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Spannung wie selten zuvor bei der Tour de France

 
5.0 (3)

Fällt in den Pyrenäen eine Vorentscheidung? Diese Frage galt es nach dem ersten Ruhetag in Albi zu beantworten. Die 11. Etappe führte zunächst von hier aus nach Toulouse, auf der 167 km zurückzulegen waren. Zum Einrollen war sie gedacht, nachdem die im Rennen verbliebenen 171 Fahrer ihre wohlverdiente Pause in Anspruch genommen hatten. Nicht mehr am Start war Rick Zabel vom Team Katusha Alpecin, der als erster deutscher Fahrer das Rennen krankheitsbedingt aufgeben musste. Das übliche Bild bot sich mit einer sofort nach dem Start bildenden, frühen Ausreißergruppe, der drei Franzosen und ein Belgier angehörten, die aber nicht viel mehr als zwei Minuten Vorsprung herausholten. Es waren Anthony Perez und Stephane Rossetto von Cofidis, Solutions Credits und Lilian Calmejane vom Team Total Direct Energie sowie der Belgier Aime de Gendt vom Wanty-Gobert Cycling Team, der 10 km vor dem Ziel noch die Gruppe sprengte und Anthony Perez der erste war, der vom Feld eingeholt wurde.

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Bei Kilometer 4,5 vor dem Ziel war auch die Flucht des Belgiers zu Ende und dann sortierten sich die Sprinterteams. Ein wieder tolles Finale, das der Australier Caleb Ewan von Lotto Soudal vor dem Niederländer Dylan Groenewegen vom Team Jumbo-Visma und dem Italiener Elia Viviani von Deceuninck-Quick Step gewann. Damit ging ein lang gehegter Wunsch des Australiers in Erfüllung, der wie immer im Finale der Topsprinter von seinem Anfahrer Roger Kluge bestens in Szene gesetzt wurde. In allen Klassements ergaben sich damit keinerlei Veränderungen, bevor die schwere 12. Etappe von Toulouse nach Bagneres-de-Bigorre für eine Vorentscheidung im  Gesamtklassement prädestiniert schien. Durch einen Sturz 31 km vor dem Ziel, in dem acht Fahrer verwickelt waren, musste mit dem Niederländer Niki Terpstra vom Team Total Direct Energie ein Fahrer das Rennen aufgeben, so dass noch 169 im Rennen verblieben waren. 

Es schien nur so, tatsächlich gab es noch keine Vorentscheidung auf der ersten Bergetappe in den Pyrenäen mit zwei Bergwertungen der Kategorie 1, die von einer zunächst 40-köpfigen Spitzengruppe geprägt wurde, zu der die drei deutschen Fahrer Nikias Arndt vom Team Sunweb, Roger Kluge von Lotto Soudal und der Berliner Maximilian Schachmann von BORA-hansgrohe gehörten. Letzterer hatte mit dem Slowaken Peter Sagan, dem Österreicher Gregor Mühlberger und dem Italiener Daniel Oss noch drei Teamkameraden dabei. Eine starke Leistung des deutschen Teams, das sozusagen einen Grand mit Vieren spielen konnte. Es gab zunächst weitere 20 Punkte für das Grüne Trikot von Peter Sagan, der den Zwischensprint in Bagneres-de-Luchon für sich entschied, bevor die Gruppe sich sukzessive verkleinerte. Erneut war es der Belgier Tim Wellens von Lotto Soudal, der die Bergwertung am Col de Peyresourde gewann, während der immer wieder attackierende Brite Simon Yates von Mitchelton-Scott vor Gregor Mühlberger und dem Spanier Pello Bilbao vom Astana Pro Team an der nächsten Bergwertung der Kategorie 1 Hourquette d’Ancizan die Nase vorn hatte.

