Genter Sechstagerennen unter verstärkten Sicherheitsmaßnahmen: Favoritensieg durch Keisse / Mørkøv

BM Updated 24 November 2015
Genter Sechstagerennen unter verstärkten Sicherheitsmaßnahmen: Favoritensieg durch Keisse / Mørkøv

GentDer Terror der letzten Tage hat auch vor dem 75. Jubiläumsrennen in Gent nicht Halt gemacht. Im nahegelegenen Brüssel herrschte Alarmstufe 1 und so fuhren wir am letzten Wochenende die 785 Kilometer von Berlin nach Gent mit durchaus etwas gemischten Gefühlen, darauf hoffend, dass das so stark begonnene Rennen auch zu Ende geführt werden kann bzw. nicht abgebrochen werden muss. Die Fahrt hat sich mehr als gelohnt, denn wie in Gent üblich, war ein Klassefeld am Start, das mit beeindruckenden Leistungen tollen Sechstagesport präsentierte. Die in einem furiosen Finale siegenden Topfavoriten Iljo Keisse aus Belgien und der Däne Michael Mørkøv, die bereits in den ersten beiden Nächten dominierten, starteten den entscheidenden Rundengewinn 18 Runden vor Schluss und realisierten ihn unter ohrenbetäubenden Jubel der vielen Keisse-Fans sieben Runden vor dem Ende, um dann auch noch den Schlussspurt zu gewinnen. So hatten sie nicht nur die alleinige Führung, sondern auch das höchste Punktekonto aufzuweisen und landeten somit einen am Ende souveränen Sieg.

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MorkovDas soll die Leistungen der Zweitplatzierten Belgier Kenny de Ketele und Gijs van Hoecke und ihrer auf dem dritten Rang folgenden jungen Landsleute Jasper de Buyst und Otto Vergaerde keinesfalls schmälern, die vor allem die belgischen, radsportverrückten Fans immer wieder begeistern konnten. Letztere hatten vor allem in der dritten Nacht ihre stärkste Phase, als sie die Führung in der Gesamtwertung einnehmen konnten, die an allen anderen Tagen von Iljo Keisse/Michael Mørkøv beherrscht wurde. Hervorragend schlugen sich auch die Dänen Alex Rasmussen und Marc Hester auf dem vierten Gesamtrang, die im Laufe der Schlussjagd sogar noch mit den drei Topteams zeitweise rundengleich lagen, am Ende aber aufgrund des starken Finales der wie entfesselt fahrenden Belgier, glänzend unterstützt vom Dänen Michael Mörköv, doch noch zwei Verlustrunden einbüßten.

KeteleDer sympathische Däne, auch schon 2010 in Berlin auf dem obersten Siegerpodest, wird in der Winterbahnsaison nach eigenen Angaben keine Sechstagerennen mehr fahren und selbst in Kopenhagen wird er nicht am Start sein. Dagegen können wir in Berlin vielleicht auf einen Start seines kongenialen Partners Iljo Keisse hoffen, der dem Autor dieser Zeilen gegenüber sein vorhandenes Interesse erneut bekundete. Während Jasper de Buyst und Otto Vergaerde in Berlin leider fehlen werden, ist Kenny de Ketele bereits mit Moreno de Pauw für das 105. Berliner Sechstagerennen verpflichtet worden. Der junge Moreno de Pauw war im 500 m Zeitfahren und im Rundenrekordfahren einer der Schnellsten und in diesen Wettbewerben, die täglich ausgefahren wurden, insgesamt 9 (!) Mal erfolgreich. Auf diesen äußerst schnellen jungen Mann kann sich Berlin schon jetzt freuen! 

KalzDie eigentliche Motivation für mich an den letzten beiden Tagen dem Rennen beizuwohnen, war die Teilnahme unseres Berliner Lokalmatadoren Marcel Kalz, der mit Christian Grasmann einen Toppartner an seiner Seite hatte. Genau wie vor zwei Jahren, als ich live vor Ort war und Marcel Kalz an der Seite von Robert Bartko nach der 1. Nacht mit drei Verlustrunden auf Platz 11 keine Gewinnchancen mehr hatte, so lief es auch in diesem Jahr. Wieder waren es drei Runden, die sie einbüßten und damit schon entscheidend im Hintertreffen waren. Wie Marcel Kalz später bekannte, war die erste Nacht durch die Umstellung von den Revolution Series in London für ihn ein mentales Problem, zu dem vor allem in der dritten Nacht gesundheitliche Beeinträchtigungen hinzukamen. Das führte zu einem ungewohnten Rückstand von nunmehr acht Runden, besonders ärgerlich für einen sich in glänzender Verfassung befindenden Christian Grasmann, der mit einem gesunden Marcel Kalz am Ende durchaus auf dem Podium hätte stehen können.

