FC Rot-Weiß Erfurt: 1001 DDR-Oberligaspiele und 27 Jahre zwischen Baum und Borke

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Kurios. Gefühlt würde ich den FC Rot-Weiß Erfurt immer in der 2. Bundesliga verorten. Klar, dass der Verein zuletzt jahrelang in der 3. Liga gespielt hat und demzufolge in der Ewigen Tabelle der 3. Liga Rang eins einnimmt. Jedoch gibt es einen Grund, weshalb die gedankliche Kombination 2. Bundesliga plus FC Rot-Weiß Erfurt dermaßen fest verankert ist: Die Saison 1991/92! In jener ersten gesamtdeutschen Spielzeit nach dem Fall des Eisernen Vorhangs waren die Erfurter in der Südstaffel der 2. Bundesliga dabei. Gemeinsam mit dem FC Carl Zeiss Jena, dem Chemnitzer FC, dem VfB Leipzig und dem Halleschen FC wurde das Glück versucht. Als sechster ostdeutscher Verein, der sich für die zweite Liga qualifizieren konnte, wurde der BSV Stahl Brandenburg in die Nordstaffel gepackt. In der 1. Bundesliga waren damals 1991/92 bekanntlich der F.C. Hansa Rostock und der 1. FC Dynamo Dresden dabei. In der letzten DDR-Oberliga-Saison, die als NOFV-Oberliga endete, belegte Rot-Weiß Erfurt einen dritten Platz. Zum zweiten Rang fehlte nur ein Pünktchen, zudem hatte der FC RWE das schlechtere Torverhältnis. Wenn man bedenkt, dass damals der Serienmeister BFC Dynamo und der EC-Sieger von 1974 - sprich der 1. FC Magdeburg - komplett leer ausgingen, konnte man in Erfurt wahrlich froh sein. Statt Versenkung in der Oberliga die gesamtdeutsche Bühne in Form der zweigleisigen 2. Bundesliga.

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Und genau jene Saison hatte sich so fest in meinem Gedächtnis eingebrannt. Jede Woche schaute ich, was die ostdeutschen Vertreter in erster und zweiter Liga so anstellen. Da ich zu Halle zu DDR-Zeiten keinen Bezug hatte, beachtete ich den HFC nicht allzu sehr. Aufgrund der zahlreichen Reisen mit den Eltern in den 1980er Jahren in den Thüringer Wald - inklusive Abstechern nach Gotha, Eisenach und Erfurt - war der persönliche Bezug zum FC RWE mehr vorhanden, wenn gleich ich damals keine Spiele der Erfurter gesehen hatte. Da ich zu jener Zeit zwischen meiner Heimatstadt Berlin und NRW pendelte, sah ich häufig Partien der Nordstaffel. Heim- und Auswärtsspiele von Hertha BSC. Ein paar Heimspiele des SC Fortuna Köln und des FC Remscheid. Beim wöchentlichen Blick auf die abgedruckten Tabelle in der „Sportbild“ musste ich schon bald feststellen: Erfurt, Halle und Stahl Brandenburg würden wohl leider Gottes die Segel streichen müssen. Und was es damals hieß, in all den Staffeln der NOFV-Oberliga (dritte Liga) zu kicken, durfte ich in Berlin beim FC Berlin (BFC Dynamo) und 1. FC Union Berlin „bestaunen“.

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Übel! Im Nordosten war die NOFV-Oberliga Anfang der 1990er noch in drei Staffeln geteilt. Die Eisernen spielten in der Staffel Mitte, die Weinroten (nun eigentlich als FC Berlin auch rot-weiß) mussten in der Staffel Nord den Ball rollen lassen. Und das vor mickrigem Publikum. Kein Wunder bei den Gegnern, die unter anderen FSV PCK Schwedt, FSV Velten 1990, Spandauer SV 1894, NSC Marathon 02, VfB Lichterfelde und SV Thale 04 (ohne den Harzern zu nahe treten zu wollen) hießen. Nach dem Abstieg trennten sich vorerst die Wege des HFC und des FC RWE. Während Halle in die Staffel Mitte gepackt wurde (und sich dort wenigstens auf das Duell gegen den 1. FCM freuen konnte), landete Erfurt in der Staffel Süd. Na dann, ran an die Spiele gegen Funkwerk Kölleda, FC Meißen, den 1. SV Gera und den Chemnitzer SV 1951. Highlights waren die Begegnungen mit den alten Bekannten aus Leipzig-Leutzsch, Zwickau und Aue.