Diese drei Fahrer hatten sich abgesetzt und harmonierten auf den restlichen 28 Kilometern gut, so dass die Verfolger um Maximilian Schachmann nicht mehr herankamen, zumal dem Berliner die Hände gebunden waren, da Teamkamerad Gregor Mühlberger in der Spitzengruppe vertreten war. Der Brite Simon Yates ließ sich dann im Dreierspurt den Sieg nicht nehmen und distanzierte Pello Bilbao und Gregor Mühlberger auf die nächsten Plätze. In der mit 1:28 Minuten zurückliegenden Gruppe von 14 Fahrern belegte Maximilian Schachmann Platz 16, während das große Hauptfeld mit allen Favoriten auf den Gesamtsieg mit 9:35 Minuten Rückstand ins Ziel kam. Lediglich in der Gesamtmannschaftswertung gab es eine Veränderung, wo jetzt Trek-Segafredo das bislang führende Movistar Team abgelöst hat. „Als Gregor attackierte lag ich etwas hinten und konnte nicht nachsetzen. Taktisch war es dann von uns perfekt, wir waren in den entscheidenden Phasen auch immer dabei. Schade, dass Gregor nicht gewonnen hat. Mal sehen wie morgen die Beine beim Zeitfahren sind, wenn dann die schwere Etappe zum Tourmalet hinter uns liegt, freue ich mich am Ruhetag auf mein E-Bike“, gestand Maximilian Schachmann unmittelbar nach der Zielankunft den wartenden Journalisten. 

Im relativ kurzen Einzelzeitfahren in Pau über 27,2 km ging einer der Favoriten, der Deutsche Tony Martin vom Team Jumbo-Visma, gleich als vierter Starter ins Rennen, da wie üblich in umgekehrter Reihenfolge des Gesamtklassements die Fahrer die Startrampe verließen und der viermalige Weltmeister als 163. von noch 166 Fahrern platziert war, nachdem am Vortag u.a. der Australier Rohan Dennis von Bahrain Mérida, ein Zeitfahrspezialist, völlig überraschend aufgegeben hatte. Ausfälle auch anderer Art sollte es dann beim Zeitfahren geben, die man vorher nicht so erwarten konnte. Das betraf zunächst Tony Martin, der zwar nicht aufgab, aber keinen Rhythmus mehr nach den harten Tagen zuvor fand und abgeschlagen unter ferner liefen einkam. Platz 163 mit einem Rückstand von 6:45 Minuten, das war eines Tony Martin nicht würdig, der allerdings bislang ein hartes Pensum für seine Mannschaft abgespult hat und als Folge es dieses Mal in seiner Spezialdisziplin etwas zu locker angehen ließ. 

Drei Zwischenzeiten nach 7,7, 15,5 und 21,9 km wurden genommen und jedesmal fuhr der Träger des Gelben Trikots Julian Alaphilippe aus Frankreich von Deceuninck-Quick Step die Bestzeit, der am Ende das Einzelzeitfahren mit 14 Sekunden Vorsprung vor dem Briten Geraint Thomas vom Team INEOS und dem unerwartet starken, lange in Führung liegenden Belgier Thomas de Gendt von Lotto Soudal gewann, der ebenso 36 Sekunden zurücklag wie der überraschende Vierte Rigoberto Uran aus Kolumbien von EF Education First. Damit konnte Julian Alaphilippe die Führung in der Gesamtwertung weiter ausbauen, wo er jetzt Geraint Thomas 1:26 Minuten und dem Niederländer Steven Kruijswijk vom Team Jumbo-Visma 2:12 Minuten abgenommen hat. Ein nicht schlechtes Polster für den Franzosen, dessen bislang äußerst starker Auftritt noch einiges erwarten läßt. In der Nachwuchswertung führt jetzt der Spanier Enric Mas von Deceuninck-Quick Step, der den Kolumbianer Egan Bernal vom Team INEOS ablöste, der 38 Sekunden gegenüber dem Spanier verlor und jetzt in dieser Wertung auf Platz zwei mit 8 Sekunden zurückliegt.

