× Reiseberichte, Erfahrungen für Reisen nach Lateinamerika, insbesondere Brasilien. Karneval in Rio, Regenwald und Amazonas – der grüne Kontinent steht Euch offen, was interessiert Dich am meisten?

Brasilien- und Bolivien-Tagebuch von Flo

15 Mai 2006 14:38 #3939 von ka
Hallo Flo,

an dieser Stelle auch von mir ein Dankeschön für die letzten 6 Tagebuchmonate.
Für mich als Nicht-Südamerikakenner war es ein großer Spass mit viel Freude, Deine fast täglichen Anekdoten und Geschichten zu verfolgen.

Es grüßt
Karsten

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15 Mai 2006 14:47 #3942 von travelnator
Oi Thommy,

Thommy O. schrieb: Zu richtigen Freundschaften, - wenn Du mir das besser definieren kannst; Wenn ich mir anderen Foren anschaue, und die Leute hier in Rio vergleiche, oder die Brasilianer in den Staaten, so denke ich, dass diese Freundschaft anders definieren.


Ich habe keine Ahnung, wie Du jetzt das mit den "Freundschaften" genau meinst. Ich hatte gestern schon gemeint, doch das etwas zu konkretisieren. Meinst Du jetzt ernsthafte Liebesbeziehungen, oder echte Freundschaften mit dem zugehörigen Füreinanderdasein und Zusammenhalten, oder nur Gelegenheitskontakte? Der eine von Euch spricht vom "Rumschmusen und Rumknutschen", der andere vom Flirten mit "leichten Mädchen", und dann schreibt wieder jemand vom "bumm, ich habs geschafft, er ist drin bei ihr" und es wird weitergereist als ob nichts gewesen wäre. :lol: Ich mein, dass man welche aufreissen kann, das ist überall auf der Welt so.

Thommy O. schrieb: Vielleicht kann das nur klar werden, wenn man mit den Leute auch mehr Zeit verbringt, nicht nur via email, sondern auch das day-to-day. Gewiss, es gibt viele Ausnahmen.


Also von den Erfahrungen, von denen ich spreche, da ist alles von A bis Z drin. Es sind nicht nur Emailkontakte oder reine Cyberfreundschaften wie Du vielleicht meinst, sondern die meisten kenne ich auch persönlich und viele davon treffe ich immer wieder. Mal täglich, mal nur ab und zu im Monat, mal wieder nur ein paar Mal im Jahr. Das ist aber egal. Insgesamt sind das etwa 100 Leute. Mehr kann ich gar nicht mehr verkraften und doch fällt es mir immer wieder schwer, "nein" zu neuen Freundschaften zu sagen. Getroffen haben wir uns überall auf der Welt. Mal in Italien, mal in Deutschland, mal in USA oder Kanada oder wie auch immer. Oder eben in Südamerika.

Eine sehr schöne Geschichte, wie das ungefähr einmal angefangen hat: Ich hatte als Junger Briefmarken aus aller Welt gesammelt. Besonders begehrt waren Briefmarken, die ich selbst in einem Brief gekriegt habe und abgestempelt waren. Etwas selbst zu machen, lag mir schon immer, als wie ganz bequem Zeugs zu kaufen. Nebenbei lernt man auch ein wenig über Land und Leute kennen, und zwar "original und unverfälscht" direkt von den Einheimischen. Das fand ich ganz interessant. Australien, Taiwan, Shanghai, N.Y., usw. Doch als ich mit Südamerika den Briefwechsel führte, ist mir das damals vor etwa 20 Jahren selbst aufgefallen. Unglaublich nett, kommunikationsfreudig, Interesse, Lebensfreude, usw. kam da aus den Briefen dabei heraus. Eine ganz andere Mentalität als wie ich es bisher aus Europa kannte. Da ging es bald nicht nur mehr um "allgemeines Land und Leute", sondern man erlebte auch alle Höhen und Tiefen mit durch. Das war das Teilnehmenlassen-am-Leben, als ob es das Normalste auf der Welt war. So eine Art "Familienmitglied", würde ein Europäer sagen. Irgendwann einmal kam das Internet dazu, der nur ein rein technisch anderer Weg der Kommunikation war. So ungefähr hat die meinige Story angefangen. Den Rest der Geschichte kennst Du.

