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Wofür steht die Berliner SPD? Wowereit im „Problemkiez“ Neukölln.

01 Sep 2011 17:42 #17028 von Marco
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Schutzschilder und schwarze Regenschirme standen bereit. Und auch der Personenschutz und die polizeilichen Einsatzkräfte waren vorbereitet und beobachteten die Leute genau. Im Internet war im Vorfeld zu lesen, dass linke Gruppierungen die SPD-Wahlkampfveranstaltung für die Wahl zum Abgeordnetenhaus von Berlin am 18. September im Berliner Bezirk Neukölln stören wollen, doch letztendlich blieb es ruhig am Nachmittag des 31. August 2011. Friedliche Atmosphäre vor der aufgebauten Bühne auf dem Platz der Stadt Hof an der Ecke Karl-Marx-Straße / Ganghoferstraße.





Der amtierende Bürgermeister Klaus Wowereit war zu Gast, und mit ihm der charismatische Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky und die Kandidaten der einzelnen Wahlkreise von Neukölln. Wowi im so genannten Problemkiez in Nordneukölln. Auf in die Höhle des Löwen? Oder doch ein gutes Pflaster für SPD-Politiker. Dem gestrigen Gefühl nach, traf letzteres durchaus eher zu.
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Ab 16 Uhr spielte eine Band zum Auftakt Wohlfühlmusik. Nicht jedermanns / jederfrau Geschmack. „Scheiße! Wat is´n da los?“, fragte eine jüngere Frau mit Kind. Sie wollte den Wowereit sehen und nicht drei Männer, die einlullernde Lieder spielen. Drei, vier Songs, dann begann der politische Part des Nachmittags. Ein Großteil der Wahlkreiskandidaten der Berliner SPD wurde auf die Bühne gebeten. Sich vorstellen sowie Rede und Antwort stellen. Die Fragen stellte der Moderator.

Kirsten Flesch, Wahlkreis 1. „Mikro 2 bitte!“ Ton an. Einführende Worte über das überaus beliebte Maybachufer, das die Kreuzberger gern für sich beanspruchen, jedoch ganz klar zu Neukölln gehört. Manch einer spricht deshalb gern von Kreuzkölln. Kirsten Flesch selbstverständlich nicht. Ein paar Worte über den Obst- und Gemüsemarkt, das Arbeitslosenfrühstück und die Bürgerämter.
Der nächste bitte. Erol Özkaraca, Wahlkreis 2. Jener, der die Herrmannstraße mit einbeschließt. In seinen Augen der spannendste Wahlkreis. „Neukölln ist nicht so schlecht wie sein Ruf!“, ist sich Erol Özkaraca sicher. „Ja, ich bin stolz ein Neuköllner zu sein!“ Applaus von den Zuhörern. Seine angesprochenen Themen: Bessere Schulen. Die Bekämpfung der Kriminalität. Wichtig sei das Intensivtäterkonzept. Die Strafe müsse auf dem Fuße folgen. „Recht darf Unrecht nicht weichen!“ Wieder Applaus von den Zuhörern.

Anja Hertel. Wahlkreis 4, der Teile von Britz und Buckow umfasst. Wenig politisches gab es von ihr zu hören. Dafür um so mehr über das „Britzer Tulpendebakel“, die Britzer Mühle und die von ihr organsierten Radtouren „Buckow und Britz erfahren“. Zum Abschluss plauderte Anja Hertel über die Schule am Sandsteinweg. Dort gebe es sogar einen Reiterhof und Kaninchen. Hm. Man / frau merkte, dass Britz und Buckow scheinbar eine völlig andere Welt sind als Sonnenallee, Hermannplatz und Karl-Marx-Straße.
Mehr politisches gab es wieder von Jan-Christopher Rämer, der im Wahlkreis 5 antritt. Keine leichte Ecke. Die Gropiusstadt. Eine Mischung aus Einfamilienhäusern und zahlreichen Hochhäusern, in denen auch viele sozialschwache Familien leben. Rämer lobte das Engagement des Berliner Senats für das Programm „Soziale Stadt“. Dieses sei extrem wichtig für Berlin, doch leider habe die schwarz-gelbe Bundesregierung massiv Gelder gestrichen. Der Senat hatte die Lücken aufgefangen. Somit kann es weiterhin in den Brennpunkten Sprachförderung für Kinder und Jugendliche geben. Zudem sprach Rämer die Mobilitätspolitik an. Es müsse mehr für Rollstuhlfahrer und Blinde getan werden. Da er familiär betroffen ist, weiß er was es bedeutet, als Blinder in der Berliner U-Bahn unterwegs zu sein. Ein selbstbestimmtes Bewegen in der Stadt müsse besser möglich sein.

