Jemen: Tihama schwitzend erleben

RS Updated 06 Januar 2014
Jemen: Tihama schwitzend erleben

Von hier aus eroberte der orthodoxe Islam die zuvor von den Schiiten beherrschte Arabische Halbinsel zurück. Die Rede ist von Zab?d, gelegen in der so genannten Tihama, der westlichen Küstenebene Jemens. Hier gilt: Nomen est omen. Übersetzt heißt die Region nämlich „ungesundes Klima“ und bringt den normalen Westeuropäer arg ins Schwitzen mit Temperaturen von bis zu 50 Grad Celsius im Sommer und einer Luftfeuchte von bis zu 90 Prozent. In Zabid dagegen schwitzten dereinst auch Studenten an der ersten Universität der islamischen Welt.

In ihrer Blütezeit im 9. und dann vor allem vom 12. bis 15. Jahrhundert soll hier die Algebra entscheidend mit entwickelt worden sein. Zahlreiche Moscheen und Koranschulen in der 20.000 Einwohner zählenden Kleinstadt zeugen noch heute von Frömmig- und Gelehrsamkeit. 1993 nahm die UNESCO das historische Viertel, die Medina, in die Liste der Weltkulturerben auf, 2000 dann zeitweise in die rote Liste der gefährdeten Kulturgüter – doch Denkmalschutz und Restaurierung haben hier erfolgreich entgegen gewirkt.

Heute eher zu den kleineren Provinzstädten zählend, liegt Zabid ziemlich genau auf halber Strecke zwischen der von Kreuzfahrtschiffen gern angelaufenen Hafenstadt Al-Hudaida am Roten Meer (von wo aus die Tagesausflüge in die weitaus spektakulärere Hauptstadt Sana’a starten) und dem früher betriebsamen Umschlagplatz für Kaffee, der gut 200 Kilometer südlicher gelegenen Kleinstadt al-Mukh?, auch als Mokka bekannt. Britische Artillerie zerstörte im Ersten Weltkrieg im Kampf gegen die hier stationierten Osmanen einen Großteil der prächtigen Lager- und Kaufmannshäuser. Die einstige handelspolitische Bedeutung lässt sich heute daher kaum noch nachvollziehen. Bleibt als reizvoller Zwischenstopp Zab?d, benannt nach dem südlich gelegenen Wadi Zab?d.

Im 13. bis 15. Jahrhundert noch Hauptstadt Jemens, fällt die Stadt, westlich der Tihama-Schnellstraße gelegen, heute dem Besucher erst mal durch ein geschlossenes Ortsbild auf. Von der Stadtbefestigung sind nur noch das Fort und die vier Stadttore erhalten. Der frühere Verlauf der bis 1962 existenten Stadtmauer der Medina lässt sich gut erkennen – abgesehen von Moscheen liegt kein altes Gebäude außerhalb der ehemaligen Verteidigungsanlage. Sie trennte bis ins 20. Jahrhundert hinein Städter von Landbewohnern und wurde jeweils um 21 Uhr, von Trommelschlägen angekündigt, geschlossen. Heute ist sie teilweise abgetragen, da die Stadt über diese Grenzen hinaus gewachsen ist. Aber vor allem am ehemaligen Fort und bei den zum Teil mit Stuckornamentik versehenen Stadttoren kann man sie noch eindrucksvoll bewundern.

Im Suq von Zabid – man sagt ihm nach, der ursprünglichste des Landes zu sein – scheint die Zeit still zu stehen: Enge, mit löchrigem Wellblech überdachte Gassen, schwarz verräucherte Läden und Werkstätten vermitteln einen Eindruck des vorelektrischen Zeitalters. Nirgends sonst im Jemen gäbe es solche einfache, oft verrußte Lokale, aber auch Teestuben und Bäckereien. Dem Markt von Zab?d scheint die Farbigkeit anderer orientalischer Märkte zu fehlen, es herrscht eine eigentümliche Untergangsstimmung. In seiner Mitte steht die Moschee Jami‘ al Asha’ir mit angegliederten Lehrräumen und Bibliothek, deren Ursprünge ins 7. Jahrhundert zurückgehen – und die später die berühmte Universität beherbergen sollte. Ihre heutige Form erhielt sie im 15. Jahrhundert.

