Back to the roots beim Hamburger Pokalkrimi TSV Sasel vs. Altona 93

Ähm ja, wer blökt da so penetrant in die Kamera hinein? Beim Sichten der Videoaufnahmen aus Sasel wirkte es so, als wäre die Zeit um locker zehn Jahre zurückgespult. Wie eine eigene Zeitreise. Zurück in die Zeit, als der Fußball in aller Regelmäßigkeit nur von den Rängen aus verfolgt wurde. Stehkurven statt Innenraum. Als 2005 die erste digitale Kamera mit Film-Funktion erworben wurde, konnte es losgehen. Damals juckte es auch niemanden, ob man im Block filmte oder nicht. Auch nicht bei Pyro-Aktionen und irgendwelchen Laufereien. Nur blöd, dass die eigene Stimme allzu oft die schmucken Video-Aufnahmen versaute. Mit Leib und Seele dabei. „Jawoll!“, „Auf die Fresse!“, „Jaaaa, geil, jetzt geht´s aber los!“, „Toooor! Haaaaammer! Weiter!“, „Los jetzt hier!“ Welche Stimme war später am lautesten zu hören? Die eigene! Kein Wunder, wenn die Kamera nur Zentimeter entfernt in die Luft gehalten wird. Logisch, später wusste man, dass man verdammt noch mal den Schnabel zu halten hat, wenn das rote Knöpfchen gedrückt wird. Die letzte Jahre kam es mir sowieso nicht mehr in den Sinn, in voller Wallung irgendein „Jawoll!“ oder „Auf die Fresse!“ reinzublöken. Man ist älter geworden. Und aus der Leidenschaft wurde bekanntlich auch ein Job. Umso schöner ist es, wenn man das Korsett kurzzeitig wieder ablegt und einfach nur Fußballfan ist. Zuschauer, der mit guten Freunden auf den Rängen steht, das Bier genießt und einer Mannschaft die Daumen drückt. Wenn gleich in diesem Fall nicht als Fan, sondern einfach aus der Sympathie heraus. Und der guten Freunde wegen, die häufig zum Altonaer Fussball-Club gehen.

Kommste vorbei! Altona 93 spielt in Sasel! Hamburger Pokal. Das letzte Spiel vor der Winterpause. „Cordi“ hatte am Freitagabend bereits mit einem 4:1 bei Victoria vorgelegt. Apropos Stadion Hoheluft. In bitterer Erinnerung haben die Altona-Fans das letzte Finale in genau jenem Stadion. Mit 1:0 hatte Altona 93 gegen den FC Eintracht Norderstedt bis zur 88. Minute. Dann konnte Norderstedt noch ausgleichen, in der Verlängerung wurde schließlich auf 4:1 erhöht. Ein bitterer Tag für Altona 93, genauso bitter wie der denkbar knapp verpasste Aufstieg in die Regionalliga Nord. In diesem Jahr soll alles besser werden. Nun aber erst einmal: Alle nach Sasel! Also hinein in den IRE nach Hamburg und ein Buch gelesen. Drei Stunden später wurde die Hansestadt erreicht, und es überrascht immer wieder, wie krass die Unterschiede beim Nahverkehr zwischen Hamburg und Berlin sind. Kaum zu glauben. Ein Land, zwei Großstädte, ein immenser Unterschied. Was für Tiefenentspannung in Hamburg. Also im Vergleich zu Berlin. Das wissen auch all die Fußballfans zu schätzen, die als Auswärtstour Hamburg als Ziel haben. Am Besten gleich das ganze Wochenende verbringen. Fischmarkt inklusive. So fluteten zum Beispiel kürzlich hunderte FCK-Fans den Fischmarkt und abends die Kneipen der Stadt. Wenn es nicht gerade um Ultra gegen Ultra geht, dürfte es meist entspannt bleiben. Dass abends in den Hamburger Kneipen auch durchaus HSV-Fans und Anhänger des FC St. Pauli miteinander ins Gespräch kommen, steht außer Frage. In Hamburg geht es einem im Großen und Ganzen gut (mal vom Tabellenstand der beiden großen Vereine abgesehen) - und das zeigt man durch eine entspannte Herangehensweise.

