„Südschweine raus!“ Im Vorfeld des Derbys BSG Stahl Brandenburg vs. Brandenburger SC Süd 05 wurden ordentlich Kohlen aufgelegt und es wurde mächtig ein- bzw. angeheizt. Frische Graffiti mit Schweinchen-Kopf tauchten rings um das Stadion am Quenz auf und beide Fanlager machten ordentlich mobil. Während sich die Süd-Fans an ihrem Stadion trafen und dann geschlossen mit Bussen zur Spielstätte des Erzrivalen fuhren, traf sich ein Teil der Stahl-Fans in einem in einer Kleingartensiedlung gelegenen Biergarten.
Holla die Waldfeh! Solch eine Truppe hatte ich lange nicht mehr zu Gesicht bekommen! Wie sagt man so schön im Fußball-Fachjargon? Stabil! Sehr stabil! Anwesend waren auch einige BFC-Fans und auch eine kleine Abordnung von Lazio gab sich die Ehre. Bei Wurst und Bier wurde gefachsimpelt, an einem Stand konnte sich noch mit dem einen oder anderen benötigten Utensil versorgt werden, und dann ging es nach kurzer knackiger Ansprache als Fanmarsch durch die Kleingartenkolonie zum Stadion. Da in der Presse im Vorfeld etwas von einem geplanten Fanmarsch zu lesen war, wolle man die Leute schließlich nicht enttäuschen. Ein paar P12-Fackeln wurden gezündet, Old-School-Gesänge wurden angestimmt, und der absolute Hingucker war (m)ein Fußballfreund, der auf der Durchreise war und seinen kleinen Rollkoffer dabei hatte. Herrlich!
Auf geht’s! Bereits vor Anpfiff war klar, dass die Kulisse deutlich größer sein würde als beim Derby im Rahmen des Brandenburger Landespokals im am 24. September 2022. Rund 2.200 Zuschauern (gefühlt waren es 3.000) bekamen vor drei Jahren einen 2:0-Sieg des Landesligisten gegen den eine Liga höher spielenden Rivalen (frisch aus der NOFV-Oberliga abgestiegen) zu sehen, und die Stimmung auf den Rängen war bombastisch!
Geschichte des Derbys BSG Stahl Brandenburg vs. Brandenburger SC Süd 05
Im Liga-Alltag liegt das letzte Aufeinandertreffen fast zwei Jahrzehnte zurück. In der Brandenburg-Liga-Saison 2005/06 trafen Stahl und Süd zuletzt aufeinander. Am 01. Oktober 2005 sahen 1.310 Zuschauer das Hinspiel im Stadion am Quenz, das torlos endete. Weitere Aufeinandertreffen gab es den zwei Spielzeiten zuvor. Im Landespokal gab es ein weiteres Duell am 12. Dezember 2009, das 5:6 im Elfmeterschießen endete.
Zu DDR-Zeiten gab es einige Derbys in der DDR-Liga (zweithöchste Spielklasse). So zum Beispiel in den Spielzeiten 1978/79, 1980/81 und 1983/84. In erstgenannter Saison konnte die BSG Stahl Brandenburg das Heimspiel mit sage und schreibe 8:0 für sich entscheiden. Was die Historie beider Vereine betrifft, so feierte der Brandenburger SC Süd 05 kürzlich seinen 120. Geburtstag. Als Brandenburger BC 05 wurde von 1937 bis 1942 in der Gauliga Brandenburg gespielt, und als BSG Motor Süd wurde nach 1945 einige Spielzeiten in der DDR-Liga die Visitenkarte abgegeben.
Die BSG Stahl Brandenburg wurde am 20. November 1950 ins Leben gerufen und feiert demzufolge in Kürze ihren 75. Geburtstag. 1984 gelang der Sprung in die DDR-Oberliga und der größte sportliche Erfolg wurde 1986/87 mit der Teilnahme am UEFA-Pokal gefeiert. Im Lied „Stahl Feuer“ wird das Ganze besungen. Nachdem der nordirische Vertreter Coloraine FC aus dem Weg geräumt wurde (1:1 und 1:0), musste man sich in der zweiten Runde dem IFK Göteborg (0:2 und 1:1) geschlagen geben. Trotz des Ausscheidens in Runde zwei blieben die EC-Auftritte in bester Erinnerung und sorgen bei den älteren Fans noch immer für Gänsehaut.
