Tour de France 2015: Gute Ausbeute auf den ersten neun Etappen

AM Updated 15 Juli 2015
Tour de France 2015: Gute Ausbeute auf den ersten neun Etappen

Le tourDie ersten neun Etappen sind vorüber und es fehlte der 102. Auflage der bedeutendsten Rundfahrt der Welt keinesfalls an Dramatik und Spannung. Ganz im Gegenteil! Bereits zum Auftaktzeitfahren in Utrecht konnte schon sehr frühzeitig ein Fahrer auf dem Platz des Gesamtführenden sein Plätzchen einehmen und bis zum Ende darauf ausharren. Von den hochgehandelten Favoriten gelang es niemandem, sich an dem Australier vorbeizuschieben, den wohl nur sehr wenige ganz vorn erwartet hätten. Zwar hatte Rohan Dennis am 8. Februar dieses Jahres mit 52,491 Kilometern im schweizerischen Greenchen einen neuen Stundenweltrekord aufgestellt und sich in den vergangenen Jahren bei der Tour de Suisse und der Tour de Romandie mit sehr guten Top Ten Plätzen präsentiert, zudem war er 2014 Teil des WM-Mannschaftszeitfahren-Siegerteams von BMC, aber dass der 3-fache Weltmeister in der Mannschaftsverfolgung (einmal Junioren 2008 und zweimal bei den Männern 2010 und 2011) den Platzhirschen Tony Martin, Fabian Cancellara, Tom Dumoulin und Chris Froome die Show stehlen würde, sorgte am ersten Tag für eine kleine Überraschung.

Rohan DennisOhne die Leistung des 25-jährigen zu schmälern, hatte er den großen Vorteil des früh Gestarteten, denn der Asphalt heizte sich im Laufe des Nachmittags so sehr auf, dass er zum Startzeitpunkt der vermeintlichen Favoriten einem flüssigen Lavastrom glich und wahrscheinlich die Bestzeit von Dennis nicht mehr zu knacken war. Mit seinem Auftritt schlüpfte der BMC Fahrer nicht nur ins gelbe Trikot, sondern setzte auch eine neue Bestmarke in einem Tour de France Zeitfahren von 55,446 km/h über die 13,8 km. Die bisherige Bestmarke lag bei 55,152 km/h, aufgestellt 1994 von Chris Boardman in Lille auf einem 7,2km-Kurs. Diese Zeit bestätigt auch die rasante Entwicklung der letzten 5 Jahre, was die Aerodynamik-Sitzposition der Fahrer und Materialperformance – neben Rahmen, Laufrädern und Komponenten auch Suits, Helme und Überschuhe, ganz zu schweigen von der Weiterentwicklung der Reifen angeht. Während Cancellara die Niederlage doch recht gelassen nahm, zeigte sich Tony Martin sichtlich enttäuscht, war doch im Etixx Quick Step Team alles auf die Mission „Gelb“ am ersten Tag ausgerichtet.

GreipelAuch auf dem 2. Tagesabschnitt von Utrecht nach Zélande glänzte das belgische Team um den dreifachen Zeitfahrweltmeister eher mit taktischem Unvermögen als mit Cleverness und Übersicht. Der Alleingang des britischen Heißsporns Mark Cavendish reichte nicht zum Etappensieg  und sorgte zudem dafür, dass Martin zum zweiten Mal das heiß ersehnte Maillot Jaune knapp um eine Sekunde verfehlte. Am Ende der Etappe freute sich der berühmte Dritte und so strahlte der Schweizer Fabian Cancellara in Gelb, der sich auf der Ziellinie noch vor Cavendish schob und mit Platz 3 die letzten Bonussekunden sicherte. Die Etappe war von starkem Kantenwind geprägt und so wurde das Feld in der zweiten Rennhälfte in mehrere Teile zerrissen. Lediglich Chris Froome, Tejay van Garderen und Alberto Contador schafften den Sprung in die Spitzengruppe. Der erweiterte Kreis der Favoriten mit Nairo Quintana, Alejandro Valverde und Vincenzo Nibali kassierte die ersten 1:28 min. Den Tagessieg holte sich André Greipel vom Team Lotto Soudal, der damit nicht nur die Erfolgsfahrt der deutschen Sprinter fortsetzte, sondern auch für einen wichtigen persönlichen Befreiungsschlag, wie auch für sein Team sorgte und damit sehr viel Vertrauen zurück gewann. Zur Belohnung wartete das Trikot des besten Sprinters auf ihn.

