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Hansa Rostock vs. 1. FC Nürnberg: Sturm, Ekstase und Zitronenschnaps - wenn Pokalträume zerplatzen

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Mehrmaliges Schauen auf das Handy in tiefer Nacht. Zwei Uhr. Vier Uhr. Nur nicht verpennen! Wirre Träume, Aufregung und Vorfreude. Um 5:30 Uhr kam das Klingeln einer Erlösung gleich. Es kann losgehen! Der frühe Vogel fängt bekanntlich den Wurm. Den Rucksack schnappen und leise aus dem Zimmer schleichen. Als ich im noch im Tiefschlag befindlichen Cieplice an der Bushaltestelle stand, setzte langsam die Dämmerung ein. Hinein in den Bus Nummer 17. Auf zum Dworzec Główny von Jelenia Góra! Nachdem ich bereits die Pokalspiele gegen Hertha BSC in der zurückliegenden Saison und gegen den VfB Stuttgart in der laufenden Saison verpasst hatte, sollte es nun auf jeden Fall gen Küste gehen. Acht Stunden Zugfahrt, das war gut zu schaffen. Von Polen aus zu einem Hansa-Spiel zu düsen - das hatte ich bereits bei der Auswärtspartie in Cottbus umgesetzt. In diesem Fall müsste auf der Rücktour jedoch eine Übernachtung in Berlin eingelegt werden. Egal, wie groß die Strapazen - dieses Spiel wäre jede Stunde Fahrtzeit wert. Der F.C. Hansa Rostock in der zweiten DFB-Pokalrunde - das gab es schließlich seit der Saison 2008/09 nicht mehr. Damals war im Achtelfinale gegen den VfL Wolfsburg (1:5) Schluss. Zuvor wurde in der ersten Runde auswärts mit 2:0 bei Holstein Kiel, in der zweiten Runde auswärts mit 2:1 n.V. bei Eintracht Frankfurt gewonnen. In Frankfurt! Was für ein Knallerspiel! In der 90. Minute hielt Hansa-Keeper Jörg Hahnel einen Elfmeter von Caio, in der 102. Minute machte Enrico Kern das 2:1! Zuvor hatte er bereits den Ausgleich klargemacht. Bombig! Blau-weiß-rote Ekstase!

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Hansa Rostock und der DFB Pokal. Wenn wir schon dabei sind: Am weitesten kam der FCH in der Saison 1999/2000. Nachdem auswärts die SpVgg Landshut, die SpVgg Greuther Fürth und Eintracht Trier und daheim der VfB Stuttgart mit 2:1 bezwungen wurden, standen die Rostocker im Halbfinale. In diesem musste auswärts beim FC Bayern München angetreten werden. Vor gerade mal 10.000 Zuschauern im Münchner Olympiastadion - krasses Ding! - musste sich Hansa am 16. Februar 2000 denkbar knapp mit 2:3 geschlagen geben. Hilmar Weilandt und Peter Wibran erzielten jeweils die Anschlusstreffer. Leider hatte es nicht zu mehr gereicht. Mensch ja, so dicht vor dem Finaleinzug. Damaliger Final-Gegner wäre der SV Werder Bremen gewesen, der im HF mit den Stuttgarter Kickers richtig schwer zu kämpfen hatte. 

Nun denn, zurück in der Gegenwart. Das Heimspiel gegen Nürnberg vor Augen, im Linienbus den Blick auf die vorbeiziehenden verlassenen Fabrikanlagen von Jelenia Góra gerichtet. Am Bahnhof selbst herrschte noch Ruhe. Fix das Ticket gekauft und das W-Lan für das Reinsetzen des Berichtes über die Chemiker unter Flutlicht genutzt. Aus einem leckeren Jelonka-Milchkaffee wurde indes nichts. Das kleine Café im Bahnhof musste geschlossen werden, verwaist standen die letzten Einrichtungsgegenstände in dem kleinen, nun mehr als traurig wirkenden Raum. 