Weniger glücklich verlief das Einzelzeitfahren auch für die zweite deutsche Hoffnung Maximilian Schachmann, der bis zum Kilometer 21,9 auf Platz 13 lag, dann aber schwer stürzte und verletzungsbedingt sich mehr recht als schlecht ins Ziel quälte. „Ich habe schnell einen guten Rhythmus gefunden, bin dann aber in eine Rechtskurve zu schnell reingefahren und böse gestürzt. Zum einen habe ich Schürfwunden am Knie erlitten, aber das Problem ist die linke Hand, mit der ich den Lenker nicht mehr richtig greifen konnte“, gab ein sichtlich enttäuschter Maximilian Schachmann zu Protokoll, der gleich nach seiner Zielankunft zur medizinischen Untersuchung gebracht wurde, wo man Brüche von drei Mittelhandknochen der linken Hand feststellte. Die Tour, für die er sich so viel vorgenommen hatte, war damit für ihn beendet. Gute Besserung von dieser Stelle aus für den sympathischen Berliner, der zur weiteren Behandlung nach Deutschland reist. Ebenso schlimm erwischte es auch dem Belgier Wout van Aert vom Team Jumbo-Visma, der bei einem bösen Sturz in derselben Kurve eine tiefe Fleischwunde erlitt, die operativ behandelt werden musste. Auch für ihn war damit diese Tour zu Ende, bei der er mit so überzeugenden Leistungen einschließlich eines Etappensieges in Albi glänzte.

Immer besser werden auch die Leistungen von Emanuel Buchmann von BORA-hansgrohe im Zeitfahren: mit einem ausgezeichneten 15. Platz und nur 1:19 Minuten Zeitverlust, behält er mit Platz sechs in der Gesamtwertung seine gute Ausgangsposition für den weiteren Verlauf der Tour. Leider wird ihm dann Maximilian Schachmann als tatkräftige Unterstützung fehlen, aber zuversichtlich äußerte er sich dennoch: „Es war ein gutes Zeitfahren von mir und ein weiterer Schritt in die richtige Richtung. Schade der Sturz von Maximilian Schachmann, ich hoffe, dass er weiterfahren kann“, konnte er zu diesem Zeitpunkt nicht ahnen, dass für den Berliner das Aus bevorstand.

Der Samstag führte das Fahrerfeld von Tarbes zum berüchtigten Tourmalet über nur 117 Kilometer, die es aber in sich haben sollten. Bis zum Schlussanstieg zum Col du Tourmalet, einem Berg der höchsten Kategorie in 2.115 Meter Höhe, lag noch der Col du Soulor vor den Fahrern mit einer Höhe von 1.474 Meter und bereits dort, nach gefahrenen 61 Kilometern, waren 17 Fahrer in Führung liegend u.a. mit dem Deutschen Lennard Kämna vom Team Sunweb und dem Italiener Vincenzo Nibali von Bahrain Mérida, der die erste Attacke nach 10 Kilometer in die Wege geleitet hatte. Der Belgier Tim Wellens gewann die Bergwertung am Col du Soulor und auch die folgende Sprintwertung nach 86 km. Die Führungsgruppe war zu diesem Zeitpunkt längst zersplittert und 20 km vor dem Ziel hatten alle Favoriten unter Regie des Movistar Teams das Rennen in die Hand genommen. Vorn blieb allein noch der Franzose Romain Sicard vom Team Total Direct Energie übrig, der noch über eine Minute Vorsprung auf das Gelbe Trikot besaß, als es nur noch bergauf ging. Er wurde 16 km vor dem Ziel von seinem Landsmann Elie Gesbert vom Team Arkea Samsic eingeholt, der mühelos an ihm vorbeizog. Aber auch er konnte sich nicht lange allein an der Spitze sonnen, als das Movistar Team  immer mehr Tempo machte. 