Die Verkehrspolitik war das Hauptthema von Peter Scharmberg, der in Rudow im Wahlkreis 6 bei der Wahl am 18. September 2011 antritt. Scharmberg hob lobend hervor, dass 40 Kilometer Radweg neugebaut oder saniert wurden. Ein paar Worte über das sanierte Alt-Rudow und die Kleintierhaltung. Nicht schon wieder?! Dann ein knackiger Aufruf, unbedingt zur Wahl zu gehen. Die Brücke wurde weiter geschlagen zum Tunnel Britz und zur A113. Staus auf der Autobahn und auf den Abfahrten? Die A100 müsse ausgebaut werden, denn auch die meisten Treptower möchten diese Anbindung. Und ach ja, ein Wort wurde noch für die Verlängerung der U-Bahnlinie 7 bis Schönefeld eingelegt.

Applaus. Es folgte eine musikalische Pause. Leichte Anspannung bei der Polizei. Immerhin gab es unter den Anwesenden auch kritische Leute, die ein paar Plakate dabei hatten. „In 8 Jahren 150.000 Wohnungen privatisiert“. Darunter ein Klaus Wowereit, dem man ein extrem breites Grinsen hinein retuschiert hatte. Ähnliche schwarz-weiß Plakate mit Renate Künast (Die Grünen) und Harald Wolf (Linke) hängen derzeit im gesamten Stadtgebiet.
Nicht von links, nicht von rechts, sondern überraschend von ganz hinten traf Berlins Bürgermeister Klaus Wowereit ein. An seiner Seite ein paar Personenschützer und Neuköllns Bürgermeister Heinz Buschkowsky. Quer durch die sitzenden Leute bahnten sie sich den Weg zur Bühne, auf dem Weg dorthin ein paar Hände schüttelnd. Showtime in Neukölln. Wowereit lüftete sein dunkles Jackett und zum Vorschein kam ein schwarzes T-Shirt mit dem weißen Konterfei des Neuköllner Bezirksbürgermeisters: „The Big Buschkowsky“ (in wörtlicher Anlehnung ohne beabsichtigte thematische Ähnlichkeit an den Kultfilm des Jahres 1998 The Big Lebowski)

Vor der Veranstaltung auf dem Platz der Stadt Hof hatten Buschkowsky und Wowereit ein Kompetenzzentrum besucht. Dieses war der Aufhänger für die erste Frage des Moderators: „Wie war es eigentlich damals? Als kleiner Klaus?“ „Na ja, das war ja erst gestern... Es hatte Spaß gemacht...“ Locker flockig und überaus professionell ging es sogleich zu den wichtigen Themen. Förderungen für den Nachwuchs. Förderungen für alle sozialen Schichten. Wowereit lobte zu dem das vierte Opernhaus der Stadt – die Oper Neukölln, die einen guten Einfluss auf ganz Berlin hat.
Heinz Buschkowsky kam nun zu Wort. Noch einmal ein Dankeschön an den Senat für das Engagement in Sachen „Soziale Stadt“. Wowereit nahm es lächelnd zur Kenntnis. Zurück zur Bildung, ein Hauptanliegen der Politik in diesen Tagen. Der Campus Rütli entwickle sich prächtig, so Buschkowsky. Und auch das Albert-Schweitzer-Gymnasium vollziehe ein hervorragende Entwicklung. Die Wartelisten seien lang. Und das alles für 200.000 Euro Mehrkosten im Jahr! Davon könne man fünf Plätze in einem Gefängnis bezahlen. „Nun die Frage: Fünf Knackis oder Bildung für hunderte Schüler?“, stellte Buschkowsky in den Raum.
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Buschkowsky sehe Bezirk und Senat auf einen guten Weg, deshalb eine weitere Frage: „Was können die anderen tun? Leid können sie uns tun!“ Wohl ein Seitenhieb in Richtung CDU und FDP. Ohne Frage sehe Buschkowsky allerdings noch viel Handlungsbedarf, schließlich sei Berlin keine Schlafstadt. Turbulentes Leben habe in Rixdorf seit über hundert Jahren Tradition. Zum Abschluss noch ein klares Fazit: „Es gibt andere Schlafstädte, da möchte ich nicht Bürgermeister sein!“ Völlig klar: Heinz Buschkowsky liebt seinen Bezirk und die damit verbundenen Herausforderungen.