Thommy O. schrieb: Zu dem Puzzle, eine schöne Metafer. Aber vielleicht möchten viele Reisende das nicht so planen, sondern einfach reisen, die Dinge so nehmen wie sie kommen; durchaus legitim.
Florian hatte seinen Spass, seine Erfahrungen, wie ich lesen konnte, aber doch viele Leute kennengelernt, und das meiste so angefasst, wie er das richtig hielt.


Das ist auch kein Problem. Jeder macht es halt so, wie er es selbst für richtig findet. Der eine versäumt die Hälfte der Transsibiria (was ich sehr schade finde), der andere reist 5 Monate durch Südamerika, die man auch mit nur 1 Woche vergleichen kann (was ich ebenfalls sehr schade finde). Vielleicht ist eine Woche übertrieben, aber so an die 2 Wochen kommt das "Intensiv-Südamerika" zumindestens hin. Was ich mit dem Vergleich ausdrücken möchte: Das was Flo in 5 Monaten erlebt hat, erlebe ich in 2 Wochen. Wenn ich aber 5 Monate dort bin, da müsste Flo 10 Jahre reisen. Der Unterschied kommt meiner Meinung nur daher, weil ich aufgrund meiner zahlreichen Kontakte das ganze viel intensiver erlebe und erleben darf. Glück oder Zufall kann man es nicht nennen. Wenn ich mal wieder nach Südamerika reise, die nehmen mich da überall mit als ob ich zur Familie oder zur Clique dazugehöre. Von Gringo keine Spur. Ich missbrauche diese Beziehungen und Freundschaften auch nicht. Wenn sie nach Nordamerika oder nach Italien kommen, mache ich es genauso. Ich nehme auch sie überall mit und sie gehören einfach zu meiner Familie dazu. Ein Europäer würde sagen "Also, Du haste mich 4 Wochen lange betreut, dafür betreue ich Dich auch mit 4 Wochen. Nein, nicht 5 Wochen, sondern nur 4, weil Du hast mich auch nur 4 Wochen....". So eine Grundeinstellung habe ich erst überhaupt gar nicht.

Thommy O. schrieb: Übrigens, ich vage es zu bezweifeln, dass sich Brasilien nicht in den letzten 20 Jahren verändert hat, Rio hat es in den letzten 7 auf jeden Fall. Das höre ich aus den Erzählungen der Leute hier. Aber dazu muss man genau beobachten, die Emotionen der Leute auffangen.


Irgendwie ein spannendes, und doch langweiliges Thema. Natürlich hat sich rein materiell gesehen einiges verändert. Natürlich hat das eine oder andere Haus neue Fenster gekriegt oder ist neu gestrichen worden. Oder es gibt ein anderes Personal dort und man vermisst den guten alten Barkeeper, mit dem man immer geplaudert hatte. Natürlich wirkt diese "europäische Seuche" - wenn ich das so nennen darf - auf das Land ein. Aber im Grossen und Ganzen sind die Menschen gleich geblieben.

Die Leute, die ich in Rio seit 13 Jahren kenne, die sind von S. Goncalo nach Marica, beides ca. 3km von Rio entfernt, umgezogen. Es sind nicht nur die positiven, sondern auch die negativen Seiten, die man miterlebt. Zum Beispiel, dass bei einer Familie - bei dem der Vater sein ganzes Leben lange beim Militär gedient hat, der jetzt seit 2005 in der Rente ist, die Regierung sich jetzt plötzlich auf einmal weigert, ihm die Rente zu bezahlen. Einfach so. Oder dass die Tochter bei einer bekannten Radiostation in Rio arbeitet und die so dermassen schlampig mit den Gehaltszahlungen sind. Entweder extrem unpünktlich oder nicht vollständig. Das ist immer so ein Rumgewurschtel. Aber was solls. So ist das nunmal in Brasilien und so wars auch vor 20 Jahren. Oder dass die Mutter als Kind in den Slums von Rio geboren und aufgewachsen ist und diese Gegend wie ihre Westentasche kennt. Solche Stories sind echt und nicht aus irgendwelchen Gründen der Bauernfängerei aufgemalt worden.

