Kritischer Rückblick auf die 126. Deutsche Meisterschaft im Bahnradsport

AM Updated 14 Januar 2019
Kritischer Rückblick auf die 126. Deutsche Meisterschaft im Bahnradsport

Bahnrad DM 2012Wenn man von der Tour de France und von den Olympischen Spielen zurück nach Deutschland kommt, um aus Frankfurt an der Oder über die Deutsche Meisterschaft im Bahnradsport zu berichten, ist das ungefähr so wie ein Kaltentzug vom Heroin. Das lag in keiner Weise an den sportlichen Leistungen, die dort fünf Tage lang in 39 Disziplinen von den rund 330 Athletinnen und Athleten geboten wurden. Jedoch wurde in der Tagespresse das Thema nur sehr spärlich behandelt. Immerhin brachte die Märkische Oderzeitung ein paar Artikel von den Wettbewerben. Auch ein Vertreter der Märkischen Allgemeinen Zeitung ließ sich blicken und am Eröffnungstag war immerhin ein Fernsehteam des RBB vor Ort. 

OderlandhalleAllerdings war nichts in den einschlägigen Radsportfachzeitschriften zu finden. Anstatt vor allem dem Nachwuchs eine Chance zu geben, begibt man sich dort in diversen Foren lieber auf das Niveau der Zeitung, die in Deutschland die Meinung bildet, und diskutiert schlagzeilenträchtige Fragen wie: „Was haltet Ihr davon, dass Tyler Hamilton die Goldmedaille von Athen 2004 aberkannt wurde?“ oder „Lance Armstrong verliert seine sieben Tour-Siege. Werden jetzt Jan Ullrichs drei zweite Plätze in Siege umgewandelt?“

SprintDa holen unsere Sprinterinnen und Sprinter in London Gold, Silber und Bronze und kaum jemanden interessiert es. Nicht einmal der Präsident des Bundes Deutscher Radfahrer hält es für nötig vorbeizukommen, um die Bahn-DM zu eröffnen und den Medaillengewinnern in einem würdigen Rahmen die Ehre zu erweisen. Es wäre einfach passend gewesen, wenn alle erfolgreichen Olympioniken des Deutschen Bahnradsports im Nationalmannschaftstrikot mit den Medaillen um den Hals eine Ehrenrunde in der Oderlandhalle drehen und vor allem die vielen Nachwuchssportler ein paar schöne Eindrücke sammeln, ein paar Fotos machen und auch mal eine Olympische Medaille ansehen und anfassen können. 

Eine bessere Motivation für die anstehenden Wettbewerbe hätte man den Aktiven für die anstehenden Wettbewerbe nicht geben können. Stattdessen gab es einen feuchten Händedruck der beiden Vizepräsidenten und einen Blumenstrauß. Eine Runde auf dem Frankfurter Holzoval gestand man den erfolgreichen Sprinterinnen und Sprintern der Londoner Spiele immerhin zu, die ganze Sache war in fünf Minuten erledigt. Man hat daran gedacht. Aber das erweckt nicht gerade den Eindruck, dass der Präsident hinter seinen Sportlern steht. Schon im vergangenen Jahr in Berlin glänzte das BDR-Oberhaupt mit Abwesenheit.

4000 MeterUnter den Augen von gerade einmal 50 Schaulustigen begannen die Wettbewerbe in den einzelnen Disziplinen. Davon waren die Hälfte aktive Sportler, die erst in den kommenden Tagen in das Geschehen eingreifen würden. Der Rest waren Angehörige, Verwandte und Bekannte. Bereits im vergangenen Jahr in Berlin dachte man, bei dieser mäßigen Besucherzahl könnte es kaum noch schlimmer kommen. Doch was an Werbung seitens des BDR, der einzelnen Landesverbände und der Veranstalter aufgeboten wurde, kann man nur als mangelhaft bezeichnen. Kein vernünftiger Internetauftritt, geschweige denn, dass etwas von offizieller Seite über die sozialen Netzwerke Facebook oder Twitter lief. Lediglich ein äußerst schlichter Blog auf der Internetseite des Frankfurter Radsportclub 90 e. V. Zu lesen waren: Ausschreibung, Zeitplan, Trainingszeiten, Ergebnisse, Eintrittspreise und ein Hinweis darauf, dass die 126. Deutsche Meisterschaft im Bahnradsport in Frankfurt Oder stattfindet. 