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Gereicht hatte es in der Saison 1992/93 nicht. Hinter dem FC Sachsen Leipzig (keine Lizenz für die 2. BL) und dem Bischofswerdaer FV belegten die Erfurter den dritten Platz. Und auch 1993/94 wurde es hinter dem Staffel-Meister FSV Zwickau nur Rang zwei, doch glücklicherweise gab es Licht am Horizont in Form der neu eingeführten Regionalligen. Die Regionalliga Nordost versprach wieder etwas mehr Leben in der Bude, und aus der OL-Südstaffel nutzen Erfurt, Sachsen Leipzig und Erzgebirge Aue die Gunst der Stunde.

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Für den FC Rot-Weiß Erfurt war die Regionalliga das neue sportliche Zuhause - und das nonstop bis zum Jahr 2003. Kurios wurde es, als im Jahr 2000 die Regionalliga-Reform umgesetzt wurde, es nur noch die Staffeln Nord und Süd gab, und die Erfurter gemeinsam mit dem Erzfeind aus Jena-Paradies sich allein im Süden wieder fanden, während die anderen sechs Nordost-Vertreter im Norden spielen durften. Nachdem der FC Carl Zeiss Jena am Ende der Saison 2000/01 den bitteren Weg in die Viertklassigkeit antreten mussten, war der FC Rot-Weiß Erfurt plötzlich ganz allein auf weiter Flur. Auf nach Burghausen, Elversberg, Hoffenheim, Siegen, Regensburg, Aalen und Wehen!

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Um so größer war die Freude bei den Rot-Weißen, als am Ende der Saison 2003/04 gemeinsam mit dem 1. FC Saarbrücken - der Staffelmeister FC Bayern München Amateure durfte logischerweise nicht aufsteigen - der Sprung in die 2. Bundesliga gepackt wurde. Nach 13 Jahren war Erfurt wieder dort, wo es hingehört. In den Profifußball! Man bedenke: 37 Spielzeiten hatten die Erfurter als BSG KWU Erfurt, BSG Turbine Erfurt, SC Turbine Erfurt und FC Rot-Weiß Erfurt in der DDR-Oberliga gespielt. Absolviert wurden 1.001 DDR-Oberliga-Partien. Nur Wismut Aue (38 Spielzeiten) kann mehr Partien in der DDR-Oberliga vorweisen. In der Ewigen Tabelle der DDR-Oberliga sind die Erfurter hinter Jena, BFC Dynamo, Dynamo Dresden, Lok Leipzig, Wismut Aue und Vorwärts Berlin / Frankfurt (Oder) auf Rang sieben zu finden.

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2004/05 also dabei in Liga zwei. Alles prima? Denkste! Zwar hatten fantechnisch die Touren zum 1. FC Köln, zu Eintracht Frankfurt, zum MSV Duisburg, zum TSV 1860 München und zum Karslruher SC sicherlich Freude bereitet, doch in sportlicher Hinsicht wurde es weiß Gott keine gute Saison. Dolle Wurst! Nur sieben Siege in 34 Partien. „RWE-Ost“ stieg gemeinsam mit „RWE-West“ wieder ab. Essen wurde Vorletzter, Erfurt war am Ende auf dem letzten Platz. Hinzu kam ein Schuldenberg von rund vier Millionen Euro. Nur mit Mühe konnte die kommende Saison in der Regionalliga Nord gestemmt werden. Und ja, immerhin durften Jena und Erfurt nun im Norden dabei sein. Allerdings gab es mit dem Chemnitzer FC nur einen einzigen weiteren relevanten Nordost-Vertreter.

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Mit junger Mannschaft schlitterten die Erfurter fast gleich noch eine Etage tiefer. Allein Dank des Torverhältnisses konnte am Ende die Klasse gehalten werden. Sportlich stabilisierte sich die Situation ein wenig. 2007/08 wurde die Qualifikation für die neu geschaffene 3. Liga gepackt. Was folgte? 10 Jahre in der 3. Liga. Nonstop. Das hatte sonst niemand geschafft. Demzufolge ist der FC Rot-Weiß Erfurt auf Rang eins der Ewigen Tabelle der 3. Liga zu finden. Wie bereits in den Jahren zuvor in der Regionalliga (noch als dritthöchste Spielklasse) hieß es nun: Irgendwie zwischen Baum und Borke. Sportlich und finanziell. Nicht komplett abgestürzt im Sumpf des Amateurfußballs (wie die einstigen DDR-Oberligisten Stahl Brandenburg, Stahl Riesa und 1. FC Frankfurt), aber eben auch nicht am großen Trog, aus dem man sich satt speisen kann.

