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Rot-Weiss Essen: (M)ein Verein für ganz besondere Spiele

Neulich beim Bier am Büdchen in der Hafenstraße schoss es mir durch den Kopf. Mensch ja, seit fast exakt fünf Jahren bin ich nicht mir hier gewesen. Es war ein emotionales Spiel damals gegen die SG Wattenscheid 09. Auf Heimseite flogen vor Wut die Tore auf, das rot-weisse Volk war in Wallung, es war richtig was los. Und wenn ich mir so recht überlege, waren es eigentlich immer besondere Spiele, die ich im Laufe der vergangenen 26 Jahre mit Rot-Weiss Essen gesehen hatte. 0815 mit RWE gab es nicht. Gehen wir mal fix durch. Oktober 1992: Das erste Auswärtsspiel des Eisenhüttenstädter FC Stahl im tiefen Westen. März 1994: DFB-Pokalhalbfinale gegen TeBe! Juli 1994: Das allererste Spiel von RWE in der neuen Regionallliga West/Südwest bei Alemannia Aachen im alten Tivoli. Oktober 1995: Pokalspiel gegen Bayer 04 Leverkusen mit Flutlichtausfall und Feuerwerk. April 2001: Meine allererste Pressekarte für ein Ligaspiel, welches damals RL-Duell Union Berlin vs. RWE hieß. September 2003: Heimspiel gegen Dynamo Dresden. Nun denn, von Hause aus was besonderes. Mai 2011: Heimspiel gegen Westfalia Herne. Unruhe an der Pufferzone und Aufbruchstimmung im Georg-Melches-Stadion…

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Wir schrieben den 10. Oktober 1992, als Karsten und ich von Leverkusen aus nach Essen düsten, um uns den Pokalkracher RWE vs. EFC Stahl anzuschauen. Ein Jahr Ausbildung in der Chemie-Metropole lag hinter uns, und nach einem Jahr hieß es für uns in Sachen Fußball verstärkt den Blick über den Tellerrand zu werfen. Eisenhüttenstadt zu Gast bei den Malochern im Pott. Das klang vielversprechend, zumal ich als geborener Ost-Berliner richtig Bock drauf hatte, endlich mal den einen oder anderen einstigen DDR-Oberligisten zu sehen. Also rein in den muffigen Regionalzug nach Essen Hauptbahnhof - und dann einfach der Beschilderung in Richtung "Stadion" zu Fuß gefolgt. Aber nix von der berüchtigten Hafenstraße zu sehen, stattdessen landeten wir am Grugastadion im Stadtteil Rüttenscheid. Da kiekste wa? Na wir kiekten auch - und zwar blöd in die Wäsche. Wir hatten nur die Stadion Beschilderung gesehen und dachten, mit diesem sei gewiss die Hafenstraße gemeint. Kein Internet, im Wohnheim keinen Stadtplan vom Ruhrgebiet zur Hand. Einfach mal drauf los. So war es halt damals.

„Fußball? Hier? Nee, da seid ihr aber völlig verkehrt!“, klärte uns ein älterer Mann am verschlossenen Eingang des Grugastadions, das einst rund 40.000 Zuschauern Platz bot und dann im Jahr 2001 abgerissen wurde, auf. „Ey, Jungs, hört ma! Da müsst ihr in die ganz andere Richtung hoch zum Georg-Melches-Stadion!“ Na schöne Wurst, aber okay, wie gesagt, wir waren dort im tiefen Westen noch ganz frisch im Geschäft. Ein Stündchen später fanden wir uns dann im richtigen Stadion wieder, wir hatten eh immer reichlich Zeit eingeplant und waren meist überpünktlich auf den Rängen. Wir standen Gegengerade, die paar angereisten EFC-Fans hatte man hinter das Tor gestellt. Einen eigentlichen Gästeblock gab für den kleinen Haufen nicht. 

Vor rund 8.000 Zuschauern entwickelte sich eine erstaunlich spannende Partie. Zweimal gingen die Gäste aus „Hütte“ in Führung. In der 42. Minute war es Jens Wittke, in der 75. Minute Jörg Weber, die die Essener zum Verzweifeln brachten. Die Heimfans wurden richtig muffig, und als im Gästebereich auch noch eine DDR-Fahne auftauchte und gesungen wurde, platzte paar RWE-Hirschen der Kragen. Kleine Rangeleien waren die Folge. Thomas Ridder (77. Minute) und Christian Dondera (81. Minute) ließen mit ihren Treffern jedoch wieder die RWE-Anhängerschaft jubeln. Der Einzug in die nächste DFB-Pokalrunde war geglückt, die Blamage gegen die Ossis wurde gerade noch so abgewendet.

