Im Land ohne Lächeln: Kaliningrad, Zelenograd und Petrosavodsk

K Updated 10 Juli 2019
Im Land ohne Lächeln: Kaliningrad, Zelenograd und Petrosavodsk

LeninGerade mal zwei Reisende – eine Russin und ich – befinden sich im modernen Wagen der russischen Eisenbahnen, der sich von Danzig nach Kaliningrad aufmacht. Kurz vor der Grenze werde ich angewiesen, mich ins Abteil zu setzen. Dann, vor dem Grenzstein, bleibt der Zug kurz stehen, rollt darauf ein paar Meter weiter um wieder stehen zu bleiben. Durch das Fenster sehe ich Soldaten, die den Zug umstellen. Ein Hauch von Kalter Krieg weht durch den Wagen. Die grimmig dreinblickenden Soldaten haben es ja auch streng, spotte ich, denn hier fährt gerade mal ein Zug pro Tag durch und selbst der besteht aus nur zwei Wagen. Nach einer geraumen Zeit setzt das Züglein seine Reise fort. Beim nächsten Halt steigt der Zoll zu und sammelt die Pässe ein. Hunde schnüffeln durch die Gänge. Ich bin in Russland, dem Land ohne Lächeln.

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Mein Reiseführer schreibt, dass Kaliningrad eine nette Stadt sei, bewohnt von freundlichen Bewohnern. Dies gilt vorallem für eine Richtung. Wer aus Polen nach Kaliningrad einreist, der vermisst die netten Polen, doch sobald man Kaliningrad Richtung Russland verlässt, wird man die Kaliningrader Freundlichkeit missen. Und eines fällt schnell auf: Gelächelt wird nicht! Hier bleibt man grimmig! Als ich den Bahnsteig verlasse und in der Haupthalle Geld wechseln will - wie immer sind in Russland die Bahnhöfe vorzüglich organisiert – lerne ich eine weitere unangenehme Eigenschaft der Russen kennen. Die Frau, die vor mir am Schalter steht, hat es überhaupt nicht eilig, ihr Portemonnaie zu versorgen. Geduldig warte ich, bis sie den Schalter freigibt. Ein Fehler, wie ich feststelle. Denn eine Frau hinter mir hat dafür gar kein Verständnis. Schnurstracks überholt sie mich, drückt die Frau am Schalter zur Seite, was diese überhaupt nicht stört, und lässt sich bedienen. Schnell lerne ich, dass wer hier die westliche Höflichkeit walten lässt, nur dann vorwärts kommt, wenn niemand anders ansteht.

KaliningradIch verlasse das Bahnhofsgebäude und versuche mich zu orientieren. Vor mir reckt Lenin auf seinem Sockel die Hand in die Höhe, kurz darauf entdecke ich noch ein zweites Lenin-Denkmal. Der erste Blick auf Kaliningrad ist nicht gerade erwärmend: Plattenbau-siedlungen in ihrer hässlichsten Form. Einst soll diese Stadt so schön wie Danzig gewesen sein, doch was an Schönem nicht der 2. Weltkrieg zerstört hatte, wurde von den Sowjets erlegt. Und dann scheint man sich dem Versuch gewidmet zu haben, die hässlichste Stadt der Welt zu bauen. Und dies ist ihnen nicht schlecht gelungen. Allerdings erinnert sich Kaliningrad wieder an ihre alte Schönheit. Die Stadt ist wunderschön gelegen, verschiedene Flussarme bilden eine Insel; die Kant-Insel. Die Kathedrale wurde mittlerweile wieder aufgebaut und man hat hochfliegende Pläne. Schritt um Schritt soll Kaliningrad wieder das alte Königsberg werden. Eine neu errichtete Häuserzeile erinnert bereits an alte Zeiten. Wie trostlos muss diese Stadt zu Sowjetzeiten gewesen sein.

Man braucht Zeit, um Kaliningrad lieb zu bekommen und seinem Charme zu erkennen. Denn abseits dieser grässlichen Plattenbaumonster gibt es liebevolle Ecken. Die Stadt ist keineswegs so trostlos, wie ich ihm ersten Moment geglaubt habe. Sie lebt und vibriert. Zahlreiche Cafes und Kneipen sind zu jeder Tageszeit gut besucht, zahllosen Parkanlagen laden zum verweilen ein. Man merkt, hier herrscht Aufbruchstimmung. Und nicht wenige, vor allem Junge, sprechen Englisch – in Russland eine Seltenheit. An einem Platz sehe ich eine winzig kleine Demonstration. Schweigend stehen etwa 20 Menschen da, die Banner hochhalten. Umstellt von der etwa gleichen Anzahl von Polizisten.

