Garmin ProRace Berlin 2012: Vom Brandenburger Tor zur Siegessäule

AM Updated 05 August 2012
Garmin ProRace Berlin 2012: Vom Brandenburger Tor zur Siegessäule

Es hatte im Vorfeld eine Menge Aufregung gegeben. Start und Ziel konnte nicht wie im vergangenen Jahr am Brandenburger Tor durchgeführt werden. Das um 14 Tage nach hinten verschobene Radsportgroßevent in der Hauptstadt kollidierte mit zwei weiteren Großveranstaltungen auf der Berliner Prachtmeile im Bezirk Mitte-Tiergarten, der Straße des 17. Juni. Das gesamte Areal um das Brandenburger Tor war für die Fußball-Fanmeile und die Fashionweek reserviert, die zur gleichen Zeit dort zu Gast ist. Letztlich wurde aber doch ein sehr versöhnlicher Kompromiss gefunden.

Die Veranstalter des Skoda Velothon - Garmin ProRace Berlin und das Bezirksamt Mitte-Tiergarten einigten sich mit dem Berliner Senat auf das Areal rund um die Siegessäule für den Start- und Zielbereich. Nach anfänglich harscher Kritik gegenüber dem Berliner Senat und dem Bezirksamt, da alle Termine seit längerem bekannt waren, muss man allerdings für die Hausherren doch eine Lanze brechen. Denn sie haben sich bei der Suche nach einem ebenbürtigen Ort für das Radsportspektakel bei dieser Vielzahl an Großveranstaltungen, die zur gleichen Zeit und am gleichen Ort in der Stadt laufen, einen Ruck gegeben und das Radsportfest mit dem Fußballfest zur EM vereint, was allerdings auch ein riesiger Kraftakt für beide Seiten war. So konnte das Feld der Profis pünktlich um 13.00 Uhr am Fuße der „Goldelse“ vor ähnlich beeindruckender Kulisse wie im vergangenen Jahr in Richtung Brandenburger Tor in seiner zweiten Auflage auf die 186 Kilometer lange Strecke geschickt werden.

Gut eine Stunde zuvor war hier der erste Aufgalopp für die 22 Teams, bei dem die einzelnen Fahrer dem Berliner Publikum präsentiert wurden. Der im Gegensatz zum Vorjahr etwas unglücklich gewählte Termin sorgte allerdings dafür, dass nur drei Pro-Teams am Start waren und auch aus dem Pro Continental-Team Argos Shimano waren die beiden Top-Sprinter John Degenkolb und Marcel Kittel, letzterer konnte ja im vergangenen Jahr die Erstauflage für sich entscheiden, nicht am Start, da zeitgleich die beiden wichtigsten Vorbereitungsrundfahrten für die Tour de France, die Tour de Suisse und die Dauphiné Libéré laufen.

Im kommenden Jahr soll das Rennen zwar bei der UCI aufgewertet und in den World Tour Kalender aufgenommen werden, dadurch hätten die 18 Pro Teams eine Antrittsverpflichtung, doch wenn das Rennen 2013 zur gleichen Zeit stattfinden soll, könnten die Top Fahrer auch im kommenden Jahr der Veranstaltung fern bleiben. Das wäre wirklich schade, denn Berlin hat nicht allein durch seine vielen Sehenswürdigkeiten und die einmalige geschichtsträchtige Kulisse ein unglaubliches Potential für ein Profirennen. Nein, auch die Organisatoren der Upsolut Event GmbH machen in Berlin einen hervorragenden Job. Das kommt mit Sicherheit nicht von ungefähr, denn haben sie in Hamburg mit den Cyclassics über 15 Jahre lang eine Menge Erfahrungen sammeln können.