Aber es sollte noch schlimmer kommen: Marcel Kalz wurde wegen akuter Sitzbeschwerden neutralisiert und damit wurden dem Team reglementkonform etliche Verlustrunden auferlegt, so dass nach der vierten Nacht 17 (!) Verlustrunden zu Buche standen. Doch der Berliner biss sich durch und wie vor zwei Jahren mit Robert Bartko fuhr Marcel Kalz mit Christian Grasmann an den letzten beiden Tagen ein beeindruckendes Rennen. Insofern hat sich für mich der Ausflug nach Gent auch unter diesem Aspekt mehr als gelohnt! Am Samstag gaben sie gegenüber den Topteams nur eine weitere Runde preis und überzeugten mit zweiten Plätzen in der 45 Minuten Jagd hinter den mit Rundenvorsprung siegenden Iljo Keisse/Michael Mörköv und beim Supersprint hinter Jasper de Buyst/Otto Vergaerde. 

KalzDer Schlusstag begann dann mit einer tollen Vorstellung von Christian Grasmann und Marcel Kalz, die im Punktefahren über 90 Runden den Schlussspurt durch Christian Grasmann gewannen und sich mit 66 Punkten gegenüber der siegenden Mannschaft Kenny de Ketele/Gijs van Hoecke mit nur einem Punkt geschlagen gaben. Toll auch die Leistung von Marcel Kalz, der den ersten Dernylauf gewann und dabei den starken Niederländer Yoeri Havik, der auch in Berlin starten wird, niederrang. Für die beiden Deutschen standen am Ende der Schlussjagd zwar 20 Verlustrunden zu Buche, aber sie hatten am letzten Tag nur zwei Runden verloren, während die vor ihnen platzierten Teams Morgan Kneisky/Moreno de Pauw (5.), Nick Stöpler/Jesper Mørkøv (6.) und Yoeri Havik/Melvin van Zijl (7.) in der entscheidenden Jagd allein 8, 6 und 5 Runden verloren. Aufgrund zu geringer Punktzahl behielten sie hinter den rundengleichen Havik/van Zijl ihren achten Platz, den sie schon von Beginn an durchgehend innehatten.

MüllerMit dem in Berlin wohnenden und für Österreich startenden Andreas Müller war neben Marcel Kalz ein zweiter Fahrer aus der Hauptstadt am Start, der mit dem Belgier Stijn Steels, erstmals bei einem Sechstagerennen dabei, eine Mannschaft bildete. Nach schwächerem Beginn wurden ihre Leistungen immer besser und so gewannen sie am letzten Tag sogar den Supersprint vor de Buyst/Vergaerde. Der erzielte 9. Platz mit 45 Runden Rückstand war letztlich ein den Gegebenheiten angemessenes Ergebnis, denn es konnten immerhin noch die Teams David Muntaner/Lindsay de Vylder (Spanien/Belgien), Christopher Lawless/Roy Pieters (Großbritannien/Niederlande) und Tristan Marguet/Benjamin Thomas (Schweiz/Frankreich) distanziert werden. Für Weltenbummler Andreas Müller geht es im Dezember mit einem Trip nach Australien weiter, wo er mit dem Österreicher Stefan Matzner, der in Gent im UIV-Cup dabei war, bei den Australischen Meisterschaften im Madison starten wird. 

UIVIm besagten UIV-Cup über ebenfalls sechs Tage gab es mit den Briten Germain Burton und Mark Stewart ein absolut dominierendes Team, das vor der letzten Austragung uneinholbar mit sechs (!) Runden Vorsprung vor den Belgiern Matthias van Beethoven/Killian Michiels in Führung lag und alle Jagden bis dato gewonnen hatte. Durch einen Sturz von Germain Burton in der finalen Jagd waren sie dann etwas gehandicapt, verloren als Vierte zwei Runden gegen die Überraschungssieger Dylan van Zijl aus den Niederlanden und dem einzigen Deutschen Stefan Schneider, die allerdings in der ersten Nacht schon ein Scratchrennen über 60 Runden siegreich gestaltet hatten.

Der Vorsprung für Burton/Stewart vor van Beethoven/Michiels betrug zum Schluss dennoch souveräne fünf Runden und Stefan Schneider erreichte mit Dylan van Zijl einen guten vierten Platz unter den 11 Teams, die das Rennen nach der Aufgabe der Österreicher Tobias Wauch/Stefan Mastaller beendeten. Enttäuschend war eigentlich nur die Leistung der hoch eingeschätzten Elias Helleskov Busk/Denis Rugovac (Dänemark/Tschechen), die aufgrund ihrer Starts schon bei großen Sechstagerennen zu den Favoriten zählten. Sie unterstrichen zwar mehrmals ihre Schnelligkeit, u.a. durch einen Sieg im 500 m Zeitfahren in der dritten Nacht, aber mit 17 Verlustrunden, die sie hauptsächlich an den beiden letzten Tagen einbüßten, reichte es nur zu Platz neun im Endergebnis. 

