Gryf Słupsk vs. Pogoń Lębork vor 10 Jahren – Polens jüngere „Alte Schule“

Der Marco immer mit seinen Rückblicken… Dann will ich mich auch versuchen. Fast genau zehn Jahre ist es her. Damals war es der 28. Oktober 2006. So lange liegt mein erster Besuch bei Gryf Słupsk schon zurück. Was hat sich nicht alles verändert? Ganz kann ich es nicht mehr rekonstruieren, aber ich weiß noch, dass wir uns damals zu Zweit von Berlin aus auf den Weg nach Polen machten. Dresden spielte bei den Amateuren von Hertha BSC. Es war eine Liga, in der sich auch noch Wilhelmshaven, Union Berlin und Kickers Emden tummelten. Aber die Erinnerungen an diese Staffel sind irgendwie komplett verblasst. Mein Begleiter bei Hertha, ich bei FASS Berlin (Eishockey). Nach dem Spiel trafen wir uns irgendwo und fuhren fast direkt nach Szczecin. Gryf spielte schon sehr zeitig. Es kann 12:00 gewesen sein. Es lohnte sich nicht mehr, nach Hause zu fahren, also wurde unweit von Szczecin Główny das Auto geparkt und der Wecker gestellt. Wir waren nicht die einzigen, die an diesem Abend diese Idee hatten. Beim Stop an der Tankstelle bemerkten wir im Schatten des Gebäudes einen Streifenwagen, in dem zwei Ordnungshüter schon das taten, was wir später auch machen sollten. Lehne nach hinten und den Kopf an die Scheibe. Gute Nacht. Ich höre noch heut: „Los, komm! Wir müssen los!“ Den Fahrschein hatten wir schon. Damals gab es noch ein Touristenticket für umgerechnet ca. 15 €. Mit diesem konnte man von Freitag bis Montag alle D-Züge und Bimmelbahnen nutzen.

Szczecin

Bekannte aus Polen fragten häufig, wo wir denn die Nacht verbringen würden. Heute bräuchte ich nicht mehr auf Englisch zurückgreifen, aber damals hieß es noch: „We will sleep in the train.“ Wir ernteten natürlich erstaunte Blicke. Die D-Züge fuhren auch immer die Nacht hindurch. Warum nicht? Es war kein Problem. Auch sinnloses Hin- und Herfahren war uns nicht fremd. Obwohl ich noch die letzten Zuckungen der Zug-Diebstahl-Ära mitmachte, hatte ich keine Angst. Da sind Fahrten in Deutschland wesentlich unangenehmer (geworden). Nur einmal bin ich nicht eingestiegen. Es war der letzte Zug an einem Nikolaus-Wochenende, der an diesem Tag von Chorzów-Batory nach Katowice fahren sollte. Und, na ja, da war ein Mob drin, der Sturmhauben trug. Aber so gab es nie nennenswerte Probleme in den Zügen, aber viele Anekdoten, an die ich mich gerne erinnere. Eigentlich sollte es um Gryf gehen. Da mache ich jetzt weiter. Gryf spielt draußen an der Zielona. Hier spielten schon Hertha BSC und Fortuna Düsseldorf. Das weiß jeder bei Gryf, obwohl die Spiele schon in den 30ern ausgetragen wurden. 

Immer wieder dieses verflixte Verhältnis zwischen Deutschen und Polen… Wer den Mallorca-Deutschen rausgucken lässt, der braucht sich nicht wundern, wenn…, aber wenn man gegenseitig respektvoll miteinander umgeht, dann gibt es auch in Polen keine Probleme, auch wenn da mal was war. Der Schnauzbärtige war jedenfalls nie ein großes Thema. Mensch, das ist jetzt die dritte Generation danach! Das interessiert keinen mehr, auch wenn bei offiziellen Festivitäten immer wieder wiederholt wird, dass sich doch beide Völker endlich wieder annähern mögen. Bei diesen widerlichen, ach doch so radikalen, „Fußball-Assis“ klappt es wohl besser als bei so manchem aus irgendeinem Topf gestützten internationalen Zwangs-Projekt. Das ist das, was mir über die Jahre immer so auffiel. Und so überlebten auch wir überraschenderweise dieses Spiel als Deutsche. Ganz überraschend.