Übrigens gibt es auch in Sao Paulo und in Sao Jose do Rio Preto ganz schlimme Slum-Gettos. 20 Euro-Cent für einen ganzen Tag Plastiktütensammeln usw.. Das ist nicht nur in Rio so. Ich kenne auch Gegenden in Berlin und München, wo man sagen kann, dass die Slums in Rio da ja noch sauberer sind. Vor allem in Berlin und in Paris, was man dort an Dreck sieht, der Hammer. In Berlin z.B., da werfen sie den Müll einfach aus dem Fenster raus und unten warten schon die Ratten. Egal ob Restessen, Couch, defekte Fernseher oder Waschmaschinen, die in Berlin schmeissen das einfach aus dem Fenster raus und lassen das noch unten liegen. Die Hauptstadt Deutschlands! :lol: Zürich hat auch so ihre Schattenseiten, wie zum Beispiel die Gegend am Bahnhof. Vor allem wenn dort mal wieder so eine Techno-Party in Zürich stattfindet, was da dort konsumiert wird, da können die Slums von Rio gar nicht mehr mithalten. Zurüch, schnüffeln und spritzen auf offener Strasse und die Schweizer Polizei schaut einfach zu - wie in Thailand.

Ich glaube, es wäre eine gute Sache, dass wenn man eine Weltklasse-Studie über Rio schreiben will, dann auch - trotz aller Gefahren und Risiken - mindestens 1 Jahr ununterbrochen in den Slums von Rio gelebt zu haben. Das Ganze dann auch noch mit 2 Monate brasilianisches Gefängnis abwürzen. Die Leute aus Marica wissen, was ich schon alles durchgemacht habe, aber selbst die raten mich davon ab, so etwas über einen längeren Zeitraum mit den Slums und Gefängnissen einmal auszuprobieren. Dort geht es zu wie im Film "Die Klapperschlange" ("The Snake") von John Carpenter. Bei Überfällen sagen viele erst gar nicht mehr "Hände hoch, Geld her", sondern knallen Dich einfach ab bis das Magazin leer ist. Und oft lohnen sich Überfälle gar nicht, da die Munition teurer als wie die Beute ist. Das ist dort nur "Berufsrisiko" in den Slums und es wird halt darüber gegackert. Und was es wegen der Gesundheit betrifft, es stinkt dort in Rio den ganzen Tag nach Scheisse, das sich mit Kotze vermischt hat und zwischendurch gibt es ein kleines neues Lüftlein namens "Verwesungsgeruch". Mittendrin die Tagesmahlzeit von Nudeln-von-gestern mit selbstgemachtem Ketchup, sofern man das überhaupt noch Ketchup nennen kann. Mit der Zeit wird man immun und man nimmt den Gestank gar nicht mehr zur Kenntnis. Und das Essen schmeckt. Das ist Rio heute im Jahre 2006. Das war Rio auch vor 20 Jahren.

Das Schlimme in den Slums von Rio sind die Kinder, die einen da anschauen. Sie lächeln und sind glücklich. Sie strahlen Dich an, als ob das alles so furchtbar normal ist. Ein 8jähriges Mädchen, das ihre zwei Brüder im Alter von 3 und 5 selbst in den Slums von Rio grosszieht, weil der Vater von der Polizei erschossen worden ist und die Mutter sich totgesoffen hat. Man könnte jetzt dort hinfahren, und diese 3 Kinder aus den Slums herausholen und sie in ein neues Zuhause inklusive Schule bringen bzw. "retten". Das kostet für diese 3 Kinder etwa 50 USD pro Monat alles inklusive. Sie aber von den Slums "freizukaufen", da will die Getto-Mafia zwischen 4.000 und 10.000 USD haben und sie behauptet, sie müsse etwa die Hälfte an bestimmte brasilianische Polizisten bezahlen, die dann beide Augen für diesen "Freikauf-Deal" zudrücken. Da müsste mal ein Haufen Bulldozer über die Slums von Rio fahren und den ganzen Mist aussortieren. Nicht nur das Materielle, sondern auch die Leute. Links die Kriminellen hinstellen und denen eine Chance geben. Rechts die hinstellen, die noch einigermassen anständig geblieben sind. Alles komplett ausmisten. Natürlich dort sofort Wohnungen für die Leute hinstellen und so auf diesem Wege Oberhand über diese Kriminalität gewinnen. Aber es tut keiner etwas dagegen. Man nimmt es einfach nur zur Kenntnis. Das nenne ich doch mal eine tolle Studie.

