Tour de France 2020: Tadej Pogacar macht sich selbst das schönste Geburtstagsgeschenk

Von der kids-tour zum Toursieg 2020: Tadej Pogacar macht sich das schönste Geburtstagsgeschenk

 
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Wir schreiben das Jahr 2010 und in Berlin findet im August die Internationale kids-tour statt für die Rennklassen U 13 und U 15. Bei dem jüngeren Jahrgang sind es insgesamt 118 Starter u.a. aus den Niederlanden, Slowenien, Italien, Belgien, Russland, Tschechien, Griechenland und Luxemburg. Darunter befindet sich auch ein junges Talent namens Tadej Pogacar aus Slowenien, der die Tour schließlich auf Platz 12 beendet, die von dem Deutschen aus Hessen Jonas Rutsch gewonnen wurde. Was damals noch weit von jeglicher Vorstellungskraft lag, ist nun für den 21-jährigen Tadej Pogacar am 20. September 2020 Wirklichkeit geworden: einen Tag vor seinem 22. Geburtstag hat er die 107. Tour de France gewonnen und sich mit Sicherheit das schönste Geburtstagsgeschenk selbst gemacht! 

„Es ist ein Traum, ich wollte nur dabei sein und jetzt der Sieg. Ich kann es noch nicht fassen“, war der Slowene vom UAE-Team Emirates am Ende überglücklich. Erst am vorletzten Tag, beim alles entscheidenden Bergzeitfahren nach La Planche des Belles Filles über 36,2 km  hatte er erstmals das Gelbe Trikot von seinem Landsmann Primoz Roglic vom Team Jumbo-Visma übernommen, der völlig ausgepowert in bemerkenswert fairer Haltung seinem Freund kurz nach seiner Zieldurchfahrt umarmte und zu seinem grandiosen Rennen gratulierte. „Nach 11 Tagen in Gelb bin ich total enttäuscht, dass es am Ende nicht gereicht hat“, waren die ersten Worte von Primoz Roglic, der von seinem die nahezu gesamte Tour de France dominierenden Team getröstet werden musste. 

Der ehemalige Skispringer Primoz Roglic war zu dieser Tour mit einer ganz starken Equipe angetreten, in der ein weiterer potentieller Siegfahrer wie der Niederländer Tom Dumoulin ganz hervorragende Helferdienste leistete. Dazu ein aufopferungsvoll für sein Team fahrender Tony Martin aus Deutschland oder auch der US-Amerikaner Sepp Kuss, der am Berg nahezu über sich hinauswuchs, sie alle gaben mit ihren weiteren Teamkameraden ein überzeugendes Bild ab und litten am Ende mit ihrem Kapitän. Auch der Belgier Wout van Aert, glänzender zweifacher Etappensieger und 20. in der Gesamtwertung dieser Tour, zählte zu dem starken Team, das mit Tom Dumoulin (7.) und Sepp Kuss (15.) nicht weniger als vier Fahrer unter die Top 20 brachte. 

Dagegen war Tadej Pogacar im Kampf um das Gelbe Trikot nahezu auf sich allein gestellt, da so starke, vermeintliche Helfer wie die Italiener Fabio Aru (9. Etappe) und Davide Formolo (zur 11. Etappe nicht mehr angetreten) schon frühzeitig ausgeschieden waren. Während das Team von Primoz Roglic komplett das Ziel erreichte, war Tadej Pogacar in den vielen, entscheidenden Situationen meist nur noch vom Spanier David de la Cruz oder seinem Landsmann Jan Polanc umgeben. „Ich danke meinem gesamten Team, das mich großartig unterstützt hat“, hatte aber auch Tadej Pogacar nicht vergessen, dass Radsport ein Mannschaftssport ist. Am Ende musste er es aber allein richten, zeigte sein großes Potenzial und war überwältigt von dem, was er gerade erreicht hat. Er ist damit nach dem Franzosen Henri Cornet (19 Jahre) im Jahre 1904 der zweitjüngste Fahrer, der die Tour de France siegreich beendete! 

