FC Pommern Stralsund: Überaus trauriger Abschied nach bewegten Zeiten

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Man schrieb den 30. Mai 1971, als Schiedsrichter Heinemann das Spiel abpfiff und rund 6.000 Zuschauer den Aufstieg in die DDR-Oberliga feierten. Mit 3:1 hatte die ASG (Armeesportgemeinschaft) Vorwärts Stralsund den BFC Dynamo II bezwungen. Somit konnte sich gegen die Konkurrenten Wismar, Wolfen und Cottbus durchgesetzt werden. Die Hansestadt Stralsund bekam in der Saison 1971/72 Erstligafußball zu sehen. Erst vier Jahre zuvor wurde am 21. Juli 1967 die ASG Vorwärts Stralsund ins Leben gerufen. Besser gesagt: Nach 20 Jahren wurde an die Geburtsstätte zurückgekehrt, denn als „Sturmvogel Parow“ wurde bereits von 1952 bis 1956 am Strelasund in der Bezirksliga gespielt. 1956 wurde der Verein nach Rostock delegiert und trat ab 1957 als ASK Vorwärts Rostock an. Unter anderen wurde am 10. Juni 1959 in der zweiten Runde des FDGB-Pokals der große Rivale SC Empor Rostock mit 3:2 aus dem Wettbewerb gekegelt. Nach der Rückkehr nach Stralsund im Sommer 1967 wurde dauerhaft in der DDR-Liga (zweithöchste Spielklasse), nach dem Oberliga-Abenteuer 1971/72 folgte 1974/75 eine weitere Saison im Fußballoberhaus. Zweimal wurde sich wacker geschlagen, zweimal reichte es jedoch nicht für den Klassenerhalt. Der große Schock folgte im Frühsommer 1989. Es wurde beschlossen die ASG Vorwärts Stralsund aufzulösen. Der Grund: Geplante Strukturveränderungen innerhalb der Armeesportgemeinschaft Vorwärts, zu der damals unter anderen auch der FC Vorwärts Frankfurt (Oder) gehörte.

Das Aus für den DDR-Liga-Fußball am Strelasund? Nach Gesprächen der Sektionsleiter wurde die Entscheidung getroffen: Den Startplatz würde 1989/90 der Stadtrivale BSG Motor Stralsund, der 1966, 1978 und 1983 jeweils für eine Saison in der DDR-Liga gespielt hatte, übernehmen. Da die BSG Motor Stralsund mit dem Spielbetrieb in der zweiten Liga überfordert sein würde, schlossen sich einige Personen von der ASG Vorwärts Stralsund der BSG Motor an. Es bestand weder Grund zur Euphorie noch zum Pessimismus, schrieb damals die Zeitung „Demokrat“. Der Liga-Fußball sollte am Strelasund erhalten bleiben. Und ob das klappen würde, sei auch abhängig vom Verhalten der Zuschauer gewesen. Vielleicht hätte das Ganze auf Dauer funktioniert, vielleicht auch nicht. Mitten rein in die Wirren platzte der Mauerfall. Aus der BSG Motor Stralsund wurde der TSV 1860 Stralsund, und dieser geriet - wie so viele Nordost-Vereine - in arge finanzielle Schieflage. Am 12. Januar 1991 war in einer regionalen Zeitung zu lesen: „Stopsignal für die Liga-Kicker des TSV. Nach 24 Jahren ging in Stralsund Fußball-Licht aus.“ Sponsoren zogen sich zurück, die Kosten waren nicht mehr zu stemmen, letztendlich wurden die Spiele annulliert. Fortan spielte der TSV 1860 Stralsund bis 1994 in der Landesliga.