Unvergessen bleibt auch die Saison 1991/92, als in der Gruppe Nord der 2. Bundesliga gespielt wurde. Gern darf auf YouTube mal nach dem „Skandalspiel gegen den FC Bayer 05 Uerdingen“ gesucht werden! „Da waren’s nur noch sechs!“, titelte damals im November 1991 die „taz“. Vor 2.400 Zuschauern drehte der Schiedsrichter völlig am Rad und schickte nach und nach die halbe Stahl-Mannschaft vom Platz. Vor den vor Wut tobenden Stahl-Fans kämpfte die Mannschaft wacker, musste sich aber am Ende mit 0:3 geschlagen geben. Aber ja, manch ein Foul während der Partie war wahrlich bedenklich, allerdings gab es die eine oder andere Karte auch wegen Meckerns. Das Problem des Ganzen: Der damalige Stahl-Präsident hatte wohl einen Zeugen ausfindig gemacht, der folgende Worte des Schiedsrichters vernommen hatte: „Euch Blauen werd ich es heute zeigen!“
Mit dabei war der BSV Stahl Brandenburg auch in der ersten Runde des DFB-Pokals 1991/92. Irre, wer damals alles mit von der Partie war und was für verrückte Spiele es gab! NSC Marathon 02 vs. Hannover 96 (0:7), ESV Lok Cottbus vs. VfB Oldenburg (0:3), SpVgg EGC Wirges vs. FC 08 Homburg (1:6), SV 1910 Kahla vs. FC Rot-Weiß Erfurt 1:4), SV Viktoria Herxheim vs. FC St. Pauli (2:3 n.V.), SV Blau-Gelb Berlin vs. VfB Leipzig (0:5), TSG Backnang 1919 vs. 1. Suhler SV, SC Viktoria Köln vs. SV Blau-Weiß 69 Parchim (2:0) und SSV Reutlingen 05 vs. TSV Krähenwinkel/Kaltenweide. Der BSV Stahl Brandenburg musste indes beim Greifswalder SC antreten. 2:2 hieß es nach 120 Minuten, das Elfmeterschießen ging mit 2:3 verloren.
Und wie lief es in der 2. Bundesliga? Acht Siege in 32 Spielen waren am Ende leider viel zu wenig, als Tabellenletzter der Gruppe Nord musste der Weg in die damals finstere und trostlose Drittklassigkeit angetreten werden. Der BSV Brandenburg konnte sich vom Absturz nicht erholen, ging 1998 Konkurs und musste aufgelöst werden.
Als direkter Nachfolgeverein wurde im gleichen Jahr der FC Stahl Brandenburg neu gegründet. im Frühjahr 2022 wurde wieder die „BSG“ (Ball- und Sportgemeinschaft) sehr zur Freude der Fans im Vereinsnamen aufgenommen. Sportlich musste allerdings in der jüngeren Vergangenheit eine lange Durststrecke bewältigt werden. Während der Brandenburger SC Süd 05 phasenweise sogar in der NOFV-Oberliga spielte, kickte Stahl Brandenburg sieben lange Jahre nur in der Landesliga Nord. Am Ende der vergangenen Saison packte die BSG Stahl Brandenburg in Waldsieversdorf den lang ersehnten Aufstieg in die Brandenburgliga. Endlich ist man wieder auf Augenhöhe mit dem Erzrivalen.
Das heißeste Stadtderby im Amateurfußball
Genug der langen Vorrede! Hinein in die am Samstag ausgetragene Partie! 4.703 zahlende Zuschauer fanden sich am Nachmittag auf den Rängen des altehrwürdigen Stadion am Quenz ein und bildeten somit eine Rekordkulisse in der Brandenburg-Liga. Für Heimfans geöffnet wurde auch die Gegengerade, im Gegensatz zum Pokalspiel vor drei Jahren musste die Gästefans in die klassische Gästekurve. Ebenfalls klassisch wurde das Spiel mit zwei sehenswerten Pyro-Shows in beiden Fankurven eingeläutet. Was für ein Ambiente! Gänsehaut!
Da die Stahl-Fans aufgrund der geöffneten Gegengerade dieses Mal verteilter waren im weiten Rund, war die Stimmung anfangs nicht ganz so knackig und brachial wie vor drei Jahren beim legendären Pokalspiel. Allerdings ist dies ein „Jammern auf ganz hohem Niveau“, schließlich sprechen wir hier von der sechsten Liga! Alle Achtung! Und ja, die Atmosphäre konnte zum Spielende hin auch noch mal deutlich verbessert werden.
Während auf Heimseite zahlreiche ältere Kaliber in der Fankurve standen, war der Gästeblock mit eher jüngeren Fans gefüllt, die im „modernen Stil“ für Stimmung sorgten. Eher moderne durchgängige Gesänge in der Gästekurve, alte Klassiker indes in der Heimkurve. Der Stimmungspegel orientierte sich ganz klar am Spielgeschehen. Richtig laut wurde es demzufolge nach einer Viertelstunde, als das Geburtstagskind Benjamin Nwatu, für das im späteren Verlauf noch ein Ständchen gesungen wurde, den Treffer zum 1:0 erzielen konnte.
