Abenteuer Berlin: Erlebnisse in der S-Bahn

MB Updated
Abenteuer Berlin: Erlebnisse in der S-Bahn
s-bahnNicht durch Welten, Kontinente und Länder. Nur zur Arbeit und zurück. Die tägliche Fahrt mit der Berliner S-Bahn war während der letzten beiden Jahre nicht immer ein schönes Erlebnis. Notfahrpläne der S-Bahn führten die Stadt letztendlich 2009 in ein Desaster. Charlotte aus Pankow schrieb von 2007 bis 2009 ein privates Tagebuch über ihre täglichen Fahrten mit der S-Bahn. Ein paar Auszüge sind nun im turus-Magazin zu lesen. Täglich quer durch die Stadt zur Arbeit pendeln - in Berlin mitunter ein echtes Abenteuer...

Warnstreik 2007

Es ist jetzt fast genau zwei Jahre her, da fing es an: Am 3. Juli 2007, ich erinnere mich genau, denn es war mein 40. Geburtstag, begann die Bahn mit einem Warnstreik, der eigentlich bis 9 Uhr ausgestanden sein sollte. Ich brauchte an diesem Tag zirka vier Stunden, um zur Arbeit zu kommen. Ich weiß jetzt, dass man auch ohne S-Bahn nach Potsdam gelangen kann, aber die Frage ist: Wie?
Danach war erst mal wieder Ruhe, alles lief nach Plan. Dann kamen die richtigen Streiks. Im Winter. Zwar fuhren die S-Bahnen, aber man wusste nicht so genau wann, also stand man oft und lange auf den Bahnhöfen und wartete und fror sich den Arsch ab.

Juli 2009. Gedanken einer Reisenden

Es gehen einem unterwegs so viele Gedanken durch den Kopf: Wie wäre es bloß, wenn ich meinen täglichen Weg mit dem Auto bewältigen würde? Keinen Plan. Habe eh kein Auto und würde mir das auch nicht antun, denn auf den Straßen herrscht Krieg. Auf den Bürgersteigen ist es gesitteter, finde ich. Manchmal, wenn ich mit jemandem im Auto mitfahre und der sich über irgendwas aufregt, kann ich das nicht nachvollziehen. Ich frage mich, warum man sich wegen so einer Lapalie das Leben schwer macht. Habe ich dann selbst wieder eine eigene Fahrmöglichkeit (wie damals das Auto meines Vaters), merke ich ziemlich schnell, wie mir ratz fatz das selbe widerfährt. Man ist bei jeder Kleinigkeit auf 180, empfindet die Situation nicht als Kleinigkeit. Ach nee, Auto wäre schön, um mal rauszufahren, einzukaufen oder so. Aber zur Arbeit: auf keinen Fall! Wo bleiben die sozialen Kontakte?

Vier, sagen wir mal Senioren, zwei Damen und zwei Herren, saßen links schräg vor uns, sich selbst paarweise gegenüber, im Regio Richtung Berlin. Sie waren sehr lustig, waren scheinbar Touristen aus dem Noorden. Erzählten Geschichten aus der Zeit während und nach dem Krieg, Wegzug, Rückkehr... Keine Ahnung. Aber auf eine Weise, die toll ist für Jüngere, zuzuhören. Hinter ihnen saß auf einem Zweiersitz eine junge dicke weibliche Person, die ständig über ihr Handy angerufen wurde. Wenn ich darüber nachdenke, muss es wohl der geliehene Zug aus Rostock gewesen sein, denn es gab keine Klimaanlage. Die Fenster waren angeklappt. Dadurch konnte man genauso durch sie hindurchsehen, wie bei geschlossenen Fenstern. Und die Luft änderte sich dadurch auch nicht.

Einen Unterschied gab es jedoch: die Geräuschkulisse. Es war unglaublich laut. Man musste ziemlich laut reden, um sich verständigen zu können. Das ging der dicken jungen weiblichen Person wohl ebenso am Telefon. Ich bin das gewöhnt, wenn gleich es mich stört. So ein Gespräch am Telefon hätte ich unter diesen Umständen auf jeden Fall verlegt. Wenigstens bis zum nächsten längeren Halt (aber okay, das war nie vorauszusehen, man musste bei jedem Halt damit rechnen, dass dieser länger anhält, der Halt eben).