Sasel

Samstagabend. Warm trinken für Sonntag. Auswerten der Samstag-Ergebnisse. Der Hamburger SV fuhr einen hart umkämpften Sieg gegen den FC Augsburg ein. In der 3. Liga konnte der F.C. Hansa Rostock mit 2:1 in Erfurt gewinnen. Gute Laune bei den Gastgebern in Hamburg. Na dann mal los. „Holsten Edel meets Berliner Luft.“ Läuft. 12 Stunden später. „Heute braucht man keine Regenjacke! Heute soll sogar die Sonne rausschauen!“ Na okay, einer von uns griff dann doch ins Klo. Bei der Anfahrt nach Sasel schüttete es mal kurz aus Kübeln. Hamburger Schietwetter wie es im Buche steht. Und er nur im Pullover. Und dann wurde sogar der S-Bahn-Verkehr nach Poppenbüttel unterbrochen. Ein Baum war auf die Gleise gestürzt. Ersatzverkehr wurde eingerichtet. Mit in der Jackentasche verstecktem „Edel“ ging es in den Bus. Nochmals umsteigen, und schon begrüßte einen der kleine Weihnachtsmarkt von Sasel. Herzallerliebste Menschen so weit das Auge reichte. Einer meinte sogar, dass nachher beim Spiel bis zu 2.000 Zuschauer erwartet werden. Na dann, erst einmal einen Obstbrand an einem Stand. Ich ahnte bereits Böses und ging erst einmal Pipi. Was ich auf der Toilette zu sehen bekam, spottete jeder Beschreibung. Da wurde doch glatt die Oberseite des WC-Spülkastens mit Weihnachtspapier eingepackt. Ein Grund mehr, diese Stadt zu lieben.

Sasel

Keine Hunde! Keine mitgebrachten Getränke! Und um Gottes Willen keine Pyrotechnik! Jegliches Vergehen wird zur Anzeige gebracht. Der TSV Sasel ließ Altona 93 ein paar Infos zu kommen. Also all das, was bei Altona-Heimspielen durchaus geduldet ist, ist bei dieser Pokal-Auswärtssause verboten. Wohin nur mit den Hunden mit genähten Altona-Westen und Getränkehaltern? Draußen anbinden? Und wie läuft das eigentlich sonst auf Hamburger Sportplätzen? Wo sind eigentlich generell Hunde erlaubt bzw. strengstens verboten? Nachdem die Kumpels schon mal ihre Tickets gekauft hatten (6 Euro inkl. 11 Cent als „Sportgroschen“), führte der Weg - wie sollte es auch anders sein - direkt ins Vereinsheim. Und noch ein „wie sollte es auch anders sein“: Entspannung pur. Papa trinkt gepflegt eine Tasse Kaffee, das Bier wird frisch gezapft, Trinkgelder werden an die Bedienung großzügig vergeben, und auf dem Fernseher läuft das Auswärtsspiel des FC St. Pauli. Und schau an, auch die Braun-Weiß-Roten konnten mal wieder einen Dreier einfahren. Lächeln auf einigen Gesichtern.

Sasel

Eine Runde. Zack. Noch eine Runde. Zack. Ich setzte mal aus. Wieso? Ich musste ja noch „arbeiten“. Noch eine Runde. Kräuterlikör. Zack. Bier. Noch eine Runde. „Gibt es auch Eierlikör?“, höre ich neben mir. Oha, Hansa-Fans schlürfen also auch mal was Süßes. Gespräche am Rande. Eine Frau schenkte mir ein Lächeln. Würde einem in Berlin nicht so schnell passieren. Ich schaue noch mal hin. Das Lächeln wurde bestätigt. 15 Uhr. Anpfiff. Unser Altona-Freund nahm schon mal draußen seinen Platz ein. Noch eine Runde. 15:15 Uhr gingen auch wir hinein. Die Gerade (nur diese gibt es) war gut gefüllt. Rechte Hand tummelten sich etliche Altona-Fans. Insgesamt waren es deutlich über 500, die diese Pokal-Partie sehen wollten. Schätzungsweise 300 von ihnen drückten den 93ern die Daumen. Aber ganz klar, auch der TSV Sasel wusste einiges von Jung bis Alt hinter sich. 