Wieder neu gemischt wurden die Karten am 29. März 1994. Hans Eckert, Reinhard Klette und Dieter Frisch gründeten den FC Pommern Stralsund e.V., der nun als Nachfolger der ASG Vorwärts Stralsund das sportliche Erbe verwalten und die Kräfte bündeln sollte. Die meisten Spieler des TSV 1860 Stralsund wurden vom neuen Verein übernommen, zudem übernommen wurde der Startplatz in der Landesliga Mecklenburg-Vorpommern (ab 1995 Verbandsliga M-V). 2006 ging es sportlich eine Etage tiefer, 2010 glückte die Rückkehr in die Verbandsliga Mecklenburg-Vorpommern, in der fortan bis in die Gegenwart gespielt wurde.

Reichlich Zuschauer zu den Heimspielen zu ziehen war nicht einfach, doch immerhin konnte der Schnitt von zirka 80 (Saison 2006/07) auf zwischenzeitliche 130 bis 160 erhöht werden. Eine aktive Fanszene konnte sich etablieren, die immer wieder für Aufsehen und Furore sorgte. Ganz nach dem Motto „Klein aber fein“ wurden immer wieder Aktionen durchgezogen. Mal eine kleine Choreo und Spruchbänder, mal eine große Pyro-Aktion, mal ein gezogener Banner vom Rivalen in Greifswald. Und klar, einige aus der Fanszene supporteten auch den F.C. Hansa Rostock, andere unterstützten allein den FC Pommern Stralsund - und das mit Herzblut.

Somit ist es nicht verwunderlich, dass die aktive Fanszene auf die Barrikade ging, als am 18. Oktober 2017 der Tod des FC Pommern Stralsund besiegelt wurde. Auf der Mitgliederversammlung wurde beschlossen, komplett im TSV 1860 Stralsund aufzugehen. Das komplette Eigentum des FC Pommern Stralsund wird an den TSV 1860 übergeben, der Startplatz in der Verbandsliga wird übernommen, der Name „ FC Pommern Stralsund" wird im Vereinsregister gelöscht. Eigentlich war das Gefühl vor der besagten Mitgliederversammlung nicht das Schlechteste, doch es zeigte sich, dass einige „sichere“ Gegenstimmen dann eben doch nicht sicher waren. Einige aktive Spieler sprachen sich überraschend dann doch für den Anschluss aus, am Ende fehlte ein einzige Stimme, um den Plan zu verhindern. Bei einem Auswärtsspiel wurde sich Luft verschafft. „Wir sind Pommern und Ihr nicht! Verräterschweine!“, ertönte es, während Böller und Rauchtöpfe auf den Rasen flogen. Besonders für die Fans, die eben nicht auch zu Hansa gehen und nur den FC Pommern unterstützten, ist das Ende des FC Pommern Stralsund richtig bitter!

Nun am vergangenen Samstag sollte das letzte Heimspiel des FC Pommern Stralsund über die Bühne gehen. Die Fanszene des FC Pommern Stralsund rief dazu auf, noch einmal die Mannschaft zu supporten und somit für einen würdigen Abschluss der 24-jährigen Vereinsgeschichte zu sorgen. Verkauft wurden weiße T-Shirts mit der Aufschrift „FC Pommern Stralsund – 1994 bis 2018“. „Ein letztes Mal FC Pommern Stralsund - In Stralsund nur wir!“, kündigten die „Stralsunner Jungs“ an. Gegner im Stadion der Freundschaft (seit 2015 offiziell „Primus Immobilien Arena“) war der TSV Friedland. 

Eine extra Prise Brisanz bekam das Ganze, als bekannt wurde, dass auch einige Babelsberger anreisen würden. Zwischen einigen Pommern-Fans und einigen Babelsbergern bestehen freundschaftliche Beziehungen, die jedoch nicht jedem im Umfeld des FC Pommern Stralsund bekannt waren, zumal sich einige ältere Anhänger in letzter Zeit aufgrund der Abstimmung auf der Mitgliederversammlung ein Stückweit zurückgezogen hatten, nun aber zum letzten Heimspiel noch einmal ins Stadion kommen wollten. Dass es eine große optische Aktion geben sollte, leuchtete ein. Jedoch war nun nicht ganz klar, wie diese umgesetzt werden würde. 

