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Nostalgie und Wehmut: Erneute Spurensuche bei KS Karkonosze Jelenia Góra

Man schrieb den 02. August 2003, als im Stadion Miejski in der zweiten Runde des polnischen Pokals der KS Karkonosze Jelenia Góra auf KS Lech Poznań traf. Nachdem Karkonosze in der ersten Runde vor 700 Zuschauern Ruch Radzionków mit 1:0 aus dem Weg räumen konnte, gab es nun das Spiel gegen den namenhaften Gegner. Bilder von der dieser Partie, die nun mehr über 15 Jahre zurückliegt, gibt es sogar im Archiv der offiziellen Seite von Lech Poznań zu sehen. Karkonosze trat damals in roter Spielkleidung an, auf den Rängen fanden sich rund 2.000 Zuschauer ein, und auch im Gästekäfig war eine kleine, aber feine Truppe anwesend. Lech konnte das Pokalspiel mit 3:0 gewinnen, einen der Treffer erzielte Piotr Reiss, den die meisten noch kennen dürften. Apropos Pokal, den größten Erfolg feierte KS Karkonosze Jelenia Góra in der Saison 1961/62, als das Viertelfinale erreicht wurde. In der ersten Runde wurde Polonia Warszawa mit 3:0 weggefegt, in der zweiten Runde wurde mit 5:1 bei Pogoń Prudnik gewonnen, es folgten ein 1:0 gegen Lechia Gdańsk und ein 2:0 gegen Stal Rzeszów. Endstation war dann beim Auswärtsspiel bei Odra Opole, das mit 0:2 verloren ging.

Sucht man Karkonosze Jelenia Góra auf youtube, so wird man unweigerlich auf die beiden Aufeinandertreffen mit dem Erzrivalen Górnik Wałbrzych in der Saison 2008/09 stoßen. Beide Vereine spielten in der IV liga grupa dolnośląska, und am Ende der Saison stieg Górnik Wałbrzych als Tabellenführer in die III Liga auf. Am achten Spieltag kam es am 27. September 2008 zum Hinspiel in Jelenia Góra, und die Ränge waren richtig gefüllt. Volle Kapelle auf beiden Seiten, und es kam zu heftiger Bambule. Ebenso gut was los war beim Rückspiel, das Górnik ebenso gewinnen konnte. Rund 4.000 Zuschauer wollten das „Wielke Derby Sudetów“ sehen. Was für Zeiten!

Bei Górnik Wałbrzych hatten wir in der vergangenen Woche beim Heimspiel gegen Polonia-Stal Świdnica vorbeigeschaut. Immerhin gab es ein wenig was zu sehen auf den Rängen. Nun hieß es mal wieder bei KS Karkonosze Jelenia Góra vorbeizuschauen. Wie damals 2008/09 spielen sowohl Górnik Wałbrzych als auch Karkonosze Jelenia Góra in der IV Liga (fünfte Liga), allerdings in verschiedenen Staffeln. Die neue Aufteilung nach der Spielzeit 2015/16 war für zahlreiche Vereine ein Genickbruch. Im Fall von Jelenia Góra hieß es: Kaum war der Verein nach langer Durststrecke 2014 in die III Liga aufgestiegen, so ging es zwei Jahre später wieder runter. Von 18 Mannschaften in der III Liga grupa dolnośląsko-lubuska mussten 11 Mannschaften die Segel streichen. Diese wurden in die neuen Gruppen der IV Liga aufgeteilt. Gespielt wird nun nur noch sehr regional, lukrative Spiele gibt es äußerst selten. Fantechnisch war der Ofen quasi wieder aus.

Bitter, denn tat sich im Frühjahr 2014 etwas. Als Karkonosze auf Aufstiegskurs war, schauten wir beim Heimspiel gegen Orkan Szczedrzykowice vorbei. 300 Zuschauer kamen, es bildete sich ein kleiner Stimmungsblock und ein paar Zaunfahnen wurden wieder angebracht. Im August wurde ich Zeuge vom ersten Heimspiel in der neuen Viertligasaison 2014/15 (III Liga). Zu Gast war Sleza Wroclaw, es wurde noch der Meisterpokal nachgereicht, und im ordentlich gefüllten Fanbereich hieß es Einhaken und Oberkörper frei! In den folgenden zwei Jahren gab es das eine oder andere Highlight. Richtig was los war zum Beispiel gegen Polonia Stal Swidnica (befreundet mit Górnik Wałbrzych), als mächtig der Baume brannte. Schmuck waren auch die Duelle direkt gegen Górnik Wałbrzych und KS Stilon Gorzów Wielkopolski. 

