Bahn-WM in Berlin: Stürze, Weltrekorde und spektakuläre Rennen

Bahn-WM in Berlin: Stürze, Weltrekorde und spektakuläre Rennen

 
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Am vierten Tag der Bahn-Weltmeisterschaften standen vier Entscheidungen auf dem Programm. Doch zunächst war die Veranstaltung am Vormittag geprägt von diversen Qualifikationen für das 500 m Zeitfahren und in der Einerverfolgung der Frauen sowie dem 200 m Zeitfahren im Sprint der Männer bis hin zum Halbfinale im Nachmittagsprogramm. Dazu fanden die ersten beiden Disziplinen im Omnium der Männer statt mit dem Scratchrennen und den Temporunden.

Im bisherigen Medaillenspiegel nach 12 Wettbewerben fällt auf, dass die deutsche Mannschaft mit zwei Gold- und einer Bronzemedaille Rang 2 hinter den Niederlanden einnimmt, die schon vier Gold- und eine Bronzemedaille errungen haben. Trotz durchaus ansprechender Leistungen der deutschen Männer sind es die Frauen, die mit einer überragenden Emma Hinze an der Spitze für sämtliche, bisherigen Medaillen gesorgt haben. Zum jetzigen Zeitpunkt kann man beim Bund Deutscher Radfahrer (BDR) mit der Zwischenbilanz durchaus zufrieden sein, zumal der BDR nach dem 500 m Zeitfahren mit den buchstäblich auf der Erfolgswelle schwimmenden Lea Sophie Friedrich und Pauline Sophie Grabosch als die beiden Schnellsten mit 33,197 bzw. 33,262 Sekunden zwei heiße Eisen im Feuer für das abendliche Finale der besten Acht hatte. 

„Mit einer weiteren Medaille wären wir schon zufrieden und die sollte möglich sein“, sagte Bundestrainer Detlef Uibel nach den starken Läufen seiner Schützlinge, mit denen er bislang mehr als zufrieden sein kann. „Vielleicht können die Männer auch noch mit Medaillen sich in Szene setzen, immerhin haben Roger Kluge im Omnium und mit Theo Reinhardt im Madison noch gute Chancen“, gab uns auch der Leistungssportdirektor des BDR Patrick Moster zu verstehen, der bekanntlich ja den Fokus in erster Linie auf die Olympiaqualifikation gerichtet hat.

Die Qualifikation im Sprint der Männer war mit absoluten Spitzenzeiten schon ein Höhepunkt des Vormittags, in der 35 Fahrer am Start waren. Nur einer von ihnen fuhr eine Zeit über 10 Sekunden, für die anderen ging es Schlag auf Schlag mit ständig neuen Bestzeiten, bis schließlich der Niederländer Harrie Lavreysen mit 9,263 Sekunden den ersten Platz vor seinem Landsmann Jeffrey Hoogland mit 9,322 Sekunden und dem Polen Mateusz Rudyk mit 9,434 Sekunden belegte. Für den einzigen deutschen Teilnehmer Stefan Bötticher langte es mit guten 9,568 Sekunden zu Platz 10, so dass ein Weiterkommen kein Problem bereitete. In den folgenden 12 Läufen des 1/16 Finales war für Stefan Bötticher im 6. Lauf gegen den Kolumbianer Kevin Santiago Quintero ein Sieg angesagt, den er von der Spitze aus gegen seinen stark aufkommenden Gegner ins Ziel rettete. Überraschend kam in dieser Runde das Aus für den Niederländer Sam Ligtlee, der dem Japaner Yudai Nitta unterlag, des Franzosen Sébastien Vigier gegen Jair Tjon En Fa aus Surinam und des Briten Jack Carlin gegen Muhammad Shah Firdaus Sahrom aus Malaysia. 

Im folgenden Achtelfinale trennte sich schon etwas die Spreu vom Weizen und Stefan Bötticher schaffte es tatsächlich und schlug den Briten Jason Kenny, schaffte den Sprung ins Viertelfinale und traf dort auf den Niederländer Jeffrey Hoogland. Eine sehr schwere Aufgabe für den Deutschen, der mit dem bisher Erreichten aber durchaus zufrieden sein kann. Die Niederländer, die mit drei Fahrern in dieser Runde vertreten waren, stellen zur Zeit die besten Sprinter in der Welt mit der Aussicht auf alle drei zu vergebenen WM-Medaillen. Im seinem ersten Lauf im Viertelfinale zog Stefan Bötticher trotz starker Vorstellung den Kürzeren und war auch im zweiten Lauf gegen Jeffrey Hoogland unterlegen. In ebenfalls jeweils zwei Läufen qualifizierten sich dann auch Harrie Lavreysen, Mateusz Rudyk und Mohd Azizulhasni Awang aus Malaysia für das Halbfinale, das am morgigen Schlusstag zur Austragung kommt. 