Ein irres Spiel gab es auch am 8. März 1994 zu sehen an der Hafenstraße. Gegen Tennis Borussia Berlin ging es um nichts geringeres als den Einzug in das DFB-Pokalfinale. Werder Bremen oder Dynamo Dresden blieb den Essenern erspart, mit TeBe gab es das sportlich leichteste Los. Rein in den Block O! Insgesamt 24.000 Fußballfreunde drängten sich auf die Ränge. Auf der Westseite wurde extra eine Stahlrohrtribüne errichtet. Was für eine grandiose Atmosphäre. Vor den Fernsehbildschirmen wurden Millionen Zuschauer live Zeuge, wie RWE den Einzug in Form eines 2:0-Sieges tatsächlich in trockene Tücher bringen konnte. Bangoura und Margref erzielten die frenetisch umjubelten Treffer. Die RWE-Fans feierten den Finaleinzug und ließen es sich nicht nehmen, den DFB laute Schmähgesänge hören zu lassen.

Karsten und ich hatten logischerweise nun Rot-Weiss Essen auf dem Schirm und ließen es uns somit nicht nehmen, das allererste Spiel von RWE in der neu ins Leben gerufenen Regionalliga West/Südwest zu besuchen. Auswärts bei Alemannia Aachen - das klang nach einem echten Knaller. Also rein in den roten Mitsubishi und nichts wie hin am 31. Juli 1994 zum alten Tivoli. Bei strahlendem Sonnenschein wollten rund 10.000 Zuschauer dieses Duell sehen, aus Essen war ein wahrlich beachtlicher Mob angereist. Wehende Fahnen und hochgehaltene Luftballons. Auf Heimseite gab es eine große schwarz-gelbe Blockfahne zu sehen. Die Hosen waren damals noch weitaus kürzer, und auf den Trikots der Alemannen wurde für eine Konfitüre geworben. RWE ging durch einen Kopfball aus kürzester Distanz mit 1:0 in Führung, Aachen machte es nach Hereingabe von der rechten Außenbahn ebenfalls mit dem Kopf. 1:1 lautete der Endstand - ein Spiel, das durchaus im Gedächtnis haften blieb. 

Und dann! 04. Oktober 1995 an der Hafenstraße! Feuer frei gegen den TSV Bayer 04 Leverkusen - und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Essen hatte Bock auf den Pokal. Es brannte, es loderte, Raketen flogen gen Abendhimmel. Dies sei eine Stimmung / Begrüßung im knallvollen Georg-Melches-Stadion wie er in 23 Berufsjahren höchstens im Aztekenstadion gesehen hatte, so der damalige TV-Kommentator. Irgendein Feuer muss dann für einen Stromausfall gesorgt haben, denn zum Teil fiel nun das Flutlicht aus.

Für ermäßigte 12 Mark standen wir damals im Block I auf der Stehtribüne Mitte und wurden Zeuge eines spannenden Pokalfights, der am Ende sogar ins Elfmeterschießen ging. 4:4 (!) hieß es nach der Verlängerung eines irren nervenaufreibenden Spiels, vom Punkt aus hatte dieses Mal die Werkself die besseren Nerven. Bei plötzlich einsetzendem strömenden Regen konnte Bayer-Keeper Dirk Heinen zwei Elfer halten, als letzter Schütze machte Bernd Schuster das Ding ganz, ganz cool rein.


Anfang des Neuen Jahrtausends - zuvor war ich drei, vier Jahre segeltechnisch voll eingespannt - besuchte ich am 29. April 2001 die Regionalliga-Partie 1. FC Union Berlin vs. Rot-Weiss Essen. Nach dem Pokal-Hammer gegen den VfL Bochum im Dezember 2000 (1:0 in der 90. Minute) war es dort mein erstes Ligaspiel, für das ich eine Pressekarte beantragt hatte. Wie der Zufall so will, diese beiden Partien läuteten quasi eine neue Ära ein, wenngleich die regelmäßige Arbeit im Innenraum erst 2008/09 beginnen sollte. 6.930 Zuschauer fanden sich damals im Stadion An der Alten Försterei ein. Die Bilder dazu (auf Negativen) müssen bei einem Umzug im Nirvana verschwunden sein. Leider. Verblasst sind auch ein wenig die Erinnerungen. Fakt ist, „Texas“ erzielte in der 36. Minute den Treffer des Tages für die Eisernen.

Und auch meine drei folgenden Heimspiele an der Hafenstraße hatten es wahrlich in sich. Dass gegen Dynamo Dresden im September 2003 was los war, versteht sich fast von selbst. Auf Heimseite kursierten Flugblätter zum Thema „Wie kann die Stimmung auf den Rängen wieder verbessert werden?“, auf dem Rasen gab es einen 2:0-Sieg für RWE, nach dem Spiel gab es draußen viel Getümmel - und selbstverständlich auch viel Polizei. 

