BDR-Nachwuchs stiehlt bei Straßenrennen-WM den Profis die Show

BM Updated 19 Oktober 2016
BDR-Nachwuchs stiehlt bei Straßenrennen-WM den Profis die Show

Mit fünf Wettbewerben im Straßenrennen endeten die diesjährigen Weltmeisterschaften im Wüstenstaat Katar für die Teilnehmer des Bundes Deutscher Radfahrer (BDR) mit durchaus zufriedenstellender Bilanz, wenngleich auch dieses Mal der so heiß ersehnte Titelgewinn bei den Profis nicht realisiert werden konnte. Hier stellte sich mehr denn je die Frage, ob die Auswahl der nur sechs möglichen Kandidaten die richtige war. Bei drei Topsprintern mit Andre Greipel, Marcel Kittel und John Degenkolb war das Unterfangen eines Titelgewinns eigentlich von vornherein zum Scheitern verurteilt, ein halbwegs vernünftiger Sprinterzug war so kaum aufzuziehen und so besaßen Nationen wie Belgien, Großbritannien oder Frankreich, die sich bei neun Fahrern auf einen starken Sprinter konzentrieren konnten, die weitaus besseren Möglichkeiten. Fahrer wie ein Marcus Burghardt, Christian Knees oder auch Roger Kluge, die auch einmal entstandene Löcher zufahren, hätten den Rennverlauf sicher anders beeinflussen können. Vielleicht war einfach die Erwartungshaltung auf deutscher Seite zu groß, denn im Vorfeld wurde schon mit einem Nachfolger des legendären Profis Rudi Altig gerechnet, der 1966 auf dem Nürburgring als letzter deutscher Weltmeister gefeiert wurde. 

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Insofern ist der erste Platz im Medaillenspiegel nach insgesamt 10 Entscheidungen für das deutsche Team mit zweimal Gold und dreimal Silber durchaus ein starkes Ergebnis, das aber in erster Linie durch die Zeitfahrertitel von Tony Martin und Marco Mathis geprägt ist, der in der Nachwuchsklasse U 23 den Berliner Maximilian Schachmann auf den Silberrang verwies. Für ein gutes Abschneiden in den Straßenwettbewerben sorgte in diesem Jahr ausschließlich der Nachwuchs durch die Silbermedaillen von Pascal Ackermann in der Klasse U 23 und Niklas Märkl bei den Junioren. Dagegen waren die Leistungen der deutschen Fahrer in der Eliteklasse im heißen Doha nur als enttäuschend zu bezeichnen. 

Märkl

Am vergangenen Donnerstag war zunächst die U 23-Klasse mit über 180 Fahrern am Start, die 165,7 km zurückzulegen hatten. Von Beginn an entwickelte sich ein recht nervöses Rennen, bis sich schließlich eine zunächst dreiköpfige Spitzengruppe vom Feld löste, die später auf neun Mann anwuchs und einen Vorsprung bis zu drei Minuten herausfuhr. Als noch vier der zehn Runden über jeweils 15,2 km zu fahren waren, forcierten die Norweger gemeinsam mit den Briten und Spaniern das Tempo und so wurden die letzten Fahrer der Spitzengruppe rund 10 Kilometer vor dem Ziel wieder gestellt. Ein Sturz auf der Zielgeraden führte zur Teilung des Pelotons, aus dem 48 Fahrer noch um den Sieg spurteten. Die clever fahrenden Deutschen waren mit zwei Fahrern ganz vorn vertreten, von denen Pascal Ackermann nur dem Norweger Kristoffer Halvorsen den Vortritt lassen musste und eine weitere Silbermedaille vor dem Italiener Jakub Mareczko gewann. Den undankbaren vierten Platz erspurtete sich der schnelle Phil Bauhaus und unterstrich damit das hervorragende Ergebnis des BDR. In dieser Altersklasse war im Jahre 2006 Gerald Ciolek der bisher einzige deutsche Weltmeister, nachdem zuvor in der in etwa vergleichbaren Amateurklasse deutsche Fahrer aus der ehemaligen DDR wie Bernd Drogan (1982), Uwe Raab (1983), Uwe Ampler (1986), Olaf Ludwig (1988) und Jan Ullrich (1993) für WM-Titel gesorgt hatten.  