Einer der älteren Herren, der genau vor der jungen telefonierenden dicken weiblichen Person saß, bemerkte recht lautstark, dass viele Handybenutzer ihr Handy zum Kommunizieren gar nicht bräuchten. Bei der Lautstärke könnte man sich wahrscheinlich auch so hören! Ich musste lachen. Ich fand das echt dermaßen lustig, dass ich Josi beauftragte, diesen Spruch zu speichern. Auch für mein Reisetagebuch. Jetzt habe ich aber selber daran gedacht.
Als die vier dann ausstiegen - am Zoo glaube ich - musste man sich natürlich noch mal beäugen. Wirklich süße Leute - und so jung geblieben. Da flammt dann immer wieder die Hoffnung in mir auf, dass ich nicht zwangsläufig wie viele alte Leute werden muss. Ich kann ewig jung bleiben, im Herzen sozusagen. Und wenn man seinen Humor behält, kann man fast alles ertragen. Sogar die Fahrt zur Arbeit und zurück. Ist letztendlich nicht wirklich schlimm. Aber immer noch beachtenswert, um eben ein Reisetagebuch zu schreiben.

Der Typ auf den Gleisen

Auf dem Bahnsteig der S2 lief eines Morgens irgendwann eine Gestalt in meine Blickrichtung, die mich nachdenken ließ. War älter, männlich, wahrscheinlich mehrere Wochen nicht mehr umgezogen worden (das Outfit, meine ich) und hatte eine Art Identifizierungsausweis in Folie an einem breiten Band um den Hals hängen. Er hatte auch eine Tüte dabei.
Ich weiß nicht, was solche Menschen bei sich tragen.
Ich weiß auch nicht, was die denken mögen.
Er war so huschig - fahrig sagt man wohl dazu - würde auch besser zum Inhalt meiner Beschreibungen passen. Ich hatte plötzlich den Gedanken, er würde vielleicht gerade jetzt, um die Gesellschaft zu bestrafen, seinem Leben ein Ende setzen wollen. Er war immer so dicht an der Bahnsteigkante. Das allein macht mich kribbelig.
Dann begann ich zu überlegen, wie es jetzt wohl weitergeht. Na ja, es würde ja nicht weitergehen. Ich müsste auf der Arbeit anrufen, dass ich heute nicht mehr kommen kann. Wahrscheinlich müsste ich auch eine Zeugenaussage machen, wenn die Polizei kommt. Nun, ich könnte aber gar keine Aussage machen, weil ich vorher definitiv weggeschaut hätte.
Na gut, die Bahn war ja noch nicht zu sehen.
Ich beobachtete die Gestalt im Zickzack, so wie er da herumlief. Dann ging er ganz dicht an die Kante heran. Und machte einen Sprung auf die Gleise.
Ich dachte, der wird sich doch da jetzt nicht rauflegen und warten, dass ihn die S-Bahn überrollt! Nee, irgend jemand wird schon die Polizei rufen oder ihn da runterholen.
Alle starrten gebannt auf den Mann, niemand regte sich.
Der Typ bückte sich, und ich atmete auf. Der hat nur was gesehen, das er gebrauchen konnte.
Er legte seine Tüte auf die Bahnsteigkante und den Gegenstand, den er aus dem Gleisbett geklaubt hatte. Ich konnte nicht erkennen, was es war. Jedenfalls keine Kippe, was ich zunächst vermutete. Ich bin nicht so gut im Weitsehen, benutze meine Brille aber nur zum Autofahren, wenn ich daran denke.
Er hievte sich wieder hoch, und die Gefahr war gebannt. Es war keine Kippe, das konnte ich zumindest erkennen.
Die S-Bahn war am Herankommen.
Ich dachte, schade, dass ich jetzt nicht weiß, was der da unten gefunden hat.
Bis plötzlich .. Jaaaa! Ich konnte es nun doch zumindest vermuten!
Aber nicht den Gegenstand an sich, sondern den Zweck, den er erfüllt.
Die männliche, lange nicht umgezogene Gestalt mit dem Ausweis um den Hals begann jetzt, sich mit dem Gegenstand zu kämmen. Leider kann ich nicht beschreiben, wie die Frisur des Mannes vorher war. Nur, dass diese sich dadurch nicht änderte.
Ich konnte es nicht glauben: Der Typ ist da runtergesprungen, um einen Kamm aufzuheben! Als der Zug einfuhr, schaute ich genau auf den darin sitzenden Zugführer, der völlig unbekümmert seine Arbeit machte.
Ich fragte mich, ob die manchmal daran denken, dass ihnen so etwas passieren könnte: Jemand schmeißt sich auf dem Bahnhof vor den Zug. Ist ja nichts wirklich Ungewöhnliches.
Solche Dinge machen einen morgens auf jeden Fall wach. Wie die Fahrt dann weiterging, weiß ich nicht mehr. Da lief ja auch noch alles „normal“.

