RR U23 - 115

Sensationelle Leistungen: WM-Titel an Laura Stigger, Remco Evenepoel und Marc Hirschi

 
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Die Straßenwettbewerbe bei der Weltmeisterschaft in Innsbruck begannen mit dem Rennen der  Juniorinnen, das durch seinen kampfbetonten Verlauf so richtig dem Geschmack der zahlreichen Zuschauer entsprach und die Erwartungen für die weiteren Rennen hoch schraubten. Dabei gerieten die zahlreichen, einheimischen Fans aus dem Häuschen, denn mit Laura Stigger aus Österreich gab es eine Siegerin, die trotz geringer Erfahrung im Straßenrennsport als heimliche Anwärterin auf eine Medaille galt. Die Tirolerin war bereits Anfang September nach ihrem Titelgewinn im Vorjahr erneut Weltmeisterin im Mountainbike geworden und holte jetzt im Straßenrennen sogar ihren insgesamt dritten WM-Titel, doch im Rennsport war sie bisher nicht in Erscheinung getreten. Es war erst ihr zweites Straßenrennen überhaupt, das sie zwei Tage nach ihrem 18. Geburtstag bestritt und so konnte sie sich selbst kein besseres, nachträgliches Geschenk machen. „Es war heute ein perfektes Rennen, ich habe alles gegeben und kann es nicht glauben, dass es zum Titel gereicht hat“, war die Tirolerin nahezu sprachlos, aber die Anfeuerungen durch das heimische Publikum hatten sie über die Maßen motiviert.

Es war ein Herzschlagfinale, in dem sie nach 71,7 Kilometer die Französin Marie le Net knapp niederrang und die Kanadierin Simone Boilard als Dritte noch Bronze vor der Italienerin Barbara Malcotti holte. Die Österreicherin setzte sich besonders an den zwei Anstiegen zwischen Rattenberg und Innsbruck stark in Szene und gehörte zu einer Spitzengruppe aus sieben Fahrerinnen, die sich später auf dem flacheren Abschnitt noch vergrößerte. Die Teams aus Italien und Russland waren hier stark vertreten, aber als Laura Stigger 15,5 km vor dem Ziel attackierte, schafften nur Simone Boilard und Barbara Malcotti den Anschluss. Nachdem auch die Französin Marie le Net noch aufschließen konnte, begann das Pokerspiel in der Vierer-Gruppe. Die starken Italienerinnen, von denen sich zwei weitere in der Verfolgung befanden und deshalb Barbara Malcotti keine Führungsarbeit leistete, hatten sich aber verkalkuliert, da der Anschluss nicht mehr herzustellen war. Im Zielsprint gab dann Laura Stigger, der nur wenige Chancen im Sprint eingeräumt wurden, eine brillante, taktische Vorstellung und überquerte den Zielstrich jubelnd als Erste, während die Italienerin unklug agierte und mit dem undankbaren vierten Platz vorliebnehmen musste. Für die deutsche Hoffnung Hannah Ludwig reichte es nur zu Platz 19, sie wird aber nach dem Vertragsabschluss bei Canyon SRAM Racing mit Sicherheit in Zukunft ihr vorhandenes Talent noch des Öfteren unter Beweis stellen können.      

„Ich bin glücklich den zweiten Titel geholt zu haben“, äußerte sich ein alles überragender Remco Evenepoel aus Belgien, dem zweifelsfrei die Zukunft gehört. In einem legendären Rennen über 131,8 km mit zwei Schlussrunden über 23,8 km auf dem „Olympia-Rundkurs“ fuhr der junge Belgier, der bereits einen Vertrag bei Quick-Step Floors in der Tasche hat und quasi die Klasse U 23 überspringt, seine Konkurrenz in Grund und Boden. Daran konnte auch ein Sturz nach etwa 60 Kilometern nichts ändern, der ihm einen Rückstand zur Spitze von nahezu zwei Minuten einbrachte. Eine verwegene Verfolgungsjagd begann für den großen Favoriten, der diverse, abgehängte Fahrer überholen musste, um wieder nach vorn zu fahren. Dort war das Feld durch den Massensturz arg dezimiert, aus dem der stark fahrende Deutsche Marius Mayrhofer zusammen mit dem Italiener Andrea Piccolo an dem vier Kilometer langen Anstieg das Tempo verschärfte und beide sich absetzen konnten. Mit Unterstützung seines Landsmannes Ilan van Wilder schaffte Remco Evenepoel mit einer kleinen Gruppe den Anschluss etwa 40 Kilometer vor dem Ziel und dann blieben an der Spitze nur noch der belgische Überflieger, Marius Mayrhofer und der Tscheche Karel Vacek übrig, wobei Letzterer aber bald abreißen ließ. 