Deutschland ist da keinen Deut besser. Dort macht man eine Wahlkampagne und verspricht, dass die Steuern nicht erhöht werden. Dann werden diese Politiker in den Bundestag gewählt und es ist ihnen für diese paar Jahre Bundestag plötzlich die lebenslange Rente von etwa 6.000,- Euro/Monat sicher. Nur für ein paar Jahre Bundestag. Nach der Wahl erhöhen sie dann plötzlich doch noch die Steuer von 16% auf 19%. Sie haben also unter Vorspiegelung falscher Tatsachen, also einer Lüge, sich in den Bundestag wählen lassen. Das bedeutet doch eigentlich folgendes: Auf Basis einer Lüge sich mit einer guten Rente finanziell zu bereichern. Im Strafrecht würde man so etwas Betrug nennen. Ich kann auch nicht daherkommen und sagen, ich senke die Steuern auf 12% wieder runter, Ihr wählt mich in den Bundestag, ich kassiere dafür eine wunderschöne lebenslange Rente und nach der Wahl tue ich mein Wahlversprechen mit den Steuersenkungen gar nicht einhalten. Es insgeheim nur darum, mich in den Bundestag reinzuwählen. Tolle Verarschung und so. Und doch tut kein Deutscher etwas gegen solche korrupte Zustände dagegen und stellt z.B. keinen Strafantrag gegen etwa 75% der Bundestagsabgeordneten. Und anscheinend ist man so korrupt, indem man die Gesetze bezüglicher Bundestagsabgeordneter so formt, dass sie mit solchen Wahlkampagnen-Lügen auch noch Straffreiheit geniessen. Ich meine, dass diese Masche korrupt ist. Sauber ist sie jedenfalls nicht.

Kriminalität in Brasilien. Kriminalität in Deutschland. Korrupt hier, korrupt dort. Bei den Slums wird nicht ausgemistet und in Deutschland schluckt man den Mist genauso herunter. Es ist aber ein blanker Hohn, hier mit dem Finger auf Brasilien und den Slum-Problemen und der organisierten Kriminalität hinzuzeigen, vor der eigenen Haustüre aber nicht selbst zu kehren und schöne heile Europawelt zu spielen. Auch wenn die Bildzeitung mich oft mit deren Übertreibungen amüsiert und weil ich es gerade bei der Bildzeitung gelesen habe: Dort stand am Samstag "Grösste Steuererhöhungen aller Zeiten und der Finanzminister lacht". Recht hat sie. Aber es wird sich nichts ändern, weil das einfach "typisch deutsch" ist und man sich zu schade ist. Und in Brasilien wird sich ebenfalls nichts ändern, weil man "typisch brasilianisch" nichts ändern kann, weil lediglich nur die finanziellen Mitteln fehlen. Wenn ich jemanden eine solche krasse Veränderung zutraue, dann eher Brasilien.

Um grande abraco,
TM

Liberdade, essa palavra que o sonho humano alimenta que não há ninguém que explique e ninguém que não entenda.

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16 Mai 2006 02:41 #3954 von flo

travelnator schrieb: Vielleicht ist eine Woche übertrieben, aber so an die 2 Wochen kommt das "Intensiv-Südamerika" zumindestens hin. Was ich mit dem Vergleich ausdrücken möchte: Das was Flo in 5 Monaten erlebt hat, erlebe ich in 2 Wochen. Wenn ich aber 5 Monate dort bin, da müsste Flo 10 Jahre reisen.


