„Wir sind die Guten!“ Kurioses, Kreatives und Provokatives an Berliner Hauswänden

MB Updated
„Wir sind die Guten!“ Kurioses, Kreatives und Provokatives an Berliner Hauswänden

PlakatImmer wieder ertönt auf linken Demonstrationszügen die Parole „Ihr werdet´s nicht vermuten, wir sind die Guten!“. Passanten bleiben dann schon mal stehen und starren verdutzt auf den martialisch anmutenden Demonstrationszug, der sich durch Berlin-Friedrichshain oder durch das Hamburger Schanzenviertel seinen Weg bahnt. Treffender hätte also der Titel des von Simon Akstinat herausgegeben Bildbandes nicht sein können. Als Coverbild – wie könnte es in diesem Zusammenhang auch anders sein – ein Demonstrant, der etwas in Richtung zurückweichender Polizeikette wirft. Darunter der wohl bekannte Spruch: „Freiheit ist der kurze Moment, in dem der Pflasterstein die Hand verlässt, bis zum Moment, wo er auftrifft! Nur wer kämpft, der lebt!“

FriedrichshainBekommt man das im Braus Verlag erschienene handliche Büchlein in Papier verpackt geschenkt, ist der Überraschungseffekt beim Auspacken groß. Zum Geburtstag vom jüngeren Bruder. Das Buch müsse ja nicht gleich am Familientisch die Runde machen. Mit solch einem Cover weckt es allerdings sofort die Aufmerksamkeit der Verwandten. Erstaunte Blicke? Ein Anifa-Buch? Ein gewaltverherrlichender Bildband? 

Nichts derart. Vielmehr handelt es sich beim Buch „Wir sind die Guten“ um eine fotografische Reise durch den Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg. Dort gibt es vermutlich die höchste Dichte an politischen Plakaten wie in keiner anderen Gegend Europas (Athen und Saloniki während der momentanen Krise mal ausgenommen). Geht man durch die Straßen in Friedrichshain-Kreuzberg spazieren, drängen sich die Plakate und Aufkleber den Passanten förmlich auf. Zu sehen an Hauseingängen, Hauswänden, Mülleimern, Verkehrsschildern, Fallrohren und Litfaßsäulen. Das hat in Kreuzberg bereits seit den 80ern, in Friedrichshain seit Anfang der 90er Jahre eine lange, bunte Tradition.

Friedrichshain 1995Welcher Friedrichshainer erinnert sich nicht an das Plakat, das Ende der 90er Jahre überall im Bezirk zu sehen war? „Der General putzt für´s Kapital! Echt ätzend! Greif dir die große Flasche!“ Der damalige Innensenator Jörg Schönbohm als „Meister Proper“. Manch einer hatte Tränen gelacht. Nicht lustig fand dies der Verfassungsschutz, der sogleich die Ermittlungen aufnahm. Ein Aufruf zur Körperverletzung oder gar zum Mord? Sich die Flasche greifen? Sich den Politiker schnappen? 

Wortspielereien werden auf politischen Plakaten und Aufklebern immer wieder gern angewandt. Erstaunlich, wie kreativ manch ein Motiv oder Spruch ist. Die Macher der Wahlwerbeplakate der großen Parteien könnten da einiges von lernen. Keine flachen Floskeln. Nein, gleich ans Eingemachte. 

Simon Akstinat hatte sich auf den Weg gemacht und zahlreiche Plakate und Aufkleber fotografiert und in einem Bildband zusammengefügt. Da die Halbwertzeit zahlreicher Plakate in der Tat sehr kurz ist, macht dieses Buch wirklich Sinn. Im Alltag läuft man zudem meist fix vorbei und registriert die Plakate nur am Rande. Wer stellt sich schon minutenlang in der Rigaer Straße vor eine Hauswand und wertet einen bunten Aufkleber aus?

Im Bildband zu sehen ist ein ganzes Spektrum. Die Motive der Aufkleber und Plakate sind oftmals witzig, häufig verworren in ihren Aussagen und gelegentlich erschreckend brutal. Folgend ein paar Beispiel.

„Eat this, atomic-assholes!“ Auf einem Teller glotzt ein dreiäugiger Fisch. Ein Aufruf zu einer Demo. Der Anlass: Ein Gala-Dinner des Atomforums. 

„Das Viertel bleibt dreckig. Auf die Straße gegen Gentrifizierung!“ Ein düsteres Bild. Steine werfende Demonstranten. 

„Liebigstraße. 15.08.2010. Vorsicht Krisengebiet.“ Zu sehen ist ein Polizeifahrzeug, bei dem die Frontscheibe eingeschlagen wurde. Und zwar genau auf der Fahrerseite. 

„Wir waren es, die Arbeitslosen. Klasse gegen Klasse.“ Im Hintergrund eine brennende Barrikade. Jemand wirft einen Stuhl in die Flammen.

„Berauscht euch, Freunde! Singt und liebt und lacht, und lebt den schönsten Augenblick! Koksen. Kotzen. Kommunismus.“ Jemand zieht mit einem 20-Euro-Schein eine Line, die die Form von Hammer und Sichel hat. Zwischen all den Aufrufen zur Gewalt sicherlich mal eine humorvolle Variante der politischen Aufmunterung.  

1. MaiAnsonsten: Viel „Auf´s Maul“, „Aufmischen“, „Klatschen“, „Zerschlagen“, „Plündern“. Manchmal tun es nur ein paar Worte. Ohne ein hinterlegtes Bild. Schwarz auf Gelb: „Friedrichshain. Verkauft an geldgeile Kneipen und Szenewixer“. Weiß auf Blau: „Staat. Nation. Kirche. Scheiße. Für die Freiheit von der Religion.“ 

Beim Blättern durch das Buch fühlt man sich wie auf einer Zeitreise. Manche Plakate wirken wie aus den 30ern oder 50ern. Eine Frau mit Nudelholz. „Was hat Mama gesagt? Bei Polizei & Staatsschutz die Fresse halten!“ Oder: Ein röhrender Hirsch. „Deutschland abschalten“. Auf einer der letzten Seiten fällt dem Betrachter noch etwas ins Auge. Moment. Stammt das nicht aus der DDR? Von der Kirche von unten? Nicht ganz, denn das Motiv wurde umgewandelt in „Autos zu Pflugscharen“. Mit dem Hammer kraftvoll auf die Motorhaube, so dass es ordentlich pufft.

Nach dem Blättern durch das Buch ist man erst einmal satt und reizüberflutet. „Warnung Rassist“, „Merken Sie sich dieses Gesicht!“, „Knastkampf ist Klassenkampf“. So viel politischen input bekommt man schließlich auf keiner Straße der Welt in so kurzer Zeit. Auch nicht in Friedrichshain-Kreuzberg. 

Der Fotograf / Autor des Buches erklärt im Vorwort ganz deutlich, dass er sich die Botschaften selbstverständlich nicht zu Eigen mache. Vielmehr handle es sich bei dieser Foto-Sammlung um ein interessantes und unterhaltsames Zeitdokument. Dem stimmen wir gerne zu! (PS: Danke Brüderchen!)

Erschienen ist das Werk bei der Edition Braus Berlin GmbH.

> www.editionbraus.de

> zur turus-Fotostrecke: Friedrichshain im Wandel 1995 – 2001 – 2011

> zu den turus-Fotostrecken: Diverse Gesellschaftsthemen

 
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