Bemerkenswert am Ende war auch der 3. Platz für den Australier Richie Porte von Trek-Segafredo, der so oft in den letzten Jahren als Mitfavorit gehandelt wurde und durch vielfaches Sturzpech immer wieder den vorzeitigen Weg nach Hause antreten musste. Für den mittlerweile 35-jährigen war es noch einmal eine Bestätigung, dass er mit der Weltspitze noch mithalten kann. Chapeau!

Die Austragung des weltweit größten Radsportevents war im besonderen Jahr der Corona Pandemie bis zuletzt nicht gesichert, aber das hervorragende Hygienekonzept trug dazu bei, dass die Tour ohne positive Fälle bei den Sportlern über die Bühne ging. Die Verschiebung auf einen späteren Zeitpunkt hat allen genützt und zum größten Teil hielten sich auch die vielen Zuschauer an die Regeln für Abstand und Mund-Nasen-Schutz. Hier hat der Radsport durchaus einmal gepunktet, zumal die Absagen der Olympischen Spiele und der Fußball-Europameisterschaft  nicht zu verhindern waren.

Lennard Kämna sorgt für einzigen deutschen Etappensieg

Während der junge Tadej Pogacar außer dem Gesamtsieg inklusive drei Etappensiegen auch das Bergtrikot und das weiße Trikot für den besten Nachwuchsfahrer errang und damit zum Dominator dieser Tour wurde, schnitten die 12 deutschen Teilnehmer nicht ganz so wie erwartet ab. Die deutschen Teams Sunweb und BORA-hansgrohe verzeichneten insgesamt vier Etappensiege, aber nur einer ging auf das Konto eines deutschen Fahrers, während zum Beispiel beim Team Sunweb der gebürtige Buchholzer Nikias Arndt nur einen Top 10-Platz auf der 19. Etappe erreichte, wo er mit seinem Teamkameraden und zweimaligen Etappensieger Sören Kragh Andersen aus Dänemark in einer Ausreißergruppe fuhr und am Ende Platz 6 belegte. Aber er leistete bei insgesamt drei Etappensiegen seines Teams hervorragende Helferdienste.

Der Beginn der Tour ließ sich nicht gut an, denn gleich auf der ersten Etappe war es John Degenkolb vom Team Lotto Soudal, der sturzbedingt das Ziel nicht innerhalb des Zeitlimits erreichte und damit den Weg nach Hause antreten musste. Mehr Glück hatten die ebenfalls gestürzten Andre Greipel und Nils Politt vom Team Israel Start-Up Nation, die ohne große Verletzungen das Rennen fortsetzen konnten. Der hektische, sturzreiche Beginn dieser 107. Tour de France ließ nichts Gutes für die nächsten Tage erwarten, zumal das Damoklesschwert der Corona Pandemie über allem schwebte.   

Nach dem Sprintsieg des Norwegers Alexander Kristoff vom UAE-Team Emirates ging es am zweiten Tag gleich in die Berge mit einem Erfolg für den beliebten Franzosen Julian Alaphilippe von Deceuninck-Quick Step, wobei der gebürtige Berliner Maximilian Schachmann von BORA-hansgrohe mit einem guten 9. Platz überzeugte. Trotz eines gebrochenen Schlüsselbeins verzichtete er nicht auf den Start bei der Tour und bot insgesamt ein starkes Rennen mit dem 6. Platz auf der 12. Etappe und Platz 3 am folgenden Tag. „Ich habe alles versucht, hatte gute Beine, aber gegen den Schweizer Marc Hirschi vom Team Sunweb war heute nicht mehr drin“, äußerte sich Maximilian Schachmann, der famos gekämpft hatte. Auch am nächsten Tag rief der Berliner eine Spitzenleistung ab, die letztlich zu Platz drei hinter seinem Teamkameraden Lennard Kämna führte, der sich wiederum nur dem Kolumbianer Daniel Felipe Martinez von EF Pro Cycling geschlagen geben musste. Für Maximilian Schachmann war diese Etappe 1,3 Kilometer zu lang, denn nach einem spektakulären Ausreißversuch 20 Kilometer vor dem Ziel sah er schon wie der Sieger aus. Aber der Kolumbianer und Lennard Kämna zogen noch an ihm vorbei und mit dem 7. Platz des gebürtigen Berliners Simon Geschke vom CCC Team waren die Deutschen an diesem Tage äußerst stark an der Spitze vertreten. 