Sorry, aber da vergleichst Du tasächlich Äpfel mit Birnen. Leute besuchen ist nicht dasselbe wie die erstmalige Besichtigung eines Landes / Kontinents.

Eine Woche brauchst Du als Neuling nur schon, um mit dem Kulturschock zurechtzukommen. Dann die Sprache etc.

Zugegeben, ich hätt mir ein paar Wochen schenken können. Doch Deinen Vergleich find ich ziemlich undiplomatisch, arrogant und beleidigend.

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16 Mai 2006 10:52 #3956 von kalleman
Das ist ja schon fast ein Frevel! :lol: Zu behaupten, einen Teil der Reise hätte man sich schenken können, sei nicht intensiv! Sollen wir etwa auch noch effizient reisen? Ich hab das ja im neuen Thread angesprochen.

Aber TN, jetzt mal ehrlich, das ist doch völliger Quatsch. Du machst es dir sehr einfach. Wieso soll eine Reise nur intensiv sein, wenn man Leute kennt und bei denen lebt? Warum soll ein langer Aufenthalt intensiver sein als ein kurzer? Der könnte ja auch 'sinnlos lang' sein! Ist nicht das Unterwegssein eine ständige Begegnung mit den Facetten einer Gesellschaft? Ich kontere und sage, dass du eben genau dann (in einer Familie) 'nichts' erlebst! Weil du gefangen bist, gefangen in einem Raum und in einer Projektion. Du erlebst genau einen Raum, eine Familie, ein bisschen das Umland, aber was repräsentieren die? Du lernst nur ihre Sichtweise kennen und sie zeigen dir nur das, was sie sehenswert finden!

Und was zum Geier soll an einem Teil der Reise sinnlos sein? Nur weil man nicht immer das sieht, was man sehen will? Und nur weil man mal niemanden kennenlernt soll das nicht intensives Reisen sein? Ich entgegne, dass es viel intensiver ist! Es ist viel intensiver, alles selbst in die Hand nehmen zu müssen und keine Familie die dir dauernd hilft. Immer wieder an einem neuen Ort neu anfangen zu müssen! Du hast viel intensivere Momente: Glück, Einsamkeit, Lachen und Frust. Und da musst du durch! Niemand hilft dir! Ich versichere dir, ich habe Dinge gesehen (auch sehr schlimme Dinge, aber das gehört halt auch zu einer Gesellschaft), die du Nie gesehen hättest, wenn du dich in die Obhut einer Familie begeben hättest.
Klar, einige sagen, dass will ich auch nicht sehen und ich bin auch nicht stolz drauf, solche Dinge gesehen zu haben, aber das GEHOERT zum Land. Ich will das ganze Land sehen und nicht nur die Sonnenseite! Nur so kann man versuchen die Welt und ihre Probleme zu verstehen!
Keine Sekunde des Reisens ist vergebens! Im Gegenteil! Nur so siehst du verschiedene Projektionen eines Landes, nur ausserhalb des Schutzes durch eine Familie kannst du ein Land erleben.

Klar, ein Aufenthalt in einer Familie gibt dir einen einmaligen Einblick. Aber interessant sind auch die Leute, die du auf der Reise triffst, wenn du unterwegs bist: Händler, Kaufleute, Wirtschaftsflüchtlinge, Familien etc.

Um es fest zu machen: Reisen ist immer intensiv! An Emotionen, an Erlebtem. und vorallem jeder reist anders, nimmt Dinge anders war. Es gibt halt auf Reisen nicht nur Sonnenseiten. Deshalb bist du kein Pauschaltourist sondern ein individueller Reisender: Du nimmst es in Kauf und deshalb ist es eine Reise ins Nichts! Du nimmst in Kauf, dass es unter Umständen nicht die Reise wird, die du dir vorgestellt hast! Aber das gehört dazu! Wer garantiert dir denn, dass du bei deinen Freunden eine gute Zeit hast? Das ihr zusammenpasst? Was wäre, wenn ich behaupte, dass, wenn du 2 Monate an einem Ort bist, nicht 1,5 monate hättest streichen können, weil du dann absolut nichts mehr erlebst und nur noch rumhängst?