TourAm dritten Tag präsentierte sich die Radsporthochburg Flandern mit einem spektakulären Etappenauftakt in Antwerpen. Die Stadt der Diamantenschleifer und Diamantenhändler zog mit der Teampräsentation vor dem Stadhuis alle Register und sorgte für sehr beeindruckende Bilder im Punkto Zuschauerkulisse und Ambiente. Dem wollte der wallonische Teil Belgiens natürlich in nichts nachstehen und legte an der Mur de Huy, dem berühmten Finale des Fleche Wallone, noch einmal nach. Die Etappe war jedoch überschattet von einem der schlimmsten Stürze der Tourgeschichte, dem insgesamt 50, darunter mehrere prominente Fahrer, zum Opfer fielen. Der Franzose William Bonnet vom Team FDJ touchierte mit seinem Vorderrad das eines anderen Fahrers und kam bei Tempo 60 – 70 km/h zu Fall, wobei er mehrere Fahrer in den Sturz verwickelte. Er selbst erlitt einen Schädelbruch und hatte kaum noch einen Fetzen Haut, geschweige denn Trikot am Körper. Für ihn, genau wie für den jungen Niederländer Tom Dumoulin vom Team Giant Alpecin, der sich das Handgelenk brach, und auch den Australier Simon Gerrans vom Team Orica GreenEdge war die Tour unter fatalen Umständen zu Ende gegangen.

SchmerzAndere Fahrer wie Adam Hansen vom Team Lotto Soudal und Laurens Ten Dam wurden mit ausgerenkter Schulter vor Ort behandelt und setzten anschließend die Fahrt unter starken Schmerzen fort. Auch der Mann in Gelb, Fabian Cancellara, quälte sich mit schmerzverzerrtem Gesicht die Mur de Huy hinauf. Zwei gebrochene Rückenwirbel war die Diagnose am späten Abend und so war auch für ihn die Tour beendet. Greg Henderson – Team Lotto Soudal beendete die Etappe ebenfalls, den gesamten Körper mit Schürf- und tiefen Fleischwunden übersäht. Der Neuseeländer kämpfte noch bis zur 7. Etappe, wo er völlig entkräftet vom Rad stieg. So waren an diesem Tag die Geschlagenen die eigentlichen Helden – womöglich der gesamten Tour. Den Sieg in einem hart umkämpften Finale holte sich der Spanier Joaquin Rodriguez vom Team Katrusha, der sich damit auch das Trikot des besten Bergfahrers sicherte. Platz 2 und damit neuer Mann in Gelb ging an den Briten Chris Froome vom Team SKY und Tony Martin ging auch am dritten Tag im Kampf um das begehrteste Trikot der Tour knapp geschlagen leer aus.

TonyDer 4. Tag führte das Peloton über 7 Pflastersteinpassagen und Teilabschnitte des berühmten Klassikers Paris – Roubaix. Mit 223,5 Kilometern auch der längste Tagesabschnitt der gesamten Tour. Nachdem das Feld auf den Pavés Passagen nicht nur ordentlich durchgeschüttelt, sondern auch wieder in viele einzelne Gruppen geteilt wurde, gelang es Tony Martin 2,7 Kilometer vor dem Ziel sich ein paar Meter vom Feld abzusetzen und den entscheidenden Vorsprung für das so sehr begehrte gelbe Trikot ins Ziel zu retten. Im Ziel kannte der Jubel des Wahlschweizers keine Grenzen und auch in den Betreuerfahrzeugen war man regelrecht am ausrasten vor Freude. Die strengen Augen der Französischen Gendarmerie sind allerdings überall und so wurden die Etixx Quick Stepp Betreuer prompt mit einer saftigen Geldbuße belegt, als sie im Jubeltaumel beide Hände vom Steuer nahmen und zudem nicht angeschnallt waren. Dies stelle eine Gefährdung der Sicherheit dar, so die offizielle Begründung. Tja, wenn man eine Kamera im Fahrzeug hat und das Video in allen bekannten sozialen Netzwerken veröffentlicht, bleibt ein solcher Fopas kaum verborgen. Im Nachhinein wird es den Herren wohl ziemlich egal gewesen sein und der Moment, als Tony Martin seinen Löwen unter Tränen gerührt liebevoll in den Arm schließt, ist und bleibt einer der Schönsten der diesjährigen Tour.