Als ich im Mai 2011 wieder vorbeischaute, spielte RWE gerade in der NRW-Liga. Logisch, dass Essen mit rund 6.800 Zuschauern im Schnitt mit Abstand den besten Zuspruch hatte, und auch gegen Westfalia Herne kamen wieder über 6.000 Fußballfreunde ins alte Georg-Melches-Stadion. Beim Spitzenspiel gegen Germania Windeck vier Wochen zuvor waren es sogar über 10.000. Essen war auf Kurs in Richtung Regionalliga. Westfalia Herne ging zweimal in Führung, und am Pufferbereich der Gegengerade ging es gut ab. Am Ende konnte Rot-Weiss Essen dieses Spiel jedoch recht verdient gewinnen, Timo Brauer verwandelte in der 69. Minute den Elfmeter zum 3:2. 

Wie hatte ich damals in Spielbericht mit Wehmut geschrieben: Bei blutrotem Sonnenuntergang und angehendem Flutlicht konnte das altehrwürdige Georg-Melches-Stadion betrachtet werden. Der Zahn der Zeit hat bereits mächtig genagt. Höchste Zeit, dass nun endlich was passiert. Die Fläche hinter dem Tor auf der Westseite ist bereits planiert, ein Stück der Stehtribüne wurde bereits abgerissen, ein Flutlichmast fehlt bereits. Beim Betrachten der leicht maroden Sitzplatztribüne huscht dem fremden Besucher schon mal ein Lächeln über das Gesicht, andererseits ist es sicherlich schade, dass die alten Ränge für immer verschwinden.

Zweieinhalb Jahre später herrschte Regionalliga-Alltag in Essen. Im neuen Stadion Essen war unter der Woche am 24. September 2013 die SG Wattenscheid 09 zu Gast. Sportlich lief es einfach nicht rund bei RWE. Der erhoffte Sprung in die 3. Liga war - wie auch in den Folgejahren - meilenweit entfernt. Essen lag damals gegen Wattenscheid mit 0:2 zurück, und der Großteil der 7.200 Zuschauer wurde richtig ungehalten. Zwar konnte RWE in der zweiten Halbzeit etwas glücklich zum 2:2 ausgleichen, doch die Volksseele beruhigte sich keineswegs. Auf der Westtribüne wurde ein Tor aufgetreten und erste Essener Fans drängten in den Innenraum. RWE-Kapitän Vincent Wagner zeigte beherzten Einsatz und verhinderte vor Ort am Zaun Schlimmeres.

Fast exakt fünf Jahre später war es für mich höchste Zeit, mal wieder bei RWE vorbeizuschauen. Berichtet wird bekanntlich regelmäßig aus Essen, ich indes wollte einfach mal von den Rängen aus schauen, wie der Stand der Dinge ist. Rot-Weiss Essen auf Rang eins der Regionalliga West?! Ja, los jetzt hier! Dieser Verein muss endlich mal hoch in Liga drei! Meine Fresse! Ein Sieg gegen Straelen - und gut ist!

Ein erstes Bier in der Straßenbahn, zwei weitere Bier an den Büdchen (nennt man das dort so?) in der Hafenstraße. Es dürfte nicht überraschen, dass ich das dortige Ambiente authentisch und als überaus angenehm empfinde. Ich bewerte das auch mal ganz bewusst von ganz außen. Als Berliner, der einfach das etwas einfachere, rauere Fußballambiente mag. Nun denn, 8.107 Zuschauer hatten sich zum Flutlichtspiel im Stadion Essen eingefunden, unter ihnen auch eine kleine stimmungsfreudige Truppe des SV Straelen.

Die Fans in Gelb-Grün hatten dann auch allen Grund zur Freude. Essen spielte in der ersten Halbzeit einfach keinen richtigen Fußball wie es sich gehört. Es wurde so lahm gespielt, dass die Truppe aus Straelen keinerlei Probleme hatte. Und ja, ich war nicht mal mit dem einen Bier fertig, da bekam ich einen weiteren Becher in die Hand gedrückt. Das fließt in Essen! War Karsten nicht nur kurz aufs Klo? Muss man sagen, die Bierversorgung flutscht 1a. Im zweiten Spielabschnitt spielte Essen etwas besser - und fing sich sogleich zwei Gegentreffer. Terada machte in der 50. und 60. Minute zwei Buden für Straelen.

„Mensch Marco, immer wenn du dabei bist… War schon gegen Wattenscheid so…“, hörte ich neben mir. Aber dann! Wie damals konnte auch dieses Mal RWE zum 2:2 ausgleichen. Endlich mal Tempo - und schon klappte es. Urban und Becker sorgten in der 75. und 77. Minute für den umjubelten Doppelschlag. Nun noch der Siegtreffer, doch dieser wollte an diesem Abend nicht fallen. Bis zum ersehnten Aufstieg in die 3. Liga ist es noch ein arg langer, steiniger Weg. Aber wir werden sehen! Gegen die Heimspiele gegen Waldhof Mannscheim (gut möglich), Hansa Rostock und Preußen Münster werde ich wieder in Essen am Start sein!

Fotos: K. Hoeft, Marco Bertram

> zur turus-Fotostrecke: Rot-Weiss Essen

Inhalt über Klub(s):
Artikel wurde veröffentlicht am
25 September 2018

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Grugastadion? ich schmeiß mich wech.
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