Verwaist wirkte auch der Bahnsteig, auf dem der Regionalzug nach Görlitz abfahren sollte. Ein Blick auf die Uhr, okay, es sind ja noch 40 Minuten. Ein mulmiges Gefühl machte sich trotzdem breit. Der Zeitplan war eng gesteckt, viel Spielraum blieb nicht. Als zwei Nächte zuvor der Sturm über das Vorland des Riesengebirges fegte, hatte ich nachts wach gelegen und gehofft, dass keine Bäume auf die eingleisige Strecke stürzen würden. Die Bummelstrecke von Jelenia Góra über Gryfów Śląski und Luban nach Görlitz ist sehr anfällig. Bei all den dort zurückgelegten Fahrten kann ich bereits ein Liedchen davon singen. Einmal wurde nach einem Unwetter ein Stück Brücke weggeschwemmt, und die Fahrgäste wurden kurzerhand in Kleinbusse gestopft. Die Scheiben beschlugen von innen, es roch nach Regenwasser und Schweiß und aufgrund der kurvigen Landstraßen kotzte der eine oder andere hinten in die eilig geöffneten Tüten. Da einzelne Bahnhöfe quasi an Sackgassen lagen, zog sich das Abklappern der einzelnen Haltepunkte endlos dahin.

Der Blick auf die Webseite der Niederschlesischen Eisenbahn brachte am Abend zuvor keine Erkenntnisse, und auch auf der Anzeigetafel in der Bahnhofshalle war der Zug nach Görlitz wie geplant vermerkt. Als jedoch 15 Minuten vor Abfahrt noch immer kein gelb-weißer Zug bereit stand, wurde das Grummeln in der Magengegend größer. Eine Frau in orangefarbener Weste erklärte schließlich, dass hier heute kein Zug fahren würde. Mehr wisse sie allerdings auch nicht. An der Bushaltestelle verharrten ratlose Reisende. Ehe ich mich versah, sprangen einige von ihnen in einen weißen Kleinbus. Ruckzuck war dieser überfüllt und rauschte davon, die restlichen Wartenden blieben noch ratloser zurück. Ein Blick auf die Uhr. Die Anschlüsse in Görlitz und in Berlin konnte ich vergessen. Völlig egal, ob da nun noch ein Schienenersatzverkehr eingerichtet wurde oder nicht. 

Soooooo eine Scheiße! Ja, das muss so gesagt werden. Wäre nach hinten etwas Luft, findet sich auch in Polen immer eine Lösung. Bei dem straffen Zeitplan allerdings, konnte ich das Ganze knicken. Der Bus Nummer 9 stand gerade bereit. Eine letzte Überlegung. Vergiss es, rein in den Bus und zurück nach Cieplice! Viel Zeit für Trauer blieb nicht. Selten ging die 30-minütige Fahrt von Jelenia Góra nach Cieplice dermaßen rasch wie am gestrigen Morgen. Das Handy lief heiß. Nachrichten verschicken im Sekundentakt. Alles absagen, den Leuten schweren Herzens Bescheid geben. Plan B wurde eingeläutet. Mein Namensvetter musste von den Rängen aus Fotos machen, und Anika durfte sich auf das Schreiben eines Berichtes freuen.

Für mich hieß es indes: Rucksack mit Kamera und Laptop abstellen, angemufft den Kaffee schlürfen und den großen Sohn schnappen. „Los, wir gehen auf die Burg Chojnik! Zieh den Hansa-Pullover an, wir machen oben ein paar coole Fotos!“ Bei strahlendem Sonnenschein ging es zu Fuß hinauf. Überraschenderweise fanden wir an einem Wanderweg, den wir in den letzten Jahren zigmal genutzt haben, eine enge begehbare Höhle in einem Felsmassiv. Beim späteren Abstieg fanden wir überraschenderweise noch zwei grüne Rauchtöpfe, die jemand für irgendeine Fotosession in der Wildnis genutzt haben musste. Und das in einem polnischen Nationalpark! Hut ab! 

Wenig später rauchte dann der Kopf. Im Minutentakt meldete sich mein Handy. SMS und FB-Kurznachrichten aus Rostock. „Spiel wird vielleicht noch abgesagt!“ Ein Screenshot einer Meldung von einem Nachrichtenportal. In der Maßmannstraße kam es zu einem Schusswaffengebrauch, ein Zivilpolizist gab einen Warnschuss in die Luft ab. Alter Schwede! Ich traute meinen Augen kaum. Und schon meldete sich der Nächste. „Spiel steht auf der Kippe. Gerade 20 Wannen mit Blaulicht an mir vorbei…“ Minuten später erreichte mich das bereits kursierende Video, in dem aus der Ferne zu sehen ist, wie Nürnberger auf dem Weg zu einem Treffpunkt der Hansa-Fanszene sind und quasi last minute die Polizei heran rauscht. 