Und Klaus Wowereit? Welche Herausforderungen gibt es für den Berliner Senat? Die Kindertagesstätten sollen kostenfrei bleiben, denn Bildung fängt in der Kita an. Das sei gut investiertes Geld. Bildung – von der Kita bis zur Hochschule. Zudem sei es ein guter Schritt gewesen, die Hauptschule abzuschaffen. Sie sei damals zur Restschule verkommen und habe keinen Sinn mehr gemacht. Möglichst lange sollen Schüler in der Grundschule zusammen bleiben. Und anschließend bleibt die Möglichkeit: Abitur auf dem Gymnasium oder der Sekundarschule.
Nächstes Thema: Mindestlöhne. Für unter fünf Euro die Stunde zu arbeiten sei menschenunwürdig. „Das muss die Gesellschaft ächten!“, so Wowereit. Seine Stimme bekam eine gewisse Schärfe.
Vom Lohn zum neuen Großflughafen Berlin Schönefeld. Klares Nachtflugverbot von Mitternacht bis fünf Uhr morgens, doch in den Randzeiten müsse Flexibilität gewährleistet werden, um Flugverbindungen zu halten. Ein klares Bekenntnis der SPD zum neuen Airport.

Vom Flugzeug zum Nahverkehr. Wichtiges Thema: Sicherheit im Personennahverkehr. „Man war ganz stolz auf die Rationalisierung...“, erklärte er. Nun sehe man jedoch die Folgen. Auf vielen Bahnhöfen kein Personal mehr. Niemand saß anscheinend vor den Bildschirmen, als auf dem U-Bahnhof Friedrichstraße der schreckliche Zwischenfall geschah. Man hätte viel früher eingreifen, eine Durchsage machen können. Geplant sind nun 200 neue Doppelstreifen, die extra dafür ausgebildet werden. Das bräuchte allerdings noch ein, zwei Jahre Zeit.
Unter den Zuhörern hielt eine Frau in der zweiten Reihe einen Zettel hoch: „MIETEN“. Dieses heikle Thema war eh vorgesehen, und zwar als vorletzter Punkt. Wohnungsmarkt, Wohnungsbaupolitik, Privatisierungen. Rund ein viertel der Wohnungen müssten in der Hand des Landes sein, um sozial schwache Bürger auffangen zu können. Die Stadt werde wirtschaftlich stärker, nur zu logisch, dass auch die Mieten auf dem freien Wohnungsmarkt ansteigen, so Wowereit. 30.000 Wohnungen sollen in absehbarer Zeit in die Hand des Landes kommen, um weitere Sicherheit zu schaffen. Zum Vergleich: Die Stadt Hamburg hat sich die Zahl 6.000 als Ziel gesetzt.

Lockeres zum Abschluss. Sportstadt Berlin. Ein gutes Thema. Hertha BSC in der 1. Bundesliga, der 1. FC Union Berlin in der 2. Bundesliga. Eisbären, Alba und Füchse – allesamt spielen sie eine gute Rolle.
„Heinz, bist du eigentlich in einem Sportverein?“, fragte Wowereit mit schelmischen Grinsen den neben ihn stehenden Buschkowsky.
„Für Fußball bin ich zu alt, doch ich fahre Rad. Kommste mit?“
„Da bist du mir zu schnell. Oder fahren wir als Tandem? Nur die Frage, wer dann in die Pedalen tritt...“
Ein paar Scherze zum Abschluss, gefolgt vom Aufruf bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus alle drei Kreuze der SPD zu geben. Das Rote Rathaus, das von den bürgerlichen Parteien lieber Berliner Rathaus genannt wird, soll rot bleiben. Ruhig mit einem ganz kleinen Schimmer grün, so Wowereit. Ein winziger Wink mit dem Zaunpfahl? Sei, wie es sei. Am souveränen, bürgernahen Klaus Wowereit wird sicherlich kein Weg vorbeiführen. Bleibt nur die Frage: Wer wird Koalitionspartner? Pflegeleichte Linke oder aufrührerische Grüne? Die Berliner Wähler dürfen gespannt sein...

> zur turus-Fotostrecke: Wowereit im Kiez / Berliner Alltag

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01 Sep 2011 17:42 #17029 von Danny
Vor der Wahl ist vor der Wahl. Nach der Wahl ist nach Wahl. Abwarten und Tee trinken.

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07 Sep 2011 11:09 #17327 von Achim Sterbiger
Ich wähl ihn nicht! Wer mit der Linke zusammenarbeitet gehört für mich zu den nicht wählbaren. Zu dumm nur, dass die Berliner Christdemokraten seit einem Jahrzehnt keinen brauchbaren Kandidaten aufstellt. Nach Diepgen kam nichts mehr. Was bleibt da noch? Diese Frage martert auch mein Hirn.

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