Er ist erst der achte Deutsche, der das gepunktete Bergtrikot bei der Tour de France eroberte: nach Jens Voigt (1998/2014), Marcel Wüst (2000), Rolf Aldag (2003), Fabian Wegmann (2005/2006), Sebastian Lang (2008), Tony Martin (2014) und Paul Voß (2016) hat es mit dem gebürtigen Berliner Simon Geschke von Cofidis in diesem Jahr ein weiterer deutscher Tour-Teilnehmer geschafft, in das beliebte Bergtrikot zu schlüpfen. Nach seinem Etappensieg im Jahre 2015 auf der Fahrt von Digne-Les-Bains nach Pra-Loup, dem bislang größten Erfolg seiner Laufbahn, nun bei seiner 10. Tour-Teilnahme das Bergtrikot zu erobern, das war noch einmal ein ganz besonderer Moment für den sympathischen, bescheidenen und immer im Dienst seines jeweiligen Teamkapitäns stehenden Ex-Berliner, der überglücklich das Trikot am gestrigen Sonntag in Empfang nahm.
Simon Geschke holt Bergtrikot bei der Tour de France
Es war eine knappe Entscheidung zugunsten von Simon Geschke, nachdem der Sieger der 9. Etappe Bob Jungels aus Luxemburg vom AG2R Citroen Team die letzte Bergwertung des Tages gewonnen und damit 18 Punkte auf seinem Konto hatte. Simon Geschke musste also auch bei dieser Bergwertung nochmals punkten und mit letzter Kraft ergatterte er sich die zwei Punkte als Fünfter, so dass er mit insgesamt 19 Punkten sich das begehrte Trikot überstreifen durfte.
Damit krönte er eine weitere bemerkenswerte Leistung während dieser Tour, als er schon früh den Sprung in die Spitzengruppe schaffte. Dabei hatte dieser Tag mit dem Ausscheiden seines Kapitäns Guillaume Martin aufgrund eines positiven Coronatests mit einem Rückschlag begonnen. „Ein Traum ist für mich in Erfüllung gegangen und ich werde den Moment einfach nur genießen“, gestand Simon Geschke, der dieses Trikot so lange wie möglich in seinen Besitz halten will.
Schon auf der 7. Etappe auf dem Weg zur La Super Planche des Belles Filles hatte Simon Geschke früh attackiert und dann u.a. mit seinen Landsleuten Lennard Kämna und Maximilian Schachmann von BORA-hansgrohe eine 11-köpfige Spitzengruppe gebildet. Am Col de la Grosse Pierre holte sich Simon Geschke vor Lennard Kämna seine ersten beiden Bergpunkte, die ihn zum Angriff auf das Bergtrikot animierten. Die drei Deutschen fuhren an diesem Tag ein bemerkenswertes Rennen, wobei Maximilian Schachmann immer wieder an der Spitze der Ausreißer fuhr und sogar 42 km vor dem Ziel virtueller Spitzenreiter der Gesamtwertung vor dem Slowenen Tadej Pogacar vom UAE Team Emirates und Lennard Kämna war. Letzterer setzte 5 km vor dem Ziel zur vorentscheidenden Attacke im Alleingang an, dahinter mit Abstand Simon Geschke, während der Rest der Spitzengruppe völlig auseinanderfiel.
Die brutale Schlusssteigung mit 24 Prozent forderte dann aber doch noch Opfer und einmal mehr war es Tadej Pogacar, der im finalen Spurt den Dänen Jonas Vingegaard von Jumbo-Visma niederrang und auch dessen Teamkamerad aus Slowenien Primoz Roglic musste sich mit 12 Sekunden Rückstand geschlagen geben. Mit 14 Sekunden Rückstand rettete sich Lennard Kämna als hervorragender Vierter ins Ziel unmittelbar vor dem Briten Geraint Thomas von INEOS Grenadiers. Der letztlich undankbare 4. Platz von Lennard Kämna täuscht nicht darüber hinweg, dass die drei Deutschen an diesem Tag wahrlich Sensationelles geleistet hatten.
Die ersten drei Etappen der diesjährigen Tour mit dem Start in Kopenhagen vor nahezu überwältigender Zuschauerkulisse, die zu überquerende 18 km lange Brücke über den Großen Belt und die Flachetappe von Vejle nach Sönderborg waren mehr als spektakulär und haben gezeigt, dass die Veranstalter mit dem erstmaligen Auftritt in Dänemark richtig gelegen haben. Dass die Begeisterung um die Tour de France aber insgesamt ungebrochen ist, zeigte sich nach dem Ruhetag und dem Start zur 4. Etappe von Dünkirchen nach Calais, als mit dem Belgier Wout van Aert von Jumbo-Visma sich ein weiterer Topfahrer in die Siegerliste eintragen konnte, der noch einmal am Ende der 8. Etappe in Lausanne zuschlug. Das Punktetrikot scheint ihm schon jetzt ebenso sicher zu sein, wie Tadej Pogacar das Gelbe Trikot, das er nach seinen zwei Etappensiegen (6. und 7.) bereits vier Tage in seinem Besitz hat.
Wer soll diesen Ausnahmekönner eigentlich noch besiegen? Das in der Mannschaftswertung führende Team INEOS Grenadiers hat mit Geraint Thomas (3.), Adam Yates (4.) und Thomas Pidcock (7.) immerhin drei Fahrer unter den Top Ten und gute Aussichten aufs Podium, aber ob sich der führende Slowene seinen Tour-Hattrick noch nehmen lässt, das scheint derzeit eher fraglich. Sein zuletzt stärkster Rivale Primoz Roglic scheint auf Platz 11 mit einem Rückstand von 2:52 Minuten schon abgeschlagen zu sein, aber über allem schwebt auch das Damoklesschwert Corona, das vieles noch beeinflussen könnte. Hoffen wir, dass das Virus nicht entscheidend zuschlägt und die 109. Austragung der Tour einen korrekten Verlauf nimmt.
Bericht: Bernd Mülle
Fotos: Serge Waldbillig
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