Meldungen, Kurznachrichten und Anrufe. Bereits seit elf Uhr seien rund 300 Nürnberger, die mit sechs Bussen angereist sind, in Rostock. Wie jetzt? Und die Polizei ließ diese Busse ungehindert irgendwo im Innenstadtbereich parken bzw. die Insassen aussteigen? Wie viele Anfahrtsmöglichkeiten gibt es eigentlich nach Rostock? Auf wie vielen Rastplätzen befinden sich an solch einem brisanten Spieltag Polizisten? Niemanden war die Anfahrt von sechs Reisebussen, gefüllt mit hochmotivierten Club-Anhängern, aufgefallen? Zu einer Zeit, bei der szenekundige Beamte quasi alles und jeden im Blick haben? Und das bei solch einer Partie, vor der die befreundeten Fanszenen von Rapid Wien und Nürnberg eindeutige Grußbotschaften gen Rostock schickten? Wer hatte nicht schon probiert, als größere Gruppe unerkannt nach Rostock bzw. Warnemünde zu kommen, um dort ein wenig „Spaß“ zu haben?! Unvergessen, als es 2014 zahlreiche Anhänger der SG Dynamo Dresden schafften, sich über Nacht in Warnemünde zu treffen und dann vormittags am Leuchtturm mit UD-Banner und Rauch Aufstellung zu nehmen.

Sei es, wie es sei. Meldungen zufolge kam es gegen elf Uhr in der Maßmannstraße zu ersten Auseinandersetzungen zwischen Rostockern und Nürnbergern. Ein Polizist in Zivil gab dort den Warnschuss ab. Wenig später standen beim Überraschungsangriff in der Werftstraße den 330 Nürnbergern rund 50 eilig entgegen gekommene Rostocker gegenüber. Es kam zu heftigen Auseinandersetzungen, die durch die Polizei beendet werden konnten. Das Ende vom Lied: 311 FCN-Anhänger wurden festgesetzt, durften nicht zum Spiel (sangen dafür lautstark auf der Sammelstelle) und wurden gegen 21 Uhr in ihren Reisebussen zurück nach Nürnberg geschickt. Für Gesprächsstoff sorgten bei den Durchsuchungen gefundene Messer, die als Kreditkarten getarnt waren. Der einzige positive Aspekt des Ganzen: Das Pulver schien verschossen, im Stadion selbst waren keine Auseinandersetzungen zwischen den Fanlagern mehr zu erwarten, zumal ein beträchtlicher Teil der aktiven FCN-Szene ja nicht dem Spiel beiwohnen durfte.

Bei all den reintickernden Nachrichten und Telefonanrufen brauchte ich gestern Nachmittag erst einmal ein Bier. Ein gaaaaanz großes Bier! Am Ententeich im Wintergarten in Cieplice bestellte ich gleich einen Liter Piwo mit einem Schuss Saft. Je näher das Spiel rückte, desto größer wurde die Trauer, nicht dabei sein zu können. Der F.C. Hansa musste einfach gewinnen. In der dritten Runde würde dann nichts mehr im Wege stehen. Es kribbelte und grummelte, der Anpfiff rückte näher. Etwas Ablenkung tat Not. Im Garten wurde ein Feuer entfacht, das Handy lag stets griffbereit. Drei Flaschen selbst gemachter Zitronenschnaps wurden geknackt und gemeinschaftlich in den Rachen gegossen. Ich bolzte mit den Kindern auf dem Rasen, zwischendurch immer der Blick auf den Liveticker. 

Oh Mann, wie geil! Hansa führte 1:0. Ich wurde berauscht - und das nicht nur vom Alkohol. Ich fertigte ein schön beklopptes Selfie-Foto an und stellte es auf Facebook rein. Unter dem Foto entstand ein zweiter Live-Ticker. Aus Polen, Deutschland und sogar aus Irland wurde das Geschehen bewertet. Beim späteren Elfmeterschießen wurden meine Sinne arg benebelt. Ich verstand gar nicht mehr recht, wer nun führte und zurücklag. Egal, denn an dieser Stelle übergebe ich (Marco) unserer Autorin Anika das Zepter. Sie war vor Ort im Ostseestadion dabei und fieberte wie immer auf der Südtribüne mit. Voilà, hier folgt ihr Part:

Zweimal Ekstase - Herz und Leidenschaft (von Anika)

Das Ostseestadion füllt sich schon eine Stunde vor dem Anpfiff und mit jedem weiteren Zuschauer auf den Rängen wird das Bild deutlicher, das die Choreo am Ende ergeben soll. Blau-weiß kariert, der untere und der dazugehörige A-Block im Wechsel. Ein ausverkauftes Stadion an sich ist ja schon ein beeindrucker Anblick, aber als heute jeder seinen Poncho trägt, ergibt sich ein wunderbares Bild beim Blick über die Tribünen. Und weil sich an diesem Tag kein Sponsorenname auf dem Choreo-Material befindet, ist das Bild zusätzlich noch einheitlich. 

Es herrscht eine angespannte Aufbruchstimmung im Ostseestadion. Endlich ist es so weit. Die zweite Runde des DFB-Pokals wird bald angepfiffen, die Vorfreude ist riesig und auf den Rängen sorgt Wolfgang Petry aus der Box schon mal für ein wenig Stimmung. “Weiß der Geier oder weiß er nicht, ganz egal, ich liebe dich!” Von der maßlosen Enttäuschung und der großen Leere, die in drei Stunden im Ostseestadion herrschen werden, ist jetzt noch nichts zu erahnen. 

Stattdessen geht es erstmal los. Das “Hansa Forever” hallt aus den Lautsprechern, die Schals gehen in die Höhe und auf der Süd wird die riesige Blockfahne hochgezogen. Oben blau, unten weiß, oben drauf steht “F.C. Hansa Rostock”, rechts daneben die Kogge. Vor der Süd hängt das riesige Ultras-Banner, das man aus der ersten Pokalrunde kennt, und auch das gesamte Spiel über hängen bleibt. 

Unter der Blockfahne ist es einigermaßen dunkel und vom Rest des Stadions nichts zu sehen. An die Hymne schließt sich wie immer das “Forza FCH” an und jegliches Zeitgefühl geht verloren. Sind die Mannschaften schon aufgelaufen? Wurde schon angepfiffen? Hätte man die Finalkarte schon bestellen müssen? Gibt es einen Sonderzug nach Berlin?

Dann wird die Blockfahne wieder herunter gelassen und in der gleichen Sekunde, in der sie unten ankommt, ist die gesamte Tribüne bereits in Rauch und Blinklicht gehüllt. Abgerundet wird die Pyro-Show von einigen Raketen, die hinter der Nord gezündet werden und genau über dem Stadiondach explodieren. 

Das Zeitgefühl kehrt nun zurück - die Mannschaften laufen gerade auf - aber die Sichtweite hat sich nicht deutlich verbessert. Der Rauch hängt dick und grau über dem Stadion und verflüchtigt sich nur langsam. Mit etwas Bodennebel kann das Spiel dann allerdings doch einigermaßen pünktlich angepfiffen werden.

Hansa startet so mutig wie der Trainer es vorher versprochen hatte und denkt nicht mal daran, sich zu verstecken. Nürnberg kann erstmal nur reagieren und scheint ein wenig überrascht davon, wie schnell und sicher die Männer in blau-weiß sich in die gegnerische Hälfte vorarbeiten. 

Die Stimmung im Ostseestadion ist überragend laut. Immer wieder heißt es aufstehen, einhaken, klatschen. Im ganzen Stadion scheint niemand zu sein, der nicht gewillt ist, alles für den Verein zu geben. Gesänge gehen von allen Seiten aus, die Süd stimmt ein ums andere Mal mit ein. Dazu kommt, dass wirklich niemand seinen Poncho ausgezogen hat und das Ostseestadion bis weit in die zweite Halbzeit hinein blau-weiß kariert ist. 

Dass die 311 Nürnberger, die sich zu diesem Zeitpunkt in Gewahrsam befinden, im Gästeblock fehlen, ist nicht nur optisch sichtbar. Nur ein einziges Banner hängt über dem oberen Eingang, kein Capo an der Scheibe, keine Trommel im Block. Entsprechend ist die Stimmung eher getrübt. Hin und wieder wird es trotzdem gut laut und es ist zu erahnen, dass es ein durchaus interessanter Wettbewerb um die Lautstärke hätte werden können. Einige Male sind sich Gästeblock und Südtribüne einig bezüglich ihrer Meinung über die Polizei.