Mir fällt es in der Regel nicht schwer, Leuten ein Lächeln zu entlocken, doch hier in Kaliningrad, wie auch in ganz Russland, sind sie äusserst widerborstig. Manchmal denke ich, dass sie sich lieber die Zähne ausreissen lassen würden, als ihren Mund zu einem Lächeln zu verziehen.

Ich sitze in einem Café und werde einfach nicht bedient. Russland macht es mir wirklich nicht einfach, es zu mögen. Die Kellnerin langweilt sich ein paar Meter neben mir, doch schafft es problemlos, mein Rufen zu ignorieren. Es wird nicht das letzte Mal sein, das mir so etwas in Russland passiert. Dabei schmeckt das Bier hier, das Koningsberger, ausgezeichnet. Noch etwas fällt mir auf. In Russland lohnt es sich, vor dem Restaurantbesuch die Speisekarte zu konsultieren. Man kann hier in guten Restaurants ganz günstig essen. Doch wer nicht aufpasst, kann bei der Rechnung leer schlucken müssen. Auch in Kaliningrad gibt es Kneipen, in denen man mit 50 Euro nicht weit kommt. Wie ich schon in polnischen Teil Ostpreussens festgestellt habe, hat man keine Mühe mit der deutschen Vergangenheit. Im Gegenteil. Man ist stolz darauf und freut ich. Viele sprechen deutsch. Von einer deutsch-polnischen oder deutsch-russischen Feindschaft ist in den ehemaligen preussischen Gebieten nichts zu spüren.

Strand OstseeAuch Zelenograd hat ein Lenindenkmal. Es steht direkt vor dem Kurhaus Krantz aus dem 19. Jahrhundert. Dieser kleine Badeort, früher hiess er Rauschen, lässt sich von Kaliningrad aus bequem mit dem Zug erreichen – sofern man vorher merkt, dass die Regionalzüge nicht nach Moskauer Zeit, sondern nach Kaliningrader Zeit abfahren. Es ist ein gemütlicher Ort, der aufholen will. Ein Grossteil der Küste ist eine Baustelle. Auch hier macht man sich daran, die Sowjetunion hinter sich und den Reiz und die Lieblichkeit der deutschen Vergangenheit aufleben zu lassen. Das Wasser ist ziemlich kühl.

Pünktlich kommt der Karelia aus St. Petersburg in Petrosavodsk an. Viel von der Fahrt habe ich nicht mitbekommen. Endlos lange Güterzüge und Wald, irgendwann bin ich eingenickt. Ich liebe es, in Russland Zug zu reisen. In der Regel verkehren statt Sitzplatzwagen nur Liegewagen und so kann man sich herrlich hinlegen, lesen, aus dem Fenster schauen, etwas essen, herrlich. Immer wieder gibt es längere Halteorte. Hier verkaufen Händler Beeren und Stockfisch. Angeblich werden es immer weniger. Es lohne sich nicht mehr.

Petrosavodsk ist zweisprachig: Finnisch und Russisch und ich frage mich, ob dieses Gebiet früher zu Finnland gehört hat. Die Stadt ist wirkt auf mich wie eine typische Stadt aus der Sowjetunion. Alte, klapprige Busse, herzlose graue Häuser, breite Strassen. Die Uferpromenade wirkt einladend. Daher verbringe ich den Abend am Onegasee. Zahlreiche Skulpturen schmücken den Uferweg. Es ist Freitagabend, aber viel los scheint hier nicht zu sein. Dabei ist es herrlich frisch, aber nicht kühl. Ich entdecke eine Kneipe mit einem Sänger, der Melodien russischer Balladen auf den See hinaus trällert. Ich setze mich dazu. Es hat vielleicht zwanzig, dreissig Leute und auch hier, wie in anderen Kneipen, bedienen asiatisch aussehende Frauen die Gäste. Das eher ältere Publikum lauscht dem Sänger und mich überkommt die Melancholie. Irgendwie wirkt die Musik und die Leere dieser Kneipe trostlos, gleichzeitig hat die Situation etwas faszinierendes, das mich nicht los lässt. Auf dem Onegasee bildet sich ein Regenbogen, die Sonne dringt durch die Wolken und dies um halb zehn Uhr abends. Wehmut kommt auf, das Gefühl wird immer stärker. Das muss wohl mit der russischen Seele gemeint sein. Ein paar Meter weiter hat es eine Disco direkt am See. Es läuft natürlich, wie überall in Russland Discopop. Zwei Frauen und ein Sohn tanzen fröhlich, zwei mürrische junge Männer sitzen noch da. Mehr Gäste hat es nicht. Es wird langsam frisch und ich will noch im Hotelrestaurant etwas essen. Auf dem Weg dahin begegne ich kaum jemandem und ich frage ich mich, wo denn die jungen Leute sind. Freitagabend scheint hier niemand auszugehen. Vielleicht sind ja alle in den Ferien. Oder weggezogen.