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17 Mai 2006 11:46 #3980 von Marco

travelnator schrieb: Oi Thommy,

Thommy O. schrieb: jetzt muss ich mal etwas relativieren. Ich gebe zu, dass es schwer ist, hier Kontakte zu finden.


Dann bist Du wohl zur falschen Zeit am falschen Ort. Das geht normalerweise ruckizucki in Brasilien. Kennenlernen, ins Gespräch kommen, etc., da sind sie völlig unkompliziert und sehr offen. Der Otto-Normaleuropäer ist das gar nicht gewohnt und lebt in einem Land der Gefühlskälte, Kaltschnäuzigkeit und Egoismus. Ob aber dann mit einer Brasilianerin etwas daraus wird, das ist eine andere Frage und auch von den jeweiligen innerbrasilianischen Staaten sehr stark abhängig.

Im Norden Brasilien beispielsweise, wenn da eine Brasilianerin nur mit einem Europäer redet, danach erzählt sie das all ihren Freundinnen und brüstet sich damit. "Ich kenn einen Europääääääääer, hehehe". Das ist ungefähr so, als wie wenn Du als Europäer eine weibliche Ausserirdische getroffen hast und erzählst dann daheim Deinem Spezl "Mensch, weisst mit wem ich heute geflirtet hab? Mit ner Tussi vom Planet Mars". Das ist praktisch eine Sensation.

Und wenn sie aus dem Norden Brasilien auch noch daherkommt, ihr neuer Freund ist ein Europäer, dann ist sie die Queen in ihrer Kneipe oder Clique. Die brüsten sich damit und wachen da gleich um 2cm. Einfach nur durch solche Erzählstories. Am schlimmsten wird es dann auch noch, wenn er - der Europäer - dann mit dieser brasilianischen Freundin auch noch ausgerechnet in ihrer Stammkneipe auftaucht. Das weckt dann den Jagdinstinkt anderer anwesender brasilianischer Frauen, die halt auch gerne mal mit so nem Europäer möchten... am besten, den gleich der anderen wegzuschnappen.

Ob aber daraus wirklich eine echte und ernstgemeinte Freundschaft entsteht, das ist eine ganz andere Frage. Es ist anfangs einfach nur diese eine Sache mit "Ich gehöre auch zu dem Kreis, die einen Europäer kennt" oder sogar "Ich gehöre auch zu dem Kreis diejeniger Brasilianerinnen, die mal mit einem Europäer im Bett waren".

Um grande abraco,
TM


Da kann ich allerdings nur zustimmen.
Meine damalige Situation war damals zwar eine ganz andere, da ich nicht allein sondern mit einer Frau durch Brasilien gereist bin, doch diesen Stolz der Brasilianer, wenn sie mit dir ins Gespräch kamen, konnte ich auch erkennen.
Und da war es ganz gleich, ob es eine Frau oder ein Mann war. Beide benahmen sich ähnlich. Besonders in der Amazonas-Region waren sie mächtig stolz darauf, wenn du ihnen "Zeit und Aufmerksamkeit" gewidmet hast.
Sie waren glücklich, wenn du sie als Europäer ernst genommen und dich mit ihnen nett unterhalten hast. Für manch einen Amazonas-Bewohner war man als Deutscher in der Tat fast ein Außerirdischer, der irgendwo hinter dem großen Ozean heimisch war...
Wie glücklich und stolz waren sie auf den Schiffen, wenn du mit ihnen Karten gespielt, mit ihnen geschäkert und gelacht hast. Das machte die Runde.
Ich erinnere mich an einen Jungen im Urwalddorf Anori. Er lud uns zu einem Fest ein, und er konnte es kaum glauben, dass wir mit ihme dort hin gingen. Mit ihm, den kleinen Bengel. Seine Brust schwoll an, als er uns durch das Festzelt führte und alle anderen neugierig schauten.
Und eigentlich waren Kathrin und ich diejenigen die verdammt froh waren, überhaupt Einheimische kennengelernt zu haben...
Somit ergänzte sich das in Amazonien prima und prächtig. Nirgendwo in Brasilien hatte es mir menschlich betrachtet so gut gefallen wir in der Amazonasregion.
*seufz*

