Völlig irres Pokalspiel! TSV Rudow 1888 besiegt SC Staaken 1919 mit 6:5!

Mittwochabend, 19:30 Uhr. Nasskaltes Wetter. Rudow ruft. Soll man sich in die U-Bahn (inkl. Schienenersatzverkehr) setzen - oder lieber nicht? Beim Blick aus dem Fenster kamen keine warmen Gefühle auf. Aber komm, der Pokal hat eigene Gesetze. War der Pokalfight des 1.FC Novi Partizan Neukölln 95 nicht eine Wucht? Würde es beim Duell TSV Rudow 1888 vs. SC Staaken 1919 auch nur ähnlich hoch hergehen, dann hätte der Sieg gegen den inneren Schweinehund goldene Früchte getragen. Also hinein in die U7. Schließlich war auch Sportsfreund Bernd vor Ort, und das eine oder andere bekannte Gesicht trifft man sowieso immer. Egal wo, egal wann, irgendeiner ist immer mit von der Partie und zu einem Plausch bereit. Des Weiteren hat der Sportplatz des TSV Rudow einen guten Ruf, das in Zusammenarbeit mit den Sponsoren und Fans des TSV Rudow errichtete Vereinsheim ist sehr gemütlich, und auch die Wurst vom Grill mundet durchaus. Und am Ende war die Wahl der Partie ein goldener Griff. Bingo! Was für ein Pokalspiel! Mit 6:5 nach Verlängerung besiegte der Berlin-Ligist aus Rudow den frisch gebackenen Oberligisten aus Staaken. Und das kuriose Famose an diesem Abend: Wer als neutraler Fußballfreund auf die andere parallel ausgetragene Pokalpartie gesetzt hatte, musste nicht traurig sein. Auch der SFC Stern 1900 besiegte den Oberligisten FC Hertha 03 Zehlendorf mit 6:5! Nicht im Elfmeterschießen, sondern ebenso nach Verlängerung.

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Was für ein denkwürdiger Pokalabend. Sowohl auf dem Sportplatz in Rudow als auch auf dem Sportplatz in der Schildhornstraße in Steglitz hieß es nach 90 Minuten 4:4. Auf beiden Plätzen ging in der Verlängerung der Gast - sprich der Oberligist - mit 5:4 in Führung. In beiden Fällen dachten wohl die Heimfans, okay, das war es dann wohl, der Favorit setzt sich nun durch! Denkste, in beiden Fällen kam der gastgebende Sechstligist zurück und drehte die Partie auf 6:5! In beiden Fällen gab es einen Platzverweis, in beiden Fällen wurde einige Male - verständlich bei solch turbulenten Partien - die gelbe Karte gezeigt.

Rudow

Doch kommen wir jetzt konkret auf die Partie TSV Rudow vs. SC Staaken zu sprechen. Wie gehabt bieten sich solche unterklassigen Partien an, die Vereine ein wenig näher vorzustellen. Im Fall des SC Staaken wurde dies beim ersten Oberligaspiel der Vereinsgeschichte zu Beginn der Saison bereits getan. Demzufolge soll heute der TSV Rudow 1888 in den Fokus gerückt werden. Oberliga gab es in Rudow bereits einmal - und das ist ein ganzes Weilchen her. Im besagten Vereinsheim hängen Fotos von einer sehr denkwürdigen Partie. Im September 1986 empfingen die Rudower den Berliner Platzhirsch Hertha BSC. Nein, es war kein Freundschaftsspiel, kein Benefizspiel und auch kein Pokalspiel. Es war ein reguläres Spiel in der Westberliner Oberliga (drittehöchste Spielklasse). Die Saison 1986/87 war für Rudow nach dem Aufstieg aus der damaligen Landesliga Berlin die erste Spielzeit in der Oberliga. Für Hertha BSC war die Sache indes nach dem Abstieg aus der 2. Bundesliga eine totale Katastrophe. Tingeln auf den Berliner Sportplätzen, allein der direkte Wiederaufstieg zählte.