PetrosawosdkMein Hotelzimmer ist ziemlich überteuert. Das Severnaya ist ein schönes Hotel, mein Zimmer ziemlich klein und eng. Es ist nicht einfach, sich am Brünneli vorbei auf die Kloschüssel zu zwängen. Vielleicht ist die Hochzeit daran schuld, denn mit Essen wird nichts. Eine Gesellschaft hat das ganze Restaurant gemietet. Am Eingang steht eine riesige Torte, es müssen gut 200-300 Gäste anwesend sein. Die Frauen, wie immer an solchen Anlässen, im Cocktailkleid, die Männer im Pinguin. Vor dem Eingang hat es eine grosse Spiegelwand, und dort stehen die Frauen, zupfen an ihrem Kleidchen und sehen nachher ganz genau gleich aus wie vorher. Es läuft keine klassisch russische Musik, zu der getanzt wird, sondern orientalisch. Mich erinnert die Musik eher den Kaukasus. Die Menschen sehen auch nicht nordisch aus, sondern südländisch, mit dunklen Haaren und dunklen Augen. Wie kamen die in den hohen Norden? Vorne, auf einem Podest, es erinnert ein bisschen an einen Thron, sitzt die schöne Braut und der Bräutigam. Mich erinnert die Szenerie an den Film der Pate, denn laufend gehen Menschen hoch und beglückwünschen das Paar und legen ein Couvert hin. Einmal kommt die Braut noch an die frische Luft. Sie trägt ein eher schlichtes, aber sehr schönes, geschmackvolles Brautkleid. Sie sieht toll aus.

Die Musik ist ohrenbetäubend laut und schallt in die Gänge des Hotels, das sich wie ein Kreuzgang um einen Innenhof windet. Ausserhalb des Restaurants gehen die Russinnen und Russen ihrer Lieblingsbeschäftigung nach: Telefonieren. Je öfter und je lauter, desto besser. Für mich gibt es also nichts mehr zu essen. Ab ins Bett.

Russen haben seltsame Eigenschaften. Wie dieses „Umsitzen“. Heute Morgen am Frühstücksbuffet sah ich es wieder. Man geht ans Buffet, sucht sich dann einen Tisch aus, stellt alles hin, setzt sich, doch dann will man doch an einen anderen Tisch sitzen und schleppt alles an einen anderen Tisch. Man geht in eine Kneipe, setzt sich, diskutiert, setzt sich um und geht dann doch wieder weiter. Paar Minuten später kommt die Gruppe wieder, setzt sich, bestellt, die Kellnerin bringt das Essen und kaum hat sie alles abgestellt, will die Gruppe an einen anderen Tisch sitzen.

EisenbahnRussen machen es einem nicht einfach, sie zu mögen, vorallem wenn man kaum russisch spricht. Man kann hier sehr brüsk abgefertigt werden. Im Service, im Laden, auf der Strasse. Auf mein nettes Lächeln folgt oft ein eisige Reaktion. Die Kassierin im Supermarkt war doch in ihr Heftchen vertieft und jetzt komme ich und störe sie dabei! Doch sie schafft es, meine Ware zu scannen ohne ein Blick von ihrem Heftlein zu nehmen. Im Geldwechsel ist sie gerade am Telefonieren, da lässt sie sich durch mich nicht stören. Der Kellner mag es gar nicht, wenn man ihm beim Fernsehschauen stört und lässt es michj spüren. Ich sehne mich nach Fröhlichkeit, nach lachenden Menschen.

Dauernd wird gedrängelt und geschubst, vorgezwängelt und gestossen. Im Laden bin ich am bezahlen, als einfach eine Frau ihr Geld hinwirft, sie will zuerst bezahlen. Wer irgendwo ansteht, erlebt auch allerhand Dinge. Man weiss nie genau, wer jetzt ansteht und wer einfach so dasteht. Am Bahnschalter stehen dauernd rechts und links von mir Leute, schauen zu, ab und zu quetschen sie sich an den Schalter und fragen etwas, stehen dann wieder an. Endlich habe ich es geschafft und bin am Schalter, doch dauernd kommen Leute, die mich unterbrechen und auch etwas wollen. Irgendwann reicht es mir und ich beginne mich zu wehren. Endlich werde ich bedient. Heute wurde ich in einem Pub von der garstigen Kellnerin angepfiffen. Keine Ahnung was ich nun wieder verbrochen hab.

> zur turus-Fotostrecke: Impressionen aus Russland

> zum zweiten Bericht: Mit dem Zug nach Murmansk

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  • Bahnreise
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Das ist sooo war. (Außer das keiner Englisch spricht...)
I
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