Ate logo, Marco :D

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17 Mai 2006 16:41 #3990 von travelnator
Oi Marco,

Ich muss ehrlich sagen, mir selbst ist das auch schon mal passiert. Da gabs einmal - ich glaub, 1993 oder 1994 war das - zwei Amerikaner, die sich damals in München mit der U-Bahn verfahren haben und anschliessend haben die sich auch noch zu Fuss verlaufen. :lol: Die sprachen mich auf offener Strasse an und kannten sich nicht mehr aus. Nebenbei fragten sie auch, was man denn so alles in München und Bayern anschauen kann, weil sie eigentlich nur 3 Tage für ganz Bayern einplanen konnten (jajaja, so sind die "Reisen ins Nichts vs. Effektiv reisen". kkk).

Jedenfalls, der Talk in englisch ging über eine Stunde. Und irgendwie hat das auch gar nicht mehr aufhören wollen. Über Gott und die Welt gequatscht. Alles mögliche und doch immer auf der gleichen Wellenlänge. Das war wirklich ganz nett. Wir sind dann noch nach Schwabing gefahren und - Mann, 3 Tage ist ja viel zu wenig für Bayern - da habe ich unter anderem vorgeschlagen, doch einfach Nymphenburg und Neuschwanstein anzuschauen. Ich habe noch versucht, denen zu erklären, wie man denn da ohne Auto am besten hinkommt. Kompliziert, kompliziert. Und plötzlich habe ich denen meine Idee vorgeschlagen, dass ich mir einen Leihwagen ausleihe und dann schauen wir uns das halt gemeinsam an. Neuschwanstein und Nymphenburg, da war auch ich schon sehr lange nicht mehr. Na klar, warum nicht? Und weisst Du was, was die gesagt haben? Sie waren damit einverstanden und über meine Idee begeistert. Und so haben wir das halt einfach auch so gemacht und sind halt so einen Tag lange rumgekurvt. Da gabs noch ein (typisch deutsches) Mädchen in München, die hat nur gesagt, ich spinne, weil ich sowas mit wildfremden Leuten mache. Nun, Nymphenburg, Neuschwanstein, Bad Tölz Sommerrodelbahn, Garmisch, Zugspitze, Chiemsee, München, Mittagessen auf einem bayrischen Bauernhof, Abendessen in Amerang, und noch so paar andere Sachen. Alles an einem Tag. Ich glaube, wenn die das alles alleine gemacht hätten, die hätten wohl 1-2 Wochen gebraucht.

Und wo ich da mit dem Auto gefahren bin, da hatte ich das ähnliche Gefühl wie es Marco hier gerade mit dem brasilianischen Bengel erzählt hat: Irgendwie stolz darauf, da fremden Touristen hier "sein Land" präsentieren zu können und die gehen auch noch mit. Irgendwie ein sehr eigenartiges Gefühl, muss man schon sagen. Und andererseits doch Enttäuschung. Obwohl wir zum Schluss Namen und Postanschriften ausgetauscht haben, haben sich diese beiden Amerikaner nie wieder bei mir gemeldet. Ich hab noch zwei Weihnachtskarten geschickt, aber es dann irgendwie gelassen. Das war irgendwie auch eine neue Erfahrung. Heute denke ich mir einfach: Ich lasse dieses Erlebnis einfach so stehen, wie es ist. Manchmal ist es vielleicht auch besser so, wenn man sich nicht so gut kennt.