19. August 2009. Füße, Sport oder Toast mit Teewurst?

Ich habe mich via Internet informiert: Ich könnte die S 1 in Wannsee schaffen. Klar, fünf Minuten laufen und Treppen steigen zum anderen Bahnsteig. Das schafft man. Die kommt dann 6.41 Uhr in Babelsberg an.

6.41 Uhr kommt mir irgendwie bekannt vor. Genau. Da fährt die Tram dort los! Potsdam und Berlin lieben sich! Anschlüsse nur alle zwanzig Minuten! Auch beim EV.!
Es ist gehuppt wie gesprungen. Man kann optimal nichts mehr planen. Ja, optimal schon, aber mit einer garantierten Zeiteinbuße. Ich habe meine Wohnung heute früh um 5.34 Uhr verlassen.
Jetzt ist es schon 17.39 Uhr. Es wird jeden Tag später. Heute war ich erst nach fünf zu Hause.
Heute morgen fuhr ich wieder mit der Regionalbahn nach Potsdam. Radio hören geht da nicht. Es ist kaum Empfang im Zug. Nicht mal ein richtiges Telefonnetz. Aber ich hatte ja mein Buch dabei.
In Potsdam kaufte ich ein super frisches Vollkornbrot für die Abteilung. Ich rief dort an, um diese Information loszuwerden und gegebenenfalls jemanden zum Supermarkt zu schicken, der noch etwas Aufschnitt besorgt. Hatte aber niemand Lust. Mir doch egal. Ich hab ja meinen Schinken dabei.
Mit dem EV bin ich diesmal bis Platz der Einheit gefahren. Aber von dort dann gelaufen. Wie sportlich. Vor allem immer mit Stöckelschuhen und zusätzlich dem schweren Brot im Arm. In meine Tasche wollte ich es nicht auch noch packen, weil ich eine ziemlich braune Banane dabei hatte. Das wäre nicht gutgegangen.

8. September 2009. Mit der S-Bahn ist was...

Gestern abend rief meine Mutter mich zum zweiten mal an. Ich solle mich noch mal im Internet schlau machen. Mit der S-Bahn ist wieder was. Das war kurz bevor ich ins Bett ging. Es macht keinen Sinn, sich schlau zu machen. Weil man davon gar nicht schlau wird. Zu wissen, dass was mit der S-Bahn ist, heißt nicht, dass man sich einfach mal so erkundigen kann, wie man vorankommt. Zumal es sich um ein „plötzliches“ Ereignis handelt. Inzwischen fuhren die S-Bahnen relativ normal. Zumindest wurden fast alle Linien bedient. Nun, man hatte also die Räder kontrolliert. Ich dachte immer, dass Räder und Bremsen etwas miteinander zu tun hätten. Ist wohl aber nicht so. Jetzt wurde bekannt gegeben, dass aus gegebenem Anlass die Bremsen kontrolliert werden müssen. Somit zog man dreiviertel aller Züge mal so über Nacht aus dem Verkehr.

So genau habe ich das erst mal um fünf vom Radiomoderator erfahren. Dem haben sie gestern seinen Bulli geklaut. Also musste auch er mit dem Öffentlichen nach Babelsberg fahren. Das ganze natürlich absolutes Thema Nummer eins. Was das für mich bedeutete, konnte ich da noch nicht ahnen. Laut Radio sollten die Nord-Süd-Verbindungen aber klappen, also S 1 und S 2. Zwar im Zwanzigminutentakt und verkürzt (also die Züge), aber was solls! Selbst dann fährt die S 2 aus Bernau kommend normal 5.46 Uhr. Dachte ich. Sie kam etwa zehn Minuten später und fuhr zur Schönhauser Allee, transportierte die Pendler lediglich zur Bornholmer Straße, um sie dort für die S 1 abzuladen. Wer also Richtung Gesundbrunnen, Friedrichstraße etc. wollte, musste unumgänglich in die S 1 umsteigen. Da wusste ich noch nicht, dass etliche Stationen gar nicht mehr angefahren wurden. Zum Beispiel Friedrichstraße, S 7 (Fern- u. Regiozug schon) und 23 andere Bahnhöfe wurden geschlossen.

