Als Unions Steven Skrzybski den Ball kurz vor Abpfiff hinter die Linie beförderte, gab es kein Halten mehr. Nicht auf den Rängen, nicht auf dem Rasen und nicht an der Seitenlinie: Skrzybski rannte zu den Fans in der Waldseite und wurde sofort von Ordnern aufgehalten. Um kräftig umarmt zu werden. Danach kamen die Teamkollegen dran. Mehrfach riss der Stürmer danach noch die Fäuste geballt in Richtung Waldseite empor. Für Union bedeutete dieser Moment große Freude, große Erleichterung: Klassenerhalt.
Union Berlin hält die Klasse nach emotionalem 3:1 gegen VfL Bochum
Die Frustration, die sich über den Saisonverlauf aufgebaut hatte, konnte entweichen. Die Anspannung hatte das Team über Monate von Spieltag zu Spieltag begleitet: von der permanenten rechnerischen Chance, doch noch auf einen Aufstiegsplatz zu springen bis hin zur akuten rechnerischen Abstiegsgefahr - alles war drin, Union wusste nicht, woran sie waren. Und das bis zum Ende dieses Spiels. Somit war Skrzybskis Tor Klimax und Auflösung im klassischen Storyplot zugleich - keine Zeit für eine retardierendes Moment.
Es war Skrzybskis vierzehntes Saisontor, sein erstes seit Anfang März. Der Junge, der seit 2000 seine Schuhe in Köpenick schnürt, sich durch die Nachwuchsmannschaften arbeitete und heute die Kapitänsbinde trug, war sinnbildlich für den heutigen Kampfgeist seiner Mannschaft. Seine Leistung ist auch außerhalb Berlins nicht unbemerkt geblieben, sein Marktwert gestiegen. Ob dies heute sein letztes Heimspiel im Stadion an der Alten Försterei war, kommentierte er verständlicherweise nicht.
Ihn heute alleine hervorzuheben wäre aber den anderen Spielern gegenüber nicht gerecht, denn alle waren voll dabei. Union war aktiver, kam besser in die Zweikämpfe, betrieb frühes Pressing, zeigte feines schnelles Kombinationsspiel und hatte mehrere gute Möglichkeiten. "Müsst ihr mal bisschen laufen! Ihr guckt einfach nur so - schönes Wetter, was?" rief ein verärgerter Bochum aus dem prall gefüllten Gästeblock seiner Mannschaft zu. Unrecht hatte er nicht - die Gäste waren passiv und verloren den Ball oft zu leicht. So auch vor dem Gegentor, als Unions Michael Parensen den Ball aus einem Stapel Spieler heraus zu Dennis Daube passte, der für Kenny-Prince Redondo mustergültig auflegte und dieser nur noch einschieben musste. Halbzeit.
Nach der Pause ging es gleich weiter und verteilte Bochum ein großes Geschenk: völlig unbedrängt köpfte Danilo Soares in Minute 47 den Ball ins eigene Tor. Direkt hinter ihm wäre sein Torwart gewesen, der nun aber im Tor fehlte und nichts mehr zur Abwehr tun konnte. Union marschierte trotz komfortabler Führung weiter in Richtung Gästetor, nutzte aber seine Chancen nicht. Die Fans unterstützten das Team wie eine Wand - als Steven Skrzybski nach sehr unsanftem Kontakt mit dem Rasen auf selbigem liegen blieb, die Bochumer ihren Angriff aber fortsetzten, erreichte die Lautstärke auf den Rängen ihren Siedepunkt. Union ließ nicht locker, war hoch konzentriert und erlaubte den Gästen dann doch den Anschlusstreffer: Lukas Hinterseer traf auf Vorlage von Robbie Kruse nach einem flinken Konter. Aus dem Gästeblock brauste plötzlich ein kurzer seltener Moment von Support auf.
Da kamen sie plötzlich wieder alle hoch, die traumatischen Erlebnisse dieser Saison in denen die Eisernen kurz vor Schluss so viele Punkte hergaben. Sollte es hier noch zum Ausgleich kommen? Dann zu einem Abstiegs-Showdown am letzten Spieltag in Dresden? Nein - Union erarbeitete sich noch drei eins-zu-eins Situationen vor Bochums Keeper Manuel Riemann, der zwar zwei davon bravourös meisterte, bei der dritten gegen Skrzybski aber machtlos war.
Union war 2009 Meister der 3. Liga und hat einige Male den Berliner Landespokal gewonnen. Einen großen Titel aber nur einmal: den FDGB Pokal 1968. Um an diesem 50. Jubiläum die damaligen Helden zu ehren, gab es zu Spielbeginn heute eine Choreographie im ganzen Stadion (außer Gästeblock), in der Portraits aller Spieler, der Weg ins Finale und der Pokal selbst abgebildet waren - vor dem Hintergrund von roten und weißen Tafeln.
Die Köpenicker haben in dieser Saison zwar keinen Titel gewonnen und ihr Aufstiegsziel verfehlt. Aber nach der Achterbahnfahrt der letzten Monate fühlt sich dieser Klassenerhalt fast wie ein Titel an. Bei noch abstiegsgefährdeten Dresdnern kann die Mannschaft nun befreit aufspielen während Bochum den Jahn aus Regensburg zum Spiel um die goldene Ananas empfängt.
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