NotreIn den Jahren 2014 – 2018 hat die Tourleitung beschlossen, alljährlich mit einer Etappe an die Schrecken des 1. Weltkrieges von 1914 – 1918 zu erinnern. Im vergangenen Jahr führte die Strecke entlang des bekanntesten Kriegsschauplatzes von Verdun. In diesem Jahr passierte man die nationalen Gedenkstätten der gefallenen Soldaten aus den Korps der Verbündeten Kanadas, Südafrikas und Australiens. Anlass für das Team MTN Qhubeka in Zusammenarbeit mit der Gedenkstätte Südafrikas eine Kindergruppe und begeisterten Radsportfans einzuladen und der Opfer zu gedenken. „Es ist eine große Ehre für uns, dass die Tour de France hier am Mémorial national sud-africain du Bois Delville vorbei führt“ so die Mitarbeiter der Gedenkstätte. Da war es auch keine Frage, in strömendem Regen auszuharren, bis das Peloton die Gedenkstätte passierte. André Greipel unterstrich am 5. Tag erneut seine starke Form und sicherte sich seinen 2. Etappensieg und wichtige Punkte für das Grüne Trikot.

TourAm 6. Tag zeigte sich wieder die Sonne und auch die Temperaturen kletterten deutlich in die Höhe. Die Etappe führte das Feld entlang der langen Normandie-Strände, immer wieder gespickt durch schroffe Steilküsten Abschnitte. Die Fahrer fanden jedoch kaum Zeit die reizvolle Landschaft zu genießen. Allen voran Daniel Teklehaimanot vom Team MTN Qhubeka. Der Mann aus Eritrea war dem Feld mit zwei Weggefährten - Perrig Quemeneur vom Team Europcar und Kenneth van Bilsen vom Team Cofidis Solution Credits - bereits frühzeitig entflohen und hatte ein festes Ziel vor den Augen. Er wollte als erster Afrikaner das Trikot des besten Bergfahrers bei der Tour de France erobern. Mit der Macht eines gesamten Kontinents im Rücken und Radsportfans die in der Heimat Kilometer weit laufen, um ganze Kinosäle zu füllen, wenn ihr Idol die Berge im weit entfernten Frankreich hinauf fliegt, gelang es dem 26-jährigen Geschichte zu schreiben. 

In der Hauptstadt Asmara gab es anschließend ganze Autokorsos und der in Frankreich amtierende Botschafter aus Eritrea ging vor dem neuen Bergkönig auf die Knie. Daniel Teklehaimanot hatte seinem Land einen unglaublichen Dienst erwiesen und könnte der Wegbereiter für eine neue Radsportepoche in ganz Afrika werden. Dies blieb auch der Tourleitung nicht verborgen und man arbeitet hinter den Kulissen bereits intensiv daran, das Engagement auf dem schwarzen Kontinent auszubauen.

Tony MartinAuf dem Zielanstieg in Le Havre gab es aber auch einen Verlierer. Nach 2 Tagen in Gelb kollidierte Tony Martin 750 Meter vor dem Ziel mit dem Franzosen Warren Barguil vom Team Giant Alpecin und brachte auch den Italiener Vincenzo Nibali vom Team Astana zu Fall. Während die beiden anderen mehr oder weniger unverletzt blieben, lautete für Martin die spätere Diagnose Schlüsselbeinbruch, was letztendlich das Aus der Tour für ihn bedeutete. Dadurch ging der Sieg seines tschechischen Teamkollegen Zdenek Stybar fast ein bisschen unter, der sich auf den letzten Metern etwas vom Feld absetzen konnte.