Kann man sich das vorstellen? Als auf der Internetseite etwas von geschlossenen Bahnhöfen stand, dachte ich, es handele sich um überdachte Bahnhöfe oder so. Nein, hier wurde wirklich zugemacht. Abgeschlossen sozusagen. Sperrbänder, Rolltreppenabsperrung, keine Ahnung! Als ich Gesundbrunnen einen Platz ergattern konnte (die S 1 kam erst sieben nach sechs), stand mein Entschluss fest, bis Babelsberg durchzufahren. Das war am bequemsten und sicher nicht am längsten. Den Regio konnte ich ja nicht mehr schaffen. Und den vermutete ich auch schon überfüllt. Bis Potsdam Stehen kam nicht infrage. Ich las mein Buch, es war schon in der heißen Endphase. Das kam mir bedrohlich vor, denn ich wusste, es ist ausgelesen, bevor ich in Pankow wieder ankomme.

Habe Marta noch schnell eine Mail geschrieben. Dass es wohl etwas später würde. Sie hatte auch gerade davon gehört (da war es zehn vor sechs). Kurz nach sieben war ich in Babelsberg. Die Tram fuhr gerade los. Na gut, jetzt konnte ich endlich mal den Bäcker begutachten, den ich neu aufgemacht immer vom Regio aus sehen konnte. War mein Lieblingsbäcker mit Lieblingsbaguettes. Ich fand, dass ich mir so ein Lieblingsbaguette durchaus verdient hatte und freute mich schon drauf.
Tram war sowieso weg. Buletten-Gemüse-Brötchen mit Remoulade. Lecker. Noch acht Minuten bis zur Abfahrt. Ich rauchte, las und fror. Es waren bis zu 27 Grad angesagt. Trotzdem ist es morgens sehr kühl. Und trotz kuschliger Jacke bibberte ich so sehr, dass ich dachte, andere könnten mein Beben sehen.
Auf der Arbeit befand man mein Zuspätkommen noch als relativ annehmbar. Halbe Stunde! Geht doch noch bei den Voraussagen! Ich war immer wieder am Gange, Informationen über den Not-Fahrplan zu eruieren, klar via Internet. Das aktuellste, was angeboten wurde, war eine Tabelle mit den noch fahrenden und den ausfallenden Linien. Und ein Linienplan mit markierten Abschnitten, die überhaupt nicht befahren wurden. Vor allem in der City. In Berlin läuft übrigens gerade die IFA. Ist ja wirklich ein bisschen wie Sabotage. Erst die Leichtathletik-WM, jetzt die IFA. Ein Hohn, die Veranstaltungstipps im Radio zu hören! Wie soll man denn da hinkommen?
Zurück entschied ich mich gegen den Regio. Nicht Stehen bis Alexanderplatz! (Wohl aber morgen doch.) Da die Straßenbahnen in Potsdam wieder normal fahren, war es kein Thema nach Babelsberg zu kommen. Dort bekomme ich auf jeden Fall einen Sitzplatz.

Ich rechnete mir aus, wann die S 1 eintreffen würde, wählte eine Tram, die es mir erlaubte noch in den Supermarkt zu gehen und hatte fast eine viertel Stunde Zeit. Ich überlegte, ob ich dann weiterlese, wenn ich mit der Bahn unter der Erde fahre, weil ich da keinen Radioempfang habe. Aber mein Buch war einfach zu spannend. So war ich lange vor dem Tunnel schon fertig und hörte bis zum Rauschen noch etwas Fritz. Thema? Welche Frage? Ich befand mich ja mittendrin! Es wurde nun doch ziemlich voll.

Drei Frauen setzten sich zu mir. Waren scheinbar Kolleginnen und siezten sich. Bestimmt nicht mehr lange, so etwas schweißt zusammen! Sie erzählten dies und das und immer mal wieder, wie die eine oder andere noch weiterkommt. Die wollten tatsächlich nach Oranienburg. Ich fürchtete langsam, ich würde Panik bekommen. Die Luft war zum Zerschneiden, und wir fuhren unter der Erde. Die stehenden Fahrgäste waren derart gedrängt, dass Festhalten überhaupt nicht nötig war. Ich war froh, dass ich saß. Als wir Friedrichstraße einfuhren, habe ich ungläubig den Kopf geschüttelt. Wie sollten die denn alle noch reinpassen? Viele sogar mit Fahrrädern! Es blieben einige auf der Strecke. Und die Abstände zwanzig Minuten.

Unfassbar! Mir war langweilig, also rief ich Mr. Why an. Den ging das alles nur peripher an. Bis ich ihn mittags angerufen hatte, wusste er von gar nichts. Da er morgen aber auch wohin muss, begann er sich allmählich, einen Kopf zu machen. Ich schilderte ihm jetzt die Situation. Die Frauen um mich herum mussten sehr lachen. Sie lauschten ja meinem Gespräch.