Das Spiel entwickelt sich zu einem solchen auf Augenhöhe, in dem Hansa der Führung näher scheint als die Nürnberger, die ihrerseits auch nicht gerade ungefährlich sind. In der 35. Minute wird ein Ball aus dem Rostocker Strafraum heraus so weit nach vorn geklärt, dass direkt ein Konter entsteht, nachdem der Nürnberger Bauer den Ball eher unfreiwillig an Biankadi übergeben hat. Nicht nur Pascal Breier in der Mitte schlägt bereits die Hände über dem Kopf zusammen, weil die Hereingabe schon durch Simon Rhein geklärt scheint. Letzterer täuscht den Klärungsversuch aber nur an und lässt durch auf Breier, der humorlos abschließt.

1:0. Hansa führt im Pokal gegen einen Bundesligisten. Schon wieder. Augenblicklich brennt die Luft, ein Freudenschuss ertönt, Nachbarn werden geschüttelt, die Freude ungehemmt herausgeschrien. Auf dem Platz, daneben, auf den Rängen überall bilden sich jubelnde Menschentrauben. Kollektives Durchdrehen ist angesagt.

Ein Mann hält seinen Fuß gegen ein rundes Stück Plastik und über 20.000 Menschen - Kinder, Senioren, Männer, Frauen, Ärzte, Handwerker - rasten wie auf Knopfdruck aus. Wer dieses Gefühl nie erlebt hat, hat etwas wichtiges im Leben verpasst.

Bis zur Pause hat Hansa noch ein paar gute Aktionen, kann den Ball aber nicht im Tor unterbringen. Nach der Halbzeit ist dann erstmal der 1. FC Nürnberg am Drücker und gibt ein Tempo vor, das die Mehrzahl der Drittligaspiele nicht erreicht. Die Abwehr um Kapitän Hüsing hält allerdings dicht, auch wenn der eine oder andere Versuch, den Ball aus dem eigenen Strafraum heraus zu kombinieren statt ihn einfach wegzuballern, für einen ungesund hohen Puls und einige unanständige Worte sorgt. 

Mitte der zweiten Halbzeit beginnt der zweite Teil der Poncho-Choreo, als es heißt “ausziehen, ausziehen, ausziehen”. Erst werden sie zu “Forza FCH” gewedelt, danach wird runtergezählt und geworfen. Es dauert gefühlte zehn Minuten bis alle Ponchos ihren Weg vor die Tribünen gefunden haben und danach sieht es aus, als wären sie feinsäuberlich sortiert worden. 

Auf dem Platz machen weiterhin die Gäste Druck und Hansa kann den einen oder anderen Konter setzen. Mit einem nicht gegebenen Handelfmeter und der Weitschusschance von Hildebrandt, als sich der Nürnberger Torhüter Mathenia verschätzt, wäre sogar noch das 2:0 drin gewesen. Wie wichtig es doch gewesen wäre...

In der 89. Minute stellt sich der Support langsam auf Sieg um, niemand sitzt mehr, alles klatscht und singt - “Unsre Heimat, unsre Liebe…”. Man fühlt sich noch nicht direkt sicher, aber Angst hat man eigentlich auch nicht. Hansa ist längst nicht mehr so anfällig für späte Gegentore wie in der Vergangenheit.

Und dann, eine halbe Minute vor Ablauf der Spielzeit, läppische 30 Sekunden, bevor die Nachspielzeit angezeigt wird, wird der eine Fehler, den die Abwehr bis dahin macht, bestraft. Ausgleich. 1:1. Alles auf Anfang. Eine gute Stunde nach der vollkommenen Ekstase folgt absolute Ernüchterung. Aus dem Gästeblock ertönt haltloser Jubel. Fußball ist kein Ponyhof. 

Aber es ist noch nichts verloren und nach ein paar Minuten des Schocks ist die Zuversicht zurück. Verlängerung ist kein Beinbruch, der Sieg ist noch nicht vom Tisch. Und tatsächlich, nur fünf Minuten nach Beginn der Verlängerung setzt Jonas Hildebrandt einen Freistoß so gefühlvoll ins linke obere Eck wie es Stefan Beinlich nicht besser hätte machen können.