In der ersten Disziplin des Omniums, dem Scratchrennen, setzte der zu den Favoriten zählende Franzose Benjamin Thomas gleich ein Achtungszeichen. Er siegte vor dem Briten Matthew Walls und dem Dänen Lasse Norman Hansen und unterstrich nachdrücklich seine Ambitionen, nachdem er im Vorjahr schon Silber im Omnium geholt hatte. Unter den 24 Teilnehmern landete der in Berlin lebende Roger Kluge auf dem 11. Platz, der noch alle Chancen für den weiteren Verlauf offen ließ. 

Roger Kluge fuhr dann starke 40 Temporunden, die er als Dritter beendete, nachdem er ebenso wie der siegreiche Niederländer Jan Willem van Schip, Benjamin Thomas und Lasse Norman Hansen einen Rundengewinn erzielt hatte. Im Zwischenstand führte Benjamin Thomas vor Lasse Norman Hansen, während Roger Kluge als nunmehr Sechster noch gute Medaillenchancen besaß. Eine Klasseleistung bot Roger Kluge dann am Nachmittag im Ausscheidungsfahren, wo er nur dem Neuseeländer Campbell Stewart den Vortritt lassen musste. Mit großer Übersicht bewegte er sich im Feld, fand immer wieder die richtige Lücke und bewies dabei eine Cleverness, die nur ein Ausnahmeradsportler wie er haben kann. So ging er als Dritter hinter Benjamin Thomas und Jan Willem van Schip ins abschließende Punktefahren über 100 Runden. 

Spannung war also beim letzten Rennen des Tages garantiert. Aber hier ließ Benjamin Thomas nichts mehr anbrennen, gewann drei der ersten fünf Wertungssprints und baute sukzessive seine Führung aus. Mit einem zusätzlichen Rundengewinn gemeinsam mit Jan Willem van Schip war er nicht mehr zu schlagen, erreichte 158 Punkte und holte sich den Weltmeistertitel vor dem Niederländer, der 135 Punkte auf seinem Konto hatte, während Bronze noch an Matthew Walls ging. Er hatte am Ende 117 Punkte und verdrängte Roger Kluge noch auf Platz vier, der im Finalrennen nur drei Punkte erspurtete und damit auf insgesamt 97 Punkte kam. „Vierter Platz ist undankbar, es sollte nicht sein mit einer Medaille. Es war ein taktisches Rennen und mein Hauptaugenmerk galt Campbell Stewart. Aber das Ticket für Olympia ist gesichert nach der harten Arbeit im Winter. Morgen gilt es Vollgas zu geben und dann werden wir sehen, was dabei herauskommt“, waren die ersten Worte von Roger Kluge nach dem Rennen.   

Gute Aussichten auf eine Medaille für den BDR bestanden auch in der Einerverfolgung der Frauen über 3000 m, die in der Qualifikation gleich mit einem Paukenschlag begann. Im ersten von elf Läufen stellte die hochfavorisierte US-Amerikanerin Chloe Dygert mit einer Zeit von 3:17,283 Minuten einen neuen Weltrekord auf, es war der bereits 7. Weltrekord dieser Weltmeisterschaften. Damit unterbot sie ihre bisherige Bestmarke von 3:20,060 Minuten nicht unwesentlich und ließ ihrer Gegnerin Marta Cavalli aus Italien nicht die Spur einer Chance. Dann kamen die Deutschen zunächst mit Lisa Klein, die in neuer deutscher Rekordzeit von 3:21,828 Minuten die Kanadierin Annie Foreman-Mackey schlug, doch gleich im unmittelbar folgenden Lauf war es Lisa Brennauer, die diese Zeit und sogar den alten Weltrekord mit 3:18,320 Minuten unterbot. Wie entfesselt startete sie in ihrem Lauf gegen Ina Savenka aus Weißrussland, lag sogar lange auf Weltrekordkurs und erzielte eine vorher kaum für möglich gehaltene Zeit, mit der sie das Finale um Gold erreichte.