Irgendwann setzte sich sogar eine dritte Frau zu den beiden mir gegenüber. Sie war den übrigen nicht bekannt, sondern eine Fremde. Vorher sagte schon die mir gegenübersitzende Kollegin, dass wir wohl den einen oder anderen auf den Schoß nehmen sollten. Sie entschied sich für junge hübsche Männer.
Ich sah mich um, konnte aber keinen entdecken. Dann lieber eine fremde Frau. Während ich noch mit meinem Freund sprach, fuhren wir von Gesundbrunnen los. Ich überlegte laut, ob ich schon aufstehen sollte, um auch wirklich dem Zug zu entkommen!

Die neue neben mir beruhigte mich mit den Worten: „Das ist noch nicht nötig, das schaffen wir schon.“ Ich fragte sie, ob sie uns dann einen Weg bahnen würde? Die anderen lachten wieder.

Dann hatte ich es geschafft. Bornholmer raus, Luft, Licht, Menschenmassen, die in die S 2 wollten. Ich hatte vorher schon zu meinem Freund gesagt, dass mir die letzte Station egal sei. Ich würde mich auch draußen ranhängen, vor der Option mit der Straßenbahn nach Pankow zu fahren. Das hätte mich nochmal mindestens dreißig Minuten gekostet. Oder mehr. Und Schuhsubstanz. Ich muss unbedingt zum Schuster.
Als ich viertel sechs zu Hause eingetroffen bin, war ich wirklich fertig.

9. September 2009. Welchen Weg kann man nehmen?

Ich hatte bis heute kurz vor Antritt meiner Reise keine Ahnung, welchen Weg ich einschlagen würde. Ich beeilte mich, um einige Minuten früher aus dem Haus zu kommen. Kurz vor halb sechs trat ich auf die Straße. Gut, versuchst du es mal mit SEV, U 2 und Regio. Welche Haltestelle? Masurenstraße wäre linksrum, aber weit (außerdem hatte ich Angst, dass der Bus mich im Dunkeln dort nicht sehen und an mir vorbeifahren würde).

Bahnhof war rechtsrum, wegen der Baustelle liegt die Haltestelle aber vor dem Postamt. Vom Weg her egal. Ich entschied mich für das Postamt. Vom Fußgängerüberweg bis zur Station fuhren schon zwei Busse an mir vorbei. Kaum angekommen, traf bereits der nächste ein. Um diese Uhrzeit ist die einspurige Schönhauser Allee noch nicht so befahren. Ich kam auf dem U-Bahnhof an und sprang sogleich in die U 2.
Ich bin über den Alex geschlendert. Josi hatte mir so viel davon erzählt, wie er morgens aussieht. Es war noch fast dunkel. Der Dreck um den Brunnen herum hob sich farblich trotzdem ab. Und da keine Menschen dort herumlungerten, stach er besonders hervor. Über mir kreisten Vögel. In den Müllhaufen staksten welche herum. Tagsüber sind das Tauben. Im Dunkeln verwandeln sie sich in Krähen.

Ein unheimliches Szenario. Der dunkle Alexanderplatz, der dreiviertel volle Mond neben der Fernsehturmkugel und die kreisenden Krähen. Ich war punkt sechs am S- u. Fernbahnhof Alexanderplatz.

Als Josi die zwei Tage mit mir zusammen zur Arbeit fuhr, stieg sie Alex ein, ich kam Friedrichstraße dazu. Friedrichstraße Abfahrtzeit 6.07 Uhr. Ich rechnete. Dann wird er wohl so gegen 6.05 Uhr vom Alex losfahren. Ich war auf dem Bahnsteig angekommen, da fuhr er auch schon ein. Planmäßige Abfahrtzeit 6.03 Uhr.
Glück gehabt! Eine halbe Stationsstrecke musste ich stehen. Oben im Abteil. Ein junger Mann, vor dem ich aufgebaut war im Gang links neben ihm, wollte aussteigen und machte mich ganz glücklich. Ich setzte mich, holte wieder meine Zeitschrift heraus und begann zu lesen. Ich hatte bis auf Potsdam keinen Leerlauf. Und das ohne Plan. So war ich um sieben auf der Arbeit.

Mir war noch ein wenig übel, weil ein Anzugträger, der sich neben mich ans Fenster gesetzt hatte und noch x-mal aufgestanden ist, um seine Tasche, seine Anzugjacke und seine Zeitung auf der Ablage zu drapieren, unglaublich nach widerlichem Parfum roch. Es wurde während der Fahrt immer stärker und ich musste mich ein wenig von ihm wegdrehen...

(Charlotte aus Pankow)

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