Ackermann

Der folgende Freitag war ausschließlich den Junioren reserviert, wo die deutschen Juniorinnen schon für einen Achtungserfolg sorgten. Das 74,5 km lange Rennen war geprägt durch einen Massensturz schon in der Anfangsphase, so dass das Feld in mehrere Gruppen zersplittert wurde. Dennoch wurde der WM-Titel, nachdem viele Gruppen wieder zusammenschließen konnten, im Massenspurt von 53 Fahrerinnen entschieden, darunter auch alle deutschen Teilnehmerinnen. Neue Titelträgerin wurde mit den schnellsten Beinen die Italienerin Elisa Balsamo vor Skylar Schneider aus den USA und Susanne Andersen aus Norwegen, während mit Franziska Brauße auf einem ausgezeichneten Platz sieben und Liane Lippert auf Platz neun zwei Deutsche unter die Top Ten kamen. Aber auch die Leistungen von Lea Lin Teutenberg (33.), Christa Riffel (38.) und Hannah Steffen (41.) unterstrichen die hervorragende Mannschaftsarbeit des deutschen Teams. 

Hannah Steffen

Bei den Junioren folgte dann die nächste Medaille für den BDR, als Niklas Märkl sich die Silbermedaille an der Spitze des Verfolgerfeldes sicherte, das sieben Sekunden hinter dem Ausreißer und neuem Weltmeister Jakob Egholm aus Dänemark um die weiteren Medaillen spurtete. In der 16 Fahrer umfassenden Gruppe holte sich der Schweizer Reto Müller die Bronzemedaille und komplettierte damit das Podium. Die Junioren hatten 135,3 km zu absolvieren und etwa nach der Hälfte der Distanz lag eine große Spitzengruppe mit rund 20 Sekunden Vorsprung in Führung, unter ihnen auch Niklas Märkl. Als die Schlussrunde eingeläutet wurde, waren die Verfolger 45 Sekunden bzw. das Feld bereits eine Minute im Hintertreffen, so dass die Entscheidung aus der führenden Gruppe heraus fallen musste. Die Dänen hatten mit drei Fahrern in dieser Gruppe recht gute Karten und so war es schließlich Jakob Egholm, der alles riskierte und auf den letzten vier Kilometern einen kleinen Vorsprung ins Ziel rettete. Erwähnenswert ist auch hier das engagierte Auftreten aller deutschen Teilnehmer, die komplett das Ziel auf den Plätzen 32 (Maximilian Hamberger), 34 (Felix Groß), 61 (Jonas Rutsch) und 90 (Bastian Flicke) unter insgesamt 112 Platzierten von gestarteten 183 Fahrern erreichten.

Brennauer

Am Samstag hatten dann die Frauen 134,1 km zurückzulegen und hier rechnete sich der BDR durch Lisa Brennauer & Co. durchaus Medaillenchancen aus. Die durchaus zum erweiterten Favoritenkreis zählende Italienerin Giorgia Bronzini musste aufgrund von Magenproblemen leider auf einen Start verzichten, aber dennoch war der Kreis der potenziellen Favoriten für das Podium recht groß. Gleich zu Beginn suchte die Japanerin EriYonamine das Weite, zu der sich alsbald die Schweizerin Nicole Hanselmann gesellte. Sie fuhren einen Vorsprung von maximal 50 Sekunden heraus, bevor im Feld die Niederländerinnen das Heft in die Hand nahmen und wieder für den Zusammenschluß sorgten. Als noch drei Runden zu fahren waren, lagen immerhin noch rund 90 Fahrerinnen im Rennen und dann kam die Attacke der gerade frischgebackenen Zeitfahrweltmeisterin Amber Neben aus den USA, die ebenfalls 50 Sekunden Vorsprung herausfahren konnte, bis das Feld sie wieder in der letzten 15,2 km- Runde stellen konnte. Weitere Angriffe von Danielle King aus Großbritannien, Amy Pieters aus den Niederlanden und der Schwedin Emma Johansson verpufften und so kam es zur spannenden Spurtentscheidung unter 19 Fahrerinnen, darunter mit Lisa Brennauer nur eine Deutsche, die, auf sich allein gestellt gegen die starke ausländische Übermacht keine Chance auf einen Podiumsplatz hatte. 

Dideriksen

Die frühere Junioren-Weltmeisterin aus Dänemark, Amalie Dideriksen hatte am Ende die schnellsten Beine und am Hinterrad von Kirsten Wild aus den Niederlanden fuhr sie aus dem Windschatten heraus clever zum Sieg, während Kirsten Wild an ihrem Geburtstag etwas enttäuscht  mit Silber vorliebnehmen musste vor der Finnin Lotta Lepistö, die mit Bronze dekoriert wurde. Der 12. Platz von Lisa Brennauer dürfte nicht ganz ihren Erwartungen entsprochen haben, dennoch waren die Leistungen aller deutschen Teilnehmerinnen, die maximal nur 39 Sekunden zurücklagen und allesamt bei der Hitze das Rennen beendeten, durchaus akzeptabel. Insgesamt 146 Fahrerinnen aus 46 Nationen hatten das Rennen aufgenommen, von denen 103 ins Ziel kamen.