MarkAm 7. Tag war es wieder der neue Held aus Eritrea, der gleich zu Beginn die Initiative ergriff, um sich 12,5 Kilometer nach dem Start in Livarot am Cote de Canapville den einzigen Bergpunkt des Tages zu sichern. Auf der Überführungsetappe von der Normandie in die Bretagne musste natürlich das Team Bretagne - Seche Environnement Flagge zeigen und schickte mit Brice Feillu und Anthony Delaplace gleich zwei Fahrer mit in die Ausreißergruppe. Das Quintett vervollständigten der Spanier Luis Angel Mate vom Team Cofidis Solution Credits und der Kroate Kristijan Durasek vom Team Lampre Merida. Die Teams der Sprinter, allen voran Lotto Soudal machten am Ende gehörig Druck und so wurden die 5 Ausreißer kurz vor dem Ziel in Fougeres gestellt. Ein Fahrfehler von André Greipel öffnete dem Briten Mark Cavendish die Tür und so gelang der belgischen Formation Etixx Quick Step der Dritte Etappensieg. Das Statement von Cavendish „Hätte Greipel diesen Fehler nicht gemacht und wäre er nicht so lange im Wind gewesen, hätte ich keine Chance gehabt. Greipel ist derzeit der stärkste Sprinter im Feld.“ zeigt deutlich, dass Cavendish ein sehr fairer Sportsmann ist.

8Auf der 8. Etappe mit Start in Rennes hatte man den Eindruck, dass sich die ganze Stadt versammelt hatte, um die Rennfahrer auf die Strecke zu schicken. Auch die Fangemeinde aus Eritrea war im Laufe der Tage von 5 auf knapp 30 fanatische Radsportfans angewachsen die die „Drei Löwen aus Eritrea“ lautstark unterstützten. Wenn man bedenkt welche Entbehrungen die Leute teilweise auf sich genommen haben, um zur Tour nach Frankreich zu gelangen, einige haben sogar das einzige Schwein oder die Kuh verkauft, die die Familie ernährt. In den Bergen der Pyrenäen und in den Alpen erwartet man weitere Fangruppen entlang der Strecke. Da mag man sich so ungefähr ausmahlen was passiert, wenn es gelingt, ein großes Rennen in Eritrea, Südafrika oder Ruanda zu etablieren. Im Ziel an der Mur de Bretagne konnte dann endlich ganz Frankreich jubeln als Alexis Vuillermoz vom Team AG2R La Mondiale den ersten französischen Etappensieg holte. 

BMCDas relativ späte Mannschaftszeitfahren auf der 9. Etappe versprach ein äußerst spannender Krimi zu werden. Da mit 28 Kilometern zwar relativ kurz aber ziemlich profiliert und mit einem 1,7 Kilometer langen Schlussanstieg von 6,7% Steigung im Schnitt war im Vorfeld kein absoluter Favorit auszumachen. Dass am Ende zwar die amtierenden Mannschaftszeitfahrweltmeister vom BMC Racing Team die Nase mit knapp 1 Sekunde (vor dem Team SKY) vorn hatten, war zum Teil auch den Fahrfehlern der nachfolgenden Teams geschuldet. Insbesondere das Team Movistar (3,5 Sekunden Rückstand auf die Sieger), wo der Italiener Adriano Malori und der Brite Alex Dowsett das Team anfangs auseinander rissen, spielte dem Team um Tejay van Garderen sehr in die Karten.

TourDer weitere Tourverlauf, insbesondere in den Be,rgen verspricht in diesem Jahr absolute Hochspannung, denn die meisten Teams haben ihre Kapitäne alle recht wohlbehalten durch die schwierige erste Woche gebracht und es gibt im engeren Favoritenkreis mindestens 5 Fahrer, wenn nicht sogar 10 im erweiterten Kreis, die in den kommenden Tagen bis auf die Champs-Élysées den Sieg und die begehrte Podestplätze unter sich ausmachen können. Auch bei den Sprintern bleibt es spannend, während André Greipel und Mark Cavendish bereits punkten konnten, stehen der Slowake Peter Sagan und auch John Degenkolb weiter unter Zugzwang. 

Aus deutscher Sicht kann man mit 3 Etappensiegen, 7 Tage das grüne Trikot, 2 Tage das gelbe Trikot erobert und verteidigt sehr zufrieden sein. 

Fotos: Arne Mill

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