Die Gründung der Universität wird auf Mitte des 10. Jahrhunderts datiert, also noch bevor die  Al Azhar-Universität in Kairo im Jahr 971 ihre Pforten öffnete. Viele Studenten und Lehrer aus fremden Ländern machten Zab?d zu einem führenden islamischen Wissenschaftszentrum, dessen hervorragende Gelehrte in der Folge immer wieder aus Kairo abgeworben wurden. Inwiefern hier die Algebra tatsächlich hier weiterentwickelt wurde, sei dahingestellt – ihre Ursprünge jedenfalls sind erwiesenermaßen wesentlich älter als Zab?d. Auch, wenn dies die erste islamische Universität war.
Moscheen, Koran- und Islamschulen gibt es in Zabid jedoch unzählige mehr, es sollen 85 sein. So etwa auch die mit einer mit Stuckornamentik und Kalligrafien verzierten Fassade geschmückten kleinen Moschee Masjid al-Farhaniye im Westen der Altstadt, unweit des einstigen West-Tors, das Bab al Nachel, Palmentor, genannt wurde.

Diese und viele ebenso kunstvoll verzierte Häuser gilt es bei einem Stadtbummel zu entdecken. Es heißt, nirgends in der gesamten Tih?ma seien die verwendeten Ornamente so zahlreich und prächtig wie hier. Fenster- und Türrahmen, ja ganze Wandflächen sind geometrisch verziert. Kein Wunder, dass die UNESCO die Medina von Zab?d 1993 unter Schutz stellte. Seither dürfen offiziell keine Häuser mehr mit modernen Materialien errichtet werden, nur noch gebrannte Backsteine sind erlaubt.
Es gibt seit 2002 ein von der holländischen Regierung mitfinanziertes Sanierungsprogramm, das jährlich die Restaurierung von bis zu 50 Häusern ermöglichen soll. Ein wichtiges Signal, denn die hierfür ausgezahlten quasi zinslosen Darlehen sollen vor allem großzügig ausgelegten Bauvorgaben und Abrissen historischer Gebäude Einhalt gebieten. Diese führten nämlich im Jahr 2000 dazu, dass die Medina von Zabid auf die rote Liste der gefährdeten UNESCO-Weltkulturerben rutschte. Seit 2006 engagiert sich auch Deutschland vor Ort: Die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) hat ein Abkommen mit der jemenitischen Regierung geschlossen. Das mehrere Millionen Euro schwere Konservierungsprogramm soll bis 2010 laufen und beinhaltet unter anderem die Pflasterung der Altstadtgassen. Zuträglich für die Bewahrung der Medina von Zabid war sicherlich auch das parallel dazu und schon fertiggestellte neue Abwassersystem, das mehrheitlich von der deutschen Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) finanziert wurde. Auch ein kanadisches Archäologen-Team ist vor Ort und betreut Ausgrabungen beim Fort.

Zu den Hochzeiten der Indigo-Färberei wäre ein solches Abwassersystem bestimmt hilfreich gewesen. Zabid war nämlich bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts das Zentrum derselben im Jemen. 50 Werkstätten gab es damals mit Hunderten von Mitarbeitern, heute verdrängt durch die Industrialisierung. Weißer Stoff wurde bis zu viermal in riesige Tongefäße mit Indigofarbe getaucht, jeweils in der Sonne getrocknet und mit schweren hölzernen Stampfern bearbeitet – bis die Tücher ihre typische blauschwarze, glänzende Färbung erhalten hatten...
In Zabid selbst gibt es nur Unterkünfte im traditionellen und einfachen Stil der Tih?ma. Wer westlich geprägten Standard sucht, sollte in den Hotels der 90 Fahrminuten entfernten Hafenstadt Al-Hudaida unterkommen (www.yementourism.com)

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