Und da ist sie wieder, die Ekstase, das hemmungslose Durchdrehen, das unkontrollierbare Ausrasten. Die folgenden Sekunden bleiben nur bruchstückhaft in Erinnerung. Die Stimme wird heiser, an der Brille klebt Bier, in den Augen eine Träne. Der Jubel will gar nicht enden. Die Mannschaft wird zu einer einzigen Traube, die ausgewechselten Spieler stürmen aufs Feld, Jonas Hildebrandt winkt jemandem auf der Tribüne. Der Spielstand wird durchgesagt, der Torschütze gefeiert. Jetzt wird es doch noch was mit dem Sieg.

Bis auf Verteidigen ist bei Hansa nun nicht mehr viel drin. Die Kräfte sind am Ende, es muss nur noch irgendwie dieser verdammte Ball vom eigenen Tor weg gehalten werden. Irgendwie die Führung über die Zeit retten. Und tatsächlich klären sowohl Gelios als auch diverse Vorderleute ein paar Mal sehr knapp. Aber dann kommt die 103. Minute und der Linksschuss von Federico Palacios. 2:2, Nürnberg gleicht erneut aus.

Jetzt ist die Luft endgültig raus - sowohl auf dem Rasen als auch auf den Rängen. 23.000 Menschen im Ostseestadion haben sich bis zum Letzten verausgabt und kaum noch Energie, um in der letzten Viertelstunde nochmal richtig Gas zu geben. Auf dem Platz wird möglichst lang der Ball in den eigenen Reihen gehalten, nach vorn geht von beiden Seiten nicht mehr viel. Auf den Tribünen ist man heiser und einfach fertig von diesem Wechselbad der Gefühle. Von allen Seiten werden Gesänge angestimmt, die allesamt nicht lang zu halten sind. Und dann erlöst der Schiedsrichter nach 120 Minuten die Massen.

Elfmeterschießen. Die Wahl fällt auf das Tor vor der Nord, die Mannschaften versammeln sich an der Mittellinie, alle anderen vor der Bank. Hansa fängt an, Nürnberg zieht nach. Als Mirnes Pepic zum Elfmeterpunkt geht, bebt das Stadion, als er trifft, ist der Jubel erlösend. Als Hanno Behrens antritt, ist das Pfeifen ohrenbetäubend laut, der Ball aber trotzdem im Tor.

Nach weiteren sechs Schützen endet das Elfmeterschießen mit 2:4 und die Enttäuschung ist grenzenlos. Hansa hat ein großartiges Spiel abgeliefert, mit so viel Herz und Leidenschaft gekämpft wie man es in den letzten tristen Drittligajahren selten gesehen hat. Nürnberg war nicht besser, niemandem ist ein Vorwurf zu machen. Und doch fühlt sich dieses Ergebnis so ungerecht, so bitter an.

Aber alles Jammern nützt nichts, Jena wird sich deshalb am Wochenende nicht zurückhalten. Jetzt heißt es: aufstehen, Mund abwischen, weiter machen. Die Pflicht ruft.

Bericht Teil 1: Marco Bertram 

Bericht Teil 2: Anika

Fotos: Marco Hensel

> zur turus-Fotostrecke: Hansa Rostock

> zur turus-Fotostrecke: 1. FC Nürnberg

Artikel wurde veröffentlicht am
01 November 2018
Spielergebnis:
4:6
Zuschauerzahl:
23.000

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Inhalt über Liga
DFB-Pokal

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Schade Kogge!
Sehr schade das es für euch nicht gereicht hat!
Viel Erfolg bei der Mission Aufstieg!
Gruß aus Elbflorenz
S
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Wenn Pokalträume platzen
Hallo Anika, Hallo Marco,
Danke für diesen tollen Bericht. Ich war selbst im Stadion und hatte beim Lesen eures Beitrags wieder Gänsehaut.Schade für die Mannschaft, dass am Ende das Glück entschieden hat, aber aus einem solchen Erlebnis sollten die Jungs und Pavel nur das Positive mitnehmen.Es gilt jetzt in der Liga zu punkten.Diese Mannschaft und dieser Trainer bereiten einfach nur Freude.Und die hat man als gebeutelter Hansafan soo nötig.
Danke an euch und schreibt weiter so tolle Berichte .AFDFCH
H
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Volle Konzentration auf die Liga jetzt. Sieg in Jena, Sieg gegen Lauten!!
B
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J
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G
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