mit großem Plan, aber ohne Fußball-Tickets. 26. Februar, Freitagmittag, Ankunft in Edinburgh. H. war einige Male dort und begann mit mir durch sein Programm zu rasen. Rucksack abwerfen im City-Hostel, für 10 Pfund die Nacht, im Viermannzimmer, Fenster zur Straßenpartyseite. Danach ab zum Bus, um nach Leith zu gelangen, dem Trainspotting-Kiez. Karten für das Spiel am folgenden Tag besorgen. Hibernians FC gegen FC St. Johnstone. Leith ist eine imposante Gegend mit einigen Backsteinhäuserzeilen und einem malerischen Friedhof, rund um das weitestgehend moderne Easter Road Stadium. Im Ticket Center orderten wir unsere Karten zu 22 Pfund, andere taten es für ermäßigte 12, oder auch für das Auswärts-Derby in zwei Wochen, bei den Hearts Of Midlothian, am anderen Ende Edinburghs. H. und ich sind gleich mal rüber, vom Osten in den Westen der schottischen Hauptstadt. Das Bus-Netz war wie für uns erdacht.
Im Gegensatz zum Easter Road Stadium der Hibs, das aus dem Wohngebiet herausragt, droht man am „tiefer gelegten“ Tynecastle Stadium mit dem Bus vorbei zu rollen, sofern man nicht in der Linie 1 verkehrt und auf den markanten weinroten Pub an der Kreuzung achtet, der sich „Stratfords Bar and Lounge“ nennt. Geworben wird für duftes Essen, aber es gibt nix. Auch den internationalen Imbiss gegenüber kann man knicken. Immerhin standen uns die Tore vom Stadion der Hearts offen, mit den dogmatischen Farben, drinnen wie draußen, alles in weinrot-weiß gehalten. Das "Tynie" färbt regelrecht auf einige Türen und Fenster im Kiez ab, von der ansässigen Caledonian Brewery mal ganz abgesehen. Im Gegensatz zu den Hibernians, die ihre irischen Wurzeln betonen, verstehen sich die Hearts wohl als den Mittelpunkt Schottlands, und als den von Edinburgh sowieso. Leider sollten die Hearts am nächsten Tag in Aberdeen antreten.
Abends in der City, in der „Scotman´s Lounge“ mit folkloristischer Live Music. Der Pub-Name hält, was er verspricht. Schon als wir auf ihn zusteuerten, purzelten einige Turbomaskuline heraus, sie kümmerten sich aber umeinander.
Am Sonnabend Vormittag bewunderten wir im Museum Of Scotland einige Liga-Cup-Trophäen der Hearts, mitsamt der eingravierten Mannschaftsaufstellungen beider Finalisten und den Auflistungen der Gegner auf dem Weg ins Glasgower Hampton.
Dann zum Heimspiel der Hibies. Vorher ein Pflichtbier im nahe gelegenen „The Albion“. Nette Atmosphäre, etwas Gefeixe über Chelseas live übertragene Heimpleite gegen ManCity. Erste Information zum eigenen Spiel: Der Eastern Stand wird seine letzten 90 Minuten erleben. Einige Fans werden sich ihre Andenken sichern. Wir hatten für diese Seite Karten, prima. Der Eastern Stand war lange Zeit die alles überragende und modernste Tribüne des Stadions, auch wenn die Pfeiler bis heute die Sicht behindern, nun wird die Ostseite als letztes modernisiert, denn man schaut inzwischen hinüber zu den höheren Tribünen. Der Bedarf scheint vorhanden, denn im derzeit 17.500-Plätze fassenden Ground waren zum Beispiel 1950 gegen die Hearts beinahe 66.000 Zuschauer dabei.
An diesem Sonnabend war das Stadion zu weit über zwei Dritteln gefüllt, das Publikum zeigte sich einigermaßen sangesfreudig und ziemlich familiär. Aber das Spiel war ein ziemliches Gestochere, ein früh verwandelter Foulelfmeter versprach ein torreicheres Spiel, als es werden sollte. Die Fahrstuhl-Truppe aus Rand-Glasgow kam kurz vor dem Ende per Foulelfmeter zum berechtigten Ausgleich, der auch das Endresultat darstellte. Imposant war zwischenzeitlich ein ältere Herr, der „Falling in Love“ und andere Lieder gekonnt intonierte.