Aus deutscher Sicht war das Fahrerfeld trotzdem ein absoluter Leckerbissen nicht nur für eingefleischte Radsportfans. Allen voran Deutschlands derzeitiger Top-Sprinter André Greipel vom Team Lotto Belosol, Rüdiger Selig, der Neoprofi aus dem russischen Katusha Team, Dominik Klemme und Patrick Gretsch vom Team Argos Shimano sowie der Berliner Timon Seubert vom Team Netapp und der ehemalige T-Mobile-Profi Andreas Klier, jetzt in den Diensten des Garmin Barracuda Teams. Die internationale Konkurrenz wurde angeführt von Kliers Teamkollegen, dem südafrikanischen Top-Sprinter Robert Hunter und dem ebenfalls für das Team Garmin Barracuda fahrenden Niederländer Raymond Kreder.

So bot das Rennen gerade für die kleineren Continentalteams und das extra für diesen Event zusammengestellte Team der Deutschen Nationalmannschaft die Möglichkeit sich gegen die drei ganz großen Teams in Szene zu setzen und vor dem Berliner Publikum zu präsentieren. Diese Chance nutzte der Potsdamer Christoph Pfingsten zusammen mit Marten Klöpping vom Team Raiko Stölting. Bereits nach 18 Kilometern konnten sich die beiden vom Feld absetzen und entscheidend an Vorsprung gewinnen, der zwischenzeitlich auf vier Minuten und fünf Sekunden angewachsen war. Der Cross-Vizeweltmeister 2009 und amtierende Deutsche Crossmeister Pfingsten, der für das Team Deutsche Nationalmannschaft ins Rennen ging, nutzte seine Ortskenntnisse im südlichen Berliner Umland und konnte mit seinem Partner sogar noch zwei Minuten mit auf die erste von acht zu fahrenden Schlussrunden im Berliner Stadtzentrum retten.

Eine Schrecksekunde gab es nach 24 Kilometern, als sich auf der Havelchaussee ein Sturz ereignete, in den zehn Fahrer, unter anderem auch der Rostocker Sprinter André Greipel verwickelt waren. Greipel konnte aber mit den meisten anderen Fahrern wieder problemlos den Anschluss ans Feld schaffen. Für seinen Teamkollegen und einen seiner wichtigsten Anfahrer im Sprinterzug, Jurgen Roelandts, der ebenfalls in diesen Sturz verwickelt war, war das Rennen beendet.
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Das Feld ließ die beiden Ausreißer lange Zeit gewähren und begann auf der Rücktour ins Berliner Stadtzentrum mit der Aufholjagd. Auf der achtmal zu durchfahrenden Schlussrunde gesellten sich weitere sechs Fahrer zu den beiden Ausreißern. Als erste fanden Tom Vermeer vom Team Nutrixxion Abus und Roman van Zandbeek vom Team Argos Shimano in der dritten Runde den Anschluss an das lange führende Spitzenduo.

Eine Runde später gesellten sich Zandbeeks Teamkollege Dominic Klemme, Pieter Jacobs vom belgischen Team Topsport Vlaanderen Mercator, der Österreicher Josef Benetseder vom Team Vorarlberg, der Bahnspezialist Marcel Barth vom Thüringer Energieteam und ein weiterer Crossspezialist, Philipp Walsleben, ebenfalls wie Christoph Pfingsten in der Radcross Hochburg Kleinmachnow groß geworden, dazu. Aber auch die nun achtköpfige Gruppe konnte sich trotz guter Zusammenarbeit nur bis zur Mitte der letzten Runde die hetzend Meute vom Leib halten. Vier Kilometer vor dem Ziel war der Traum für alle Außenseiter vorbei. Das Team Lotto Belisol, Garmin Barracuda, Katusha und Netapp übernahmen das Kommando. Insbesondere das belgische Team um den Sprinter André Greipel leistete hervorragende Arbeit und setzte den Top Favoriten an der 200-m-Marke auf Platz eins ab, von wo ihn auch bis zum Zielstrich keiner mehr verdrängen konnte.