Slupsk

Słupsk gegen Lębork – ein Klassiker. Damals schrieb die Presse nach dem Spiel ganz neutral über das wichtigste Spiel beider Fangruppen, eine heiße Atmosphäre und über effektvolle Choreographien. Zwischenzeitlich sahen danach Zeitungsartikel über solche Spiele schon ganz anders aus – auch ohne gewalttätige Vorkommnisse seitens der Fans. In dieser 5. Liga war es auch das Spiel, was in einem besonderen Fokus stand. Und es dauerte auch gar nicht so lange, bis etwas passierte. Lębork traf mit Shuttle-Bussen ein, wollte den Block betreten und schon war Gryf auf dem Weg zu ihnen. Unruhe, ein Bengalo landet am Trennzaun und die Polizei ist sofort zur Stelle. Drohend richten sie die Gewehre auf Lębork. Auf der anderen Seite nehmen die ersten Gryf-Hools schon die Staubmasken ab. Das war alles noch vor dem Spiel. Der Spielverlauf ist ein Paradebeispiel für die Epoche zwischen Millennium und EM-Vergabe, in der sich die polnischen Kurven in optischen Attraktionen überbieten wollten. Es ging dabei nicht um die Größe oder die Kosten für eine Choreografie. Nein, es ging um die Anzahl! Teilweise wurden vier oder fünf Choreos mit relativ einfachen Mitteln gestaltet. Die Leute gingen auch ins Stadion, um genau das bei diesen Spielen zu sehen – neben dem eigentlichen Spiel auf dem Rasen. Allein bei diesem Spiel gab es sieben verschiedene optische Aktionen im Fanblock Gryfs! Das Stadion wurde trotz des tristen Herbstwetters zu einer bunten Welt. 

Lebork

Nicht einmal Werbebanden gab es am unteren Zaun. Viel Platz für viele Fahnen. Kassenrollen, Glitzerfolien, Blockfahnen, verschiedene Pyrotechnik, bunte Bänder, Schwenkfahnen, Doppelhalter wurden in mehreren Kombinationen gezeigt. Auf dem Platz brannten die durch den Ultra-Sektor beflügelten Spieler ebenfalls ein Feuerwerk ab – zwar nicht so elegant, aber eindeutig. Lębork gelang gar nichts an diesem Tag. Sogar der Ehrentreffer zum 3:1 resultierte aus einem Eigentor. Der konstante Blick auf die Ränge war für diese Zeit bei solchen Spielen normal. 800 Zuschauer kamen, der Fanblock war mit Ultras gefüllt, die eine Tribünenhälfte mit Hooligans, und im Gästeblock stand ein Pöbel aus Hooligans der Gruppen aus Lębork und Gdynia (Bałtyk). Und zack! Plötzlich wurde ein Seitentor des Fanblocks aufgebrochen, und der Mob rannte über den Wall in Richtung Gästeblock. Die Gryf-Ultras forderten den Kontrahenten zur Eigeninitiative auf, aber Lębork reagierte nicht. 

Lebork

Und schon kamen ihnen die Polizisten entgegen, die Schüsse aus Gummi abgaben. Lębork wurde nach dem Spiel in die Busse gesetzt, der Weg gesichert und dann bekam der Fahrer das Signal zur Abfahrt. Wir mussten nach dem Spiel in die andere Richtung. Mein Begleiter musste kurzfristig Sonntag arbeiten und ich Montag um 8 Uhr wieder auf der Matte stehen, sodass sich für mich dabei nur noch eine kleine Fahrt am Sonntag heraussprang mit einer zweiten Nacht im Auto, was noch in Szczecin weilte. Vorher war noch die zweite Hälfte von Pogoń Szczecin gegen Zagłębie Lubin drin. Internetcafes gab es in Polen damals häufig in Bahnhöfen oder in der Nähe jener, auch wenn da in manchen Orten nur zwei Rechner standen und davon einer sogar noch kaputt war wie damals in einer Nacht in Przemyśl.

Policia

Um vier Stunden zu überbrücken eignen sie sich dennoch perfekt. Das Ticket musste abgefahren werden, keine Frage. Kracher gab es an diesem verregneten Sonntag nicht mehr, und so fiel die Wahl auf Sparta Szamotuły, da es auf der Strecke nach Poznań lag. Da wurde nicht nach dem Stadion gegangen. Das war damals noch die große Unbekannte! Google.maps steckte, wenn überhaupt, nur in den Kinderschuhen. Stadionseiten über Polen Fehlanzeige. Die Tribünenkonstruktion und die eigenartigen Stufen entschädigten für ein langweiliges 4:1 gegen die Reserve von Kunstprodukt Remes Opalenica. So war das damals.

Fotos: Michael, Marco Bertram (Bhf. Szczecin)

> zur turus-Fotostrecke: Fußball in Polen

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

2 Kommentare zu „Gryf Słupsk vs. Pogoń Lębork vor 10 Jahren – Polens jüngere „Alte Schule““

Nach oben scrollen