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Górnik Wałbrzych vs. Polonia-Stal Świdnica: Breite Kanten, lange Würste, gemeinsame Pyro

Die niederschlesische Bergbau-Stadt Wałbrzych (Waldenburg) stand bereits seit geraumer Zeit auf meiner Liste. Ungläubige Blicke in Cieplice, als ich im Sommer erklärte, mit dem größeren Sohn dort einmal vorbeizuschauen. In diesen Moloch? Und das bei 35 Grad? Was will man dort? Die Stadt anschauen! Mir war schon klar, dass Wałbrzych aufgrund seiner langen industriellen Vergangenheit keine Schönheit ist und richtig abgeranzte Ecken hat. Aufgrund der extremen Sommerhitze verschob ich diesen Ausflug in die Herbstferien. Nun aber! Der KS Górnik Wałbrzych - Erzfeind des hier ansässigen KS Karkonosze Jelenia Góra - hatte ein Heimspiel, das Wetter passte auch halbwegs, und die Bahnverbindung von Cieplice nach Wałbrzych kann sich sehen lassen. 

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Kurz nach neun stiefelten wir zu zweit zum Bahnhof Jelenia Góra Orle, wo um zehn der Regionalzug in Richtung Wrocław abfuhr. Inzwischen fährt die Bahn tagsüber alle zwei Stunden von Szklarska Poręba Górna aus über Jelenia Góra und Wałbrzych nach Wrocław. Bei Cieplice, das zu Jelenia Góra gehört, ist die Strecke eingleisig, und die Anwohner, die zu den Wochenendgrundstücken wollen, überqueren kurzerhand an den gewünschten Stellen die Gleise. Würden noch die alten polnischen Züge durch die Landschaft juckeln, wäre es glatt eine Reise in die Vergangenheit. Die eingesetzten gelb-weißen Züge sind allerdings modern und haben sogar freies W-Lan für die Reisenden.

Krass in die Vergangenheit versetzt wird man dann jedoch in Wałbrzych. Eine Viertelstunde lang schlängelt sich der Zug vom Bahnhof Główny zum Bahnhof Miasto im Norden der Stadt. Die Abraumhalden, die grauen Gebäude und die teils verlassenen Industrieanlagen lassen erahnen, was für Zustände hier in der Vergangenheit geherrscht haben müssen. Noch heute liegt der Geruch von Kohle und verbranntem Holz in der Luft, doch sind die Bedingungen um einiges besser geworden, und auch das eine oder andere Gebäude erhielt einen bunten Anstrich. Dafür gibt es nun einige Industriebrachen zu sehen, so auch unweit des Bahnhofs Miasto.

Von der Straße Stefana Zeromskiego bogen wir in die schmale, parallel zu den Gleisen verlaufende Straße Starachowiecka ab. Linke Hand befand sich einst eine riesige Industrieanlage, die nun bereits zu großen Teilen abgerissen war. Im Hintergrund ist der graue Bau mit dem Schriftzug „Sudety“ zu sehen. Was für ein Ambiente. Aufgrund der umliegenden Berge und des vielen Bauschutts kamen sogleich Assoziationen zu Sarajevo auf. Nun denn, der Spaziergang entlang der Straßen Starachowiecka, Mikolaja Reja und Ludowa sollte sich lohnen. In einem Garten hingen an einem Baum Spielzeuge, an einer alten Unterführung zog ein Górnik-Graffiti unsere Blicke an, und all die alten Gebäude ließen das Kopfkino anwerfen.

Bereits im 16. Jahrhundert wurde dort mit dem Bergbau begonnen, bis Anfang der 90er Jahre bestimmten die Steinkohlebergwerke und die kohleverarbeitenden Betriebe das Leben in Wałbrzych und Umgebung. Längst wurden die Gruben stillgelegt, auch wenn man in der Gegenwart noch immer das Gefühl hat, dass hier einiges am Laufen ist, da der Geruch von Kohle permanent spürbar ist. Biegt man am Ende der Straße Starachowiecka nach rechts ab, geht es einen Hügel hinauf, und die dortigen Wohnhäuser lassen ein wenig an das Glasgow der 90er Jahre erinnern. 

An der Hauptstraße Andersa empfangen einen dann wieder die Gegenwart und etwas mehr Leben. Nach einem ersten Vorbeischauen am Stadion 1000-lecia, das sich hinter dem großen modernen Schwimmbad befindet, führte unser Weg in eine Pizzeria, in der zwei große Echsen in einem Terrarium zu bestaunen waren. Es sollte auch nicht lange dauern, bis die ersten drei Górnik-Brocken zur Tür hereinkamen, einen kurzen prüfenden Blick zu unseren Tisch warfen, und sich dann im hinteren Bereich niederließen. Später kamen noch ein paar weitere Kanten hinzu. Kurz nach Anpfiff betraten diese als Gruppe das Stadion.

Geöffnet wurde die Haupttribüne des Stadions, und am gestrigen Tag war auch Eintritt zu zahlen, was in der fünften polnischen Liga nicht immer üblich ist. Von einem Kleinbus heraus wurden die Tickets für Złoty (etwa 2,30 Euro) verkauft. Nicht jeder war mit dem Eintritt einverstanden, und so gab es am Einlass eine kurze Diskussion. Ich wurde indes gefragt, ob ich in meinem Rucksack Spraydosen dabei habe. Vielleicht wurde ich vom Aussehen her als politischer Aktivist eingestuft. Als polnischer Kibole gewiss nicht. Es ist immer wieder eine Wonne zu sehen, was sich beim polnischen Fußball sogar in den unteren Niederungen herumtummelt. Wobei dies im Fall von Górnik Wałbrzych auch nicht allzu verwunderlich ist. 