Mit dem Schlusspfiff ertönte auf unserer Seite hier und da ein lautes Knacken, die angeschraubten Sitze wurden mit größter Anstrengung heraus gerissen. Anwesende Polizisten hielten sich in Zweiergrüppchen und ohne besondere Kampfkluft in der Nähe auf. Solange der Mob nicht dort zu agieren begann, wo bereits modernisiert worden war, oder ein Streit aufkäme, würde man drüber hinweg sehen. H. zeigte sich höflich und riss für einige Teenager deren Sitze heraus, die jeweils mit der Nummer ihrer Dauerkarte versehen waren, und überreichte sie ihnen feierlich. Es war eine harmonische Randale.
Abends hieß es, rüber nach Glasgow, ein Stündchen mit dem Bus. Hinein ins Hostel mit der Foyer-Disko und rauf auf ´s Zimmer, wo wir mit 12 anderen nächtigten. Sonntag, Old Firm. Rein in die U-Bahn, in die rundliche, enge Grubenbahn. Ab zum Ibrox, trotz sold out. H. sprach von seinen Tricks, mit denen er bisher hinein gekommen wäre. Geld interessiere die Leute nicht, wir müssten Leidenschaft beweisen. Und so klaute er vor einem Obst- und Gemüseladen zwei Pappdeckel und begann sie zu beschriften. Der Zauberspruch solle aber geheim bleiben ... Um das ewige Duell, Rangers gegen Celtic, gibt es einige Legenden. Wer sich von wem in wiefern abgrenzt und so weiter.
Ich wollte mir möglichst unvoreingenommen ein Bild machen, zumal ich es von Deutschland her kenne, das manche Vereine und deren Fans ein Image aufgedrückt bekommen, das allenfalls für zehn Prozent der jeweiligen Gefolgschaft gelten kann, aber nie und nimmer für 90 Prozent oder mehr. Wer hat es denn in Berlin wirklich mit dieser oder jener Konfession? Die sozialen Unterschiede sind hierzulande auch nicht so ausschlaggebend für die Vereinsfindung. H. meinte auf Glasgow bezogen, dass es früher sicher auch um die sozialen Unterschiede ging, aber die hätten sich heute einigermaßen angeglichen, nach unten natürlich. Jedenfalls hielt H. seine Pappe in die Höhe, viele Entgegenströmende schmunzelten, sicherlich auch aufgrund des krummen Englischs, das ich selbst mit meinen Mini-Kenntnissen zu verbessern wusste. Wir wurden mitunter nach Karten gefragt, deshalb muss das Englisch einiger Schotten wohl noch schlechter sein. Und überhaupt: wir sahen nur Rangers, keine Celtics. Letztere kamen ausschließlich aus ihren Stadtteilen über eine andere Hauptstraße zur gegenüberliegenden Stadionseite. So ein Hertha-Schalke-Gekuschele scheint für Glasgow ausgeschlossen.
