Bengalos und Rauch: Linke Gruppen marschieren lautstark durch Kreuzberg

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Kurz nach 22 Uhr sorgte der schwarze Block autonomer / linker Gruppierungen im Berliner Stadtbezirk Kreuzberg für eine faustdicke Überraschung. Noch wenige Minuten zuvor schien wenig darauf hinzuweisen, dass es am Abend wirklich eine spontane, nicht genehmigte Demonstration in Gedenken an den 2001 in Genua bei Protesten umgekommenen Carlo Giuliani geben würde. Vor der Kirche am Lausitzer Platz versammelten sich einige dunkel gekleidete Personen, doch noch war alles gespenstisch still. Die Polizei war mit ein paar Mannschaftswagen vor Ort und beobachtete das Ganze.





„Uns ist bekannt, dass sie vorhaben, eine Demonstration durchzuführen. Wir bitten den Versammlungsleiter zu uns zu kommen, damit wir gemeinsam eine Route festlegen können!“ Gegen 21:55 Uhr erfolgte diese Durchsage der Polizei, die darauf hinwies, dass man sich von Seiten der Beamten durchaus kooperativ zeigen würde. Zu einem Gespräch zwischen den polizeilichen Einsatzkräften und dem Versammlungsleiter – wenn es denn überhaupt einen gab – kam es nicht mehr. Punkt 22 Uhr explodierte ein Böller. Wohl ein Startschuss für das, was folgte.

Scheinbar wie aus dem Nichts tauchte von der anderen Straßenseite ein gut organisierter schwarzer Block auf. Vorn ein Transparent, rings herum ein schwarzes Seil. Mit schnellen Schritten ging es über die Skalitzer Straße an der Emmaus Kirche vorbei in die Waldemarstraße hinein. Rauchbomben, Knallkörper und zahlreiche Bengalische Fackeln wurden gezündet. Lautstark und druckvoll liefen die nun insgesamt rund 700 bis 800 Personen durch den Kreuzberger Kiez. Im Schein der Bengalos leuchteten die Hausfassaden grellrot. Ein gespenstisches Bild. Fast schien es, die Apokalyptischen Reiter fielen in den Oranienkiez ein. Ein Hauch von Italien und Griechenland. 

„Carlo Giuliani – das war Mord! Widerstand an jedem Ort!“ Mit diesem Schlachtruf versuchte der Demonstrationszug schnellstmöglich in Richtung Adalbertstraße vorzudringen. An der Ecke Naunystraße / Mariannenstraße gelang es jedoch der Polizei, die Menschenmasse zu teilen. Gezielt wurden Polizeiketten gebildet, hier und dort gab es auch einen Fußtritt und eine Festnahme. Die kommende Stunde wurde unübersichtlich. Der harte Kern der linken Gruppierungen schien wie vom Erdboden verschluckt, ein paar hundert Personen marschierten weiter quer durch den Kiez zu Bethaniendamm und Engeldamm. Für Ortsfremde muss es eine Überraschung gewesen sein, wie düster und schlecht ausgeleuchtet manche Ecken von Kreuzberg sind. An der Melchiorstraße kehrten die meisten Demonstranten wieder um und liefen durch den stockfinsteren Park am Künstlerhaus Bethanien vorbei.

Während hunderte Menschen in dem dortigen Freilichtkino einen Film schauten, bahnte sich die Polizei den Weg durch das Gehölz der Parkanlage. Über allem kreiste ein Polizeihubschrauber, der stets zu erkennen gab, an welcher Stelle gerade das Zentrum des Geschehens war. Waldemarstraße und Mariannenplatz waren kurzzeitig Schauplatz von Auseinandersetzungen zwischen linken Demonstranten und Einsatzkräften. Vereinzelt flogen Steine und Flaschen. Mannschaftswagen mit Blaulicht kurvten quer durch das Viertel.
Es glich einem Katz- und Mausspiel. Wenig später war die Skalitzer Straße zwischen Görlitzer Bahnhof und Kottbusser Tor der Schauplatz. Die Polizei verhinderte, dass die Leute massiv zum Kottbusser Tor strömen. Nach einer Ruhephase, in der sich hier und dort Demonstranten, Schaulustige und Krawalltouristen sammelten und ein Kaltgetränk zu sich nahmen, verlagerte sich das Zentrum des Protestestes und der Auseinandersetzungen mitten hinein in die Oranienstraße.

Wieder gab es vereinzelte Flaschenwürfe und Knallkörper. Die Atmosphäre lud sich gegen 0:30 Uhr noch einmal auf. Es war zu spüren, dass ein Funke genügen würde, um die Sache komplett eskalieren zu lassen. Auf den Bürgersteigen gab es gereizte Diskussionen zwischen Demonstranten und Anwohnern mit Migrationshintergrund. „Verpisst euch nach Prenzlauer Berg! Das ist unser Kiez!“, brüllte ein türkischer Jugendlicher die Jungs und Mädels mit den schwarzen Kapuzen an. Andere arabische und türkische Kreuzberger verspürten dagegen durchaus Lust auf Action und provozierten die aufmarschierende Polizei verbal bis an die Grenzen des guten Geschmacks.

„Mörder, Mörder, Mörder!“ sowie das bereits allbekannte „Ganz Berlin hasst die Polizei!!!“ wurde von Seiten der Demonstranten den Einsatzkräften entgegengerufen. Gegen 01:30 Uhr entspannte sich die Lage. Immer wieder durchkämmten Polizeigruppen die Ansammlung und liefen die Oranienstraße auf und ab. Eine Taktik, die bereits in der Walpurgisnacht und am 1. Mai durchaus gut funktioniert hatte. Dass dieses Auf- und Ablaufen für die Polizisten durchaus anstrengend und ermüdend ist, war durchaus erkennbar. Nach all den Beschimpfungen und Hasstiraden auch von Seiten der Kneipengäste zeigte sich manch einer in Uniform überaus gereizt und ließ sich auf Wortgefechte und abwertende Handbewegungen ein.

Nur eine Querstraße weiter war vom Geschehen in der Oranienstraße nichts zu spüren. Die Leute tranken ihr Bier oder ihren Cocktail und genossen die milde Nacht in Berlin-Kreuzberg. Berlin immer wieder...

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