Aber es fehlte noch Franziska Brauße, die in ihrem Lauf gegen die Italienerin Silvia Valsecchi mit 3:20,222 Minuten eine ebenfalls phantastische Zeit hinlegte und nun im Finale um Bronze auf Lisa Klein traf, mit der sie pikanterweise später das Madison zu bestreiten hatte. „Ich wusste, dass ich eine Zeit von 3:20 Minuten fahren muss, um eine Medaillenchance zu haben. Das tolle Publikum in der Halle und meine anwesende Familie haben mir noch zusätzlich einen Schub gegeben. Im Finale ist alles möglich gegen Chloe Dygert und ich werde nochmal alles geben“, äußerte sich Lisa Brennauer nach ihrem furiosen Lauf.

Die Nachmittagsveranstaltung begann mit der ersten Entscheidung, dem Finale im 500 m Zeitfahren der Frauen, für das sich die beiden Deutschen Lea Sophie Friedrich und Pauline Sophie Grabosch souverän qualifiziert hatten. Mit den beiden schnellsten Zeiten vom Vormittag hatten sie den Vorteil, als Vorletzte bzw. Letzte ins Rennen zu gehen und das nutzte dann die erst 20-jährige Lea Sophie Friedrich aus. Nachdem Jessica Salazar aus Mexiko mit 33,154 Sekunden vor Miriam Vece aus Italien und Pauline Sophie Grabosch in Führung lag und damit eine Bronzemedaille für den BDR schon sicher war, kam Lea Sophie Friedrich und machte daraus eine Goldmedaille mit einer Zeit von 33,121 Sekunden. Was für eine Leistung der jungen Deutschen, die in den Zwischenzeiten jeweils zurücklag und mit sensationeller Endgeschwindigkeit noch die Bestzeit realisierte. „Deutschland hat drei Goldmedaillen in drei Disziplinen bei den Frauen, ich bin einfach nur stolz. Wir haben hart trainiert und sind einfach nur schnell unterwegs, aber die Konkurrenz schläft auch nicht und es war ja sehr knapp. Ich habe ein gutes Durchhaltevermögen und das hat dann noch zum Sieg geführt“, gestand eine überglückliche Lea Sophie Friedrich nach ihrem großen Triumph. 

Sagenhafte 18 Teams waren am Start im Madison der Frauen über 30 km, darunter die starken Verfolgerinnen des BDR in der Besetzung Franziska Brauße und Lisa Klein. Hochachtung für den Einsatz der beiden Deutschen, die ja noch das Duell um Bronze in der Einerverfolgung vor sich hatten und verständlicherweise nicht alles riskieren und möglichst einen Sturz vermeiden wollten. Es gab immerhin drei davon und zeigte unter anderem auf, wie hart umkämpft dieses Rennen war. Die Titelverteidigerinnen aus den Niederlanden Kirsten Wild und Amy Pieters gewannen gleich die erste Sprintwertung und deuteten an, dass mit ihnen auch in diesem Jahr zu rechnen ist.

Sie kontrollierten das Feld, waren insgesamt in 11 von 12 Sprints in der Wertung und holten sich erneut Gold mit 36 Punkten vor Clara Copponi und Marie le Net aus Frankreich mit 24 Punkten und den Italienerinnen Letizia Paternoster und Elisa Balsamo, die 20 Punkte auf ihr Konto brachten. Für Franziska Brauße und Lisa Klein stand am Ende der 10. Platz zu Buche, ein Ergebnis, mit dem beide unter Berücksichtigung der Belastung aus den Verfolgungsrennen am gleichen Tag gut leben konnten. 

Die beiden Deutschen trafen anschließend dann im kleinen Finale der Einerverfolgung um Bronze aufeinander und hier hatte dann Franziska Brauße den längeren Atem, holte in 3:24,284 Minuten die Bronzemedaille, während Lisa Klein in 3:26,342 Minuten mit dem undankbaren vierten Platz vorliebnehmen musste. Gold ging an die Überfliegerin aus den USA Chloe Dygert, die im Duell gegen Lisa Brennauer einen weiteren, den insgesamt achten Weltrekord mit phantastischen 3:16,937 Minuten erzielte und Lisa Brennauer mit 3:23,229 Minuten keine Chance ließ. Mit der Silber- und der Bronzemedaille gab es für den BDR ein überragendes Ergebnis, das mit dem vierten Platz von Lisa Klein noch abgerundet wurde. Am morgigen Schlusstag stehen noch einmal vier Entscheidungen an und vielleicht gelingt dann den Titelverteidigern im Madison, Roger Kluge und Theo Reinhardt, auch die erste Medaille für die Männer des BDR. 

Bericht: Bernd Mülle

Fotos: Arne Mill & Marco Bertram / frontalvision.com

 

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