So wurde Elie Gesbert dann 10,5 km vor dem Ziel gestellt, als zum gleichen Zeitpunkt der Kolumbianer Nairo Quintana vom Movistar Team abreißen lassen musste. Der Meister von Frankreich, Warren Barguil vom Team Arkea Samsic, war der Nächste, der attackierte und dann ging es Schlag auf Schlag. Seine Landsleute von Groupama-FDJ Thibaut Pinot und David Gaudu waren die ersten, die Warren Barguil einholten und dann nahmen 11 Fahrer die letzten zwei Kilometer in Angriff, von denen sukzessive einige nicht mehr die Hinterräder halten konnten und zurückfielen. Stark dabei auch die Vorstellung von Emanuel Buchmann, der an der Spitze problemlos mithielt und sogar einen Ausreißversuch unternahm, der aber von den Konkurrenten sofort gekontert wurde. Es gab schließlich einen französischen Doppelsieg durch Thibaut Pinot, der Julian Alaphilippe mit sechs Sekunden distanzierte, während hinter dem zeitgleichen Steven Kruijswijk mit acht Sekunden Rückstand Emanuel Buchmann die Ziellinie als Vierter überquerte. Ein weiterer Franzose, der zum Favoritenkreis zählende Romain Bardet von AG2R La Mondiale, erlebte an diesem Tag seinen Einbruch mit einem Rückstand von über 20 Minuten. Dagegen mehr als bemerkenswert die erneute Topleistung von Julian Alaphilippe, dem man spätestens jetzt zutrauen darf, bei dieser Tour de France zumindest einen Podiumsplatz zu erreichen, zumal er relativ locker sein Gelbes Trikot ein weiteres Mal verteidigen konnte. Auch für Emanuel Buchmann ist noch einiges möglich, denn er fühlt sich angabegemäß gut und ist daher durchaus optimistisch im Hinblick auf den weiteren Verlauf der Tour. 

Die 15. Etappe am Sonntag vor dem zweiten Ruhetag in Nimes führte von Limoux nach Foix Prat d’Albis über 185 Kilometer und endete mit einer weiteren Bergankunft auf einer Höhe von 1.205 Meter. Sollte hier bereits eine gewisse Vorentscheidung fallen für das Finale in Paris? Auf jeden Fall war es eine schwere Etappe mit insgesamt vier Bergwertungen der 1. und 2. Kategorie, die die reinen Bergfahrer bevorzugte. Nach wenigen Kilometern bereits die ersten Ausreißer, ein längeres Abtasten war nicht angesagt. Schließlich waren 28 Fahrer an der Spitze, als am Col de Montsegur der Kanadier Michael Woods von EF Education First die erste Bergwertung gewann. Dabei auch in dieser Gruppe die beiden Deutschen Lennard Kämna und Simon Geschke vom CCC Team, zu der später mit Nils Politt vom Team Katusha Alpecin noch ein dritter deutscher Fahrer hinzustieß, der hinter dem Australier Michael Matthews vom Team Sunweb im Zwischensprint den zweiten Platz belegte. Am Port de Lers gewann Romain Bardet die zweite Bergwertung vor Simon Geschke, der an der Mur de Peguere 35 km vor dem Ziel Simon Yates auf den zweiten Platz verwies. 

Letzterer attackierte neun Kilometer vor dem Ziel und setzte den entscheidenden Vorstoß, auch Thibaut Pinot versuchte sein Glück und auch Steven Kruijswijk wagte im Regen noch einen weiteren Versuch, während einige der Favoriten in Schwierigkeiten gerieten. Auch Geraint Thomas gelang es nicht zu Simon Yates aufzuschließen, der die Ziellinie mit 33 Sekunden Vorsprung vor den zeitgleichen Thibaut Pinot und Mikel Landa aus Spanien vom Movistar Team erreichte und damit seinen zweiten Etappensieg feierte. Erneut starker Vierter war Emanuel Buchmann mit 51 Sekunden Rückstand, der dem weiterhin führenden, mit Platz 11 auf dieser Etappe etwas schwächelnden Julian Alaphilippe immerhin 58 Sekunden abnahm und auf Platz 6 in der Gesamtwertung nur noch 2:14 Minuten zurückliegt. Die kommende dritte und letzte Woche verspricht Spannung pur, zumal noch mindestens sechs Fahrer Siegeschancen haben dürften. Eine Klasseleistung auf dieser schweren Etappe bot auch wieder Lennard Kämna, der auf einem ganz hervorragenden 6. Platz einkam und dabei nur 1:03 Minuten auf den Tagessieger verlor und u.a. den Gesamtzweiten Geraint Thomas sowie auch den Träger des Gelben Trikots distanzierte.

Bericht: Bernd Mülle

Fotos: Mario Stiehl

Inhalt der Neuigkeit:
Rennbericht
Radrennen-Art:
  • Rundfahrt
Name des Radrennens
  • Tour de France

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Super Bericht, schöne Bilder !
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