Und nun? Zurück auf Anfang. Im Juni 2013 sah ich mein erstes Spiel von Karkonosze Jelenia Góra. Gegen Piast Nowa Ruda angetreten wurde im Stadion Cieplice. Viel los war wahrlich nicht, doch immerhin hing ein Banner - und zwar das mit der Aufschrift „Fanatycy“. Zwei-, dreimal hallte das laute „Kar-ko-nosze!“ in das kleine anliegende Waldstück. Immerhin. Beim heutigen Heimspiel gegen Górnik Złotoryja hing gar nichts mehr, und auch das gerufene „Karkonosze“ war nicht zu vernehmen. Geschätzte 100 Fußballfreunde hatten sich auf der Haupttribüne eingefunden, unter ihnen eine kleine Truppe Gästefans mit mitgebrachten Bierflaschen. Bitter, es waren die einzigen, die bierseelig ab und an was riefen bzw. lallten.

Aber okay, das war nun nicht sooo überraschend, wenn gleich gemunkelt wurde, dass es nach längerer Zeit mal wieder aktiven Support auf Heimseite geben würde. Passt auch, denn schließlich wird der Verein in diesem November 65 Jahre alt. Zum letzten Auswärtsspiel bei BKS Bobrzanie Bolesławiec wollten Karkonosze-Fans mitfahren, doch die Stadt bekam kalte Füße, und die Partie musste ohne Publikum („bez udziału publiczności“) über die Bühne gebracht werden. 

Am schockierendsten war am heutigen Nachmittag mal gar nicht das Ausbleiben der aktiven Fans, sondern der Zustand des Stadion Miejski, das nun offiziell „Park Sportowy Złotnicza“ heißt. Plattgemacht wurde mal eben die gesamte Gegengerade inklusive Kurve und Mini-Marathon-Tor. Zu sehen ist nun nur noch die frisch gewalzte Erde. Mein Sohn wurde richtig traurig, denn dort am winzigen Tunnel der Gegengerade hatten wir einst vor vier Jahren nette Erinnerungsfotos angefertigt. Er war gerade mal vier und lief am Graffiti „Hools Squad“ vorbei. Ach ja, es war alles hübsch ranzig, aber eben auch liebenswert. Wer derzeit noch den alten Käfig-Gang zum einstigen Gästeblock bestaunen möchte, der sollte sich wahrscheinlich sputen. Wir schritten diesen heute noch einmal ab, und ich musste an die Videoaufnahmen denken, bei denen die Górnik-Kanten in diesem Gatter zu sehen waren.

Was heute am Nachmittag blieb? Viel Wehmut! Ein Ostseestadion-Aufkleber am Zaun zauberte uns ein kleines Lächeln aufs Gesicht, ansonsten sorgte nur die Musik aus der Konserve für gute Laune. Was die abgespielte Musik betraf, so lässt man sich bei Karkonosze Jelenia Góra wahrlich nicht lumpen. Guter Sound und guter Mix. Erstliganiveau! Die Minuten vor dem Spiel und die Halbzeitpause wurden mit der abgespielten Mucke kurzweilig. Auf dem Rasen gab es halt polnischen Fünftligafußball zu sehen. Der Einsatz stimmte, und immerhin konnte der Gastgeber einen 1:0-Sieg gegen den Tabellendritten einfahren. Karkonosze Jelenia Góra selbst ist derzeit auf Rang sieben zu finden. Ob es eines Tages wieder höher gehen wird? Eine gute Frage. Zu Hoffen wäre es. Zwar ist in der III liga grupa III auch nicht immer Riesentrubel angesagt, doch kommen bei Gwarek Tarnowskie Góry eben doch mal punktuell 950 und bei MKS Kluczbork 500 Zuschauer... 

Fotos: Marco Bertram, Chris Wode, Basti O.

> zur turus-Fotostrecke: Impressionen vom polnischen Fußball

Artikel wurde veröffentlicht am
03 November 2018
Spielergebnis:
1:0
Zuschauerzahl:
100
Gästefans
10

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