Willkommen bei den Sch'tis! Olympique Lyon siegt bei Valenciennes mit 2:0

MD Updated

ValenciennesPhilippe Abrams sitzt in seinem Auto und fährt so langsam es geht die Autobahn entlang. Er will nicht in den Norden. Die Bewohner der Region Nord-Pas-de-Calais hält er für zurückgeblieben und kulturlos. Er hat Angst vor dem Aufenthalt unweit der belgischen Grenze, aber er kann sich nicht gegen die ihm auferlegte Strafversetzung wehren. Die Furcht vor der Kälte und dem unverständlichen Gebrabbel der Menschen verleitet ihn noch während der Fahrt zum Weinen. Ähnlich wie der Hauptfigur des französischen Kultfilms „Willkommen bei den Sch'tis“ (Orginaltitel: „Bienvenue chez les Ch'tis“) muss es wohl dem Team von Olympique Lyonnais in den vergangenen Jahren ergangen sein, wenn es nach Valenciennes ging. 

Stade du HaunaitJede Reise in das Sch'ti-Gebiet glich einer Bestrafung. Seit 2008 hatte der ehemalige französische Serienmeister nicht mehr in der Kleinstadt 15 Kilometer vor der Grenze zu Belgien gewinnen können. Dabei war man stets als Favorit in die Duelle gegangen. Der Anfang dieser Serie datiert aus einer Zeit, als die Heimspiele des VAFC noch im Stade Nungesser ausgetragen wurden. Doch auch nach dem Umzug in das 2011 eröffnete Stade du Hainaut (benannt nach der Provinz Hennegau) direkt neben der alten Spielstätte, hatte die Seuche für OL kein Ende. 1:0 gewann Valenciennes das bisher einzige Pflichtspiel der beiden Teams in der von außen schlauchbootartig gestalteten Arena. 

Lyon zu GastDrinnen dominierte am Freitagabend das knallige Rot der Sitze, das vor allem wegen der vielen freien Plätze so stark zu Geltung kam. 14.412 Zuschauer – darunter etwa 300 Lyoner – sahen das Spiel gegen den Tabellenzweiten. Etwa 10.000 mehr wären möglich gewesen. Lyonnais also zu Gast beim Angstgegner; und wenn man genau hinschaute, konnte man beim Warmmachen auch die eine oder andere Träne in den Augen der Spieler aus Lyon sehen. Das lag wohl aber eher an der bissigen Kälte im Stadion, als an der Sorge vor dem, was kommen könnte. Schließlich trennten die beiden Teams vor dem Spiel 12 Punkte in der Tabelle. Während es für OL um den Meistertitel geht, muss der VAFC aufpassen, nicht den Anschluss an das obere Tabellendrittel zu verlieren. 

Doch wie in der Vergangenheit, schienen sich die in rot und weiß gekleideten Hausherren zu Beginn sehr wohl in ihrer Außenseiterrolle zu fühlen. Valenciennes spielte munter drauf los und kam bereits nach wenigen Sekunden gefährlich vor das gegnerische Tor. Nach drei gespielten Minuten hätte dann Vincent Aboubakar sein Team in Führung bringen müssen, scheiterte aber am glänzend parierenden Lyon-Keeper Vercoutre. Auf der Gegenseite zielte kurz darauf Alexandre Lacazette wenige Zentimeter zu hoch. 

ValenciennesDie Anfangsphase hatte es in sich!
Und es sollte noch unterhaltsamer werden. Nach einer Reihe von Fehlern in der Valencienner Hintermannschaft gelang es Mitttelfeldmann Gueïda Fofana ungestört aus 18 Metern das Leder in die Maschen zu befördern – 0:1. Auf einen Schlag ging dem Heimteam nun seine Spritzigkeit abhanden. Viel zu leichtfertig gab die Equipe von Trainer Daniel Sanchez zudem seinen Ballbesitz her. Übertriebene Gastfreundschaft seitens der Sch'tis! Da auch Lyon mit einer hohen Fehlpassquote „glänzte“, stieg der Unterhaltungswert zu Lasten des fußballerischen Niveaus. Hüben wie drüben entstanden in der Folge Torchancen nach mitunter hanebüchenen Patzern.  

Gefährlicher zeigten sich dabei die Gäste. In der 14. Minute vergab Bafé Gomis noch, doch dreizehn Minuten später machte es der französische Nationalspieler besser. Einen der wenigen ansehnlichen Angriffe seiner Mannschaft schloss Gomis – passend zu den Temperaturen – eiskalt ab. Wer nun dachte, die Hausherren würden sich gegen die drohende Niederlage zu wehren versuchen, wurde eines Besseren belehrt. Weder in den verbliebenen 20 Minuten der ersten Halbzeit, noch im zweiten Durchgang konnte der Wille erkannt werden, etwas an dem Ergebnis zu ändern. Die Spieler auf dem Feld waren damit erstaunlicherweise nicht einmal allein.

ValenciennesAuch auf den Rängen wurde die sich abzeichnende Schlappe mit einer Mischung aus Desinteresse und Resignation verfolgt. Lediglich ein kleiner Kern auf der Gegentribüne verschaffte sich hin und wieder Gehör. Die Mitmachquote im Fanblock erreichte jedoch nur dann einen dreistelligen Wert, wenn sich die Supporter selbst feierten. Der Versuch, einen Wechselgesang mit der Hintertor-Tribüne anzustimmen, erstickte dagegen im Keim. Absurd wurde es in der Schlussphase, als die Valenciennes Ultras mehrfach zum fiktiven Torjubel ansetzten. Ob Galgenhumor, ein Insider oder der schlichte Kampf gegen die Kälte der Grund für diese Einlage waren, konnte leider nicht geklärt werden.

Spätestens bei den obligatorischen Fritten und dem einen oder anderen Bier nach dem Spiel stellte sich aber heraus, dass sich die Begeisterung für den Verein in der Stadt in Grenzen hält. Beinahe ungläubig registrierten die Valenciennois, dass die Rot-Weißen auch außerhalb der Stadtgrenzen auf Interesse stoßen. Umso gastfreundlicher zeigten sich die Kleinstadt-Bewohner angesichts einiger Besucher aus dem Ausland. Nicht nur auf dem Platz, auch abseits des Stade du Hainaut verstehen sich die Sch'tis offenbar darauf, Geschenke zu verteilen. 

Und so ging es in der Nacht nach dem Spiel den Beteiligten wie den Helden im eingangs erwähnten Spielfilm. Trotz des verdienten Lyon-Sieges an der Schelde freuten sich die Einheimischen vor allem darüber, mit ihrer Großzügigkeit bei den Gästen gepunktet zu haben. Und auch im südöstlich gelegenen Lyon wird man sich zukünftig freuen, wenn man wieder in den Norden muss. 

Fotos: Matthias Dehmel

> zur turus-Fotostrecke: Fußball in Frankreich

 

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