Bürgerkrieg in Syrien: youtube bringt das Elend ins heimische Wohnzimmer

Willkommen auf „Syria Tube – God bless Syria Al-Assad“. Die digitale Welt macht´s möglich. Regimetreue und Oppositionelle haben auf youtube diverse Kanäle eingerichtet und veröffentlichen auf diesem Wege unzählige Filme, welche die Details des syrischen Bürgerkrieges weltweit verbreiten. „Tens of terrorist killed by a rocket +18“ heißt ein Clip von „SyriaTruthNetworkENG“, der am 04. März 2013 online gestellt wurden. 13.300 Klicks, 127-mal ging der Daumen nach oben, nur 28-mal nach unten. Einer von hunderten Filmen, die im Netz zu finden sind und die Gewalt des Bürgerkrieges bis zu uns ins heimische Wohnzimmer bringen.

Geschrei, eine Detonation, ein lautes Pfeifen. Eine Straße, Gebrüll, arabische Untertitel. Gefilmt mit einer kleinen Kamera. Wacklige Bilder. Blutende Passanten, die auf den Bürgersteigen liegen. Jemand hält kurz eine Granate ins Bild. Näher dran geht nicht. Kein Kriegsreporter der Welt würde solch eine Sequenz auf Bestellung einfangen können. Am Ende des Kurzfilmes wechselt das Bild, eine Handyaufnahme wurde angefügt. Weitere Schwerverletzte und Tote auf dem Asphalt. An Härte und Brutalität kaum zu überbieten – und es stellt sich die Frage: Müssen solche Filme für jedermann verfügbar sein? Oder ist das die Freiheit des Internets?

„Assad game over“, kommentierte ein youtube-Nutzer unter dem besagten Film. Die meisten Kommentare wurden auf Englisch verfasst. „Who´s the good guy? And who is the bad?“, fragte ein anderer. „Go USA, kill Assad.“, kommentierte jemand vor zwei Tagen. Wiederum ein anderer setzte einen Satz auf Russisch drunter. Grob übersetzt: „Ein gutes Projektil ist gelandet.“ Während der Normalsterbliche nicht erkennt, um was es sich da genau handelt, was in die Kamera gehalten wurde, scheint jener User zu wissen, welch ein „Prachtstück“ da einschlug und verheerende Wirkung hatte. Apropos, die meisten Daumen nach oben erhielt der Kommentar: „Long live Assad. Fuck FSA“ (Freie Syrische Armee). Für Neugier sorgt ein arabischer Kommentar. Übersetzungsprogramme machen es möglich, auch diesen halbwegs zu verstehen: „Herr Präsident Bashar tötet alles!“ Nicht zu vergessen ein „:))))“, so, als wenn es sich um ein „funny cats“ oder um ein „laughing baby“ Video handelt. Verrückte Welt. Traurige Welt.

Eine Bemerkung ist jedoch durchaus interessant: „People, don't believe that.... The Syrian army belongs to Al-Assad killing the muslims and christians. This Video shows civilians killed by Al assad armee and not by FSA. They are Civilian against his regim“. Da dieser Kommentar zu viele negative Bewertungen erhielt, ist dieser nur noch nach bewusstem Anklicken sichtbar. Ein User mit syrischer Flagge als Profilbild antwortete direkt: „why should assad kill christians in syria? only the fsa kill christians because they want to make an islamic state in syria but they can`t do it they get fu*** by assad.“ In der Tat ist für Außenstehende schwer oder gar nicht erkennbar, wer auf dem besagten Video durch die Explosion getötet wurde. Und dies macht das Dilemma, in dem ausländische Experten und Politiker stecken, mehr als deutlich. Kaum jemand vermag zu sagen, wer welche Greueltaten begeht bzw. wer gegen wen Giftgas, etc. einsetzt. Kein Wunder also, dass bisher keine ausländischen Truppen in Syrien eingesetzt wurden.

Zurück zu youtube. Jeder User kennt die Funktion. Beim Anschauen eines Videos werden themenverwandte Clips rechts in der Spalte präsentiert. Ganz oben die Filme, die mit einem „angesagt“ markiert sind. Beim Anschauen der syrischen Kriegsfilme, wirkt diese Funktion abstrus. „18+ Syrian rebel killed by 1 million dollar syrian shot“. 28.800 User wollten sich diesen Film bisher anschauen. Bevor man realisiert, was man überhaupt sieht, sind die 21 Sekunden bereits vorüber. Da man jedoch nicht in die TV-Röhre schaut, sondern auf youtube verweilt, kann das Filmchen auf Wunsch immer und immer wieder wiederholt werden. Zurück auf Anfang. Schmerzfrei blendet sich ein Werbebanner ein. „Flüge nach Griechenland“. Man hört wieder aufgeregte Stimmen. Man sieht Beine und staubigen Boden. Ab Sekunde acht ertönt eine Melodie aus einem 60er-Jahre-Italo-Western. Die Kamera hebt sich, man erkennt eine Landschaft und einen Mann, der einen getöteten Zivilisten auf der Schulter trägt. Plötzlich dreht sich der Mann und sichtbar werden die nackten Beine des Toten. Eine blutverschmierte Unterhose wird in Richtung Kamera gehalten. Abrupt endet anschließend der Film. Dass solche Filme bei youtube nicht zensiert / gelöscht werden, ist – nun sagen wir mal – erstaunlich. Die hässliche Krönung des Ganzen bilden einige Kommentare. 24 Daumen hoch für „Headshot but here is assshot“.

Das Grauen geht weiter. Hundertfach und noch mehr. Live gefilmte Kriegseinsätze, Explosionen, Gebäudestürmungen. Diese Western-Melodie ertönt immer wieder. Meist in der Mitte des Filmes. Eine Art „Spiel mir das Lied vom Tod“. Aber nein! In einem längeren Video läuft das Lied weiter und es fällt wie Schuppen von den Augen: „The good, the bad and the ugly.“ Die Rollenverteilung im syrischen Bürgerkrieg darf jeder ganz persönlich vornehmen. Kein Ende in Sicht. Es wird immer gruseliger. „Syria War. FSA Super Sniper“. Bevor es losgeht, läuft ein Werbeclip für einen Mobilfunkkonzern. Quakende Frösche. Ein Flugzeug. "Gemeinsam geht mehr". Dass die Werbeclips nach dem Zufallsprinzip rotieren, wird deutlich, wenn man die entsprechende Seite nochmals lädt. „Berlin, du bist so wuuuunderbar...“ Und dann kommt er auch schon, der „Super Sniper“, der in einer Ruine durch ein Loch späht, etwas erklärt und anschließend mit eine kleine Steinschleuder benutzt. Oh meine Güte! Was ist Fake? Was ist Spaß? Was ist traurige Realität? Und was ist reine Propaganda? Die Antworten auf diese Fragen wird man niemals erfahren. Eine Antwort gab indes ein User mit dem Namen Chris: „I know not with what weapons World War III will be fought, but World War IV will be fought with sticks and stones. Albert Einstein.“

Fotos: Pro Assad Demo und Gegendemo in Berlin, Ende 2012

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