Hamburg

Als Presse ging ich hier heute nicht wirklich durch, auch wenn mir am Eingang diesbezüglich Einlass gewährt wurde. Das Notizbuch blieb im Rucksack. Nur die kleine kompakte Kamera nahm ich zur Hand. Ich genoss es in vollen Zügen, mal einfach so ein Fußballspiel zu sehen. Ehe ich mich versah, hielt ich wieder zwei Bierbecher in der Hand. Mein IRE würde 19:30 Uhr nach Berlin zurückfahren. Ein tolles Experiment. Auf dem Rasen entwickelte sich ein hart umkämpftes Match, und am Rande des Geschehens durfte ich feststellen, dass der TSV Sasel nicht wie befürchtet ein „Schnösel-Klub“ ist. Das Gesamtambiente war völlig in Ordnung. Okay, mal ab und an ein paar schräge Blicke, weil unser Hansa-Kumpel und ich etwas lauter wurden, aber grundsätzlich herrschte ein trautes Beisammensein. Die Wurst schmeckte, es wurde dunkel, und plötzlich stand es in der 72. Minute 1:0 für den Landesligisten. Paul Simon Benedikt Neumann-Schirmbeck erzielte den umjubelten Treffer. Nur drei Minuten später konnte jedoch Braima Balde für Altona 93 ausgleichen.

Sasel

Ein Klassenunterschied war nicht zu sehen, es blieb eng, es blieb spannend. Weitere Treffer wollten nicht mehr fallen. Mit 1,8 im Kahn ein Elfmeterschießen zu sehen, hat auch was. Brauche ich nicht öfters, doch als einmaliges Erlebnis ging das völlig in Ordnung. Es war - kaum zu glauben - gar nicht so einfach, den Überblick zu bewahren. Im Dunkeln war es aufgrund der großen Distanz das eine Mal gar nicht so einfach zu erkennen, ob der Ball nun drin war oder nicht. Kein Jubel. Kein Raunen. Gar nix. Ich war nicht der einzige, der etwas blöd aus der Wäsche guckte. Man war jedoch schnell im Bilde. Weiter ging´s. Und dann, Altona-Keeper Tobias Grubba versuchte sich selbst. Auch nach gefühlten 20 Bier fragte ich mich, ob das Not tut. Ist er sich so sicher? Und ei der Daus, sein Gegenüber Tuffour konnte den Schuss abwehren.

Altona 93

Altona war quasi draußen. Allerdings hatte Dario Warlich, der den Sieg auf dem Fuß hatte, seinen Schuss über das Gehäuse gesetzt. Nachdem Max Stolzenburg für Altona 93 traf, konnte Keeper Tobias Grubba seinen Fehler ausbügeln. Bamm! Mit Bravour konnte er den Schuss von Yannik Reinke abwehren. Altona 93 zog mit einem 8:7 in die nächste Runde ein. Grenzenloser Jubel bei den Schwarz-Weiß-Roten. Die Mannschaft feierte mit den Fans das Weiterkommen, und ich ließ zum wiederholten Male die kleine Kamera mitlaufen. Nun ja, nicht sämtliches Material ist brauchbar, ein unterhaltsamer Fußballnachmittag war es in jedem Fall! Vielen Dank an die Hamburger Gastgeber in meinem Umfeld und vor Ort in Sasel!

Fotos: Marco Bertram

> zur turus-Fotostrecke: Altona 93

Artikel wurde veröffentlicht am
13 Dezember 2016
Spielergebnis:
7:8
Zuschauerzahl:
538
Gästefans
300

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Inhalt über Liga
Landespokal

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