Rio de Janeiro: Lebensfreude, nächtliche Schüsse, Cafezinho und Militärhubschrauber

 
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altDie brasilianische Millionenmetropole Rio de Janeiro könnte facettenreicher kaum sein. Alles ist möglich, alles kann passieren - Rio kann man auf unterschiedlichster Art und Weise kennen lernen. Noch eben ein Cafezinho in einem Straßencafé und schon steigt neben einen mit viel Getöse ein Militärhelikopter auf. Unglaublich viel Lebensfreude stehen der alltäglichen Gewalt gegenüber. Der Hall nächtlicher Schüsse dringt bis in die Gassen von Leblon und Copacabana. Regelmäßig wird im turus-Magazin Brasilien - mit Schwerpunkt Rio de Janeiro - portraitiert. Folgend ein Auszug aus dem Buch "Saudade do Brasil", das 2011 auf den Markt kommen wird.

Mit dem Bus fuhren wir bis zur Rua General Garzon. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite folgten wir der Rua Pacheco Leão und suchten einen Nebeneingang des Jardim Botânico. Ein Eingangstor gab es jedoch nicht auf dieser Seite. Nur von der Rua Jardim Botânico aus war es möglich in den Park zu gelangen. Umsonst war der Umweg trotzdem nicht, denn dort hinter dem Botanischen Garten gab es ein urgemütliches Café, das selbst hohen europäischen Ansprüchen genügte. Orangenkuchen, Milchkaffee und Ambiente waren perfekt. Dementsprechend hoch waren allerdings auch die Preise ...

altFür schlappe vier Reais konnte man dagegen den Jardim Botânico betreten und dort so lange verweilen, bis die Sonne hinter den Bergen des Tijuca Nationalparks unterging. Der Botanische Garten überraschte mich sehr stark. Meine Erinnerungen an den Garten beim 1996er Aufenthalt waren blass. Allein die weltberühmte Palmenallee hatte sich in meinem Gedächtnis festgesetzt. Doch der Garten hatte weitaus mehr zu bieten. Die Ausmaße der Grünanlage waren größer als gedacht und man spazierte dort fast allein die Wege zwischen den tropischen Pflanzen entlang. An einer Seite des Gartens ging er nahtlos in den Atlantischen Regenwald des Tijuca Parks über. Der Jardim Botânico war ein Ort der Ruhe, der Stille und der Erholung. Hier konnte man komplett die städtische Hektik herunterfahren und die Seele baumeln lassen.

altHektischer wurde es wieder am Abend in Copacabana. Nach einem Açai und einem Burger suchten wir heute eine Bar eine Querstraße weiter auf. Die Stimmung war von Anfang an merkwürdig. Die Bar mit den blauen und gelben Plastikstühlen übte auf uns einen morbiden und maroden Eindruck aus.
»Recht übel hier. Echt rotten. Aber wenn wir hier schon mal sitzen. Lass uns zwei Brahma Chopp trinken«, meinte ich und winkte der Frau in der Bar zu.
Gegenüber auf dem Bürgersteig schliefen fünf Gestalten unter stockigen Laken. Neben ihnen türmten sich verdreckte Pappkartons. Ein Farbiger ging an den Bargästen vorbei und legte überall drei, vier mickerige Erdnüsse auf die Tische. Anschließend lehnte er sich missmutig an ein Auto und beobachtete die Leute. Müde sammelte er paar Minuten später wieder die armseeligen Erdnüsse ein und verschwand in der Dunkelheit der Nacht.
Eine komplett weiß bekleidete Frau humpelte mit einem Körbchen herbei, in dem sich religiöse Utensilien befanden. Murmelnd bot sie die diversen Gegenstände an, doch niemand nahm Notiz von ihr. Da fiel mir auch wieder die alte Candomblé-Priesterin ein, die tagsüber stets reglos auf dem Bürgersteig am Praça Serzedeio Correia hockte und auf die Straße starrte. In der Hand ein Bild von Jesus Christus...

Die Situation an der verkommenen Bar wurde immer skuriler. Die Müllabfuhr sammelte irgendwelches Zeug ein und die Polizei war mit Blaulicht – in Brasilien grelles Rotlicht – im Viertel unterwegs. Immer wieder liefen schräge Typen vorbei und gegen Mitternacht zogen wir es vor, uns in die Wohnung zurückzuziehen. Beim Bezahlen beschiss man uns glatt. Statt der eigentlichen 10,50 Reais sollte ich 13,40 Reais zahlen. Ich wollte nicht diskutieren und legte glatte 15 Reais auf den Tisch. Als Jens und ich in den Betten lagen, hörten wir in der Ferne Schüsse fallen. Immer wieder hallte es nachts ganz dumpf aus verschiedenen Richtungen.

Am kommenden Tag wanderten wir zum Morro do Leme. Ich wollte schauen, wo Kathrin und ich damals einen Fußweg hinüber zum Zuckerhut gesucht hatten. Die Sache konnte im Sommer 1996 nur schief gehen. Ich konnte genau die ansteigende Gasse ausfindig machen, die von Leme aus hinauf zu den Favelas Chapéu Mangueira und Babilônia führte. Eine Sackgasse, die oben ganz bestimmt nicht weiter führen würde. Diese kleine Straße nannte sich Ladeira Ary Barroso und ging von der Rua General Ribeiro da Costa ab. Unten an der Kreuzung lungerte eine Jugendgang mit Mopeds herum. Die ersten warfen bereits bedrohliche Blicke herüber. Ich fertigte rasch zwei Schnappschüsse an und dann verdufteten wir uns ganz schleunig.

altWir liefen den gesamten Strand von Copacabana ab und beobachteten die jungen Frauen und Männer, die Beachvolleyball und Fußball spielten. Ein angeblich blinder Mann erbettelte bei unter Sonnenschirmen sitzenden Bier trinkenden Leuten ein paar Münzen. Später staunten wir nicht schlecht, wie schnell er dann doch vorankam.
Am anderen Ende von Copacabana setzten wir uns draußen vor das Café Colombo und konnten hinüber in Richtung Corcovado und Zuckerhut schauen. Auch zahlreiche asiatische Touristen waren vor Ort und bestellten sich kleine Kännchen mit Kaffee. Eine kleine Band spielte Musik und die Asiaten waren sichtlich begeistert. Bis zu jenem Zeitpunkt, an dem sich direkt hinter dem Café ein großer Militärhubschrauber einem erhöhten Landeplatz näherte. Wie bei einem Kriegseinsatz in Mogadischu setzte der schwere Helikopter mit tosendem Lärm zur Landung an. Die Rotorblätter wirbelten Laub und Sand auf und hüllte die gesamte Umgebung in einen Staubnebel ein. Die japanischen Touristen nahmen panisch Reißaus und suchten hektisch das Weite.

Foto: Marco Bertram

> zur turus-Fotostrecke: Brasilien

> weitere Brasilienbilder auf www.saudade-fotos.net

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