Auf der 16. Etappe nach Villard-de-Lans über 164 km schlug dann die große Stunde des Lennard Kämna, der sich früh in einer Ausreißergruppe u.a. mit Simon Geschke befand. Dieses Mal voll auf der Höhe, ließ sich Lennard Kämna nicht austricksen und startete mit einer starken Attacke 20 Kilometer vor dem Ziel zu seinem ersten Etappensieg bei der Tour de France und schüttelte dabei keinen Geringeren als den Sieger des Giro d’Italia 2019, den Ecuadorianer Richard Carapaz von INEOS Grenadiers ab, den er mit einem Rückstand von 1:27 Minuten auf den zweiten Platz verwies. „Ich bin überglücklich und kann es gar nicht glauben. Das ist eine große Erleichterung für unser Team, das bisher viele Rückschläge hinnehmen musste“, waren die ersten Worte, die der erst 24-jährige aus Fischerhude im Landkreis Verden zu Protokoll gab.  Dabei nahm kaum einer Notiz von dem ebenfalls ganz hervorragenden 5. Platz von Simon Geschke, der bei dieser Tour sich mehrmals in diversen Ausreißergruppen präsentierte und eine sehr gute Visitenkarte für einen neuen Profivertrag hinterließ. 

Der Dritte im Bunde beim Team BORA-hansgrohe, der vermeintliche Podiumskandidat für die Gesamtwertung Emanuel Buchmann, musste schon früh erkennen, dass er nach seinen Sturzverletzungen im Vorfeld der Tour de France zu angeschlagen war, um in Frankreich eine prägende Rolle spielen zu können. Die verlorenen neun Sekunden auf der 4. Etappe und auch die rund eine Minute Zeitverlust bei der 8. Etappe auf dem Weg nach Loudenvielle waren noch nicht so entscheidend, aber tags darauf auf der Strecke von Pau nach Laruns kamen weitere vier Minuten dazu, so dass sich der Traum vom Podium erledigt hatte. „Diese Tour war nicht die beste Zeit für mich, auch über einen vorzeitigen Ausstieg wurde nachgedacht. Am Ende haben wir uns andere Ziele gesetzt und so konnte ich wenigstens noch Helferdienste für mein Team leisten“, war Emanuel Buchmann alles andere als happy über den Verlauf des Rennens. 

Auch Routinier Andre Greipel war reichlich frustriert mit lediglich einem 6. Platz auf der vom Iren Sam Bennett von Deceuninck-Quick Step gewonnenen 10. Etappe. Anfangs der Tour war er gestürzt und dann auch noch krank geworden, so dass er das Ziel der 18. Etappe nicht mehr erreichte und aufgab. Für ihn dürfte es die zehnte und letzte Teilnahme bei der Tour de France gewesen sein, wo er nicht weniger als 11 Etappensiege errungen hat. Sein ebenfalls schwer gestürzter Teamkamerad Nils Politt fuhr zwar mit Platz 28 im Bergzeitfahren ein ansprechendes Ergebnis heraus und zeigte sich auch hin und wieder in Ausreißergruppen, aber richtig glänzen konnte der Klassikerspezialist auch nicht.