Spielerisch wurde sicherlich nicht die allererste Güte geboten, doch lebte das Spiel von der Spannung und der Brisanz. Nach einer halben Stunde musste Stahl-Spieler Ibraima Cante mit Rot vom Platz, in der zweiten Hälfte folgte unter lautem Jubel der Süd-Spieler Matheus Cesario. Auf den Rängen gab es auf beiden Seiten einige Spruchbänder zu lesen, die teils auf zurückliegende Aktionen anspielten. So war der „Puller-Skandal“ nach dem Aufstieg in Waldsieversdorf in aller Munde – welch ein Wortspiel! *Zwinkersmilie* Mindestens ein Stahl-Spieler soll am Abend nach dem feucht-fröhlichen Aufstiegsspiel auf dem Vereinsgelände des Rivalen uriniert haben. Hinzu kam, dass „feindliche Parolen“ skandiert wurden. Süd 05 fand das gar nicht lustig und sprach kurzerhand gegen mehrere Personen ein Stadionverbot aus, in der Folge erhielt auch der Süd-Präsident von Stahl ein Hausverbot für das Stadion am Quenz ausgesprochen.
Trotz all der aufgestauten Hitze und Brisanz wurde es auf den Rängen nicht wirklich hässlich. Manch ein Groundhopper und neutraler Besucher wünschte sich, dass es noch mehr abgehen könnte und zog Vergleiche zum Pokalspiel vor drei Jahren. Damals standen die Gästefans allerdings wie bereits erwähnt auf der überdachten Gegengerade und somit mehr in Sichtweite zu den damals enger stehenden Heimfans. Ein stimmungsvolles Spiel wurde es allerdings auch dieses Mal. Die BSG Stahl wusste die knappe 1:0-Führung zu verteidigen und brachte diese letztendlich auch gekonnt über die Zeit.
Welch ein Jubel nach Abpfiff! Das war wahrlich kein 0815-Sieg! Erleichterung und pure Freude standen sowohl den Spielern, als auch den Fans in die Gesichter geschrieben. Mit dem Derbysieger-Banner eilten die Spieler in Richtung Fankurve, ein paar Fackeln wurden angerissen, und die Party konnte beginnen. So schön kann (Amateur-)Fußball sein!
Nach dem Spiel wurden die Gästefans noch eine geraume Zeit vor dem Stadion von der Polizei festgehalten, bevor sie in die drei bereitstehenden Busse einsteigen durften. Auf Heimseite ging es nach und nach in die verschiedensten Richtungen. Das Ziel vieler waren die umliegenden Supermärkte. Der Durst war groß, Bier musste her! Im Stadion selbst waren die Schlangen an den Bierständen arg lang, sodass der eine oder andere während der Partie trocken blieb.
Mit Bus und Straßenbahn – der Anschluss zwischen 2 und 1 war natürlich nicht gegeben – ging es zum Brandenburger Hauptbahnhof, wo sich ein skurriler Anblick ergab. Der Bahnsteig war gut gefüllt, und verschiedenste Sportsfreunde waren unterwegs. So fuhren einige Hertha- und Düsseldorf-Fans zum Zweitligaspiel im Berliner Olympiastadion, auf Achse waren auch etliche Anhänger des EHC Eisbären Berlin, der ebenso ein Heimspiel hatte. Dazwischen all die Stahl-Fans, die ebenso in Richtung Potsdam und Berlin fahren wollten. Nicht zu vergessen sind die Jungs von der „Pöbelkurve Zehdenick“, die ebenso mit in der Heimkurve standen, und ein Anhänger des 1. FC Neubrandenburg, der das Spiel vom Gästeblock aus sah.
Nette Gespräche bei der einen oder anderen Flasche Bier gab es somit kreuz und quer, und somit klang ein hervorragender Fußballtag in Brandenburg an der Havel in bester Form langsam aus.
Stimmungsvideo BSG Stahl Brandenburg vs. Brandenburger SC Süd 05
Wir haben auch ein Stimmungsvideo zusammengeschnitten inklusive Kommentaren vom Artikel-Autor Marco.
Fotos: Marco Bertram, Lars H. (Stadionhüpfer INkognito)
Es war ein wahnsinnig toller Tag mit altbekannten Leuten und dem passenden Ergebnis!
Danke für den Bericht!
Stahl Feuer!
Steffen
Bockstarkes Spiel! 🔥
Sehr cooler und umfassender Bericht👍