KeirinSicherlich kann man den Veranstaltern um Dan Radtke, die sich redlich bemüht haben, nicht die alleinige Schuld dafür geben, denn die Mittel, die die Organisatoren zur Verfügung hatten, waren sehr begrenzt. Auch die infrastrukturelle Lage in und um Frankfurt Oder bietet kaum Möglichkeiten, um finanzielle Mittel über Sponsoren zu akquirieren. Grund genug, sich seitens des Dachverbandes Gedanken zu machen, wie man die Bahn-DM auch für das Publikum attraktiver bewerben und gestalten könnte. Mit gerade einmal 330 aktiven Sportlerinnen und Sportlern in 39 Disziplinen war die Beteiligung auch nur mäßig. Der Sprint der Frauen musste sogar mangels Beteiligung ausfallen. 

Nichts desto Trotz wurde natürlich, vor allem in den Sprintdisziplinen, hervorragender Sport auf höchstem Niveau geboten. Denn bis auf René Enders waren alle Medaillengewinner aus London am Start. Maximilian Levi fuhr am zweiten Tag einen neuen Bahnrekord über 200 Meter und unterstützte bereits am Tag zuvor seine Teamkameraden vom Team Erdgas 2012 - Stefan Bötticher und Max Niederlag - im Teamsprint, bei dem das Dreigestirn erfolgreich zu Gold fuhr vor dem Team um einen weiteren Olympiateilnehmer, Stefan Nimke vom Track Cycling Team Mecklenburg Vorpommern mit Marc Schröder und Tobias Wächter. Platz 3 belegte das Track Team Brandenburg.

Erfolgreichster Sprinter bei den Männern war der junge Stefan Bötticher mit insgesamt drei DM-Titeln, der neben dem Teamsprint auch im Sprint und im Keirin erfolgreich war. Ebenso viele Goldmedaillen heimste die U17-Sprinterin Doreen Heinze vom RSC Cottbus ein, die ihre ersten Runden auf dem Rad beim Erkneraner RC 96 drehte. Die beiden Goldmedaillengewinnerinnen von London beschränkten sich bei der DM auf jeweils einen Auftritt. Christina Vogel siegte souverän im Sprint und Miriam Welte im 500-Meter-Zeitfahren.

Bahn-DMIm Ausdauerbereich hatte der Olympia-Zweite von Peking und -Fünfte von London Roger Kluge gleich am ersten Tag über die 4000 Meter Einerverfolgung seinen Auftritt, den er souverän gewann. Im Vorlauf war ihm der erst 19-jährige Moritz Schaffner mit zwei Sekunden Rückstand zwar noch dicht auf den Fersen, doch im Finale musste er dann doch deutlich Federn lassen.

Für ein weiteres Achtungszeichen sorgten in der 4000 Meter Mannschaftsverfolgung das LKT Team Brandenburg 1 und das Rudy Project Racing Team Irschenberg. Beide Teams fuhren im Finale mit 4:05,448 und 04:06,823 schneller als ein Deutscher Vierer in den vergangenen Jahren. Seit den Olympischen Spielen von Sydney 2000 war kein deutsches Team in dieser Disziplin auf internationalem Parkett mehr erfolgreich. Auch die drittplatzierte Mannschaft vom KED Bianchi Team Berlin fuhr mit 4:09,975 noch eine Zeit unter 4:10.