Es gab bei mir aber auch noch ein anderes Erlebnis. Da wars genau umgekehrt. Da gabs mal eine italienische Familie aus Sizilien, die hatte irgendwo auf der Landstrasse zwischen Starnberg und München eine Autopanne. Natürlich ein Fiat. :lol: Der Auspuff abgebrochen und dann auch noch den Reifen aufgeschlitzt. Die waren völlig verzweifelt. Werkstätten hatten an diesem verlängerten Wochenende wegen einem Feiertag zu. Keine Chance. Die wären für Tage festgesessen gewesen, alleine schon wegen der Ersatzteile. Geld hatten sie auch kaum noch. Gereicht hat es denen höchstens für ein wenig Mahlzeit und Trinken und Benzin für die lange Heimreise zurück nach Sizilien. Ich bin damals zufällig vorbeigekommen. Erst mal bis vor meiner Haustüre abgeschleppt, dann im Hochhaus wo ich damals noch wohnte von 6 verschiedenen Nachbarn mir jeweils Verlängerungskabel ausgeliehen, damit ich irgendwie mein Schweissgerät vom Keller da mit Strom versorgen kann. Mein Gott, die ganze italienische Familie hat vor Glück geweint, als das Auto wieder ging. Die wollten mir ihr ganzes Geld geben, was ich natürlich nicht angenommen habe. Oder "wenigstens" eine der Töchter heiraten. :lol: Und ich hab noch scherzhafterweise gesagt, jetzt schaust, dass heimkommst, sonst macht sich die Mafia ja noch Sorgen. :lol: Plötzlich kam danach jedes Jahr zu Weihnachten und zum Geburtstag eine Postkarte. Jedes Jahr, pünktlich auf den Tag genau kam sie an. Und jedes Jahr stand deren Postanschrift nicht auf der Postkarte drauf und ich wusste sie nicht. Ich konnte nicht zurückschreiben und mich zurückfreuen. Das ging über viele Jahre so. Selbst auch noch, als ich umgezogen bin, da ging das ganz normal weiter. Die wusssten auch die neue Postanschrift, aber ich habe nie ihre Postanschrift aus Sizilien erfahren. Irgendwie müssen die dauernd gedacht haben, dass ich ihre Postanschrift hätte. Ja, woher denn? Oh, wie gemein. Naja, irgendwann wars da dann mal Schluss mit Deutschland und so haben dann leider auch diese netten Überraschungen mit den Postkarten aufgehört.


Irgendwie tut mir jetzt der brasilianische Bengel vom Marco leid. Ich glaube, es wäre vielleicht eine wunderbare Idee, diesem Bengel ja doch eine einfache Postkarte zu schicken und einfach nochmals danke zu sagen und dass Ihr Euch noch an ihn erinnern könnt. Vielleicht auch noch ein Foto dazu. Ich glaube, der Bengel wird das ganz gross einrahmen. Vielleicht Euch sogar als seine neuen Nebengötter verehren. Das würde irgendwie zum Amazonas passen. :-) )

Um grande abraco,
TM

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17 Mai 2006 17:16 #3992 von Thommy O.
Thommy O. antwortete auf Ãœberzeugte Gringos
Ich glaube, jeder hat seine Art zu reisen. Man kann über bestimmte diskutieren, aber TN Bewertung ist etwas polarisierend und nicht ganz PC.

So ist wohl auch der Begriff Freundschaft anders definiert. Ich habe wohl nur eine handvoll richtige Freunde, kenne wohl auch hunderte bei denen ich penne könnte, ein Bier trinken könnte. Aber wenn ich ein Problem habe, dass melde ich mich nur bei den Handvoll.

In Rio lerne ich jeden Tag neue Leute kennen, trinkst vielleicht ein Bier, spielst Fussball, aber das geht halt, und das bemängel ich halt, nie so richtig tief.
Aber ich lese, andere das anderes Erleben: Richtig, jeder machte seine eigene Erfahrungen und vor allen Dingen, bewertet Dinge anders!

Hier aber der neue Thread:
click

PS: Zu nichts geändert:
Sorry, wie ich schon sagte, es tut sich viel. Die Carioca sind einer viel hoheren Gewalt ausgesetzt, die das Leben so mitbestimmt. Vor 20 Jahren hat die Diktatur aufgehört...

Das ist vielleicht die Gefahr, in einer Familie zu leben, denn diese wird Dir nur die guten Dinge zeigen und versuchen zu relativieren!
Alleine reisend siehst Du die Dinge wohl auch aus einem anderen Blickwinkel!

Gruss
Thomas

In Rio @ <a class="postlink" href="www.thommyo.com/RioBlog/">www.thommyo.com/RioBlog/

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