Berlin darf sich auf die beiden Briten Germain Burton und Mark Stewart freuen, die einen Vertrag für das Hauptrennen der 105. Sixdays in der Tasche haben. Schon der in Gent auch anwesende Vater von Germain, Maurice Burton, war im Jahre 1980 einmal Teilnehmer beim 76. Berliner Sechstagerennen in der legendären Deutschlandhalle an der Seite des mit ihm noch heute eng befreundeten Liechtensteiners Roman Hermann, die damals hinter der siegenden Mannschaft Patrick Sercu aus Belgien und dem Deutschen Gregor Braun einen guten fünften Platz belegt hatten. 

Auf Platz zwei landete bei diesem Rennen der Australier Donald Allan an der Seite seines Landsmannes Danny Clark und dieser Don Allan war am Schlusstag in Gent einer von vielen Ehrengästen, die vorgestellt wurden: so gab es viel Beifall auch für Bruno Risi aus der Schweiz, Stan Tourne aus Belgien, Jimmy Madsen aus Dänemark und nicht zuletzt für die beiden Niederländer Danny Stam und Robert Slippens, die alle ein- bzw. mehrmals zu den Siegern bei einem Genter Sechstagerennen zählten. 

GosiaLast but not least noch ein Wort zu den Frauen, die an den letzten beiden Tagen ein sechsteiliges Omnium austrugen, bestehend aus Sratchrennen über 30 Runden, Einzelverfolgung, Ausscheidungsfahren, 500 m Zeitfahren, Rundenrekordfahren und einem Punktefahren über 60 Runden. In allen bisherigen Austragungen in den Jahren 2012 bis 2014 hatte die Belgierin Jolien d’Hoore die Nase vorn gehabt, aber in diesem Jahr hatte sie mit der Polin Malgorzata Wojtyra ganz starke Konkurrenz, die ihr letztlich den Sieg streitig machte, so dass für die sympathische Belgierin „nur“ Platz zwei übrigblieb. Die Polin gewann beide Zeitfahrwettbewerbe, das Scratchrennen und das Ausscheidungsfahren, während Jolien d’Hoore in der Einzelverfolgung und im Punktefahren siegreich war. Die übrigen acht Teilnehmerinnen hatten bis auf die Drittplatzierte Norwegerin Anita Stenberg keine Chance, in den Kampf um die Podiumsplätze einzugreifen.

GosiaWie uns vor Ort Malgorzata Wojtyra mitteilte, wird sie auch in Berlin wieder an den Start gehen, wo sie bei der letzten Austragung Siegerin vor der Norwegerin wurde. In einem Gespräch mit Jolien d’Hoore erfuhren wir, dass auch sie durchaus an einem Start in Berlin interessiert ist, vorausgesetzt, ihr Team Wiggle Honda Pro Cycling hat keine anderen Pläne zu diesem Zeitpunkt. Es wäre einfach eine hervorragende Gelegenheit mit einer derartigen Spitzenathletin das Niveau des Frauenfeldes noch zu verbessern und der Polin gleichwertige Konkurrenz zu präsentieren.

Das Jubiläumsrennen von Gent war an jedem Tag sehr gut besucht bzw. ausverkauft und bot wie in all den Jahren zuvor ganz hervorragenden Radsport. Die Organisatoren hatten alles unter den durchaus nicht leichten Bedingungen, wie sie derzeit in Belgien vorherrschen, im Griff und so konnte auch der Sportliche Leiter Patrick Sercu mit den Leistungen der Fahrer mehr als zufrieden sein. 

KüsschenEs war wieder faszinierend zu beobachten, wie in unserem Nachbarland der Radsport „gelebt“ wird. Wenn bei uns in Deutschland mehr an einem Strang gezogen und nicht allzu vieles zerredet werden würde, wäre etliches machbar und mit Sicherheit auch leichter. Dass zum Beispiel nationale Spitzenfahrer bei deutschen Sechstagerennen aufgrund von WM- oder Olympiavorbereitungen – trotz ausreichendem Fahrermaterial – nicht starten dürfen, wäre in Belgien undenkbar. Mit der steigenden TV Präsenz würde es dem deutschen Bahnradsport außerordentlich gut tun, wenn sich, zumindest ein Teil der Nationalmannschaft hier und da einmal präsentieren.

Olympiavorbereitung hin oder her, für einige Fahrer gibt es mit Sicherheit auch ein Leben mit dem Radsport nach Olympia, wo gerade solche Events vom finanziellen Standpunkt her, sehr attraktiv sind und zum anderen ist dies mehr und mehr eine sehr gute Gelegenheit Sponsoren zu gewinnen und langfristig einzubinden. Ein Leif Lampater, der in den letzten beiden Jahren in den Sechstagerennen tonangebend war, wird in dieser Winterbahnsaison überall schmerzlich vermisst.    

Text: Bernd Mülle / Arne Mill

Fotos: Arne Mill

> zur turus-Fotostrecke: Sechstagerennen in Gent

Mehr Bilder auch zum direkten Download gibt es für private und redaktionelle Nutzung bei unser Bildagentur frontalvision.com:
Inhalt der Neuigkeit:
Rennbericht
Radrennen-Art:
  • Bahnradsport
Name des Radrennens
  • Lotto Z6sdaage Vlaanderen-Gent

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