Die Rangers entsprachen zunehmend der Vorstellung, die ich von einem harten Fußballmob habe. Andererseits dürften H. und ich aufgrund unserer Pappen diejenigen gewesen sein, die am häufigsten von den Vertretern der anströmenden Horden angeschmunzelt wurden. H. ergatterte ein Ticket, von einem älteren Nordiren, der einst aus Belfast nach Birmingham übergesiedelt war und nun regelmäßig nach Glasgow hoch fuhr. Die Karte wäre von dessen Kumpel, ohne Aufpreis, 40 Pfund, beste Sicht. Aber H. und er müssten gemeinsam hinein gehen, denn er könne ihn mit der Plastikdauerkarte nicht von dannen ziehen lassen, klar. H. hatte sich ohnehin nicht eingebildet, seine heimliche Liebe zu Celtic ausleben zu können. Noch eine halbe Stunde bis zum Anpfiff. An der U-Bahnstation winkten einige Leute mit Geldscheinen. Niemand sprach sie an. H. hielt die Pappe hoch, jemand reagierte und wollte 150 Pfund. Unmöglich. Wieso? Guter Preis. Drei Tickets, je 50. Ach so. Eine Karte reicht! Ich bekam eine Plastikkarte und einen Zettel mit dem Code, damit ich wüsste, wo ich mich zu platzieren hätte. CF5 und so weiter. Wir gehen doch zusammen rein, oder? No, no. Wir sehen uns nach dem Spiel an der selben Stelle. Okay. Am Tribüneneingang wuselte ich am Automaten herum, nix rührte sich. Ein Stewart zeigte sich kooperativ, er ging mit mir zum Servicecontainer. Karte gecheckt. Shit. Keine Chance. Abo nicht verlängert. Zurück zum Bahnhof, den Typen suchen, der musste doch noch zwei Tickets los werden. Denkste. Ich sah nur jede Menge zum Stadion strömender Leute. Sollte der Arsch doch mit meinen 50 Pfund einen Tag glücklich sein, dafür müsste er seine degenerierte Fresse noch eine Weile durch Glasgow schleppen und ich würde in 24 Stunden wieder in Berlin sein.
Also rein in die Rangers-Kneipe. Ein Bier vom letzten Klimpergeld. Ich fragte den Wirt, ob er auch Euro nähme. Nee. Egal. Ich würde in dieser Gegend keinen Automaten suchen gehen. 90 Minuten ohne ein Scheinchen, das kann man schon mal aushalten. Die Kneipe war eine triste Tränke, das Publikum rekrutierte sich entsprechend. Kein Fernseher, nur ein bisschen Hörfunk. Ich setzte mich zu einigen Gestalten, hatte ja in etwa die selbe Frustfresse, und radebrechte ein bisschen englisch. Shake hands. Jemand streckte mir seinen rechten Arm entgegen, ein anderer fuchtelte mit der flachen Hand herum. Schönen Gruß vom Oranier-Orden. Ick bin Berliner. Is enough. Unverständnis. Dissonanzen.
Ich besichtigte das Viertel. Hier und da ein Fan-Artikelstand. Union Jack hier, Union Jack da. No surrender, Rule britannia, We are the people, bla bla bla. Königinnentreuer als die Prinzessinnen. Stadionrundgang mit lustigem Intermezzo unter internationalen Zaungästen. Minimaler Blick auf den Stand der Celtics, ab und an irgendein Spieler. Große Stimmung drang aus dem weiten Eckigen nicht zu uns. War sicher ein typisches Schottenligaspiel. Eine Brise Langeweile, drinnen wie draußen. Schon vor dem Abpfiff strömten viele Zuschauer im Dauerlauf zur Mini-Metro, das fand ich sehr schräg. Aber gemessen an deren Kapazitäten für 50.000 Menschen kein Wunder. In der Nachspielzeit fiel das 1:0 für die Rangers. Der Kessel brummte, einige Voreilige wollten zurück ins Stadion. Als das Spiel beendet war, schien sich der Torjubel der Massen bis zur U-Bahn fortzusetzen. Tausende Menschen wuselten in verschiedenen Strömen aneinander vorbei, feierten ab. H. traf mein Kurzbericht wie ein weiteres Gegentor, er wollte dem Typen vor die Fresse hauen, aber daraus würde nix werden. Ich hatte die Rangers für mich ohnehin schon in Agrow Glasgow umgetauft, weil jeder ihrer Mini-Mobs einen Psycho unter sich zu haben schien, mit dem ein Kurzgespräch vom hunderdste ins tausendste zu kippen drohte.
Abends dann der Ausklang, jenseits der City, hinter der markanten Brücke, im vermeintlich tristen Viertel bei den Celtics. Aber ob in der Bar 67 oder in der Bar der Bärtigen, es gab viele Leute und gute Laune. Hier und da ein bisschen IRA-Sing-Sang, aber nur so bedrohlich wie überholte Indianerlieder. Gelungener Abschluss eines interessanten Trips."
Fotos: Andreas Gläser