In den 80ern spielte der Verein sechs Jahre in der I Liga (zweihöchste Spielklasse), nach der Fusion mit dem Stadtrivalen Zagłębie Wałbrzych im Jahre 1992 ging es zwar sportlich bergab, doch punktuell konnte der Verein und seine Anhängerschaft von sich Reden machen. Nach der Talfahrt wurde von 2010 bis 2015 immerhin in in der II Liga (3. Liga) gespielt. Raków Częstochowa, Zagłębie Sosnowiec, Elana Toruń, GKS Tychy und Zawisza Bydgoszcz waren unter anderen die Gegner. Gegen Legnica kamen einst sogar 2.500 Zuschauern, und was Zawisza Bydgoszcz betrifft, so scheint es freundschaftliche Kontakte zu geben, denn beim gestrigen Spiel waren ein paar Fans mit Zawisza-Mützen zu sehen. 

Zu einem Wiedersehen mit Karkonosze Jelenia Góra kam es 2015/16 nach dem Abstieg in die III Liga grupa dolnośląsko-lubuska. Die Atmosphäre vor 1.000 bzw. 700 Zuschauern erinnerte ein wenig an die von alten Zeiten, als es bei den Aufeinandertreffen mitunter richtig rappelte. Vom hitzigen Spiel im Jahr 2008 gibt es auf youtube ein Filmchen zu sehen. Nach 2016 trennten sich allerdings wieder die Wege von Karkonosze Jelenia Góra und Górnik Wałbrzych. Beide Vereine spielen derzeit in unterschiedlichen Staffeln der IV Liga. Während Karkonosze im Mittelfeld festhängt, ist Górnik in seiner Staffel auf Aufstiegskurs und liefert sich mit Śląsk II Wrocław ein Kopf-an-Kopf-Rennen. 

Am gestrigen Nachmittag zu Gast war Polonia-Stal Świdnica. Das Städtchen Świdnica liegt nordwestlich von Wałbrzych und beide Fanlager pflegen freundschaftliche Beziehungen. Im Netz kursiert ein Video vom Aufeinandertreffen im Juni 2010, bei dem eine stattliche Anzahl Fans nebeneinander stand und guten Support bot. Nach dem Spiel gab es auf dem Rasen sogar ein spontanes Tauziehen, das die Górnik-Brocken ganz klar für sich entscheiden konnten. 

Bei weitem waren es gestern nicht so viele Fans wie damals vor acht Jahren, doch für Fünftligaverhältnisse war das Ganze durchaus sehenswert. Gerade stattete mein Nachwuchs der mobilen Toilette einen Besuch ab, als im Fanblock Fähnchen verteilt wurden. Punktlandung. Er kam vom Klo und soeben wurde unter einer Fahne grüner und blauer Rauch steigen gelassen. Für zehn Minuten wurde gemeinsam gesungen, im Anschluss wurde der Support eingestellt, und Gäste- und Heimfans schauten beim Bierchen ganz entspannt das Spiel. An einem kleinen Tisch wurden ein paar Górnik- und Polonia-Utensilien angeboten. Ein Stück weiter kämpfte eine Dame mit der Zapfanlage und auf einem Grill lagen gigantische Würste. Kiełbasa mit einer Länge, bei der sogar tschechische Sportsfreunde das Staunen bekommen würden. „Wie viele Brötchen braucht man eigentlich, um diese Wurst zu verpacken?“, fragte mich mein Sohn. Eine gute Frage. Ich beließ es beim Piwo. Diese Wurstpeitschen machten einem einfach nur Angst und Bange.

Auf dem Rasen zeigte die Heimmannschaft eine recht passable Partie. Während im Hintergrund die herbstlichen Hügel bestaunt werden konnten, ging im Vordergrund Górnik in der ersten Halbzeit kurz vor der Pause verdient mit 1:0 in Führung. Damian Chajewski ließ vor allem die Zuschauer unter dem Dach lautstark jubeln. Die aktiven Fans zeigten aufgrund der Freundschaft mit den Gästen die Freude nicht allzu offen. Nach exakt einer Stunde konnte Jan Jakacki zum 2:0 nachlegen. Zum Ende hin klarte das Wetter sogar ein klitzekleines bisschen auf, und auf dem Rasen brannte aus Sicht der Gastgeber nichts mehr an. Die drei Punkte waren in trockenen Tüchern, Górnik Wałbrzych bleibt am Tabellenführer Śląsk II dran. 

Für uns hieß es Abschied nehmen. Das Kind auf den Schultern spazierte ich die parallel zur Hauptstraße verlaufende Ulica Jaroslawa Dabrowskiego entlang und begutachtete die alten Fassaden, auf denen ebenfalls ein Górnik-Schriftzug zu finden war. Nach dem Abbiegen auf die befahrene Straße Melchiora Wankowicza lockte auf der rechten Seite ein gemütlicher Football Pub, in dem ich mit Kumpels gewiss hübsch versackt wäre, doch mit dem Kind an der Seite ging es weiter flotten Schrittes über die Anhöhe in Richtung Bahnhof Miasto. Hinein in den Zug und ab ging es zurück gen Jelenia Góra, genauer gesagt nach Cieplice… Und siehe an, Glück gehabt, heute schneit es!

Fotos: Marco Bertram, Marco Hensel (Graffiti)

> zur turus-Fotostrecke: Impressionen vom polnischen Fußball

Artikel wurde veröffentlicht am
28 Oktober 2018
Spielergebnis:
2:0
Zuschauerzahl:
300

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