Ein weiteres Problem: Auch bei den örtlichen Hansa-Fans ließ die Vorstellung, dass Babelsberger nach Stralsund reisen würden, die Alarmglocken schrillen. Kurzum: Mit gemischten Gefühlen trat so manch einer am vergangenen Samstag die Reise zum Strelasund an. Dass bereits um zehn Uhr morgens am Stralsunder Bahnhof gespäht wurde, wer alles aus dem Regionalexpress stieg, dürfte aufgrund der Ausgangslage nicht verwundern. 

Es blieb noch reichlich Zeit, und somit wurde die Gelegenheit genutzt, der Sportanlage an der Kupfermühle in der Stralsunder Vorstadt einen Besuch abzustatten. In der Stadt ist einiges im Umbruch, und so werden auf der altehrwürdigen, über 80 Jahre alten Anlage in Kürze die ersten Bagger anrollen. Geplant ist ein kompletter Umbau zu einem modernen, vielseitig einsetzbaren Stadion. Fakt ist, im jetzigem Zustand ist die Sportanlage an der Kupfermühle wahrlich nicht wirklich zeitgemäß. Die alte verkrautete Rundlaufbahn besteht aus schwarz-grauer Asche. Das Funktionsgebäude ist quasi Stand 1980er Jahre. 

Und trotzdem kommt Wehmut auf, wenn man sich vorstellt, dass diese markanten Rängen mit diesen massiven seitlichen Begrenzungen aus Stein und Beton verschwinden werden. Derzeit genutzt wird der Platz vom ESV Lok Stralsund. Dieser wird auch nach dem Umbau, der über neun Millionen Euro kosten wird, nutzen dürfen. Zudem soll die Mehrzweckarena Schul- und Freizeitsport gleichermaßen beherbergen.

Nach der Besichtigung der komplett zugewachsenen Gegengerade der Sportanlage an der Kupfermühle ging es zurück durch das Viertel zu Altstadt und Hafen, wo bereits eine erste Gruppe mit weißen T-Shirts an der Mole ihr Stelldichein hatte. Bei Fischbrötchen und einer Arbeitermolle wurde die Zeit überbrückt, bis es zu Fuß rüber ins einstige Stadion der Freundschaft ging. Am Eingang wurden blaue Plastikfähnchen verteilt, zudem drückte jemand schwarze Klatschpappen aus dem Jahr 2015 in die Hände. Auf der einen Seite das Vereinslogo des FC Pommern Stralsund. „Eine Stadt - eine Mannschaft - eine Liebe“. Auf der anderen Seiten die Wappen des FC Pommern und des F.C. Hansa Rostock. „Macht Krach für Pommern! 14.11.2015“. Kaum hielt man ungefragt die Klatschpappe in der Hand, als ein anderer sofort meinte: „Pack die bloß gleich weg!“

Die Grundstimmung auf den eher spärlich gefüllten Rängen: Angespannt. Vor allem bei den Fußballfreunden, welche die Anwesenheit der Babelsberger sehr kritisch betrachteten. An mehreren Stellen außerhalb des Stadions hatten sich am Zaun kleine Gruppen positioniert, im Stadion selbst sollte es beim allerletzten Heimspiel des FC Pommern Stralsund keinen Support geben. Stille. Es wurde Bier getrunken, es wurden Gespräche geführt, es wurde beobachtet. 

Hinter dem einen Tor wurden ein paar Spruchbänder befestigt. „In Stralsund nur wir“ in großen Lettern. Darunter: „Wir leben mit dem Verrat, aber ohne Euch Verräter! - Eins bliebt bestehen, der FCP wird niemals untergehen!!!“ Am Zaun auf Seiten der Haupttribüne war zudem zu lesen: „Die Fans sind eine Macht, wer keine hat - gute Nacht!“ Genauso wie damals im Sommer 1989 völlig offen war, wie die Fans reagieren würden, als die BSG Motor Stralsund den Platz der ASG Vorwärts Stralsund in der DDR-Liga einnahm, ist auch in der Gegenwart die Frage: Wie viele Zuschauer werden überhaupt zu den Heimspielen des TSV 1860 Stralsund kommen? 