Sehr erfreulich war, dass der Vierer des LV Brandenburg in der U19 eine Zeit von 4:12,832 fuhr, das hätte bei den Männern immerhin für Platz 4 gereicht. Aber dennoch ist man in Deutschland immer noch 14 Sekunden vom WR der überragenden Briten entfernt und müsste mindestens 8 Sekunden schneller fahren, um mit den Spitzenteams in der Welt wieder mithalten zu können. Da wartet also noch eine Menge Arbeit auf das Trainergespann des neu formierten Bahn KT-Teams um Sven Meyer. Ob es ausreichen wird, die besten Bahnfahrer Deutschlands zu formieren und zusammen in Straßen- und Bahnwettbewerbe zu schicken, bleibt abzuwarten. Angesichts der internationalen Entwicklung im Radsport, muss man wohl wesentlich mehr in die Tiefe gehen, alles bisher dagewesene in Frage stellen und in den Köpfen Platz für neue Ideen machen. Wenn man zum Beispiel sieht, dass die Briten neue  Thermohosen entwickelt haben, um vor dem Rennen die aktivierte Muskulatur auf 38 Grad Celsius zu halten oder im Anschluss an den Wettbewerb zu kühlen, um die katabolen Prozesse zu verlangsamen. 

MadisonWeiterhin trainiert man in Deutschland immer noch nach der Methode: „Viel hilft viel und die stärksten überleben“. Das war unter sozialistischen Verhältnissen sicherlich kein Problem, in denen genug „Menschenmaterial“ vorhanden war. Doch heutzutage ist das einfach nicht mehr zeitgemäß. Der neue Denkansatz muss doch lauten, wie viel ist der individuelle Körper eines Athleten überhaupt in der Lage zu verstoffwechseln, das bedeutet, wie viel Energie kann er durch seinen Körper schleusen. Das erfordert völlig neue Leistungstests, wonach die individuellen Trainingspläne erstellt werden. Der bisher angewandte Laktatleistungstest ist mittlerweile 40 Jahre alt, er wurde in der damaligen DDR zu den Olympischen Spielen 1972 in München entwickelt und ist mittlerweile völlig überholt. 

Man trainiert nicht mehr nach Herzfrequenz, sondern nach Leistung in Watt gemessen. Das bedeutet, man muss jedem Athleten eine Kraftmesskurbel anbauen und seine Daten individuell auswerten. Weit verbreitet ist immer noch der Glaube, dass die Muskeln des Sportlers trainiert werden. Was nur indirekt eine Folge des Stoffwechsels ist. Man muss also in erster Linie den Stoffwechsel trainieren. Dazu gehört natürlich auch die auf das Training perfekt abgestimmte Ernährung. Wenn ich den Fettstoffwechsel trainieren will, muss ich Kohlehydratarm essen oder die G1 Einheiten in den ersten zwei Stunden nüchtern fahren. Vor Wettkämpfen müssen die Kohlehydratspeicher dann wieder aufgefüllt werden. Auf Monosacharide (Einfachzucker) wie Zucker, Schokocreme und sämtlichen Süßkram sollte man als Leistungssportler möglichst ganz verzichten und dafür mehr Polysacharide in Form von Stärke wie in Kartoffeln, unpoliertem Reis und hochwertigen, nicht allzu fein gemahlenen Getreidesorten vorhanden zu sich nehmen.

Bahn-DMBei den meisten Straßenprofis ist es mittlerweile Gang und Gebe, dass innerhalb der ersten fünf Minuten nach intensiven Trainings- und Wettkampfbelastungen ein Recovery-Drink gereicht wird, um die Speicher sofort wieder aufzufüllen und den Regenerationsprozess in Gang zu setzen.

Ziel sollte es auf jeden Fall sein, intelligente und mitdenkende Athleten heranzuziehen, die sich mit dem Sport auseinandersetzen und auch begreifen, was und vor allen Dingen warum sie dieses oder jenes tun, dann kommt der Erfolg von ganz allein. Wenn man jetzt beginnt, an jedem noch so kleinem Detail zu arbeiten und zu feilen, wird man 2016 in Rio de Janeiro wieder mit einem erfolgversprechenden Bahnvierer an den Start gehen!

> zu den turus-Fotostrecken: Über tausend Impressionen von der Bahn-DM 2012

Inhalt der Neuigkeit:
  • Ausblick
  • Rennbericht
  • Technik
Radrennen-Art:
  • Bahnradsport
  • BDR-Meisterschaft
Name des Radrennens
  • Deutsche Meisterschaften im Bahnradsport

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Legendär! :-)
G
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