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Finanziell lebte der FC Rot-Weiß Erfurt stets auf Kante. Schulden kamen weitere hinzu. Gehofft wurde wohl immer auf den großen Sprung. Der war allerdings nie in Sicht. Rang fünf in den Spielzeiten 2010/11 und 2011/12 war das höchste der Gefühle. Es folgten die Plätze 12, 10, 12, 9 und 14. In der laufenden Saison lief sportlich gar nichts mehr. Finanziell sowieso nicht mehr. Es kam nun, wie es kommen musste: Der Antrag auf die Insolvenz. Im besten Fall wird es einen Neustart in der Regionalliga Nordost geben.

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FC Rot-Weiß Erfurt. Zwei Dinge aus der jüngeren Vergangenheit werden in meinem Gedächtnis fest verankert bleiben. Zum einen das desolate 1:4 des F.C. Hansa Rostock im Nieselregen im Dezember 2014, als bereits zur Halbzeit im Gästeblock des alten Steigerwaldstadions die Zaunfahnen abgenommen wurden. Mit dem FCH ging es derb abwärts. Das Damoklesschwert in Form des Abstieges schwebte über dem Rostocker Ostseestadion. Und dann der letzte Spieltag! Unvergessen! Hansa Rostock verlor mit 1:2 bei der SG Dynamo Dresden und wäre in die Regionalliga abgestiegen, wenn - ja wenn - nicht der FC Rot-Weiß Erfurt, für den es um nichts mehr ging, gegen die SpVgg Unterhaching mit 1:0 gewonnen hätte. Unglaublich! Nur Dank des FC RWE hielt Hansa die Klasse, konnte sich später stabilisieren und in der aktuellen Saison sogar ganz oben anklopfen. Und ja, nicht nur deshalb drücke ich der Erfurter Anhängerschaft fest die Daumen! Packt den Neubeginn und kommt bald wieder!

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An dieser Stelle wollen wir Christian Lenke, der an der „FC Rot-Weiß Erfurt Fußballfibel“ mitgearbeitet hatte, zu Wort kommen lassen. Als Erfurter Fan schildert er seine Sicht der Dinge. Der Moment, als die Nachricht von der Insolvenz eintraf:

„Und dann ist er da ... der Moment, den man erwartet und doch gefürchtet hat. Erste Nachrichten über WhatsApp werden als die üblichen, seit Wochen umher schwirrenden Gerüchte abgetan. Die Arbeit lässt mir keine Zeit aufs Telefon zu schauen und die Bestätigung zu suchen. Unruhe steigt in mir auf. Könnte dieses Mal wirklich das Ende proklamiert werden? Sollte der längst überfällige, aber in den Augen vieler Fans auch richtige Schritt getan werden?

Raucherpause... Zeit, die Neuigkeiten zu checken. Scheiße, der FC RWE meldet Insolvenz an. Damit einhergehen wird der Abstieg in die Regionalliga. Das erste Mal viertklassig. Ich kann es nicht glauben, obwohl der Klassenerhalt schon längst nicht mehr realistisch war.

Namen großer Vereine schießen mir durch den Kopf. Magdeburg, Aachen, Essen, Offenbach, Dresden, BFC Dynamo. Ging es denen nicht allen ähnlich? Haben die es nicht alle geschafft sich mehr oder weniger gut zu sanieren. Ist eine Insolvenz samt Abstieg nicht immer auch eine Chance? Ja, nicht alle stehen wieder auf der Sonnenseite, aber hey, die Ostclubs scheinen so ein Dilemma besser zu verkraften. Das macht Mut. Und hat es der FC RWE vor 20 Jahren nicht schon einmal durch eine Insolvenz geschafft? Ja hat er.

Niedergeschlagenheit paart sich mit (Zweck-)Optimismus. Fragen nach der sportlichen Zukunft wechseln sich mit Erinnerungen an alte Regionalligazeiten in den 90ern ab. Ein Wiedersehen mit dem BFC, mit Lok und Chemie. Neue Ziele mit Halberstadt und Bautzen. Endlich wieder Döner am Berliner Ostbahnhof.

Es wird dauern, bis die Trauer und auch das kleine bisschen Wut über den Niedergang meines Herzensclubs vergeht, aber ich habe das Gefühl, dass dem FC RWE und seinem Anhang eine nicht ganz so dunkle Zukunft winkt.“

Fotos: Marco Bertram, Marco Hensel, Arnaud Schonder

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Artikel wurde veröffentlicht am
15 März 2018

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G
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Ich bin Hansa-Fan und sympathisiere auch aufgrund 2015 mit Erfurt. Auch die Auswärtsspiele bei euch waren immer angenehm (wenn nur die Laufbahn nicht wäre). Einer der wenigen anderen Ostvereine dem ich nicht alles Schlechte wünsche. Drücke die Daumen, dass alles vernünftig über die Bühne geht und ihr zu alter stärke zurückfindet.
:
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Da kann man nur viel Glück wünschen!
G
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Niemals Aufgeben!
G
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G
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