Rudow

Und klar, wie erwartet rauschte die „Alte Dame“ mit 24 Siegen aus 30 Partien (nur eine Niederlage) durch die Oberliga-Saison. Punkte gelassen wurden unter anderen wo? Beim TSV Rudow 1888! Vor großer Kulisse auf dem Sportplatz Stubenrauchstraße rangen die Rudower dem haushohen Favoriten ein 2:2 ab. Für diese Partien wurden extra Tribünen errichtet, über 5.000 Zuschauer wollten diese Drittligapartie sehen. Verständlich, dass die Aufnahmen von diesem denkwürdigen Spiel einen Platz im Vereinsheim gefunden haben. Bis 1988 konnte sich der TSV Rudow in der Oberliga halten, ausgerechnet zum 100. Geburtstag erfolgte als Vorletzter der Abstieg in die Landesliga (damals 4. Liga).

Rudow

Apropos Geburtstag. Ins Leben gerufen wurde der Verein - wie es der Name besagt - im Jahre 1888, genauer gesagt am 22. September 1888. Allerdings hieß der Verein damals noch Männerturnverein (MTV) Jahn-Rudow. 1903 erfolgte die Umbenennung in TV Jahn Rudow. 1924 bezog der Verein den heutigen Sportplatz in der Stubenrauchstraße. Den heutigen Namen erhielt der Verein nach dem Zweiten Weltkrieg, als am 08. Oktober 1949 nach langem Hin und Her der Verein als TSV Rudow 1888 wiedergegründet wurde. Aufgrund alliierter Beschlüsse durfte nach Kriegsende erst einmal nur als Sportgruppe Rudow agiert werden.

Interessant: Als 1888 der MTV Jahn-Rudow gegründet wurde, hatte Rudow gerade einmal 1.500 Einwohner, und es gab keine Bahnverbindung nach Rixdorf (heutiger Ortsteil im nördlichen Teil des Bezirks Neukölln). 1913 wurde schließlich eine Straßenbahnverbindung zwischen Rixdorf und Neukölln eingeweiht. Schade eigentlich, dass es diese heute nicht mehr gibt. Und was den Verein betrifft, so ist dieser nicht nur für den Fußball bekannt. Vielmehr hat der TSV Rudow 1888 verschiedene Sportabteilungen. So gibt es die Sektionen Judo, Badminton, Tischtennis, Volleyball, Leichtathletik und Cheerleading.

Rudow

Um zum Fußball zurückzukommen: Seit 1994 spielte die erste Mannschaft des TSV Rudow 1888 fast nonstop in der Verbandsliga, die seit 2008 Berlin-Liga heißt. Nur zwischen 2007 und 2010 wurde eine Etage tiefer in der Landesliga der Spielbetrieb aufgenommen. Die größten Erfolge in der jüngeren Vergangenheit sind Rang 3 in der Berlin-Liga-Saison 2015/16 und das Erreichen des Viertelfinales in der Pokal-Saison 2011/12. Am 25. März 2012 war der BSV Eintracht Mahlsdorf eine Nummer zu groß, mit 0:4 musste sich Rudow am Rosenhag geschlagen geben. In den beiden zurückliegenden Spielzeiten war allerdings bereits jeweils nach der ersten Runde Schluss.

Das sollte nun anders werden! Rock´n Roll im Berliner Pilsner Pokal. In der ersten Hauptrunde konnte der SB B.W. Berolina Mitte mit 3:1 geschlagen werden. In der zweiten Runde wurde locker flockig der BFC Germania, der ebenso 1888 ins Leben gerufen wurde und derzeit leider nur noch in der Kreisliga B anzutreffen ist, mit 6:1 verputzt. In der dritten Runde gab es mit dem SC Staaken 1919 einen recht schweren Brocken. Frisch aufgestiegen in die NOFV-Oberliga Nord kann in dieser derzeit eine ausgeglichene Bilanz präsentiert werden. Sechs Siege, ein Remis, sechs Niederlagen. Mit dem Abstieg wird Staaken wohl nichts zu tun haben.