Anders sah es am Sonntag beim Rennen der Profis für die deutschen Teilnehmer aus, die in diesem Jahr nur sechs Starter ins Rennen schicken durften und dabei auf die Sprinter Andre Greipel, Marcel Kittel und John Degenkolb setzten. Zur Unterstützung hatten sie den souveränen Zeitfahr-Weltmeister Tony Martin sowie Nils Politt und Jasha Sütterlin an ihrer Seite, aber am Ende eines turbulenten Rennens sah man nur lange Gesichter auf deutscher Seite. Das 257,3 km lange Rennen hatten 197 Fahrer aus 48 Nationen in Angriff genommen, von denen am Ende nur 53 (!) im Ziel registriert wurden und der Deutsche Meister Andre Greipel war der einzige, der als 42. mit einem Rückstand von 5:26 Minuten die Ziellinie erreichte. 

Greipel

Eine Vorentscheidung fiel in der Wüste, als nach etwa 80 Kilometer das Peloton bei wechselnden Windverhältnissen zersplitterte. Vor allem die Belgier und die Briten forcierten das Tempo und das Feld zerfiel in mehrere Gruppen, wobei die Defekthexe bei John Degenkolb ebenso zuschlug wie bei dem Iren Sam Bennett und dem Dänen Magnus Cort Nielsen, die aus der großen Führungsgruppe zurückfielen. Auch der zum erweiterten Favoritenkreis zählende sprintstarke Kolumbianer Fernando Gaviria musste aufgrund eines Sturzes mit einer Schulterverletzung seine Chancen begraben. So waren noch 26 Fahrer in der Spitzengruppe, darunter allein sechs Belgier um Tom Boonen und Greg van Avermaet sowie die vier Italiener Daniele Bennati, Jacopo Guarnieri, Giacomo Nizzolo und Elia Viviani, die allesamt über Sprintqualitäten verfügen. Mit Mark Cavendish aus Großbritannien, dem Titelverteidiger Peter Sagan aus der Slowakei, den Norwegern Alexander Kristoff und Edvald Boasson Hagen sowie dem Australier Michael Matthews waren weitere aussichtsreiche Kandidaten um den WM-Titel mit vorn dabei und so war der Rückstand der ersten 32 Verfolger mit Andre Greipel, John Degenkolb und Marcel Kittel nach 151 Kilometern schon auf mehr als eine Minute angewachsen. Bei den vorgegebenen Verhältnissen war das Unternehmen WM-Titel schon für diese Gruppe ein nahezu aussichtsloses Unterfangen, während eine weitere Gruppe von 50 Fahrern, die schon fast 12 Minuten zurücklagen, wegen der Gefahr der Überrundung aus dem Rennen genommen wurde.

Sowohl Andre Greipel als auch John Degenkolb wehrten sich mit Verfolgungsarbeit ihrer Haut und gaben sich nicht geschlagen, aber sie waren auf sich allein gestellt, was bei John Degenkolb aus Frust sogar zu einer Attacke auf den Belgier Jens Debusschere führte, der sich nicht an der Nachführarbeit aus verständlichen Gründen beteiligen wollte. Während Tony Martin, Nils Politt und Jasha Sütterlin schon vorher das Rennen aufgesteckt hatten, gaben nun auch Marcel Kittel und John Degenkolb vier Runden vor Schluß einigermaßen erschöpft auf.   

Im Finale trat zunächst der Niederländer Niki Terpstra mit Greg van Avermaet am Hinterrad an, bevor es auch mit Tom Leezer ein weiterer Niederländer versuchte, im Alleingang ins Ziel zu kommen. Erst 300 Meter vor der Ziellinie wurde er eingeholt und dann begannen die erbitterten Positionskämpfe, aus denen schließlich erneut der Slowake Peter Sagan als Sieger hervorging, gegen dessen fulminanten Endspurt die geballte Sprintkonkurrenz keine Chance hatte. Der sympathische Peter Sagan schaffte damit die nicht unbedingt erwartete Titelverteidigung vor Mark Cavendish und Altmeister Tom Boonen, der zum Abschluss seiner großartigen Karriere noch einmal bei einer WM aufs Podium fuhr. 

Die WM in Katar war perfekt organisiert und die jeweiligen Straßenverhältnisse ließen keine Wünsche offen. Einzig das mangelnde Zuschauerinteresse, bei den Hitzegraden in der Wüste aber verständlich, war für die Athleten nicht gerade anspornend, die von europäischen Titelkämpfen in der Regel anderes gewohnt sind. Aber dennoch sollte man das radsportliche Engagement im reichen Nahen Osten nicht unterschätzen, wo im Anschluss an die Titelkämpfe in Katar jetzt noch die Abu Dhabi Tour in den Vereinigten Arabischen Emiraten stattfindet.   

Text: Bernd Mülle   

Fotos: Arne Mill

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