Greipel nutzte das Eintagesrennen als Vorbereitung für die Tour de France, in die er in diesem Jahr mit sehr viel Zuversicht geht. „Wir haben einen der besten Sprinterzüge der Welt und drei der schnellsten Fahrer auf den letzten 1000 Metern. Ich möchte mindestens eine Etappe gewinnen.“ Das grüne Trikot zu erobern, darin sieht der Sprinter allerdings keine Chance, da es andere Fahrer gibt, die wesentlich besser über die Berge kommen als er – so André Greipel im Interview auf der anschließenden Pressekonferenz. Der junge Katusha-Fahrer Rüdiger Selig, der auf dem letzten Kilometer nicht vom Hinterrad des Rostocker Sprinters wich, kam ihm auf der Zielgeraden zwar noch einmal verdammt nahe, jedoch der Punch am Ende vorbeizuziehen fehlte noch. Der Jungprofi in russischen Diensten kann aber mit dem Ergebnis absolut zufrieden sein. Im vergangenen Jahr hatte er das Podium noch knapp verpasst und mit ein paar nützlichen Tipps seines sportlichen Leiters Erik Zabel wird er im nächsten Jahr hier in Berlin, wenn das Rennen zur World Tour gehört, vielleicht gewinnen. Die Strecke in Berlin scheint ihm auf jeden Fall zu liegen und das Potential dafür bringt er auch mit.
Auf Platz drei fährt ebenfalls ein noch sehr junger Fahrer vom Team Garmin Barracuda. Rayray, wie der 22jährige Niederländer Raymond Kreder genannt wird, hat wohl gerade im Berliner Umland das nicht mehr vorhandene Kopfsteinpflaster ein wenig vermisst, denn er gewann 2006 in der Juniorenklasse den legendären Frühjahresklassiker Paris – Roubaix.

Im Anschluss an einen langen Veranstaltungstag mussten sich die Organisatoren aber doch der Frage stellen: „Warum die Jedermänner über die 120-Kilometer-Strecke mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von knapp über 43 km/h fast genau so schnell sind wie die Profis mit einer Renngeschwindigkeit von 44,8 km/h.“ Sportdirektor Erik Zabel meinte dazu, dass es mittlerweile sehr viele Jedermann-Teams in Deutschland gibt, die ebenfalls fast jeden Tag sehr hart trainieren und sehr hoch motiviert in solch ein Rennen wie das Škoda Velothon Berlin gehen. Die stetig steigenden Teilnehmerzahlen bei Jedermannrennen und der Teilnehmerrekord von 14.000 Aktiven in Berlin belegen das. Hinzu kommt, dass der Start aus verschiedenen Blöcken dazu führt, dass das gesamte Feld zwar erst einmal in kleinern Gruppen auf die Strecke geschickt wird, wodurch zumindest in der ersten Rennhälfte eine Beruhigung der Rennsituation stattfindet. Jedoch versuchen die Fahrer aus den hinteren Blöcken auf die weiter vorn fahrenden aufzufahren, was das Rennen enorm schnell macht. Beim Zusammenschluss kommt es dann aber immer wieder zu unübersichtlichen Situationen, bei denen Fahrer, die in der ersten Rennhälfte überzockt haben, auf Gefahrensituationen nicht mehr so schnell reagieren können.

Daraufhin haben die Veranstalter im Jahr der fünften Austragung das Konzept „Safer Cycling“ entwickelt, bei dem sie erstmalig 50 sogenannte „Guides For Safer Cycling“ (verteilt auf vier Guides in jedem Startblock) mit ins Rennen schickten. Diese sollten kritische Rennsituationen entschärfen, Hindernisse und Richtungswechsel rechtzeitig ansagen, aber auch Fahrer im Feld auf eine gefährliche Fahrweise aufmerksam machen.
Das Konzept kam gut an und die Veranstalter registrierten wesentlich weniger Stürze als in den vergangenen Jahren. Auch bei den Guides, die allesamt erfahrene Elitesportler sind und schon eine Vielzahl von Rennen absolviert haben, kam das Konzept gut an. Anfangs etwas skeptisch, ob ihr Einsatz überhaupt etwas nützen würde, war das anschließende Résumé, dass sie für mehr Sicherheit im Feld sorgen konnten.
Fotos: Arne Mill & Jan Mill

> zur turus-Fotostrecke: Skoda Velothon / Garmin ProRace Berlin 2012

turus.net-Video: Garmin ProRace Berlin 2012

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