Rudow

19 Uhr. Im Vereinsheim wurde das Bier gezapft. 0,4er zum moderaten Preis. Vor dem Vereinsheim hatten sich die ersten bereits unter dem Vordach und den Sonnenschirmen gemütlich gemacht. Kürzer könnte der Weg vom Vereinsheim zur Haupttribüne nicht sein. Quasi nur drei Schritte. Äußerst praktisch. Aus diesem Grund nahmen viele Zuschauer ihre Gläser auch mit nach draußen. Insgesamt waren es geschätzt um die 120 Fußballfreunde, die das gestrige Pokalspiel sehen wollten. Unter ihnen auch einige Anhänger aus Staaken. Nach Strausberg würde die Auswärtssause genauso lang dauern, erklärte einer lachend. Na dann Prost!

Rudow

Und auf dem nassen Kunstrasen ging es unter dämmerigen Lichtverhältnissen (die hohe ISO-Zahl beim Fotografieren ließ grüßen) gleich zur Sache. Aus der Distanz erzielte Denis Barcic mit der Rückennummer 10 das 1:0 in der sechsten Minute. Sein Schuss wurde abgefälscht, da war nicht viel zu halten. Nettes Plaudern auf der kleinen Tribüne zwischen den Rudowern und Staakenern. Kommentiert wurde quasi jede Spielaktion. „Sei mir mal nicht böse, aber heb die Fahne!“ Nach einer halben Stunde gab es weiteren Gesprächsstoff. Ecke für Rudow, Marcel Schulz mit der Nummer 13 setzte den Ball mit dem Kopf knapp unter der Latte. 2:0 für den Außenseiter. Jubel auf den Rängen. „TSV! TSV!“ Der mit der 13 hätte eigentlich gar nicht gespielt, aber die Nummer 6 schaffte es nicht pünktlich von der Arbeit wegzukommen, erklärte jemand hinter mir. Nach der Pause würde er dann wohl ins Spiel kommen, und deshalb wurde die 6 auch nicht vergeben. Vergeben? In der Tat. Der TSV Rudow tritt in der Regel immer mit den Rückennummern 1 bis 11 auf. Ganz klassisch, richtig Old School.

Rudow

Keine festen Rückennummern für die ganze Saison? Das ist ein Ding! Da stellte sich die Frage, ab welcher Spielkasse das eigentlich möglich ist. Und ohne Aufstellung ist es dann als Außenstehender quasi fast unmöglich zu wissen, welcher Spieler denn hinter der Nummer fünf oder zwei steckt. Verrückt! Bei dem dämmerigen Licht erkannte ich sowieso nicht viel. Das war aber auch nicht allzu schlimm, weil hinter mir alles kommentiert wurde und Sportsfreund Bernd alles auf einem Stück Papier. notierte.

Rudow

Nur zwei Minuten nach dem 2:0 erfolgte der nächste Schlag. Die prima aufspielende Nummer 13 spielte rüber auf die andere Seite, dort stand Ihab Al-Khalaf bereit und machte von links das 3:0 für den TSV Rudow klar. „Nur noch sieben!“, riefen nun die Heimzuschauer. Aber dann! Unmittelbar vor dem Pausentee gab es die rote Karte für den Schützen zum 1:0. Bei einer Ecke der Gäste ließ er sich zu einer Tätlichkeit hinreißen. „Idiot, Mann!“ Unverständnis vor dem Vereinsheim. „Das 3:0 kannste nach Hause schaukeln. Die kommen nie wieder. Und nun das!“ Der eine oder andere ahnte, dass der Oberligist in Überzahl sehr wohl zurück in die Partie kommen könnte. Zumal er keinen schlechten Eindruck gemacht hatte.

