Nordirlandkonflikt: Brodelnde Eskalation statt ein Funken Hoffnung

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Nordirlandkonflikt: Brodelnde Eskalation statt ein Funken Hoffnung

Es ist ja nicht so, als ob in Belfast kein Union Jack zu sehen ist. Im Gegenteil: Tausendfach weht die Nationalflagge des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland beispielsweise von den Häusern rund um die Shankill Road und auch die Bordsteine und Stromkästen sind in blau - rot - weiß getaucht, während 500 Meter entfernt (wenn die Zufahrten zur Divis Street und Falls Road offen sind) die vorherrschernde Farbe grün ist. Ein Glaubenskonflikt zwischen Protestanten und Katholiken der sich in seinen Farben durch ganz Nordirland zieht, der in den Köpfen der Bevölkerung immer präsent ist und bei dem nur ein kleiner Funken reicht, um ihn eskalieren zu lassen und ihn in die weltweiten Nachrichtensendungen zu bringen. Wie jetzt beim Flaggenstreit von Belfast.

Auch fast 15 Jahre nach dem Karfreitagsabkommen (10. April 1998) ist keine Ruhe in Sicht. Auch wenn der Nachrichtenwert des Konflikts für die Medien in den letzten Jahren abgenommen hat, ist er in Nordirland immer präsent. Dies zum einen durch die kunstvoll gestalteten Graffitis beispielsweise in Belfast oder Derry (Londonderry), durch die großflächige Beflaggung und leider auch die durchgängige Gewalt, die sich durch Bombenanschläge (unter anderem explodierte eine Autobombe am 3. August 2010 vor der Polizeistation in Derry, gerade zu dem Zeitpunkt als wir von turus.net vor Ort in der Stadt waren) mit Toten und Verletzten sowie Ausschreitungen ausprägt.

So schwelt der Konflikt vor sich hin, bis ein Fünkchen ihn zum Kochen bringt. Derzeit ist es der Flaggenstreit von Belfast. So hat der Stadtrat in einer Abstimmung Anfang Dezember beschlossen, die britische Flagge nicht mehr durchgängig vom Rathaus der Stadt wehen zu lassen, sondern nur an 18 ausgewählten Tagen. Die Entscheidung wurde vor allem von Abgeordneten der pro-irischen Sinn-Fein-Partei und gemäßigten Politikern getragen. Die Loyalisten wandten sich gegen den Beschluss und riefen zu einer Demonstration auf, die zu Beginn friedlich verlief. Erst zum Ende kam es zu gewalttätigen Ausschreitungen zwischen pro-britischen Demonstranten und der Polizei rund um die Newtownards Road, die seit sechs Nächten nun anhält.

Es klingt wie eine vorhersehbare Provokation - ist es aber nicht ganz, denn der Beschluss, die Flagge von öffentlichen Gebäuden in ganz Großbritannien nur an bestimmten Tagen wehen zu lassen stammt aus dem Jahr 2000 und wurde bisher von Nordirland nur durchgängig ignoriert und erst jetzt von der Belfaster Stadtverwaltung unter dem Eindruck der aus ihrer Sicht entspannten Lage in Angriff genommen. Anscheinend haben die Politiker das Ausmaß des "Eindrucks" unterschätzt, denn die Entscheidung rief nicht nur enttäuschte friedliche Protestanten auf den Plan, sondern auch Extremisten: Seit 1906 wehte der Union Jack vom Rathaus und ihrer Meinung nach soll es auch so bleiben. Ein fehlen der Flagge wäre ein Verlust der Machtdemonstration.

Und was sagt die irisch-republikanische Partei Sinn Féin? In einer Pressemeldung erklärte der internationale Sprecher der irischen Partei, Dieter Blumenfeld, es gäbe im Norden Irlands keinen Protest über die britische Fahne. Stattdessen habe die Frage um das Hissen des Union Jack ein Ventil in der unionistischen Bevölkerung geöffnet, das loyalistische Paramilitärs, wie die UVF, nun versuchen für ihre eigenen Ziele auszunützen. Die irischen Arbeiter hätten genauso wie die unteren Schichten der unionistischen Bevölkerung enorm durch den Friedensprozess verloren. Wirtschaftlich seien die loyalistischen und nationalistischen Arbeiterviertel in Belfast, Derry, Armagh und Newry am Boden. Die Arbeitslosigkeit sei enorm, Infrastruktur nicht vorhanden und das Bildungsniveau gering. Laut Blumenfeld sei der fehlgeleitete Friedensprozess Schuld an der Spaltung der Bevölkerung, dabei war seine Partei an den Verhandlungen vor 15 Jahren beteiligt. Laut Sinn Feinn sei das Karfreitagsabkommen von 1998 gescheitert und ein britischer Abzug aus Nordirland nötig, um einen föderalen Staat zu gründen, der allen Bevölkerungsgruppen gleiche politische und soziale Rechte ermöglicht.

Ein absurder und radikaler Traum von Sinn Feinn, der sich (Stand heute und gestern) nie erfüllen wird. Dafür sind die beiden Glaubensgemeinschaften zu stark verfeindet. Denn so lange zwischen Shankill Road und Falls Road, abends die Tore geschlossen werden - die Mauer und Zäune stehen - so lange wird der Konflikt auf Messers Schneide weiter schwelen und ein kleiner Funken statt Hoffnung Eskalation bringen. Jetzt braucht es besonnene Menschen, die die Radikalen und Extremisten auf beiden Seiten zurückhalten und das Land mit seinen Landschaften und Kulturdenkmälern so präsentieren und entwickeln wie es ist: Sehenswert. Heute übrigens zum Geburtstag von Kate Windsor, der schwangeren Herzogin von Cambridge (Catherine Mountbatten-Windsor, Duchess of Cambridge) und Frau von Prinz William soll am Rathaus der nordirischen Hauptstadt der Union Jack wieder gehisst werden.

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