 

Als der letzte Anstieg begann, konnte auch Marius Mayrhofer dem Belgier nicht mehr folgen, der einsam dem Ziel entgegenfuhr. Der letzte Kilometer war für ihn eine einzige Triumphfahrt und so konnte er es sich leisten, sein Rennrad über den Zielstrich zu tragen. Die Leistung von Marius Mayrhofer, der die erste Medaille für den Bund Deutscher Radfahrer (BDR) in Innsbruck holte, war bei diesem schweren Rennen ebenfalls bemerkenswert. Sein Vorsprung gegenüber den Verfolgern schmolz zusehends, aber mit einer Energieleistung rettete er die Silbermedaille mit 13 Sekunden Vorsprung vor dem Italiener Alessandro Fancellu, der den Schweizer Alexandre Balmer im Ziel knapp bezwingen konnte. Die deutsche Mannschaft fuhr insgesamt ein starkes Rennen, zeigte sich schon zu Beginn immer auf der Höhe des Geschehens und belohnte sich am Ende mit der Silbermedaille von Marius Mayrhofer. „Ich bin total happy, die Silbermedaille in diesem harten Rennen gewonnen zu haben, denn am Ende hatte ich mit Krämpfen zu kämpfen“, sagte der überglückliche Deutsche. Auch Platz 14 von Jakob Geßner und Platz 27 von Michel Heßmann konnten sich sehen lassen, wenn auch die Rückstände von mehr als sechs bzw. zehn Minuten nicht unerheblich waren.

 

Im Rennen der Klasse U 23 über 179,5 km, in dem 2.907 Höhenmeter zu bewältigen waren, gab es erstmals einen Weltmeistertitel in dieser Altersklasse für die Schweiz durch den Europameister Marc Hirschi, der in der letzten Abfahrt alles riskierte und seine beiden Wegbegleiter Bjorg Lambrecht aus Belgien und den überraschend starken Finnen Jaakko Hänninen mit schnellem Antritt überrumpelte, die in dieser Reihenfolge Silber und Bronze gewannen. Eine frühe Fluchtgruppe mit drei Fahrern hatte kaum Aussichten auf Erfolg, als später die überragend fahrenden Schweizer die Initiative ergriffen und in einer siebenköpfigen Spitzengruppe mit den vier (!) Fahrern Marc Hirschi, Gino Mäder, Patrick Müller und Lukas Rüegg vertreten waren. Dazu gehörten auch der Däne Mikkel Frolich Honore, der Ukrainer Mark Padun und der US-Amerikaner Neilson Powless, von denen besonders der Ukrainer überzeugte, der für Tempoverschärfung sorgte und die Gruppe damit auseinander fiel. Lediglich Patrick Müller konnte sein Hinterrad halten, während in einer neuen Verfolgergruppe der Belgier Bjorg Lambrecht den stärksten Eindruck hinterließ. Durch seine starke Fahrweise bildete sich schließlich 17 km vor dem Ziel die entscheidende, dreiköpfige Spitzengruppe mit Marc Hirschi und Jaakko Hänninen, die dann in der Abfahrt nach Igls durch Marc Hirschi mit unwiderstehlichem Antritt gesprengt wurde. 

 

Mit 15 Sekunden Vorsprung erreichte der Schweizer das Ziel als umjubelter Weltmeister. Der Erfolg der Eidgenossen wurde vervollständigt durch den vierten Platz von Gino Mäder und Platz neun von Patrick Müller. Für den stark fahrenden Mark Padun blieb der fünfte Platz übrig, während als bester Deutscher Georg Zimmermann auf Platz 14 ins Ziel kam. Für seine hoch gehandelten Landsleute Lennard Kämna und Max Kanter reichte es nur zu Platz 23 bzw. 29, wobei vor allem Lennard Kämna dem schweren Rennen Tribut zollen musste, zumal er nach gesundheitlichen Problemen erst wieder im August ins Renngeschehen eingegriffen hatte. 

Bericht: Bernd Mülle    

Fotos: Arne Mill (frontalvision.com)

Inhalt der Neuigkeit:
Rennbericht
Radrennen-Art:
  • Straßenrennen
  • UCI-Rennen

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