Staaken

Wie erwartet: Die Gäste aus Staaken machten nach den Kabinenpredigten das Spiel. Als Rudow einmal prima über die rechte Seite kam, aber den Ball nicht hereinbringen konnte, meinte eine Staakener Zuschauer lachend: „Was wollt ihr denn noch? Ihr führt doch schon 3:0!“ Weiter ging´s. Nach einer Stunde zog Sebastian Gigold für die Gäste ab. Der Anschlusstreffer wurde verpasst. „Wenn nicht jetzt, wann dann?“, jammerte jemand hinter mir mit blau-weißem Schal. Zwei Minuten später zeigte der Schiedsrichter auf den Punkt. Elfmeter für den SC Staaken, David Koschnik machte das Ding klar. Als nur zwei Minuten später Sebastian Gigold zum 2:3 aus Sicht der Gäste nachlegen konnte, schwante den Heimzuschauern Böses. „Alter, jetzt geht´s los hier!“, erklärte indes ein Staakener Sportsfreund und nippte am Bier.

Es trat jedoch das ein, womit die wenigsten gerechnet hatten. In Unterzahl machte Rudow in der 73. Minute das 4:2. Ihab Al-Khalaf brachte den Ball im leeren Gehäuse unter. Noch war nicht vorbei. In der 78. Minute streifte ein Staakener Freistoß am Rudower Gehäuse vorbei, im Gegenzug hatte Rudow gleich zwei dicke Möglichkeiten zum 5:2. Zuerst spielte auf der linken Seite Marcel Schulz seinen Mitspieler Al-Khalaf prima an, dieser verzog dann aus spitzem Winkel. Dann gab es nach einer Ecke fast die ausgebaute Führung per Kopf.

4:4

Rudow machte den Sack nicht zu, Staaken machte nun ernst. In der 85. Minute und 87. Minute sorgten Jesucristo Kote Lopez und Sebastian Gigold für den Anschluss sowie den Ausgleich. 4:4. Meine Güte! „TSV!! TSV!!“, „Auf geht´s Staaken!“ Tiefes Durchatmen. Aufatmen. Je nachdem. Es ging in die Verlängerung. Kurz einen Kaffee geholt und weiter geschaut. In der 104. Minute brachte Marvin Kubens die Gäste erstmalig in Führung. 4:5 nach 3:0-Führung. Der TSV Rudow schien nun aus dem Rennen zu sein. In Unterzahl gegen den Oberligisten noch mal was drehen können? Schwer. Aber man ließ nichts unversucht. Nur drei Minuten nach dem Rückschlag der erneute Ausgleich. Nach toller Flanke von Schlüter köpfte Marcel Schulz sehenswert zum 5:5 ein. Wiederum nur zwei Minuten später dann die Führung des Berlin-Ligisten. Ein getretener Freistoß von Benjamin Schlüter fand den Weg vorbei an Freund und Feind in die Staakener Maschen. Das 6:5 in der 109. Minute war vollbracht. Was für ein verrücktes Spiel!

Rudow

Dass die letzten Minuten hitzig wurden, versteht sich von selbst. Rudow kämpfte aufopferungsvoll und kassierte noch vier gelbe Karten. Am Ende konnte das 6:5 über die Zeit gebracht werden, und Rudow-Trainer Aaron Müller brachte es nach Abpfiff auf den Punkt: „Sensationell!!!“

Fotos: Marco Bertram

> zur turus-Fotostrecke: Berliner Pilsner Pokal

Inhalt über Klub(s):
Artikel wurde veröffentlicht am
16 November 2017
Spielergebnis:
6:5
Zuschauerzahl:
120
Gästefans
20

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Inhalt über Liga
Landespokal

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4 Kommentare
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G
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G
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Regionalligisten und Oberligisten purzeln nur so raus. Stark!
G
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G
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