Der viermalige Zeitfahr-Weltmeister Tony Martin stellte sich ganz in den Dienst seines Kapitäns Primoz Roglic und konnte selbst auch beim schweren Bergzeitfahren nicht mehr in Erscheinung treten. Hier zeigte vor allem Maximilian Schachmann mit Platz 17 eine gute Leistung und auch Platz 21 für Lennard Kämna sowie Platz 25 für Simon Geschke konnten sich durchaus sehen lassen. „Die letzten Tage waren schwer, aber heute bin ich einfach nach Gefühl gefahren und das war doch gar nicht so schlecht“, kommentierte Maximilian Schachmann seine gute Gesamtleistung, die er mit einem Ausreißversuch auf der Schlussetappe auf den Pariser Champs-Elysees noch einmal eindrucksvoll unterstrich und dabei erst 3,5 km vor dem Ziel vom jagenden Feld gestellt wurde. Der Sieg auf dieser Etappe von Sam Bennett, dem Träger des Grünen Trikots, war mehr als eindrucksvoll und so war der Sieg in der Punktwertung vor dem Slowaken Peter Sagan von BORA-hansgrohe, der in dieser Wertung insgesamt sieben Mal erfolgreich war, allemal mehr als verdient.  

Seine zweite Grand Tour fuhr Jonas Koch an der Seite von Simon Geschke im CCC Team und nach der Vuelta Espana im vergangenen Jahr belegte er als fleißiger Helfer für den Belgier Greg Van Avermaet, dem Russen Ilnur Zakarin und dem Italiener Matteo Trentin in der Gesamtwertung den 125. Platz, wobei er seine beste Platzierung auf der 3. Etappe herausfuhr, als er den 13. Platz im Massensprint erreichte. Nach zwei Starts in den letzten beiden Jahren bei der Spanien-Rundfahrt war es für den gebürtigen Neuwieder Max Walscheid von NTT Pro Cycling die erste Tour de France, bei der er sich einige Male in Ausreißergruppen zeigte und als bestes Resultat den 10. Platz im Massensprint auf den Champs-Elysees vorweisen konnte. „Es war überwältigend hier dabei zu sein und von den Zuschauermassen angefeuert zu werden, ein tolles Erlebnis für mich“, gestand der sehr sympathische Max Walscheid, der stolz sein konnte, als großer und nicht gerade leichter Fahrer die schweren Bergetappen bewältigt zu haben. 

Die rote Laterne mit Platz 146 – 30 Fahrer hatten die Tour nicht beendet - gehörte am Ende dem in Berlin lebenden Roger Kluge vom belgischen Team Lotto Soudal mit einem Rückstand von etwas mehr als sechs Stunden. Keine Schande für den Modellathleten, der hier eine ganz andere und sehr spezielle Aufgabe in seinem Team hatte, die er bestens erfüllte. Er war der wichtigste Anfahrer auf den wenigen Flachetappen für den schnellen Australier Caleb Ewan, der mit seiner Hilfe immerhin zwei Etappensiege und einen zweiten Platz feiern durfte. 

Bleibt zum Schluss noch zu erwähnen, dass die Mannschaftswertung vom spanischen Movistar Team gewonnen wurde, wobei zur Wertung die jeweils drei besten Fahrer der  Teams auf den einzelnen Etappen herangezogen wurden. Das eigentlich mit Abstand beste Team Jumbo-Visma landete nur auf Platz 2 und hatte insgesamt 18:31 Minuten Rückstand auf die siegreiche, vom mittlerweile 40-jährigen Routinier Alejandro Valverde angeführte Mannschaft. Damit hat das Movistar Team zum dritten Mal hintereinander und zum fünften Mal insgesamt die Mannschaftswertung bei der Tour de France gewonnen (2015, 2016, 2018, 2019 und 2020).

Bericht: Bernd Mülle

Fotos: James Startt

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  • Rundfahrt
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