Am vergangenen Samstag waren es 205 Zuschauer. Gerechnet hatten einige mit bis zu 500 Zuschauern, doch aufgrund der Querelen werden etliche Fußballfreunde erst gar nicht gekommen sein. Ein wahrlich bitteres Ende des FC Pommern Stralsund. Immerhin konnte auf dem Rasen gegen den TSV Friedland ein 2:1-Sieg eingefahren werden. Kevin Kutz hatte in der 14. und 16. Spielminute mit 2:0 vorgelegt. Martin Thürsam konnte in der 55. Minute die Friedländer auf 1:2 heranbringen. 

In der zweiten Halbzeit war zu hören, dass sich nun auf den Rängen positioniert wurde. Der Knall blieb jedoch aus. Abpfiff. Kein Hickhack auf den Rängen und auch keine Abschluss-Aktion in Form von Pyro, Schlachtrufen und weiteren kritischen Spruchbändern. Still und leise ging die Partie zu Ende. Pommern-Spieler saßen auf dem Rasen, einige schlurften zu befreundeten Zuschauern an der Bande. Und nun? Gute Frage. Das wissen selbst die meisten Spieler nicht. Mit der Kamera in der Hand durfte ich mir nach Spielschluss noch das alte Vereinsheim im Obergeschoss ansehen. Leere. Einsamkeit. In einem benachbarten Raum saßen ein paar ältere Leute bei einem Bier. „Ja, fotografier das mal alles!“ Dieses ganze Ambiente - das setzte einem echt zu. Hätte ich nicht zuvor ein paar Bier getrunken, hätte diese Melancholie in diesem Raum die Tränen fließen lassen. 

So aber fertigte ich die letzten Bilder an und spazierte mit ein paar anderen zu einer der ältesten Hafenkneipen Europas. Als es dann später mit dem Regionalexpress wieder gen Heimat ging und die dunklen Landschaften vorüberzogen, ließ ich den ganzen Tag noch einmal Revue passieren. Surreal, es war alles irgendwie surreal.

Man müsste Vorwärts Stralsund in der Kreisliga einfach neu gründen! Aber dies wurde mittags bereits am „Goldenen Anker“ besprochen. Für solch ein Projekt würden in Stralsund einfach nicht genügend Personen bereitstehen, zumal einige, die seit den 90ern dabei waren, ihre Wohnsitze nicht mal in der Stadt haben. Was bleibt? Ein wenig Ratlosigkeit und etwas Neugier, wie es denn nun weiter gehen wird in Stralsund in Sachen Verbandsligafußball…

 

> zur turus-Fotostrecke: FC Pommern Stralsund

Artikel wurde veröffentlicht am
11 Juni 2018
Spielergebnis:
2:1
Zuschauerzahl:
205

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Inhalt über Liga
Verbandsliga

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Danke Mann!
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Moin gesagt!

Unfassbar dass der gebührende Abschied von 24 neuen Jahren Vereinsgeschichte auf diese Art und Weise versaut wurde. Es mag ja Leute geben, die sagen, Pommern, da ist doch eh nichts los. Die präsentierten Fotos zeigen ja eine andere Sprache. Und nun so was. Wozu sind die aus Bbg überhaupt angereist? Ein beschissener Abschluss. Feiert bei St. Pauli, Bbg braucht keiner!
R
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Alte Zeiten
Babelsberg hat mit Stralsund so viel zu tun wie das Veggie-Schnitzel mit dem Hering.

Waren das noch Zeiten, als sich prima Haufen Stralsunder den Greifswaldern oder auch Anklamern gegenüberstanden und man ne Woche später gemeinsam Hansa quer durch die Republik gefolgt ist. Was hat sich die Welt verändert...
DW
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G
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